TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 W122 2217558-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W122 2217561-1/23E

W122 2217558-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX , beide StA. Iran, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.09.2019, Zl. XXXX und Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2020 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 33/2013 (VwGVG), stattgegeben sowie XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) stellte am 19.01.2018 für sich und ihren unmündig minderjährigen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: B2) einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab sie an, dass sie am 24.02.2017 legal mit einem Visum über die Türkei nach Österreich eingereist sei. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die BF1 aus, dass sie in Österreich ihre Religion gewechselt habe und ihr Sohn dies seinem Vater erzählt habe. Dieser wolle die BF1 nun an die iranischen Behörden verraten und ihr den Sohn wegnehmen. Sie fürchte um ihr Leben, weil der Religionswechsel im Iran mit der Todesstrafe geahndet werde.

3. Am 12.03.2019 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen.

Eingangs legte die BF1 (neben Unterlagen zu ihrer Integration) zahlreiche Dokumente aus dem Iran sowie ihren iranischen Reisepass und den ihres Sohnes vor.

Die BF1 gab an kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit zu sein und seit 17.12.2018 sei sie Katholikin. Ihr Sohn sei auch Katholik und würde eine katholische Schule besuchen. Sie spreche Persisch und Kurdisch. Im Iran habe sie einen Master in Sportwissenschaften gemacht und zuletzt in einem physiotherapeutischen Zentrum gearbeitet. Im Iran würden noch zwei weitere Kinder sowie die Eltern, ihre drei Geschwister und ihr Ehemann leben. In Österreich habe sie, abgesehen von ihrem Sohn, keine familiären Anknüpfungspunkte. In Österreich habe sie einige Freundschaften und bis zu ihrer Antragstellung auch gearbeitet. Sie sei am 21.02.2017 zu Studienzwecken nach Österreich eingereist.

Zu ihrem Fluchtgrund führte die BF1 – zusammengefasst – Folgendes aus: Sie habe nicht beabsichtigt in Österreich um Asyl anzusuchen, jedoch habe ihr Ehemann die Drohungen wahrgemacht und sie im Iran angezeigt. Deswegen sei ihr Leben nun in Gefahr sei. Im Zuge der Arbeitssuche in Österreich habe sie Personen kennengelernt, die ihr das Christentum nähergebracht hätten. Als sie einmal in der Kirche gewesen sei, habe ihr Ehemann angerufen und ihr Sohn abgehoben. Daraufhin habe er wollen, dass sie wieder nach Hause zurückkehre. Er würde allen erzählen, dass sie zum Christentum konvertiert sei und seinen Sohn persönlich abholen kommen. Die BF1 habe sich dann in der katholischen Kirche vertieft und ihr Mann habe kein Interesse am Christentum gezeigt. Die Drohungen seitens ihres Mannes habe sie ernst genommen, insbesondere, dass er zur Staatsanwaltschaft gehe. So habe sie keinen Ausweg vom Stellen eines Asylantrages mehr gesehen. Da ihr Ehemann diese Reaktionen auf ihren Glaubenswechsel gezeigt hätte, habe sie Angst vor einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat. Der BF2 interessiere sich zwar auch für das Christentum und würde in der katholischen Kirche ministrieren, jedoch habe er keine eigenen Fluchtgründe.

Neben Personen in Österreich habe sie noch ihrer Mutter von ihrem Glaubenswechsel erzählt. Sie sei nicht glücklich darüber gewesen, jedoch habe diese ihren Willen akzeptiert.

Ihr Sohn besuche eine katholische Privatschule samt Hort, wobei die BF1 nur einen geringen Teil der Kosten tragen müsse. Während der Zeit im Hort bekomme der BF2 Nachhilfe und sie könne so während dieser Zeit auch einen Deutschkurs besuchen.

Die BF1 führte aus, dass ihr Ehemann sie im Iran wegen Unfolgsamkeit angezeigt habe. Er habe sich einen Anwalt genommen und dem Gericht von ihrer Konversion und der einhergehenden Gefährdung des Sohnes erzählt. Sie selbst sei nur von ihrem Ehemann bedroht worden, ihrer Mutter sei aber die erste Anzeige per Brief zugestellt worden. Ihr Ehemann wolle nicht, dass sie frei über ihre Religion entscheiden dürfe. Wie auch in anderen Belangen des Lebens, dürfe der Mann, den iranischen Gesetzten nach, über die Frau bestimmen.

Auf der Universität habe sie nur einen Deutschkurs absolviert. Da sich die Lage für sie nun geändert habe, sei ihr eine Arbeit mittlerweile aber wichtiger als das Studium. Im Iran sei das Leben zwar anstrengend gewesen, jedoch habe sie keine finanziellen Probleme gehabt. Im Iran habe sie mit der Einwilligung ihres Mannes, unter der Bedingung, dass sie den Haushalt führe, arbeiten gehen dürfen.

Bei Nachschau auf ihrem Mobiltelefon wurde ersichtlich, dass die BF in regelmäßigem Kontakt zu ihrer Tochter stehe, sie dies aus Angst vor Konsequenzen zuvor bei der Einvernahme nicht angesprochen hätte. Ebenso sei sie Mitglied in einer Gruppe iranischer Asylwerber in Österreich. In dieser erfolge ein Austausch über Informationen und Hilfe im Alltagsleben.

Sie habe ihrem Mann von ihrer Konversion erzählen wollen, jedoch sei dies bereits durch den Anruf ihres Mannes bei ihrem Sohn in Erfahrung gebracht worden. Das Telefonat habe sich an einem Sonntag im Augst 2017 nach einem Besuch einer Freikirche zugetragen. Ab diesem Zeitpunkt habe es dann Streitigkeiten und Drohungen gegeben. Ernst genommen habe sie diese aber erst nachdem er die Anzeige gemacht habe. Ihre Mutter sei auch von Leuten des Geheimdienstes aufgesucht worden, wobei diese nach der BF1 befragt worden sei. Ob der Geheimdienst bereits Daten von ihrer Konversion habe, wisse sie nicht. Sie habe jedenfalls bereits einen Termin für die Taufe und ihr Sohn wolle auch gerne getauft werden. Die katholische Schule besuche ihr Sohn, damit dieser keinen islamischen Religionsunterricht erhalte und sie Katholiken seien. Ihr Sohn habe nach Österreich mitkommen können, weil ihr Mann lieber im Iran geblieben wäre, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Ihr Mann habe aber eingewilligt, dass sie ihren Sohn mitnehmen könne.

Sie glaube aus tiefstem Herzen an das Christentum, wohl auch deswegen, weil sie dies hier ohne Zwang machen könne und hierzulande die Menschlichkeit im Vordergrund stehen würde. Sie besuche einen Taufvorbereitungskurs und gehe sonntags immer in die Kirche. Sie sei auch im Pfarrkaffee und treffe sich einmal im Monat mit anderen Iranern dieser Kirche. Auf sonstige Wissensfragen werde verzichtet, weil diese schon durch die Kirche abgefragt worden wären, zumal die BF1 bereits einen Tauftermin habe.

Im Vergleich zum Islam, wo die Bestrafung im Vordergrund stehen würde, seien im Christentum Liebe und Vergebung im Vordergrund. Die Sünden würden vergeben werden und Jesus habe niemanden gezwungen, den Glauben anzunehmen. Im Iran habe sie auch verhüllen müssen. Hier könne sie sich schminken und einen Rock tragen.

4. In einer am 18.03.2019 seitens der rechtsfreundlichen Vertretung der BF ergangenen Stellungnahme wurde nochmals dargelegt, dass die BF konsistent dargelegt habe, dass sie im Iran einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterliege und fügte dieser Stellungnahme auch Länderberichte bezüglich des Irans und der Stellung der Konvertiten bei.

5. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 20.03.2019 wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Iran gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG 2005 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), gegen die BF (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für deren freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Zur Entscheidung im Asylpunkt wurde begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 persönlich unglaubwürdig gewesen sei, weil diese falsche Angaben zum Kontakt zu ihren Familienangehörigen im Iran getätigt habe. Ebenso sei eine Konversion nicht glaubwürdig, weil sie sich in einer iranischen Gruppe in einem sozialen Netzwerk aufhalten würde. Die BF1 habe auch nur vage Angaben dahingehend machen können, warum für sie das Christentum die ideale Religion darstellen würde. Auch sei in der Befragung nicht der Eindruck entstanden, dass sich die BF tiefgründig mit der neuen Religion auseinandergesetzt habe. Auch würde die Erlaubnis ihres Mannes, dass er ihr ein weiteres Studium und die Reise nach Österreich ermöglich habe, zeigen, dass er eine tolerante und aufgeschlossene Einstellung habe.

6. Mit Verfahrensanordnung vom 21.03.2019 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das BF zur Seite gestellt. Mit Verfahrensanordnung vom 21.03.2019 wurde ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG für die BF angeordnet.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 15.04.2019 fristgerecht und vollumfänglich Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde nicht den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und eine mangelhafte Beweiswürdigung durchgeführt habe. Die BF1 habe ihren Weg zum Christentum und die Verfolgung aufgrund ihrer Konversion detailliert dargestellt. Die belangte Behörde habe außerdem dezidiert auf Wissensfragen über das Christentum verzichtet. Durch die nun vorgelegte Austrittsbescheinigung und weiteren Empfehlungsschreiben (unter anderem von Erzbischof Kardinal Schönborn) könne dargelegt werden, dass die BF aus Überzeugung zum Christentum konvertiert wären. Da die Konversion der BF1 von deren Gatten im Iran behördlich bekannt gemacht worden sei, sodass eine Verfolgung durch die iranischen Behörden, insbesondere aufgrund der Vorlage der iranischen Beweismittel (Anzeigebestätigung) und unter Betrachtung der Länderberichte, als wahrscheinlich angenommen werden könne.

8. Am 15.04.2019 legte die belangte Behörde die Beschwerde, samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen, dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

9. Mit Schreiben vom 18.05.2019 wurden die Taufscheine der BF sowie Bilder Taufe und zahlreiche Unterstützungsschreiben vorgelegt. Am 27.06.2019 wurde Bilder vorgelegt, die den BF2 beim Ministrieren zeigen würden. Am 11.02.2020 wurde ein weiteres Unterstützungsschreiben vorgelegt.

10. Am 27.05.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher die BF als Partei, ihre rechtsfreundlicher Vertretung und ein Zeuge teilnahmen. Die belangte Behörde nahm an dieser Verhandlung nicht teil.

Zu Beginn wurde eine Referenzschreiben der Schulleitung über den BF2 vorgelegt und ein Schreiben des Pfarrvikars bezüglich der BF1. Beide Schreiben datieren vom 25.05.2020.

Sie stellte richtig, dass sie den Kontakt zu ihrer Tochter im Iran damals verheimlicht hatte, weil diese bei ihrem Vater gewohnt habe und sie als Mutter keinen Kontakt haben hätte dürfen. Sie sei gesund und befinde sich derzeit nicht in medizinischer Behandlung oder nehme regelmäßig Medikamente. Die BF sei verheiratet, weil sie sich von Österreich aus nicht scheiden lassen könne und das Scheidungsrecht im Iran nur die Männer hätten.

Sie habe drei Kinder und sei iranische Staatsangehörige. Sie gehören der Volksgruppe der Kurden an und sie sei eine Christin. Sie spreche persisch und kurdisch und ein wenig Deutsch.

Zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat der BF führte diese aus, dass die wirtschaftliche Lage im Iran sehr schlecht sei. Die Konvertiten würden als abtrünnige Apostaten gelten und zum Tode verurteilt werden.

Sie habe noch Kontakt mit ihrer im Iran lebenden Familie, mit ihrem Mann jedoch nicht. Zu ihm habe sie zuletzt im Februar 2018 Kontakt gehabt. Im Iran habe sie ihren Lebensunterhalt durch Unterrichten auf der Universität und Arbeiten als Physiotherapeutin bestreiten können. In Österreich sei sie in keiner Lebensgemeinschaft. In Österreich habe sie an Sprachkursen auf dem Niveau B1 teilgenommen und sei gemeinnützig tätig gewesen. Hier habe sie sehr viele österreichische Freunde und Freundinnen. Mit diesen rede sie über die Religion, auch wenn sie keine Christen sind. Selbst mit den Iranern reden sie auch über Jesus Christus. Sie sei legal mit Studentenvisum in das Bundesgebiet eingereist.

Im August 2017 habe das Gespräch zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn auf dem Weg nach Hause von der Kirche stattgefunden. Ihr Sohn habe seinem Vater über das Christentum erzählt. Er sei dann sehr wütend gewesen und habe mit ihnen gestritten. Er habe versucht, uns in den Iran zurückkehren zu lassen und habe gedroht, ihren Sohn wegzunehmen. Auch wenn es über die Hilfe der Polizei sei. Sie sei dagegen gewesen und habe versucht, ihm über das Christentum zu erzählen.

Dieses Gespräch mit dem BF2 habe nach dem Besuch einer Freikirche, glaublich am Rennweg, stattgefunden. Sie habe diese Kirche bis Dezember 2017 besucht. Für die BF1 sei es wichtig gewesen, dass sie Jesus kennengelernt habe. Diese Kirche dort habe sie nicht befriedigen können, sodass sie einer anderen Kirche nachgegangen sei. Sie habe die Bibel gelesen und sich damit auseinandergesetzt und recherchiert. Dabei habe sie festgestellt, dass der Papst und die anderen Heiligen nicht so akzeptiert werden würden. Im Katholizismus aber sehr wohl.

Sie habe sich neben der Bibel auch mit den Zweigen des Christentums auseinandergesetzt. Dabei habe sie einen Unterscheid festgestellt. Der Papst und die anderen Heiligen seien für sie wichtig. Sie habe eine Katholikin sein wollen und nichts Anderes.

Auf die Frage, was war der religiöse Grund dieses Wechsels gewesen sei, antwortete die BF1, dass sie in der Kirche das Christentum kennengelernt habe und sie damit zu einem ewigen Leben gelange. Mit der Taufe seien ihre Sünden gereinigt worden. Daraufhin formulierte die rechtsfreundliche Vertretung die Frage dahingehend um, dass die BF1 genau erläutern solle, warum sie von der Evangelikalen Freikirche zum Katholizismus gewechselt habe, auch unter Anführung ihrer inneren Beweggründe.

Die BF führe aus, dass sie durch ihre Freunde in die iranische Freikirche gekommen sei. Zu dieser Zeit habe sie keine allzu große Information über das Christentum gehabt. Erst später und nach langer Auseinandersetzung mit dem Christentum habe sie sich für den Katholizismus entschieden.

Auf Aufforderung dies detaillierter anzuführen, gab die BF1 an, dass sie als eine Christin Gott und Jesus angenommen habe. Nachdem sie sich mehr mit dem Christentum auseinandergesetzt habe, habe sie festgestellt, dass der Katholizismus vollkommener sei, als die evangelische Kirche. Beim Gebet bekomme sie immer eine innere Ruhe in der Kirche. Das Gefühl, dass sie bei der iranischen Kirche nie gehabt hätte. Es gebe auch ein Gebet über die Heilige Maria, das sie besonders möge. Dieses Gebet dürfe man in der iranischen Kirche nicht sprechen.

In Österreich lebe sie von der Grundversorgung. Im Alten Testament würden allem die zehn Gebote, die an Moses offenbart worden seien, für sie als Vorbild für ihr Verhalten gelten. Im Alten Testament gehe es viel mehr um die Vorbereitung dafür, dass Jesus Christus komme. Im Alten Testament habe der Gott die Sünden nicht vergeben, sondern man sei dafür bestraft worden.

Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat würde sie mit Sicherheit als Apostatin hingerichtet werden. Eine Konversion werde im Iran wird mit der Todesstrafe geahndet.

Sie glaube, dass der iranische Staat von ihrer Konversion wisse, denn schon vor der Taufe habe sie ihr Mann angezeigt. Dies habe er ihr selbst erzählt. Abgesehen davon habe sein Anwalt einen Brief verfasst, in dem er festgehalten hätte, dass sie konvertiert sei und ihr Mann nicht wolle, dass seine Kinder konvertieren. Dieses Schreiben habe ihre Mutter in Kopie vom Gericht besorgen können. Sie habe davon gewusst, weil eine Gerichtsladung zu ihr nach Hause gekommen sei. Eine Ladung habe sie vorlegen können, die zweite haben sie nicht mehr bekommen. Ihre Mutter habe sie telefonisch über die Vorladungen informiert, aber nichts Genaueres sagen können, weil die Telefone im Iran kontrolliert werden würden. Sie habe ihr lediglich den Brief schicken können. Sie habe im Iran einen Anwalt eingeschaltet.

Mit ihren älteren Kindern würde sie bei jedem Treffen über Religion und das Christentum im Allgemeinen sprechen. Als Unterschiede zu deren Glaubensrichtung führte die BF an, dass man beim Katholizismus an den Papst und an die Heiligen, wie z.B. Maria, glauben würde. Die Evangelisten würden aber nur an Jesus Christus glauben.

Vor über zehn Jahren habe sie sich vom ersten Mann getrennt. Vom zweiten Ehemann möchte sie sich scheiden lassen. Seit ihrer Einreise, lebe sie mit diesem nicht mehr zusammen. Seit sie ans Christentum bzw. an Jesus Christus glaube und der Mann ihre Ideologie nicht akzeptiere, möchte sie nicht mehr mit ihm zusammen sein. Vor allem seit sie in Erfahrung gebracht habe, dass er sie wegen der Konversion angezeigt habe. Das habe sie ihm im Februar 2018 gesagt, wie sie zuletzt mit ihm Kontakt gehabt hätte. Ab da habe er gemeint, dass sie eine Ketzerin und unrein sei. Danach hätten sei keine normalen Gespräche mehr führen können. Im August 2017, als ihr Sohn ihm davon erzählt habe, habe ihr Mann von der Konversion erfahren. Damals habe sie zwar abgehoben, jedoch habe ihr Mann mit ihrem Sohn sprechen wollen.

Ihr Studentenvisum sei im Jahr 2018 ausgelaufen. Sie habe sich entschieden in Österreich zu bleiben, als sie eine Christin geworden sei und die iranische Regierung davon erfahren habe. Aufmerksam gemacht, dass sie am 19.01.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und das Schreiben vom 06.05.2018 sei, antwortete die BF dass sie sich entschieden habe, als eine Christin hier zu leben und sie habe gewusst, dass ihr Mann dagegen sei. Ihr Mann habe die Anzeige erstattet, jedoch davor schon gedroht, dass er sie anzeigen werde. Aufgrund dieser Anzeige sei die iranische Regierung hinter ihr her, weshalb sie im Falle ihrer Rückkehr getötet werde.

Sie würde die Maria lieben und trage auch ein Bild von ihr immer mit sich herum. In der evangelischen Kirche habe sie Jesus kennengelernt. Sie habe ihn in ihrem ganzen Herzen akzeptiert, aber an die evangelische Kirche habe sie nicht geglaubt.

Es sei für sie unvorstellbar und unakzeptabel, ohne ihren Glauben zu leben, in dem sie ihre innere Ruhe gefunden habe.

Ihr Sohn habe freiwillig die Position als Ministrant angenommen. Er bete immer bevor er etwas unternehme sowie vor dem Essen und Schlafen. Er sei heute nicht anwesend, weil er eine Prüfung gehabt habe.

Ein über die BF befragter Zeuge führte aus, dass sie regelmäßig in die Kirche komme und an den Gottesdiensten teilnehme. Sie sei engagiert und würde sich auch nach den Gottesdiensten in der Gemeinde aufhalten. Ihr Sohn würde ministrieren. Zum inneren Glaubensweg haben er keine Wahrnehmungen, weil er selbst erst seit einem Monat in der Gemeinde sei. Er wisse nur, dass die BF1 mit den Iranern getauft worden sei. Er selbst sei nur einmal dabei gewesen, als sich diese Gruppe getroffen habe, um die Glaubenskenntnisse zu vertiefen.

Den BF2 habe er als sehr offenen, jungen Mann kennengelernt. Er würde sehr viel über Gottesdienste und die Feste fragen. Glaubensfragen stelle er nicht, sondern Fragen über das Zelebrieren. Es habe den Anschein, dass der BF2 gerne ministriere und er glaube, dass das von ihm aus kommen würde, weil er beim Ministrieren gelassen und fröhlich sei.

Danach gab die BF1 an, dass sie ihre beiden älteren Kinder regelmäßig sehe. Sie freue sich sehr darüber, dass auch sie Christen geworden wären. Auch wenn sie keine Katholiken wären, würden sie die vollkommene Erlösung erhalten, weil sie an Jesus Christus glauben würden. Sie liebe ihre Kinder aus erster Ehe von ganzem Herzen. Sie bedanke sich dafür, dass sie überhaupt hier bei ihr seien. Abschließend bedankte sich die BF noch einmal bei Jesus, dass er ihr den richtigen Weg des Lebens und der Rettung gezeigt habe.

Danach folgte der Schluss der Verhandlung. Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

11. Die BF legten im Laufe des Verfahrens folgende Unterlagen und Dokumente vor:

?        Iranische Reisepässe

?        Bestätigungen eines Pfarrvikars

?        Beglaubigte Übersetzungen (Heiratsurkunde und Arbeitsbescheinigung)

?        Übersetzung eines Gerichtsurteils

?        Zahlreiche Bestätigungen iranischer Universitäten

?        Amtspapier eines iranischen Rechtsanwaltes

?        Zeitungsartikel über die Verurteilung von vier Neo-Christen

?        Kopie einer psychologischen Stellungnahme

?        Bestätigung, dass BF1 Kontrolleurin bei einer Wahl war

?        Schulbesuchsbestätigung des BF2

?        Kündigung der Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter

?        Zahlreiche Unterstützungsschreiben

?        Teilnahmebestätigungen an Deutschkurs A2

?        Zahlreiche Vereinbarungen über die Durchführung von gemeinnütziger Tätigkeit

?        Bestätigungen der Stadt Wien

?        Bestätigung der Kurszeiten des AMS

?        Screenshot der Bedrohungs-SMS des Ehemannes

?        Anmeldebestätigung an der Universität Wien

?        Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs

?        Abschlusszeugnis über das Masterstudium

?        Über der Teilnahme an der Ausbildung sowie Arbeitsbestätigungen der Universität für Medizinische Wissenschaften und der Krankenschwesternuniversität

?        Personalausweis inklusive Übersetzung

?        Urkunde über die Zulassung zu den Sakramenten (Taufurkunde)

?        Klinisch-Psychologischer Befund

?        Zeugnisse zur Integrationsprüfung

?        Diverse Zertifikate auf Farsi

?        Ausweise von Sportvereinen

?        Geburtsurkunden von BF1 und BF2

?        Masterabschlussarbeit

?        Bilder des BF2 als Ministrant

?        Schreiben des Erzbischofs von Wien

?        Bestätigungsschreiben des Pfarrvikars bezüglich der BF

?        Ärztliche Unterlagen betreffend BF1 und BF2, samt Teilnahmebestätigung an einem Kurs zur Traumabewältigung der BF1

?        Religionsaustrittsbestätigung bezüglich der BF1

?        Taufscheine und Bilder der Taufe der BF

?        Deutschzertifikate Niveau B1

?        Referenzschreiben der Schulleitung betreffend BF2

?        Jahreszeugnis (Volksschule) des BF2

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF:

Die BF1 führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren, der BF2 ist der unmündig minderjährige Sohn der BF1, führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren.

Sie sind iranischer Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Kurden an und wurden im Iran geboren und sozialisiert. Die BF1 hat in ihrem Heimatland die Schule besucht und an der Universität das Studium der Sportwissenschaften mit einem Master abgeschlossen. Sie hat im Iran zuletzt an verschiedenen Universitäten und in einem physiotherapeutischen Zentrum gearbeitet.

Die BF1 hat sich ernsthaft dem Christentum zugewandt, sie ist getauft und lebt im Bundesgebiet als gläubige Katholikin. Der BF2 ist ebenfalls getauft und nimmt ebenfalls an den Aktivitäten der Kirchengemeinde, wo er auch Ministrant ist, teil.

Die BF1 ist verheiratet und hat neben dem BF2 noch zwei weitere volljährige Kinder. Es ist glaubwürdig, dass der Mann der BF1 in einem Telefongespräch mit dem BF2 davon erfahren hat, dass die BF1 zum Christentum konvertiert ist und er in weiterer Folge diese bedroht und bei den iranischen Behörden angezeigt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass die BF1 deswegen vom Geheimdienst gesucht wird. In Österreich ist die BF1, die legal mit einem Studentenvisum ins Bundesgebiet einreiste, mit dem Christentum erstmals in einer evangelischen Kirche in Berührung gekommen und vertiefte ihr Wissen über das Christentum weiter in der katholischen Kirche. Die Taufe und der Austritt aus der islamischen Religionsgemeinschaft sind somit nicht nur zum Schein erfolgt, zumal die BF aktiv am Leben einer katholischen Kirchengemeinde teilnehmen und regelmäßig in die Kirche gehen.

Die BF1 ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur hier maßgeblichen Situation im Iran:

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 3.2019a).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).

Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA

.

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).

Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).

Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems“ sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem “Implementation Day” am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH. Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).

Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende

war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr

zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in „politischen“ Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).

Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani.

Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkonten. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen.

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Verbotene Organisation

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität. die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen. deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten. können der Spionage beschuldigt werden (AA 12.1.2019).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komalah-Partei. die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK). die aus Belutschistan stammende Jundallah. und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK). die eng mit ihrer Schwesterorganisation. der PKK. zusammenarbeitet (AA 12.1.2019). Die politischen Gruppierungen KDPI. Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 12.2018) und hat einen bewaffneten Flügel.
Auch die Volksmudschahedin (MEK. MKO. PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

Im FFM-Bericht des Danish Immigration Service erklärt eine Quelle. dass sie noch nie davon gehört hätte. dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau. wie z.B. dem Verteilen von Flyern. angeklagt wurde. Andererseits ist es aber laut einer anderen Quellen schon möglich. dass man inhaftiert wird. wenn man mit politischem Material. oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an. welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

Volksmudschaheddin (Mujahedin-e-Khalq - MEK, MKO; People’s Mojahedin Orga¬nisation of Iran - PMOI; National Council of Resistance of Iran - NCRI)

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, „iranische Volksmudschahedin") gilt in Iran als Terror-Organisation, die für die Ermordung von17.000 IranerInnen verantwortlich gemacht wird (ÖB Teheran 9.2017, vgl. Global Security o.D.). Es handelt sich um eine linksgerichtete Gruppierung, die in den 1960er Jahren gegründet wurde, um sich gegen den Schah zu stellen. Nach der Islamischen Revolution 1979 wendete sie sich gegen die klerikalen Führer. Während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren verlegten die Volksmudschaheddin ihr Camp in den Irak (Global Security o.D., vgl. ACCORD 7.2015, Guardian. Saddam Hussein stellte ihnen eine große Militärbasis namens Camp Ashraf unweit der iranischen Grenze zur Verfügung (Guardian 9.11.2018). Zwischen 2009 und 2013 wurde Camp Ashraf von irakischen Sicherheitskräften zumindest zweimal überfallen und etwa 100 Menschengetötet. Daraufhin nahmen die USA die MEK von der Terrorliste, um weitere Todesopfer zu vermeiden. Nachdem die MEK offiziell nicht mehr als Terrororganisation galt, konnten die USA Albanien davon überzeugen, die übrigen 2.700 Mitglieder aufzunehmen. Diese wurden zwischen2014 und 2016 nach Tirana geflogen. Mittlerweile sind viele von Ihnen in die EU und USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Im Exil hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Guardian 21.9.2012, vgl. ACCORD9.2013).

Experten sind sich einig, dass die Volksmudschaheddin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016, vgl. Guardian 9.11.2018). In Bezug auf die Demonstrationen, die Ende 2017/Anfang 2018 in den großen Städten Irans stattfanden, gab der Oberste Führer Khamenei den Großteil der Schuld an den Demonstrationen der MEK und erkannte somit das Ausmaß des Einflusses dieser Gruppierung an (Iran Focus 18.1.2018, vgl. Arab News 22.1.2018).

Die Entwaffnung der Kämpfer der Volksmudschaheddin in Camp Ashraf und an anderen Orten nahe Bagdad erfolgte während der US-Invasion im Irak durch die Amerikaner. Die MEK-Führung habe sich von Saddam Hussein distanziert und ihre Opposition gegenüber der islamischen Regierung in Teheran betont. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die MEK aus Sicht der Amerikaner neu erfunden. Die MEK-Führung stellt sich selbst als demokratische und populäre Alternative zum islamischen Regime dar und behauptet, über Unterstützung der iranischen Bevölkerungsmehrheit zu verfügen (ÖB Teheran 9.2017). Inwieweit die MEK von der iranischen Bevölkerung unterstützt wird ist umstritten. Einerseits gibt es Informationen, die besagen, dass die MEK die größte militante iranische Oppositionsgruppe sei, mit dem Ziel die Islamische Republik, die iranische Regierung und deren Sicherheitsapparat zu stürzen. Andererseits gibt es Berichte, die der MEK wenig bis gar keine Unterstützung der Bevölkerung zusprechen (ACCORD 7.2015). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung ist und international präsent ist, aber sie genießt in Iran selbst aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung (ÖB Teheran 12.2018).

Die Streichung der MEK von der Liste terroristischer Organisation durch die EU und die Vereinigten Staaten 2012 wurde von iranischer Seite scharf verurteilt. Verbindungen zur MEK gelten in Iran als mohareb (Waffenaufnahme gegen Gott), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 9.2017).

Die MEK konzentriert sich mittlerweile auf das Beeinflussen der öffentlichen Meinung und auf das Sammeln von Informationen zur Situation im Land. Iran führt eine Liste mit ca. 100 MEK- Unterstützern (hauptsächlich Anführern), die nicht nach Iran zurückkehren können, da sich das Interesse der Behörden auf sie richten würde (ACCORD 7.2015). In Bezug auf die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für die MEK gibt es widersprüchliche Informationen.

Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch missbrauchen würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten, angewendet. Solche Vorwürfe werden von der MEK kategorisch zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).

PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistane (Partei für Freiheit und Leben in Kurdi¬stan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbaueiner kurdischen Nationalidentität, und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern. 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK. Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Die PJAK ist die einzige kurdische Partei, die noch immer aktiv für ihre Ziele - z.B. Selbstbestimmung - in Iran kämpft. Angaben über die Stärke der PJAK-Kämpfer sind schwierig. Schätzungen liegen bei ca. 3.000 Kämpfern. Es gibt auch Einheiten mit Kämpferinnen (BMI 2015, ACCORD 7.2015). Die Hälfte der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauensein (TRAC o.D.)Die PJAK liefert sich seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden. In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten. Es ist weiterhin mit verschärften Repressalien gegen kurdische Organisationen zu rechnen. Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen - insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 12.2018). Die PJAK ist im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei der PJAK gibt es zwei Arten von Mitgliedschaft: Zum einen professionelle Mitglieder, die unter anderem auch militärisches Training erhalten und Waffen tragen. Diese sind unverheiratet und haben ihr Leben der PJAK gewidmet. Sie werden von der PJAK z.B. in kurdische Dörfer oder Städte entsandt, wo sie versuchen, die Leute zu organisieren und verschiedene Komitees und legale Organisationen zu gründen, um ihre Ideologie zu verbreiten. Professionelle Mitglieder nehmen an militärischen und politischen Aktivitäten der PJAK teil. Die zweite Gruppe bilden die semi-professionellen oder lokalen Mitglieder, die ein normales Leben mit ihren Familien führen. Sie nehmen nicht an militärischen Aktivitäten teil, führen aber politische Aktivitäten aus, wie z.B. Flyer verteilen. Um ein semi-professionelles Mitglied zu werden, muss man das Ausbildungsprogramm der Partei durchlaufen. Neben diesen beiden Gruppen gibt es auch noch die Sympathisanten, die selten auch Flyer verteilen oder an Demonstrationen teilnehmen. Diese sind nicht direkt an der Organisation von Demonstrationen beteiligt und haben auch keine Verbindung zur Organisation der Partei. Die Sympathisanten arbeiten unter der Führung der semi-professionellen Mitglieder. Da die PJAK in Iran eine verbotene Organisation ist, müssen sowohl Mitglieder als auch Sympathisanten mit ernstzunehmenden Strafen rechnen, wenn ihre Aktivitäten enthüllt werden (DIS/DRC 30.9.2013).

Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 12.1.2019). Letztere wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die vom Irak aus das Regime bekämpft (AA 9.12.2015, vgl. BMI 2015).

Die kurdischen Oppositionspartien, insbesondere die KDPI, sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Die KDPI wurde 1945 gegründet und vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt. Die KDPI fordert kurdische Autonomie (TRAC o.D.) innerhalb eines demokratischen Iran (MERIP o.D.). Das Hauptquartier der KDPI, die sich in ihrer Geschichte mehrmals gespalten hat, befindet sich im Irak (MERIP o.D., vgl. ACCORD 7.2015).

Komalah (SKHKI) hat ihre Zentrale in der Autonomen Kurdischen Region Irak. Es gibt Parteimitglieder und -sympathisanten. Organisiert ist sie in einzelnen Zellen, die von Mitgliedern geführt werden. Die Mitglieder einer Zelle teilen sich die Arbeit auf, aber nur eine Person nimmt Kontakt zur Zentrale auf. Sympathisanten hören das Parteiradio, schauen Komala TV und beteiligen sich an Aktivitäten, die von Komala empfohlen werden. Die Zellen fungieren als eine Art Schirmorganisation, die eine große Anzahl an Sympathisanten abdecken. Geheime Aktivitäten der Partei in Iran werden von der Einheit „Takesh" durchgeführt. Komala erlaubt ihren Mitgliedern in Iran nicht, sich in größeren Gruppen als zwei oder drei Personen zu treffen (DIS/DRC 30.9.2013). Komala ist in Iran verboten (BMI 2015) und erscheint momentan weniger aktiv. Zuletzt wurden im September 2018 drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet, zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 12.2018).

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik. in welcher versucht wird. demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt. dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich. dass Exekutivorgane. v.a. der Sicherheitsapparat. trotz des formalen Verbots. in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten. dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“;IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungs-maßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T dem Regime nahestehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019) Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte: Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden"; Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen; Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

Spionage für fremde Mächte; Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel; Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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