TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 I408 2120199-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
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Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I408 2120199-2/26E

Schriftliche Ausfertigung des am 29.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX StA. IRAK, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 30.06.2017, ZI. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2020, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 23.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung gab er zu seinem Fluchtgrund an, dass er sunnitischer Moslem sei und schiitische Milizeinheiten 2007 seinen Vater umgebracht und ihr Haus zerstört haben. Die ganze Familie sei zwangsevakuiert worden und in den Norden geflüchtet.

2. Am 18.05.2017 führte der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde dann aus, dass er nach der Ermordung seines Vaters zunächst normal weitergelebt und sich um die Familie gekümmert habe. In weiterer Folge sei er von der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq bedroht worden. Eines nachts sei er von der Polizei aufgesucht und verhaftet worden. Von Oktober 2011 bis Jänner 2014 habe er sich in Haft befunden. Danach habe er sich wieder um seine Familie gekümmert und gearbeitet. In der Arbeit sei er wiederum von den Milizen aufgesucht worden und man habe ihn zur Kooperation zwingen wollen, um andere Personen festzunehmen. Aus Angst um sein Leben habe er dann den Irak verlassen. 2016 sei er angeklagt worden. Man werfe ihm vor hinter einem Autobomben-Anschlag zu stecken.

3. Die belangte Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 30.06.2017 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid wurde am 13.07.2017 fristgerecht Beschwerde betreffend die Spruchpunkte I. bis III. erhoben.

5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde die Rechtssache dem erkennenden Richter zugewiesen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.06.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, in der das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet wurde.

7. Mit Schreiben vom 06.07.2020 wurde vom Beschwerdeführer über den MigrantInnenverein St. Marx, seine neu bevollmächtigte Rechtsvertretung, die schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige, ledige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und bekennt sich zum muslimischen-schiitischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest

Der Beschwerdeführer stammt aus der Umgebung von Bagdad und war dort bis zu seiner Ausreise aufhältig.

Die Angehörigen des Beschwerdeführers (Mutter, Schwester, Bruder) leben nach wie vor in guten wirtschaftlichen Verhältnissen in Bagdad.

Der Beschwerdeführer hat im Irak mehrere Jahre die Schule besucht und war als Fitnesstrainer in seinem eigenen Studio tätig.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten, gesund und arbeitsfähig.

Er reiste schlepperunterstützt, unter Umgehung der Grenzkontrollen im März 2015 in Österreich ein.

Der Beschwerdeführer erhält und bezieht seit Anbeginn Leistungen der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Aktuell ist er in einer Privatwohnung untergebracht, erhält aber einen Mietzuschuss.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte und es haben sich auch keine weiteren, besonders hervorzuhebenden, sozialen oder beruflichen Kontakte ergeben. Er verfügt zwar über ein Deutschzertifikat Niveau A1, hat Freundschaften geschlossen und war einige Male gemeinnützig tätig, allerdings kann dennoch nicht von einer nachhaltigen Integration gesprochen werden.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Irak aufgrund einer Bedrohung durch die Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq verlassen musste.

Der Beschwerdeführer war auch keiner sonstigen persönlichen Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt.

1.3. Zur allgemeinen Situation im Irak:

Seit dem Sieg über den IS kehrt der Irak nach den Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen und Übergriffen unter den einzelnen Bevölkerungsgruppen/religiösen Bekenntnissen langsam zur Normalität zurück und widmet sich verstärkt dem Wiederaufbau, der auch international unterstützt wird. Die Bekämpfung der Korruption, das Wiedererlangen von Vertrauen innerhalb der gespaltenen Gesellschaft, die Beseitigung der Zerstörungen der Infrastruktur und die Eingliederung der Milizen in die staatlichen Strukturen geht langsam vor sich, vielen zu langsam und das findet in unterschiedlichster Ausprägungen ihren Niederschlag (IS und Milizen zeigen in Form von gezielten Anschlägen ihre Präsenz, Bevölkerungsgruppen demonstrieren und bringen ihre Unzufriedenheit aktiv zum Ausdruck, etc). Sie haben sich aber zuletzt auf einem Niveau eingependelt, dass die damit verbundenen Vorfälle nicht zu einer unübersichtlichen Lage und eine, für jeden dort Aufhältigen unmittelbar, lebensbedrohliche Situation führen.

So sind im Gouverment Bagdad, mit einer Bevölkerung von mehr als 7 Millionen Menschen, von November 2019 bis Feber 2020 85 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 52 Toten und 94 Verletzten verzeichnet. Zudem kommt es seit 01.10.2019 zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Eine systematische Verfolgung von Sunniten durch Schiiten ist aber nicht feststellbar.

Auch wenn derzeit im Irak die Fallzahlen der Corona-Pandemie im Steigen sind, ist daraus für einen gesundheitlich nicht beeinträchtigten jungen Mann keine unmittelbare Gefahr erkennbar.

Eine in den Irak zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen und der in seinem Herkunftsort Bagdad über Anknüpfungspunkte zu einer wirtschaftlich gut situierten Familie verfügt, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche oder lebensbedrohliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde der Inhalt des Behördenaktes und alle vom Beschwerdeführer im Laufe des gerichtlichen Verfahrens und in der Beschwerde vorgelegten Unterlagen herangezogen.

Zudem wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem AJ-WEB und der Grundversorgung (GVS) eingeholt und der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 29.06.2020 dazu befragt und der Sachverhalt mit ihm in Anwesenheit seiner Rechtsvertreterin erörtert und abgeklärt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers und seiner Religions- sowie Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus der Niederschrift zur Erstbefragung und der Befragung durch die belangte Behörde. Aus dem vorgelegten und in Ablichte aufliegenden irakischen Reisepass geht seine Identität zweifelsfrei hervor.

Die Feststellung zur Dauer des Aufenthaltes in Österreich beruhen auf dem unzweifelhaften Inhalt des Behördenaktes sowie auf den Angaben des Beschwerdeführers und aus einem aktuellen Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie aus dem zentralen Melderegister.

Aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass er aus Bagdad stammt, seine Angehörigen dort in guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben und er dort auch als Fitnesstrainer gearbeitet hat.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers erschließt sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. So verwies er lediglich auf Rückenprobleme, nach ärztlicher Behandlung und dem Erhalt von Spritzen gehe es ihm aber wieder gut. Auch aus der Aktenlage sind keinerlei Hinweise auf lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigungen zu entnehmen.

Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse, die Lebensumstände und die Integration des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, der vorgelegten ÖSD-Karte und einem Auszug aus dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Hinweise auf ein Familienleben oder besonders intensive private Beziehungen in Österreich sind zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens hervorgekommen und wurde diesbezüglich auch kein Vorbringen erstattet.

Der Bezug von Leistungen der Grundversorgung und die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit ist dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem zu entnehmen. Die private Unterbringung und der Erhalt eines Mietzuschusses ergibt sich ebenfalls aus einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem sowie dem ZMR und seinen Angaben.

Die Nichtfeststellbarkeit von sonstigen Anhaltspunkten, welche das Vorliegen einer außergewöhnlichen Integration nahelegen könnten, beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Zunächst ist festzuhalten, dass schon die belangte Behörde in ihrem Bescheid nachvollziehbar dargelegt hat, warum sie das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtet.

Dem Beschwerdeführer wurde im Verfahren vor der belangten Behörde sowie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren hinreichend die Möglichkeit geboten, in freier Erzählung sowie unter Beantwortung konkreter Fragen seine Fluchtgründe darzulegen.

Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass er den Irak aufgrund einer Bedrohung durch die schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq verlassen habe.

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Bestehens einer Bedrohung im Irak aus den folgenden Erwägungen als nicht glaubhaft:

Zunächst ist der Beschwerdeführer als Person im Allgemeinen schon nicht glaubwürdig, nachdem er bei seiner Erstbefragung erklärte, drei Brüder und fünf Schwestern im Irak zu haben und diese alle mit Namen anführte und dann bei seiner niederschriftlichen Einvernahme bei der belangten Behörde angab, dass er lediglich eine Schwester und einen Bruder habe. Auf diesbezüglichen Vorhalt der belangten Behörde, meinte er dann nur, dass dies falsch aufgenommen worden sei.

Des Weiteren gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung lediglich an, dass schiitische Milizen 2007 seinen Vater ermordet und ihr Haus zerstört haben, weswegen die ganze Familie in den Norden geflohen sei. In der Einvernahme vor der belangten Behörde erzählt er dann, dass er persönlich von der schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq mehrmals bedroht worden sei, sich von 2012 bis 2014 in Haft befunden habe, nach seiner Haftentlassung wieder normal weitergearbeitet und sich um die Familie gekümmert habe bis er bei der Arbeit wiederum von der Miliz bedroht worden und geflohen sei. Wer von einer schiitischen Miliz persönlich verfolgt wurde und deswegen mehrere Jahre in Haft verbringt, hat dieses zentrale Element seiner Fluchtgeschichte bereits bei seiner Erstbefragung klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen, zumal es sich um ein so einschneidendes Erlebnis konkret seine Person betreffend handelt. Außerdem ist nicht glaubhaft, dass er nach einer Bedrohung durch die schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq und eine mehrjährige Inhaftierung einfach wieder sein geregeltes Leben aufgenommen hätte.

Auch gab er zu Beginn der Einvernahme vor der belangten Behörde an, sich von 10.10.2012 bis 01.01.2014 in Haft befunden zu haben und änderte dies dann im Laufe der Einvernahme auf 10.10.2011 ab.

Außerdem blieb der Beschwerdeführer bei seinen Angaben immer vage und oberflächlich. Der Beschwerdeführer berichtete nicht von sich aus über das Erlebte und stellte auch keine Zusammenhänge her. Von der belangten Behörde befragt, warum er inhaftiert worden sei meinte er nur: „Erst einmal weil ich Sunnit bin. Und weil ich nicht mitkooperiert habe, ich wollte nicht töten und mitkooperieren. Mein Trainingszentrum war sehr bekannt in XXXX .“. Erst auf weiteres Nachfragen erklärte er dann, dass man ihn mit der Gruppe Tarek Alhashemi in Verbindung bringen habe wollen, aber er dem Richter gesagt habe, dass er damit nichts zu tun gehabt habe, woraufhin er vom Offizier mit Folter bedroht worden sei.

Ebenso detailarm schilderte er die Bedrohung durch die Miliz nach seiner Freilassung: „Es kamen 4 Personen in meine Arbeitsstelle. Sie sagten, bleibst du weiter stur oder kooperierst du. Ich sagte, ich werde es tun. Das habe ich aus Angst gesagt. Danach habe ich mit meiner Mutter gesprochen und bin ausgereist.“. Was genau er tun hätte sollen, gab der Beschwerdeführer allerdings nicht an. Erst am Ende der Einvernahme, nachdem er abermals konkret danach gefragt wurde, was die Miliz denn von ihm gewollt hätte, meint er dann: „Ich sollte Mitglied werden und Waffen tragen. Ich sollte auch eine gesuchte Person verraten.“. Befragt, um wen es sich bei der gesuchten Person handle, kam wiederum nur eine unsubstantiierte Antwort: „Viele sunnitische Personen.“. Auch in der mündlichen Verhandlung meinte er zunächst nur, dass er festgenommen worden sei, da er nicht mit der Miliz zusammengearbeitet und niemanden töten wollen habe. Auch näher befragt, meinte er nur unkonkret, dass er eine bekannte Person gewesen sei und Informationen über die Mitglieder an die Miliz weitergeben hätte sollen, damit diese verhaftet werden und die Miliz wissen wollen habe, wo sich die Mitglieder treffen.

Schließlich erwähnte der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme auch erstmals, dass er 2016 eine Anklage zugestellt bekommen hätte, worin ihm Terror, da er ein Auto in die Luft gesprengt haben soll, vorgeworfen worden sei. Im Widerspruch dazu erklärte er in der mündlichen Verhandlung, dass ein Verfahren, in welchem er beschuldigt worden sei, bombardiert und getötet zu haben, bereits während seines Haftaufenthaltes gelaufen sei und er freigesprochen worden sei. 2016 habe man eine neue Anklage erhoben, weswegen er jetzt verfolgt werde, aber er habe die Klage nicht gelesen, sondern sie sofort dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Diesbezüglich wird noch angeführt, dass es äußerst unplausibel ist, dass, wenn man in einem Land angeklagt ist, man sich nicht dafür interessiert warum und diesbezüglich keine Details widergeben kann. In den vorgelegten Unterlagen wird angeführt, dass der Beschwerdeführer versucht habe eine Tankstelle in die Luft zu sprengen. Allerdings ist im Irak jedes Dokument laut Länderinformationsblatt, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen, weswegen den vorgelegten Unterlagen in Verbindung mit den zahlreichen Widersprüchen in den Aussagen des Beschwerdeführers keine Beweiskraft zukommt.

All diese Ungereimtheiten und Widersprüche zeigen deutlich auf, dass es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Die Feststellungen zur Lage im Irak basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 und werden ergänzt durch den EASO Informationsbericht über den Irak mit Stand Februar 2019 sowie den Erwägungen des UNHCR mit Stand Mai 2019 und die Kurzinformation zu COVID-19 vom 20.03.2020. Sie wurden zudem in der mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer erörtert.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen nicht entgegen, sondern erwähnte nur unsubstantiiert, dass es im Irak kein soziales System gebe und Leute an Corona sterben würden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, vermochte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Dabei ist zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

Betreffend die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz hat der Verwaltungsgerichtshof (insbesondere) auf den Maßstab des Art. 3 EMRK abgestellt. So hat der Verwaltungsgerichtshof (in Zusammenhang mit Afghanistan) auf die ständige Judikatur des EGMR verwiesen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, Nr. 61204/09, I. gg. Schweden).

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 mwN). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; dem folgend aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361, mwN).

Dem Beschwerdeführer droht im Irak keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung. Es droht ihm auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art 2 oder Art 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzungen des Art 2 oder Art 3 EMRK - was im Irak aufgrund der Sicherheitslage grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann - ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die im Irak leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung eines Status eines subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden.

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Bagdad zählt nicht zu den stark sicherheitsgefährdeten Regionen im Irak und das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers geht, wie dargelegt, ins Leere.

Das erkennende Gericht kann auch nicht erkennen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059). Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer dazu nichts vorgebracht hat, kann auch aus dem Länderberichten nicht erkannt werden, dass es ihm im Falle einer Rückführung in den Irak an jeglicher Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann mit Schulbildung und mehrjähriger Berufserfahrung als Fitnesstrainer. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht demnach davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften. Ferner ist davon auszugehen, dass er aufgrund der guten wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Kernfamilie von dieser auch Unterstützung finden wird.

Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen im Herkunftsland bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt. Als junger und gesunder Mann fällt der Beschwerdeführer zudem nicht in die durch das COVID-Virus besonders betroffene Risikogruppe der vorerkrankten oder älteren Menschen, weswegen es nicht ausreichend wahrscheinlich ist, dass sie in diesem Zusammenhang in relevanter Weise gefährdet wäre.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III., erster Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde unter Zitierung des § 57 AsylG 2005 zwar ausgesprochen hat, dass ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AslG 2005 nicht erteilt werde, dass sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch unzweifelhaft ergibt, dass die belangte Behörde tatsächlich rechtsrichtig über eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 abgesprochen und eine solche nicht erteilt hat.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch eine geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu.

So ist grundsätzlich nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis 19.02.2014, 2013/22/0028)."

Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17.04.2013, 2013/22/0106, mwN).

Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0058, mwN). Vielmehr wird verlangt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 10.4.2019 Ra 2019/18/0049, mwN).

Aus zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10) lässt sich zudem erkennen, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im Bundesgebiet trotz vorhandener Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit) im öffentlichen Interesse liegen kann und dass Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland die Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu stärken vermögen, sondern dass diese - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen sind.

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus den folgenden Gründen gegeben:

Das vorliegende Asylverfahren erreichte, gerechnet von der Antragstellung am 23.03.2015 bis zum Datum der nunmehrigen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht zwar eine Dauer von fünf Jahren, jedoch beruhte der Aufenthalt des Beschwerdeführers nur auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb er während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.

Ein schützenswertes Familienleben führt der Beschwerdeführer in Österreich nicht. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Der Beschwerdeführer hat während seines fünfjährigen Aufenthaltes keine nennenswerten integrativen Schritte gesetzt und konnte lediglich ein ÖSD-Zertifikat A1 in Vorlage bringen sowie auf gemeinnützige Tätigkeiten und geschlossene Freundschaften verweisen. Damit kann nicht von einer außergewöhnlichen Integration des Beschwerdeführers ausgegangen werden.

Darüber hinaus sind keine weiteren maßgeblichen Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass seinem Privatleben in Österreich im Verhältnis zu den legitimen öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung eine überwiegende und damit vorrangige Bedeutung zukommen würde.

Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Art 8 EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vgl. ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Darüber hinaus würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt auch eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann. Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III., dritter Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Im gegenständlichen Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak erfolgte daher zu Recht.

Die Beschwerde war daher zu allen Spruchpunkten abzuweisen. Spruchpunkt IV. (Zuerkennung einer Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise) wurde in der Beschwerde nicht bekämpft und ist damit nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung mündliche Verhandlung mündliche Verkündung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr schriftliche Ausfertigung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2120199.2.00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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