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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BDG 1979 §75 Abs1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):99/12/0100 E 22. November 2000Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des H, derzeit in B, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien I, Gonzagagasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten vom 30. Jänner 1996, Zl. 332128/90-VI.1/95, betreffend Anrechnung von Karenzurlaubszeiten (§ 75 Abs. 3 BDG 1979 alte Fassung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Gesandter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.
Über Vorschlag der Bundesregierung wurde er mit Wirkung ab 1. Juni 1995 vom Ministerrat der Europäischen Union zum Beamten im Generalsekretariat des Rates im Rang A 1 (Generaldirektor) ernannt. Auf Grund seines Ansuchens gewährte ihm die belangte Behörde mit Bescheid vom 27. April 1995 einen Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub, im folgenden KU) für die Zeit vom 1. Juni 1995 bis 31. Mai 2000. Unter dem Abschnitt "Sonstige Mitteilungen" wies die belangte Behörde darauf hin, daß über seinen Antrag nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 gesondert entschieden werde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30. Jänner 1996 verfügte die belangte Behörde mit Zustimmung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Finanzen gemäß § 75 Abs. 3 BDG 1979, daß der Zeitraum vom 1. Juni 1995 bis 31. Mai 1998 aus dem dem Beschwerdeführer vom 1. Juni 1995 bis 30. Mai 2000 gewährten Karenzurlaub für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, zur Gänze berücksichtigt werde. Sie begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Anwendung der Ausnahmeregelung nach § 75 Abs. 3 leg. cit. an zwei Voraussetzungen geknüpft sei:
1. es müßten für die Gewährung des KU andere als private Interessen des Beamten maßgebend (überwiegend) sein und
2. es müßten berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen.
Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Beamter "im Ministerrat der Europäischen Union" in Brüssel liege grundsätzlich im öffentlichen Interesse. Dem unbestimmten Gesetzesbegriff "öffentliches Interesse" komme nach der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts normativer Charakter zu. Bei der Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes sei in erster Linie das anzuwendende Gesetz heranzuziehen, d.h. die Auslegung habe sich am normativen Inhalt zu orientieren (Hinweis auf VwSlg. 9481/A). Für die Auslegung des Begriffes "öffentliches Interesse" im Sinne der dienstrechtlichen Vorschriften sei nicht irgendein tatsächliches oder fundiertes Interesse der Öffentlichkeit (Allgemeinheit) oder eines Teiles derselben maßgebend; vielmehr müsse der Inhalt dieses Begriffes aus dem Zusammenhang der dienstrechtlichen Vorschriften ermittelt werden.
Bei der verfügten Berücksichtigung sei die belangte Behörde insbesondere von der Überlegung ausgegangen, daß der Beamte während der Zeit des KU und Verwirklichung des Karenzurlaubszweckes Kenntnisse und Erfahrungen erwerbe, die er nach Beendigung des KU für sein ihm dann zugewiesenes Aufgabengebiet im Bereich der belangten Behörde einsetzen und verwerten könne. Ein "Zugewinn" aus Erfahrung und Tätigkeit über einen über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum erscheine erfahrungsgemäß nicht in dem Maß (überwiegend) von Bedeutung, daß eine Berücksichtigung des gesamten gewährten Karenzurlaubes für von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängige Rechte gerechtfertigt sei. In diesem Sinne könne das öffentliche Interesse an der Tätigkeit des Beschwerdeführers im Beamtenstab des "Ministerrates der Europäischen Union" in Brüssel nur auf die Dauer von drei Jahren als gegeben betrachtet werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, der jedoch deren Behandlung mit Beschluß vom 24. Februar 1997, B 1142/96, ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte der Beschwerdeführer seine Beschwerde, in der er Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machte.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.
Der Beschwerdeführer hat hiezu eine Replik abgegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist § 75 BDG 1979 in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 61/1997 anzuwenden.
§ 75 BDG 1979, BGBl. Nr. 333 (Abs. 3 in der Fassung der BDG-Novelle 1990, BGBl. Nr. 447; Abs. 6 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 24/1991), lautet auszugsweise:
"(1) Dem Beamten kann auf sein Ansuchen ein Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gewährt werden, sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen.
(2) Die Zeit des Karenzurlaubes ist für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen, soweit in den Besoldungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist.
(3) Sind für die Gewährung eines Karenzurlaubes andere als private Interessen des Beamten maßgebend und liegen berücksichtigungswürdige Gründe vor, so kann die zuständige Zentralstelle mit Zustimmung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Finanzen verfügen, daß die gemäß Abs. 2 mit der Gewährung des Karenzurlaubes verbundenen Folgen nicht oder nicht im vollen Umfang eintreten.
...
...
(6) Ein Beamter, mit dem ein befristetes Dienstverhältnis zu einem Land (zur Gemeinde Wien) als Mitglied eines unabhängigen Verwaltungssenates begründet wird, ist für die Dauer der Mitgliedschaft zum unabhängigen Verwaltungssenat gegen Entfall der Bezüge beurlaubt (Karenzurlaub). Die Zeit dieses Karenzurlaubes ist für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, zu berücksichtigen."
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf vollständige Anrechnung des ihm gewährten Karenzurlaubes im Sinne des § 75 Abs. 3 BDG 1979 verletzt, weil er hiefür die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle.
Er regt an, der Verwaltungsgerichtshof möge gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof ein Normprüfungsverfahren "bezüglich § 75 Abs. 2 bis Abs. 3 BDG im Verhältnis zu § 75 Abs. 6 BDG" beantragen. § 75 Abs. 6 BDG 1979 erscheine gleichheitswidrig, weil es keine sachliche Unterscheidung zwischen einem Beamten, der Mitglied eines Unabhängigen Verwaltungssenates (im folgenden UVS) werde, und einem von der Republik namhaft gemachten, von den Europäischen Institutionen bestellten Beamten der Kommission oder des Rates oder auch eines Richters am Europäischen Gerichtshof und dergleichen mehr gebe, die von dieser Bestimmung nicht erfaßt seien. Daher sei auch der Grundtatbestand der §§ 75 Abs. 1 bis 3 verfassungswidrig, weil eine verfassungswidrige Sonderregelung auch den Grundtatbestand verfassungswidrig mache.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Beschwerdefalles nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Ernennung eines Beamten der Europäischen Gemeinschaften mit der Stellung eines Beamten nach § 75 Abs. 6 BDG 1979 nicht vergleichbar, erfolgt doch bei der erstgenannten Gruppe die Bestellung auf Lebenszeit (in der Regel nach vorangegangener Probezeit), während mit dem in § 75 Abs. 6 umschriebenen Personenkreis im allgemeinen lediglich ein befristetes Dienstverhältnis zum Land (zur Gemeinde Wien) begründet wird (vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 129b Abs. 1 und 6 B-VG in der Fassung der Novelle
BGBl. Nr. 685/1988, sowie die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur Novelle des BDG, BGBl. Nr. 24/1991).
Der Beschwerdeführer bringt ferner vor, es sei davon auszugehen, daß in seinem Fall die erste Tatbestandsvoraussetzung nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 erfüllt sei, weil ihm der KU offenbar deshalb erteilt worden sei, weil ihm die Republik selbst für die politische Leitungsfunktion bei der Europäischen Kommission vorgeschlagen habe: Die Gewährung des KU gehe damit evident auf andere als private Interessen des Beschwerdeführers zurück, nämlich auf die Wahrung der Interessen der Republik Österreich. Die erste Tatbestandsvoraussetzung nach § 75 Abs. 3 leg. cit. "determiniere" die Begründung für die Gewährung des KU (nach § 75 Abs. 1 BDG 1979) an sich auf bestimmte Fälle; hingegen ordne die zweite Voraussetzung an, daß berücksichtigungswürdige Gründe für den Folgenausschluß vorliegen müßten. Dem Gesetz lasse sich nicht entnehmen, daß der Begriff "berücksichtigungswürdige Gründe" (im Sinne des § 75 Abs. 3 leg. cit.) mit "öffentlichen Interessen" gleichzusetzen sei, wovon die belangte Behörde offenbar ausgehe. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er den gängigen Begriff des öffentlichen Interesses verwendet, den er in vielen Gesetzen mit einem jeweils aus dem Zusammenhang der Norm zu ermittelnden Inhalt gebrauche. Dem Gesetz lasse sich ferner nicht entnehmen, ob die berücksichtigungswürdigen Gründe beim Beamten vorliegen müßten, also aus dem Beurteilungshorizont des Gesuchsstellers zu ermitteln seien, oder ob diese Gründe aus der Sicht des Dienstgebers (Bund) vorliegen müßten. Die Auslegung, der Karenzurlaubszweck bestehe im Erwerb von Kenntnissen und Erfahrungen, sei willkürlich. Dies lasse sich mit § 75 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 sowie § 75a BDG 1979 nicht in Einklang bringen: Inbesondere könnten die durch einen KU nach § 75a leg. cit. erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur bei einer Verwendung als Beamter im Krankenpflegedienst für den Dienstgeber nutzbar werden. Da die übrigen den KU betreffenden Bestimmungen keinen Hinweis auf den Zweck des KU enthielten, könne der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten "für die Gewährung des Karenzurlaubes" überhaupt nicht herangezogen werden. Außerdem sei die Annahme der belangten Behörde, ein Beamter könne als Generaldirektor des Sekretariats des Rates der Europäischen Kommission in der Verwendungsgruppe A 1 nur durch insgesamt drei Jahre nutzbringende Kenntnisse und Erfahrungen schöpfen, willkürlich. Zum einen sei der Beschwerdeführer in einer solchen Funktion, aus deren Aufgabengebiet klar sei, daß diese zeitliche Einschränkung nicht zutreffe. Andererseits legten alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union großes Gewicht darauf, möglichst viele eigene Angehörige in Beamtenfunktionen noch dazu gehobener Art bei den Organen und Einrichtungen der Europäischen Union zu placieren, weil sich die Nationalstaaten damit, wenn schon nicht eine leichtere Einflußmöglichkeit, so doch zumindest einen besseren Informationsfluß, erwarteten. Die Beamten der Dienstgrade A 1 und A 2 würden eine besondere Verantwortung für die zufriedenstellende Erledigung der ihrem Zuständigkeitsbereich zugeordneten Aufgaben sowie für eine reibungslose Tätigkeit der ihnen unterstellten Verwaltungseinheiten tragen. Die Tätigkeit der leitenden Beamten der Europäischen Union liege im Interesse der Union als ganzes und insbesondere der sie entsendenden Mitgliedstaaten, da sie durch ihre Tätigkeit wesentlich zum klaglosen Funktionieren der Institutionen der Europäischen Union beitrügen und überdies den eigenen Mitgliedstaat bei seiner Mitarbeit und in der Zusammenarbeit unterstützten.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
§ 75 Abs. 3 BDG 1979 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung sieht eine im freien Ermessen (so bereits das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1984, 83/12/0052; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 25. September 1989, 87/12/0056 = Slg. N.F. Nr. 13.003/A, zur vergleichbaren Rechtslage nach § 58 Abs. 3 LDG 1984) liegende Personalmaßnahme vor, bei der die Ermessensübung allerdings an zwei - in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilende - Voraussetzungen geknüpft ist, nämlich
1. daß für die Gewährung des KU andere als private Interessen des Beamten maßgebend (überwiegend) sind und
2. berücksichtigungswürdige Gründe für die Nachtsichtsgewährung vorliegen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 6. Juni 1990, 89/12/0182).
Fehlt auch nur eine dieser beiden Tatbestandsvoraussetzungen, ist die Nachsicht von den Rechtsfolgen nach § 75 Abs. 2 BDG 1979 nicht zu gewähren.
Anders gewendet: Nur wenn beide genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, kann es überhaupt zu einer (rechtlich zulässigen) Ermessensübung kommen.
In der bisherigen Rechtsprechung wurde die Frage, in welchem Umfang der Gesetzgeber der Behörde Ermessen eingeräumt hat, noch nicht ausdrücklich geklärt. Denkbar sind zwei
Varianten:
Variante 1:
Trotz Vorliegens der beiden obgenannten Tatbestandsvoraussetzungen steht die Frage, ob überhaupt und bejahendenfalls in welchem Ausmaß Nachsicht gewährt werden soll, im Ermessen der Behörde. Nach dieser Variante würde das Gesetz der Behörde eine "doppelte" Ermessensentscheidung einräumen, die sowohl das "Ob" und (bei positiver Ausübung dieses "ersten" Ermessens) auch das "Wieviel" betrifft.
Variante 2:
Liegen die beiden obgenannten Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist Nachsicht zu gewähren, das Ermessen besteht nur in bezug auf das Ausmaß der Nachsicht (Auswahlermessen).
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ermächtigt § 75 Abs. 3 BDG 1979 nur zu einer Ermessensentscheidung betreffend das Ausmaß der Nachsicht (im Sinne der Variante 2).
Dies folgt aus Gründen der Verfassungskonformität: Aus Art. 130 Abs. 2 B-VG ist nämlich abzuleiten, daß der einfache Gesetzgeber verpflichtet ist, bei Einräumung von Ermessen auch den Maßstab vorzugeben, in welchem Sinn dieses Ermessen von der Behörde zu handhaben ist, widrigenfalls ein Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 B-VG (Legalitätsprinzip) vorliegt (vgl. dazu statt aller Mayer, B-VG, zweite Auflage, II.2 zu Art. 130 B-VG). Die beiden im Bereich der Gebundenheit zu beurteilenden Tatbestandsvoraussetzungen nach § 75 Abs. 3 BDG 1979, insbesondere der weite unbestimmte Gesetzesbegriff "berücksichtigungswürdige Gründe", lassen keinen Raum für ein weiteres davon nicht bereits erfaßtes Kriterium offen, das für eine Ermessensübung im Sinne des Gesetzes bestimmend sein könnte, sollte diese auch das "Ob" der Nachsicht (im Sinne der Variante 1) erfassen. Eine im Zweifel gebotene verfassungskonforme Auslegung, die das Ermessen nur auf das Ausmaß der Nachsichtserteilung beschränkt, ist auch mit dem Gesetzeswortlaut des § 75 Abs. 3 BDG 1979 vereinbar: Die Wendung "kann die zuständige Zentralstelle mit Zustimmung ... verfügen, daß die gemäß Abs. 2 mit der Gewährung des Karenzurlaubes verbundenen Folgen nicht oder nicht in vollem Umfang eintreten" läßt nämlich die Auslegung zu, das Gesetz ermächtige nur zur Ausübung von Auswahlermessen (im Sinne der Variante 2). Bestimmende Richtlinie für das auf das Ausmaß der Nachsicht beschränkte Ermessen nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 sind die (in bezug auf die Nachsicht) berücksichtigungswürdigen Gründe. Ihnen kommt also eine Doppelrolle zu, und zwar für zwei verschiedene (wenn auch inhaltlich zusammenhängende) Fragen, nämlich ob überhaupt Nachsicht zu gewähren ist (gebundener Bereich) und bejahendenfalls in welchem Umfang sie gewährt werden kann (Ermessen).
Im Beschwerdefall ist ausschließlich das Ausmaß der zu gewährenden Nachsicht strittig. Der angefochtene Bescheid ist in Verbindung mit seiner Begründung als abschließende Entscheidung zu verstehen, wonach lediglich für einen Teil des dem Beschwerdeführer im Ausmaß von fünf Jahren gewährten KU - nämlich für (die ersten) drei Jahre - die gemäß § 75 Abs. 2 BDG 1979 verbundenen Rechtsfolgen nachgesehen werden.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist der angefochtene Bescheid daher im Ermessensbereich ergangen. Letztlich geht die belangte Behörde nach der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, daß die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Beamter bei der Europäischen Union grundsätzlich im öffentlichen Interesse liege und der Inhalt dieses Begriffes aus dem Zusammenhang der dienstrechtlichen Vorschriften ermittelt werden müsse. Sie erblickt das öffentliche Interesse für die Nachsichtsentscheidung im Kenntnis- und Erfahrungszugewinn des Beschwerdeführers bei dieser Tätigkeit, der bei seiner Wiederverwendung im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis in Österreich verwertet werden könne. Dieser Zugewinn über einen drei Jahre hinausgehenden Zeitraum erscheine "erfahrungsgemäß nicht in dem Maße (überwiegend) von Bedeutung, daß eine Berücksichtigung des gesamten gewährten Karenzurlaubes für von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängige Rechte gerechtfertigt ist."
Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß diese Formulierungen den Eindruck erwecken, daß die Behörde sich bei ihrer Ermessensentscheidung von der ersten im Bereich der Bindung maßgebenden Tatbestandsvoraussetzung (Maßgeblichkeit anderer als privater Interessen des Beamten für die Gewährung des Karenzurlaubes) und dem daraus abgeleiteten "komplementären Begriff" des öffentlichen Interesses (vgl. zur Kritik an dieser Auslegung das hg. Erkenntnis vom 14. September 1994, 94/12/0004) leiten ließ. Dies wäre vor dem Hintergrund der oben angestellten Überlegungen verfehlt.
Aber auch dann, wenn man den Erkenntnis- und Erfahrungszugewinn als einen "berücksichtigungswürdigen Grund" im Sinne des § 75 Abs. 3 BDG 1979 für die Nachsichtserteilung (in seiner Bedeutung als Ermessensdeterminante für die Bestimmung des Ausmaßes) auffaßt, wie dies die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, kann dies nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides begründen.
Zwar ist der belangten Behörde einzuräumen, daß der Kenntnis- und Erfahrungszugewinn aus jener Tätigkeit, für die der KU gewährt wurde, und seine Verwertbarkeit bei der Rückkehr des Beamten in eine Verwendung in seinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis einen berücksichtigungswürdigen Grund im Sinne des § 75 Abs. 3 leg. cit. darstellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1995, 94/12/0104). Es kann auch zutreffen, daß ein solcher die Nachsicht rechtfertigender Zugewinn mit zunehmender Dauer der Tätigkeit soweit abnimmt, daß dieser "Rückkoppelungseffekt" für das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gegeben ist. Dies muß aber nach der im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage im Einzelfall unter Berücksichtigung aller konkreter Umstände geprüft werden. Ein (allgemeiner) Erfahrungssatz, daß eine solche Rückwirkung nach einem drei Jahre übersteigenden Zeitraum (ohne Berücksichtigung der jeweils miteinander in Beziehung zu setzenden Verwendungen) jedenfalls nicht mehr gegeben ist, ist dem Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar, sodaß die bloße Berufung darauf eine unbewiesene Behauptung ist, die nicht ausreicht, die auf diesen Zeitraum eingeschränkte Nachsicht hinreichend zu begründen. Die durch die 1. BDG-Novelle 1997, BGBl. I Nr. 61, getroffene Neuregelung der Berücksichtigung des Karenzurlaubes für zeitabhängige Rechte (§ 75a in der Fassung des Art. I Z. 20 der genannten Novelle, insbesondere dessen Abs. 2 Z. 2 lit. b, wonach eine Anrechnung von Karenzurlaubszeiten dann, wenn der KU zur Begründung eines Dienstverhältnisses zu einer Einrichtung der Europäischen Union oder zu einer sonstigen zwischenstaatlichen Einrichtung, der Österreich angehört, gewährt wurde, bis zum zeitlichen Höchstausmaß von drei Jahren zu berücksichtigen ist) ist im Beschwerdefall nicht anzuwenden; aus der neuen Rechtslage, in der im Gesetz abschließend geregelt wird, in welchen Fällen und bis zu welchem zeitlichen Höchstmaß Zeiten eines KU für zeitabhängige Rechte zu berücksichtigen sind, läßt sich auch nichts für die frühere im Beschwerdefall anzuwendende Rechtslage ableiten, die diese Entscheidung im Regelfall der Dienstbehörde im Einzelfall überantwortet.
Abgesehen von diesem Verfahrensmangel geht die belangte Behörde im Ergebnis davon aus, daß nur der oben beschriebene "Rückkoppelungseffekt" eine in ihrer Dauer begrenzte Nachsicht von den Rechtsfolgen nach § 75 Abs. 2 BDG 1979 ermöglicht. Diese Rechtsauffassung läßt sich dem Gesetz aber nicht entnehmen.
Der unbestimmte Gesetzesbegriff "berücksichtigungswürdige Gründe" ist nämlich im Zusammenhang mit allen Rechtsvorschriften auszulegen, die sich auf die Nachsichtserteilung nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 beziehen. So ist z. B. § 15 des Entwicklungshelfergesetzes, BGBl. Nr. 574/1983, zu beachten, der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides lautete:
"Die Vorbereitung und der Einsatz der Fachkraft sowie der Zeitraum gemäß § 9 Abs. 1 gelten als im öffentlichen Interesse gelegen, insbesondere im Sinne
1.
des § 37 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 des Wehrgesetzes
2.
des § 13 Abs. 1 Z. 1 des Zivildienstgesetzes und als berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 75 Abs. 3 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333, in der jeweils geltenden Fassung."
Außerdem war in § 75 Abs. 6 Satz 2 BDG 1979 (in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 24/1991) für den Fall der kraft Gesetzes eintretenden Karenzierung wegen Begründung eines befristeten Dienstverhältnisses zu einem Land (zur Gemeinde Wien) als Mitglied eines UVS auch eine besondere Regelung der Nachsicht (Vollanrechnung) getroffen.
Beide Bestimmungen stehen auf Grund ihres Regelungsinhaltes im Zusammenhang mit § 75 Abs. 3 BDG 1979, auf den sie sich teilweise auch ausdrücklich berufen. Beiden Regelungen ist gemeinsam, daß sie in bestimmten Fällen die Nachsicht von den Folgen eines KU ohne jede Rücksicht darauf eintreten lassen, ob aus der Tätigkeit als Entwicklungshelfer oder als Mitglied eines UVS positive Rückwirkungen auf die Verwendung des karenzierten Beamten in seinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund zu erwarten sind. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes haben diese erst nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 (Stammfassung) in Kraft gesetzten Regelungen damit nicht ein neues (von § 75 Abs. 3 BDG 1979 abweichendes) Regelungselement geschaffen, sondern lediglich in Anwendung eines in § 75 Abs. 3 bereits enthaltenen Grundgedankens für zwei bestimmte Tätigkeiten eine die Behörde bindende Anordnung getroffen. Dies ist auch mit dem Wortlaut des § 75 Abs. 3 BDG 1979 vereinbar, der nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür enthält, daß "berücksichtigungswürdige Gründe" für die Nachsicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der (Wieder)Verwendung des Beamten im "karenzierten" Dienstverhältnis zu beurteilen sind. Dem Gesetz läßt sich auch nicht entnehmen, daß die berücksichtigungswürdigen Gründe nur aus der Warte der Interessen des Dienstgebers zu beurteilen sind, zumal das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis durch wechselseitige Treuepflichten des Beamten einerseits und Fürsorgepflichten des Dienstgebers andererseits gekennzeichnet ist. Maßgebend sind daher immer die Umstände des Einzelfalles, in dem auch berücksichtigungswürdige Gründe in der Sphäre des Beamten für die Nachsicht und ihr Ausmaß bestimmend sein können.
Der Beschwerdefall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Rekrutierung der Beamten der Europäischen Gemeinschaft primär aus den Mitgliedstaaten erfolgt (vgl. dazu Art. 27 Satz 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaft sowie das Ernennungserfordernis der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Gemeinschaften nach Art. 28 lit. a des Statuts, von dem die Anstellungsbehörde allerdings absehen kann). Beamte sind nach Absolvierung einer Probezeit auf Lebenszeit bestellt; Beamter der Besoldungsgruppen A 1 und A 2 haben keine Probezeit zu absolvieren (vgl. Art. 34 Abs. 1 des Statuts), können allerdings aus dienstrechtlichen Gründen durch Verfügung der Anstellungsbehörde ihrer Stelle enthoben werden, wobei diese Stellenenthebung keine Disziplinarmaßnahme ist (vgl. dazu näher Art. 50 Satz 1 und 2 des Statuts, in dem auch die sich aus dieser Personalmaßnahme ergebenden Ansprüche des betroffenen Beamten näher geregelt werden). Unbestritten hat im vorliegenden Fall die österreichische Bundesregierung den Beschwerdeführer für die von ihm angestrebte Funktion eines Beamten der Besoldungsgruppe A 1 der Anstellungsbehörde vorgeschlagen, insoweit an seiner Ernennung (im weitesten Sinn) mitgewirkt und damit ihr besonderes Interesse daran dokumentiert. Da die belangte Behörde als zuständige Dienstbehörde dem Beschwerdeführer in der Folge einen KU nach § 75 Abs. 1 BDG 1979 in der Dauer von fünf Jahren - wenn auch unter Vorbehalt der Entscheidung nach § 75 Abs. 3 leg. cit. - gewährt hat, konnte der Beschwerdeführer wegen seiner vorausgegangenen Unterstützung durch die Bundesregierung in seinem Ernennungsverfahren ernsthaft darauf vertrauen, daß die Nachsichtsentscheidung mit der Dauer des gewährten KU abgestimmt werde. Besondere Umstände, die diesem nach der Lagerung des Beschwerdefalles schützenswerten Vertrauen des Beschwerdeführers entgegenstehen, liegen nach der (derzeitigen) Aktenlage nicht vor. Der an sich zu beachtende Umstand, daß für die Gewährung eines KU bis zur Dauer von fünf Jahren die Dienstbehörde allein zuständig, für die Nachsicht nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 aber die Zustimmung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Finanzen notwendig ist und die Voraussetzungen für die beiden Entscheidungen unterschiedliche sind, tritt wegen der Mitwirkung der Bundesregierung im Vorfeld der Ernennung des Beschwerdeführers in den Hintergrund.
Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage diesen berücksichtigungswürdigen Grund in der Person des Beschwerdeführers bei der Bemessung der Dauer der Nachsicht überhaupt nicht geprüft hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG (ungeachtet der oben aufgezeigten Verfahrensmängel) aufzuheben war.
Zur Klarstellung weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, daß nach der Übergangsbestimmung des § 241a BDG 1979 (eingefügt durch Art. I Z. 79 der 1. BDG-Novelle 1997, BGBl. I Nr. 61) im fortgesetzten Verfahren die bis zu dieser Novelle geltende Rechtslage anzuwenden ist, da dem Beschwerdeführer der KU vor dem 30. Juni 1997 gewährt wurde.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 und 49 VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
ErmessenAuslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997120178.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
02.02.2011