Entscheidungsdatum
14.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W232 2126461-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch ZEIGE Zentrum für Europäische Integration u. Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2016, Zl. 1084372006-151192091, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Spruchteil des Spruchpunktes III. wie folgt lautet:
„Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt."
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein ukrainischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 26.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 27.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers nach dem AsylG 2005 statt, wobei der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund zusammengefasst angab, dass in seiner Heimatstadt immer wieder geschossen werde. Derzeit würden alle den Ort verlassen wollen. Auch er habe sich entschieden, die Stadt XXXX zu verlassen. Des Weiteren brachte er vor, dass er bereits seit 30 Jahren nicht mehr in Armenien lebe. Er habe dort noch Freunde, welche ihm berichteten, dass das Leben dort sehr schwer sei. Wenn der Krieg in der Ukraine vorbei sei, wolle er wieder zurückkehren.
3. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.01.2016 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er, als die Ukraine zweigeteilt worden sei, Probleme bekommen habe. Man habe ihn in die Politik involvieren wollen. So hätten einerseits die Vertreter der Donezker Volksrepublik gewollt, dass der Beschwerdeführer diese Republik unterstütze und auf der anderen Seite hätten die Ukrainer gewollt, dass er die Ukraine unterstütze. Er wäre von beiden Konfliktparteien bedroht worden, aber er habe mit dem ganzen Problem nichts zu tun, er sei Künstler und die Politik wäre nicht „seins“. Es sei ihm gesagt worden, er solle sich entscheiden oder das Land verlassen. Man habe nicht direkt gesagt, dass man ihn töten werde. Dann habe er das Land verlassen wie so viele andere auch.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.) und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt III.). Zudem wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise innerhalb von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Fluchtgrund nicht glaubhaft sei. Eine Gefährdung oder Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsland habe nicht festgestellt werden können. Im Falle einer Rückkehr in die Ukraine könne nicht angenommen werden, dass für den Beschwerdeführer dort die Gefahr bestehe, in eine finanzielle Notlage zu geraten, zumal er in XXXX über eine Haushälfte verfüge und beruflich tätig gewesen sei.
5. Mit Schriftsatz vom 25.04.2016 wurde durch den gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers Beschwerde erhoben. In dieser wurde der erstinstanzliche Bescheid unter näherer Begründung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufgrund Feststellungs- und Begründungsmängeln im vollen Umfang angefochten.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.07.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat, seinen Fluchtgründen und zu seiner Integration befragt wurde. Vorgelegt vom Beschwerdeführer und als Beilage zum Akt genommen wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist ukrainischer Staatsangehörige, Zugehöriger der armenischen Volksgruppe und der Religionsgemeinschaft Armenisch Apostolischen Kirche.
Der Beschwerdeführer wurde in Armenien in der Stadt Jerewan geboren. Er hat zehn Jahre die Grund- und zwei Jahre die Berufsschule sowie den Militärdienst absolviert. Folglich studierte er nach seinen eigenen Angaben sechs Jahre lang an der Universität, der Hochschule für Kunst und Theater. Der Beschwerdeführer war zuletzt als Steinmetz in der Ukraine beruflich tätig. Der Beschwerdeführer verfügt über Eigentum in der Ukraine.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Der Beschwerdeführer spricht Armenisch und Russisch. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 26.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In Österreich bezieht der Beschwerdeführer Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse (A1 und A2) besucht, jedoch keine Prüfung absolviert. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Bekanntenkreis in Österreich. Der Beschwerdeführer ist nicht erwerbstätig. Er leistet freiwillig Hilfestellungen (Gartenarbeit, (künstlerische) Steinmetzarbeiten, diverse Tätigkeiten bei der Gemeinde). Er hat an gesellschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen teilgenommen und sich mit seiner künstlerischen Tätigkeit in seine Wohnortgemeinde eingebracht. Er verfügt über einen Arbeitsvorvertrag in einem Bildhauermeister- und Steinmetzbetrieb.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer seine Heimat aufgrund asylrelevanter Verfolgung verlassen hat.
Der Beschwerdeführer wäre im Fall der Rückkehr in die Ukraine nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder von der Todesstrafe bedroht. Er würde auch nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine:
1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.05.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 30.08.2019:
Sicherheitslage
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).
Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).
Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).
Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).
Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).
Ostukraine
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019). In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es insbesondere 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 22.2.2019).
In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz, und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. In der LPR wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten, die meist nicht einmal für eine kurzfristige Inhaftierung geeignet wären. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Hitze, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Ein unabhängiges Monitoring der Haftbedingungen wird von den Machthabern nicht oder nur eingeschränkt erlaubt. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie Folter, Hunger, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 13.3.2019).
In der Region Donbass unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. Mittlerweile haben die Separatisten im Osten des Landes ihre Bemühungen verstärkt, Online-Inhalte zu blockieren, welche angeblich die ukrainische Regierung oder die ukrainische kulturelle Identität unterstützen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 13.3.2019).
Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019).
Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019).
Die Separatisten in der Ostukraine haben Berichten zufolge einige religiöse Führer inhaftiert. Im Februar 2018 wurden in Luhansk religiöse Gruppen, die nicht den „traditionellen“ Religionen angehören, darunter Protestanten und Zeugen Jehovas, verboten (FH 4.2.2019).
Die separatistischen Kräfte erlauben keine humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung, sondern nur solche internationaler humanitärer Organisationen. Infolgedessen sind die Preise für Grundnahrungsmittel angeblich für viele Bewohner der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ostukraine zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 13.3.2019).
Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie.
Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019).
Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon Ajdar wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 22.2.2019).
Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).
Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Feber 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Katia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter der Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt.(ÖB 2.2019).
Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 22.2.2019).
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung, die gegen die Menschenwürde verstößt, ist gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 22.2.2019).
Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustandegekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln die Maßnahmen, angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer aus Gründen der nationalen Sicherheit inhaftiert war/ist oder verdächtig war/ist „pro-russisch“ eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Während die Behörden manchmal Anklagen gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden erheben, kommt es bei einschlägigen Ermittlungen oft nicht zu Anklagen, während die mutmaßlichen Täter weiter ihrer Arbeit nachgehen. Laut Bericht einer NGO kommt es nur in drei Prozent der Strafverfahren gegen Strafverfolgungsbehörden wegen körperlichen Missbrauchs von Festgenommenen zu einer Anklage. Das Innenministerium gibt an, dass Sicherheitskräfte 80 Stunden an verpflichtenden Menschenrechtsschulungen erhalten. Polizeiakademien bieten ebenfalls Kurse zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Verfassungsrechten, Toleranz und Nichtdiskriminierung, Verhütung häuslicher Gewalt und Folter (USDOS 13.3.2019).
2017 hat das ukrainische Innenministerium bis 1. Dezember ca. 2.000 Beschwerden bezüglich Menschenrechtsverstößen durch Polizeibeamte erhalten. 125 Ermittlungen wurden eingeleitet (davon 83 wegen Körperverletzung, 3 wegen Folter). Im selben Zeitraum begann die Staatsanwaltschaft 43 Untersuchungen (davon 22 wegen Körperverletzungen, 6 wegen Folter). Mit der Gründung des State Bureau of Investigation (SBI) ist dieses u.a. auch für die Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen Sicherheitsbeamte zuständig. Einige Häftlinge berichteten, dass ihre Beschwerden bezüglich Misshandlung bei der Festnahme trotz sichtbarer Verletzungen von Richtern ignoriert wurden (CoE 6.9.2018).
Von der ukrainischen Seite der Kontaktlinie zu den Separatistengebieten der Ostukraine gibt es Berichte über Entführungen bzw. nicht-kommunizierte Haft bei nahezu völliger Straflosigkeit. Dies geschieht vor allem durch den Geheimdienst (SBU); die Opfer werden der Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst (FSB) oder bewaffneten Gruppen verdächtigt. Die ukrainischen Behörden sollen sich bei diesen Verhaftungen mitunter auch nationalistischer Gruppen bedient haben, welche die Gefangenen dann dem SBU übergaben. Auch von Misshandlung und Folter ist die Rede, wenn auch nicht in der Systematik und in dem Maßstab wie in den Separatistengebieten (USDOS 13.3.2019). Der SBU bestreitet dies trotz anderslautender Erkenntnisse der Beobachtungsmission des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden wegen illegaler Haft aufgenommen (AA 22.2.2019).
Wehrdienst und Rekrutierungen
Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:
-) Stellungspflichtige (Pre-conscripts)
-) Wehrpflichtige (Conscripts)
-) aktive Soldaten
-) zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) – sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden
-) Reservisten – zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren. (BFA/OFPRA 5.2017)
Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für Männer im Alter zwischen 20 und 27 Jahren. Er dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, für Wehrpflichtige mit Hochschulqualifikation (Magister) 12 Monate. Am 01.05.2014 wurde die früher beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen, die hauptsächlich Reservisten, aber auch Grundwehrdienstleistende (letztere zu einer sechsmonatigen Ausbildung) erfassten. Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Heranziehung keine Rolle. Wehrpflichtige werden nur auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Ministerkabinetts und in festgelegten Zeiträumen und Anzahl einberufen. So gab es 2018 zwei Einberufungszeiträume, April/Mai und Oktober/Dezember, in denen insgesamt 18.000 Wehrpflichtige einberufen wurden. Davon haben ca. 9.000 Soldaten ihren Wehrdienst in den Streitkräften abgeleistet. Wehrpflichtige wurden nur bis Mitte November 2016 und ausschließlich auf freiwilliger Basis nach der sechsmonatigen Grundausbildung in der Ostukraine eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr. Wehrpflichtige müssen einen Wohnortwechsel binnen einer Woche anzuzeigen. Sollte künftig eine Vollmobilisierung erfolgen, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt. Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierungen finden staatlicherseits nicht statt (AA 22.2.2019).
Binnenvertriebene (IDPs) sind grundsätzlich wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).
An den Wehrpflichtigen ergeht in der Praxis ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).
Gesetzlich vorgesehen ist eigentlich eine persönliche Zustellung, weswegen postalisch zugestellte Bescheide Quellen zufolge ungültig seien (Lifos 15.7.2016).
Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/ OFPRA 5.2017).
Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfall können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).
Wehrersatzdienst
Das Gesetz über den Ersatzdienst vom 12.12.1991 (Nr. 1975-XII) regelt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeit, den Ersatzdienst unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abzuleisten. Spätestens zwei Monate vor dem Einberufungstermin muss der Wehrpflichtige bei der für den jeweiligen Wohnort zuständigen Behörde einen begründeten Antrag einreichen. Als Grund ist nur die religiöse Überzeugung bei entsprechender Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft zulässig (AA 22.2.2019), und zwar:
1. Adventists-Reformists
2. Seventh Day Adventists
3. Evangelical Christians
4. Evangelical Christians-Baptists
5. "The Penitents" - the Slavic Church of the Holy Ghost
6. Jehovah's Witnesses
7. Charismatic Christian Churches (and churches assimilated to them according to registered
statutes)
8. Union of Christians of the Evangelical Faith – Pentecostals (and churches
assimilated to them according to registered statutes)
9. Christians of Evangelical Faith;
10. Society for Krishna Consciousness
(BFA/OFPRA 5.2017)
Bei Kriegs- oder Ausnahmezustand kann das Recht der Wahl zwischen Wehr- und Ersatzdienst gesetzlich für bestimmte Zeit eingeschränkt werden. Der Ersatzdienst dauert 27 Monate, für Hochschulabsolventen (Magister) 18 Monate. Er wird in staatlichen Sozial-, Gesundheits- und Kommunaleinrichtungen oder beim Roten Kreuz abgeleistet. Der Ersatzdienst hat in der Ukraine kaum Tradition und ist in der Gesellschaft noch wenig verankert. Über die Zahl der Ersatzdienstleister macht das ukrainische Verteidigungsministerium keine offiziellen Angaben. NGO-Vertreter gehen von bislang 7.500 Anträgen aus (AA 22.2.2019). Es gibt Berichte, dass der Wehrersatzdienst auch in der Praxis zugänglich ist, wenn die nötigen Dokumente vorgelegt werden. Es gibt aber auch Berichte, dass Bestechungsgelder verlangt worden wären, um diesen Zugang zu erhalten. Rechtlich ist es auch möglich, wenn auch mit engen Zeitfenstern, dass nach der Einberufung konvertierte Wehrpflichtige noch in den Genuss des Ersatzdienstes kommen können (BFA/OFPRA 5.2017).
Im Juni 2016 bestätigte der High Specialized Court of Ukraine das Urteil eines Bezirksgerichts von 2014, dass Verweigerer aus Gewissensgründen auch im Falle der Mobilisierung das Recht auf einen Ersatzdienst haben. Es gab keine weiteren Strafverfolgungen bezüglich des Ersatzdienstes. Im September 2016 wurde vom selben Gerichtshof ein Urteil aufgehoben, mit dem ein Verweigerer aus Gewissensgründen wegen Flucht vor der Mobilisierung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Juni 2016 unterstütze der Kharkiv District Administrative Court die Beschwerde eines Verweigerers aus Gewissensgründen, der zum Wehrdienst einberufen werden sollte (USDOS 10.8.2016).
Allgemeine Menschenrechtslage
Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019).
Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, Binnenvertriebene, Roma, Behinderte, sexuelle Minderheiten und Gefängnisinsassen. Die Ombudsperson kann auch Ermittlungen wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einleiten und ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 13.3.2019).
Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Verfassung und Gesetzen ausdrücklich vorgesehen. Tatsächlich werden Frauen jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert (AA 22.2.2019). 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Durch den bewaffneten Konflikt kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wurde im Dezember 2017 angenommen. Es gibt jedoch kaum ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal (ÖB 2.2019).Frauen und Mitglieder von Minderheitengruppen können am politischen Leben in der Ukraine teilnehmen. Diese Rechte werden jedoch durch Faktoren wie den Konflikt im Osten, Analphabetismus und das Fehlen von Ausweisdokumenten (häufig bei Roma) geschmälert. Das Gesetz über Kommunalwahlen schreibt eine 30%-Quote für Frauen auf Parteilisten vor, die jedoch nicht wirksam durchgesetzt wird. Die gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich an politischen Prozessen und Wahlprozessen zu beteiligen (FH 4.2.2019).
Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört. Die Polizei schützte zwar den 2018 Kiew Pride-Marsch mit tausenden Beamten, kleinere Veranstaltungen von Minderheiten oder oppositionellen Gruppen wurden jedoch nicht immer ausreichend geschützt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).
Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).
Verfassung und Gesetze sehen Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsgruppen und internationale Organisationen kritisieren jedoch ein Gesetz vom März 2017, das für zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten, die sich mit Antikorruptionsangelegenheiten befassen, gewisse Offenlegungserfordernisse vorsieht. Dies wird weithin als Einschüchterungsmaßnahme gesehen. Menschenrechtsorganisationen berichten von einer wachsenden Anzahl ungeklärter Angriffe auf Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft (mehr als 50 Angriffe binnen 12 Monaten), die ihrer Ansicht nach ein Klima der Straflosigkeit geschaffen hätten, weil die Regierung diese nicht ordentlich untersucht habe. Es gibt Vorwürfe gegen die Regierung, diese würde Aktivisten als Vergeltungsmaßnahme für ihre Tätigkeit strafrechtlich verfolgen (USDOS 13.3.2019).Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Nach dem Ende der Ära Janukowitsch sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen mit einer Vielzahl sozialer, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Zielsetzungen entstanden oder wiederbelebt worden. Viele von ihnen können die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Regierungsebenen beeinflussen. Ein klar gegen Russland gerichtetes Gesetz gegen „ausländische Agenten, die unter dem Einfluss eines Aggressorstaats agieren“, wurde im September 2018 vorgelegt. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Bedenken, dass dieses Gesetz generell NGOs mit ausländischen Geldgebern treffen könnte. Gewalt gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft nahm im Jahr 2018 zu. Zu den Bedrohten gehören Aktivisten, die sich gegen Korruption oder für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen (FH 4.2.2019).
Verfassung und Gesetze sehen Meinungsfreiheit vor, auch für Pressevertreter. Die Behörden respektieren diese Rechte jedoch nicht immer. Mit einigen Ausnahmen können Personen in Gebieten, die unter staatlicher Kontrolle stehen, die Regierung im Allgemeinen öffentlich und privat kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse erörtern, ohne Angst vor offiziellen Repressalien zu haben. Die Gesetze verbieten Aussagen, welche die territoriale Integrität des Landes bedrohen, Kriege fördern, Rassen- oder Religionskonflikte auslösen oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen gemäß dieser Gesetze. Die Regierung setzte Maßnahmen um Informationen, Medien oder einzelne Journalisten zu verbieten bzw. zu blockieren, wenn diese als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet werden oder Positionen geäußert haben, die nach Ansicht der Behörden die Souveränität und territoriale Integrität des Landes untergraben. Die betrifft vor allem Medien russischer Herkunft oder pro-russischer Ausrichtung. Unabhängige Medien sind aktiv und bringe eine weite Bandbreite an Meinungen zum Ausdruck. In Privatbesitz befindliche Medien - die erfolgreichsten gehören einflussreichen Oligarchen - transportieren oft die Ansichten ihrer Eigentümer, günstige Berichterstattung für ihre Verbündeten und Kritik an politischen und geschäftlichen Rivalen. Unabhängige Medien haben Schwierigkeiten zu konkurrieren. Problematische Praktiken wirken sich weiterhin auf die Medienfreiheit aus, darunter Selbstzensur, günstige Berichterstattung gegen Geld („Jeansa“) und verzerrte Berichterstattung in Medienunternehmen, deren Eigentümer enge Verbindungen zur Regierung oder zu politischen Oppositionspartnern haben. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beklagen mangelnde Gegenmaßnahmen der Regierung. 2018 wurden bis September Angaben zufolge 22 Angriffe und 24 Drohungen gegen Journalisten gemeldet, verglichen mit 19 Angriffen und 22 Drohungen im selben Zeitraum 2017. Besonders betroffen ist Berichterstattung, welche als nicht ausreichend patriotisch empfunden wird. Rufmordklagen gegen Journalisten werden von Personen des öffentlichen Interesses immer wieder eingesetzt oder angedroht, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Berichten zufolge hat sich die Freiheit des Internet in der Ukraine zum zweiten Mal in Folge verschlechtert, weil die Behörden stärker gegen Meinungsbekundungen von Social Media-Nutzern vorgehen, die als kritisch gegenüber der Position der Ukraine im Donbass-Konflikt wahrgenommen werden. Einer Medienbeobachtungsgruppe zufolge haben die Behörden 2017 gegen 40 Benutzer oder Administratoren von Social-Media-Plattformen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil ihre Inhalte die verfassungsmäßige Ordnung des Landes untergraben oder die nationale Sicherheit gefährdet hätten; 37 von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Besonders “separatistische“ oder „extremistische“ Aktivitäten wurden 2018 besonders geahndet; User wurden festgenommen zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt (USDOS 13.3.2019).
Das unabhängige Institute of Mass Information registrierte von Januar bis November 2018 201 Verletzungen der Medienfreiheit. Von diesen Vorfällen betrafen 28 Gewalt sowie 27 Drohungen und Einschüchterungen. Die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden der Ukraine versagen manchmal beim Schutz der Rechte von Journalisten (FH 4.2.2019).
Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei von 2015 gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren sind mehrere politische Parteien entstanden. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten, und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.2.2019).
Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 22.2.2019). Laut Befragungen sind 68,2 Prozent der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 26,5 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 12 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,1 Prozent zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 24,3 Prozent bezeichnen sich als „schlicht orthodox“. 7,8 Prozent der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 1,3 Prozent jüdisch, 1 Prozent römisch-katholisch, 0,8 Prozent protestantisch und 0,2 Prozent muslimisch. Weitere 7 Prozent identifizieren sich als „Christen“ und 12,6 Prozent geben an, dass sie keiner religiösen Gruppe angehören (USDOS 29.5.2018). Kleinere religiöse Gruppen berichten jedoch weiterhin von einer gewissen Diskriminierung. Im Oktober 2018 erhielten ukrainisch-orthodoxe Kleriker die Erlaubnis der religiösen Behörden in Istanbul, dem historischen Sitz der östlichen orthodoxen Kirche, zur Errichtung einer eigenen autokephalen Kirche außerhalb der kanonischen Gerichtsbarkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Dezember wurde diese neue orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet, um die bestehenden Denominationen zu vereinigen. Der Kreml und die Kirchenführer in Moskau lehnen diesen Schritt entschieden ab. Es gibt Berichte, dass der ukrainische Geheimdienst aus Furcht vor Provokationen russisch-orthodoxe Kirchen und Priesterheime durchsuchte und Kleriker, die als loyal zu Moskau gelten, zum Verhör vorgeladen wurden. Diese Auseinandersetzung hindert jedoch die meisten Menschen nicht wesentlich daran, den Glauben ihrer Wahl zu praktizieren (FH 4.2.2019).
Ethnische Minderheiten
Die Misshandlung von Angehörigen von Minderheitengruppen und die Belästigung von Ausländern mit nicht-slawischem Aussehen sind weiterhin ein Problem. NGOs zufolge haben fremdenfeindliche Vorfälle 2018 erheblich zugenommen. Für eine Anklage als Hassverbrechen (Straftaten, die aus ethnischem, nationalem oder religiösem Hass resultieren) ist der Nachweis eines Vorsatzes erforderlich, was es schwierig macht, dies in der Praxis anzuwenden. 2018 wurden auch nur zwei entsprechende Strafverfahren eröffnet. Polizei und Staatsanwaltschaft klagen solche Straftaten weiterhin eher als Hooliganismus oder verwandte Straftaten an (USDOS 13.3.2019).
Diskriminierung von Roma ist ein Problem. Es gab 2018 zahlreiche Berichte über gesellschaftliche Gewalt gegen Roma, die häufig von bekannten Mitgliedern gewalttätiger nationalistischer Gruppen begangen wurden, darunter mehrere Angriffe auf Roma-Siedlungen, bei denen es auch ein Todesopfer gab. In einigen Fällen lehnte es die Polizei ab, einzugreifen und es gibt selten Ermittlungen wegen solcher Gewalttaten (ÖB 2.2019; vgl. FH 4.2.2019, HRW 17.1.2019, USDOS 13.3.2019).
2012 wurde eine nicht abschließende Liste von Gründen eingeführt, aus denen Diskriminierung verboten ist. Diese Schutzmaßnahmen werden jedoch uneinheitlich durchgesetzt, und die Minderheit der Roma wird in der Praxis erheblich diskriminiert. Roma erhalten im Allgemeinen nur dann Schutz durch Polizei oder Justiz, wenn erheblicher zivilgesellschaftlicher Druck aufgebaut wird (FH 4.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Im Westen des Landes kommt es teilweise zur Segregation von Roma in Schulen und medizinischen Einrichtungen, in einigen Fällen wurde ihnen medizinische Versorgung verweigert, was einen Verstoß gegen ukrainisches Recht darstellt (ÖB 2.2019). Roma sind weiterhin erheblichen Hindernissen beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung, Sozialleistungen und Beschäftigung ausgesetzt. Laut einer Roma-NGO behindern lokale Behörden Roma einerseits beim Zugang zu Ausweisdokumenten und andererseits beim Zugang zu Bildung, wenn Ausweisdokumente fehlen. Zudem werden Roma-Kinder oft in eigenen Schulen oder Klassen mit geringerer Qualität unterrichtet (USDOS 13.3.2019).
Weitere ethnische bzw. sprachliche Minderheiten in der Ukraine sind laut der letzten Volkszählung von 2001 auch noch Weißrussen (0,6% der Bevölkerung), Moldauer (0,5%), Bulgaren (0,4%), Ungarn, Polen und Rumänen (jeweils 0,3%) und Juden (0,2%). Vor allem die Ereignisse rund um den sogenannten Euromaidan 2014 führten in der Ukraine zu einem verstärkten Bestreben, sich von Russland abzugrenzen und die eigene Identität als Nation zu stärken. In diesem Zusammenhang wurden auch zahlreiche Gesetzesentwürfe zur Stärkung der Rolle der ukrainischen Sprache, beispielsweise in Hochschulen und im Sekundarschulbereich, verabschiedet. Diese Initiativen wurden und werden zum Teil auch von westlichen Nachbarn der Ukraine kritisiert, allen voran von Ungarn, die darin eine Benachteiligung angestammter Minderheiten und ihrer verfassungsmäßigen Rechte sehen (ÖB 2.2019).
IDPs und Flüchtlinge
Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons – IDPs) lag gemäß der neu errichteten IDP-Datenbank des ukrainischen Sozialministeriums am 22.4.2019 bei 1.370.000 Personen (UNHCR 4.2019). Diese erhalten (nur) durch die Registrierung Zugang zu Sozialleistungen. Nach Angaben von UNHCR halten sich darüber hinaus ca. 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländern, v.a. in Russland und Belarus, auf (Asyl und andere legale Formen des Aufenthalts) (AA 22.2.2019).
Binnenvertreibung ist nach wie vor ein Problem. Auf der einen Seite gab es 2018 aufgrund von Kampfhandlungen, oder weil das Militär Häuser beschlagnahmte, ca. 12.000 zusätzliche IDPs. Auf der anderen Seite mussten zahlreiche ältere bzw. ärmere Personen in gefährdete Gebiete zurückkehren. 2018 konnten rund 12.000 IDPs ihre Situation in irgend einer Weise zumindest partiell verbessern, etwa durch Heimkehr oder lokale Integration (IDMC 5.2019).
Die Regierung arbeitet mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die meisten Binnenvertriebenen leben in Gebieten, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk, sowie in den Gebieten Charkiw, Dnipropetrovsk und im Oblast Zaporizhzhya. Laut Gesetz stehen IDPs monatlich UAH 880 (USD 33) für Kinder und Menschen mit Behinderungen und UAH 440 (USD 16) pro Monat für arbeitsfähige Personen zu; für Familien jedoch maximal UAH 2.400 (USD 89) monatlich. Laut Gesetz sollte die Regierung den Vertriebenen auch eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird. Im Oktober 2018 unterzeichnete der Präsident ein Gesetz, das die vorrangige Bereitstellung von Sozialwohnungen für Binnenvertriebene mit Behinderungen vorsieht. Wohnen, Beschäftigung und Empfang von Sozialleistungen und Renten sind weiterhin die größten Sorgen der Binnenvertriebenen. Für die Integration der IDPs fehlt eine Regierungsstrategie, was die Bereitstellung von Finanzmitteln behindert. Lokale Organisationen der Zivilgesellschaft und internationale humanitäre Organisationen leisten zeitweise den größten Teil der Hilfe für Binnenvertriebene, ihre Kapazitäten sind aber eingeschränkt. UN-Agenturen berichten, der Zustrom von Binnenvertriebenen habe im Rest des Landes zu Spannungen im Wettbewerb um die knappen Ressourcen (Wohnungen, Arbeitsplätze, Bildung) geführt. Insbesondere in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk haben IDPs oft ungenügenden Zugang zu sanitären Einrichtungen, Unterkünften und Trinkwasser. NGOs berichteten von Diskriminierung von IDPs bei der Arbeitssuche. IDPs haben nach wie vor Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Dokumenten. Medienberichten zufolge haben IDPs von der Krim eingeschränkten Zugang zu Bankdienstleistungen, obwohl ein Gerichtsurteil von 2015 den Banken diese Praxis verbietet (USDOS 13.3.2019).
Das ukrainische Ministerkabinett hat im November 2018 den Aktionsplan zur Umsetzung der nationalen IDP-Strategie beschlossen, der jegliche Diskriminierung beseitigen und die sozialen Rechte der IDPs schützen soll (UNOCHA 31.12.2018).
Im Dezember 2018 hatten 44% der befragten IDPs einen Arbeitsplatz; zum Vergleich lag in der ukrainischen Gesamtbevölkerung die Beschäftigungsquote bei 58%. IDPs hatten im Dezember 2018 durchschnittlich pro Kopf UAH 2.429 Einkommen; zum Vergleich lag dieses in der ukrainischen Gesamtbevölkerung bei UAH 4.382. 60% der IDP-Haushalte sind von einem Einkommen aus Arbeit abhängig, 51% von staatlicher IDP-Beihilfe, 34% von einer Pension und 25% von Sozialhilfe. 49% der IDPs leben in gemieteten Wohnungen, 10% in gemieteten Häusern, 4% in gemieteten Zimmern, 4% in Dormitorien und 3% in IDP-Unterbringungszentren. 14% leben bei Verwandten oder Gastgeberfamilien, 12% leben in eigenen Immobilien. 69% der IDPs leben seit drei Jahren an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort, 28% wollen nach Ende des Konflikts zurückkehren, 34% schließen eine Rückkehr auch nach Ende des Konflikts aus. 50% waren seit der Binnenvertreibung in der Konfliktzone zu Besuch, meist um sich um Besitz zu kümmern oder Freunde/Verwandte zu besuchen. 5% wollen sich eine Arbeit im Ausland suchen. 50% sagen sie seien in der Gastgemeinde integriert, 34% meinen sie seien teilweise integriert. Am wichtigsten für die Integration erachten IDPs eine Unterkunft, regelmäßiges Einkommen und einen Arbeitsplatz. 12% der IDP-Haushalte waren seit Konfliktbeginn von einer Suspendierung von Sozialleistungen betroffen (meist wegen Abwesenheit während einer Überprüfung durch das Sozialamt oder wegen fehlender Erwerbstätigkeit). Meist betraf die Suspendierung die monatliche Wohnzulage oder eine Rente. 67% der Betroffenen waren sich über die Gründe der Suspendierung und 61% über das Prozedere für eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Klaren. Durchschnittlich dauerten die Suspendierungen 5,6 Monate; wenn die Wiederaufnahme eingeklagt werden musste, dauerte dies durchschnittlich 8 Monate. 80% der IDPs fühlen sich an ihrem Aufenthaltsort sicher, 16% fühlen sich des Abends und in entlegenen Gegenden unsicher, 3% fürchten Kriegshandlungen und 5% fürchten Kriminalität (IOM 12.2018).
Im Dezember 2018 zeigten sich 68% der befragten IDPs sind zufrieden mit dem Zugang zu medizinischer Versorgung (IOM 12.2018). Im September 2018 frequentierten 71% der befragten IDPs öffentliche medizinische Einrichtungen. Von jenen IDPs die trotz gesundheitlicher Probleme keinen Arzt aufsuchten, sagten 48%, sie hätten dies aus Mangel an Geld nicht getan. 41% zeigten sich mit den Kosten medizinischer Leistungen unzufrieden, 58% mit den Kosten von Medikamenten. 43% bezeichneten Medikamente, die sie normalerweise benötigen, als unleistbar. 89% konnten binnen 30 Minuten zu Fuß eine Apotheke erreichen, 59% eine Ambulanz und 54% eine Klinik (IOM 9.2018).
Pensionisten aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Ostukraine müssen sich weiterhin in dem von der Regierung kontrollierten Gebiet als IDPs registrieren lassen und aufhalten, um Zugang zu ihren Renten zu erhalten. Die Vorschriften verbieten ihnen, mehr als 60 aufeinanderfolgende Tage in den Separatistengebieten zu verbringen, oder sie riskieren die Suspendierung ihrer Renten. Mittlerweile gibt es Gerichtsurteile gegen diese diskriminierenden Bestimmungen, die jedoch von der Regierung noch umzusetzen sind (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In den ersten fünf Monaten des Jahres 2018 passierten mehr als eine Million Menschen die fünf Kontrollpunkte zum Übertritt der Kontaktlinie, das waren ca. 33.500 Übertritte pro Tag. Die meisten der Reisenden sind über 60 Jahre alt. Es handelt sich meist um Pensionisten, die in den von der Regierung kontrollierten Gebieten als IDPs registriert sind, aber in den Separatistengebietenwohnen, und daher die Kontaktlinie regelmäßig überqueren müssen, um ihre Pensionsberechtigung nicht zu verlieren (UN 7.2018b).
Im August 2014 waren in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten der Ostukraine (NGCA) 1.278.200 Rentner registriert. Nach Ausbruch des Konflikts mussten sie in die von der Regierung kontrollierten Gebiete (GCA) reisen und sich als IDPs registrieren lassen, wenn sie weiterhin eine ukrainische Pension beziehen wollten. 75% der Betroffenen in der NGCA taten dies. Viele behielten jedoch ihren Wohnsitz in der NGCA und pendelten regelmäßig über die Kontaktlinie hin und her. Die ukrainischen Behörden wussten das und akzeptierten es zunächst. Mitte 2016 begannen die ukrainischen Behörden den Aufenthalt der als IDPs registrierten Rentner in der GCA zu überprüfen. Es wurde ein Verifizierungsprozess geschaffen, der Besuche von Sozialarbeitern, Identitätsüberprüfung bei der Pensionsauszahlung auf der Bank und Datenaustausch mit Grenzwache und Geheimdienst zur Ermittlung der in der NGCA verbrachten Zeit enthielt. 2017 wurden plötzlich Rentenzahlungen an jene Pensionäre eingestellt, die in der GCA einen offiziellen Wohnsitz angemeldet und folglich ihre IDP-Zertifikate zurückgelegt hatten. Grund hierfür war eine Bestimmung, der zufolge bei einem Wohnsitzwechsel auch der Papierakt zum neu zuständigen Büro des Pensionsfonds migriert werden muss, was in jenen Fällen faktisch nicht möglich war. Von dieser Regelung sind nur Rentner mit IDP-Status ausgenommen. Der ukrainische Pensionsfonds suspendiert weiterhin die Pensionen von Empfängern, die verdächtigt werden sich permanent in der NGCA aufzuhalten. Von 123.500 Personen, die eine Wiederaufnahme der Zahlungen beantragt haben, wurde dem in 91.600 Fällen nachgekommen. Im April 2018 wurde festgelegt, dass bei der Wiederaufnahme der Zahlungen auch nicht ausbezahlte Beträge vom Fonds nachgezahlt werden müssen, hat aber verabsäumt dafür einen verwaltungstechnischen Ablauf vorzugeben, sodass dies in der Praxis nicht passiert. Im Juli 2018 erhielten 477.000 Rentner mit Meldeadresse in der NGCA weiterhin eine staatliche ukrainische Pension (UN 7.2018a)
Am 29. Januar 2019 wurden Änderungen mehrerer Beschlüsse präsentiert, welche die Zahlung von Sozialleistungen und Renten an IDPs regeln. In dem Entwurf wird vorgeschlagen, Renten vom Überprüfungsprozess hinsichtlich der Leistungen an Binnenvertriebene auszunehmen und dass Rentner, die ihren IDP-Status zurücklegen, weil sie einen offiziellen Wohnsitz in der GCA anmelden, ebenfalls von der günstigeren Regelung für IDP-Pensionäre profitieren sollen. Der Entwurf enthält aber auch problematische Bestimmungen, wie die Notwendigkeit für IDP-Pensionisten, ein Lichtbild für ihren Pensionsakt bereitzustellen, während andere Bürger dies nicht tun müssen. Außerdem dupliziert dies die physische Verifizierung (inklusive Foto), welche Oshchadbank als pensionsauszahlende Stelle vornehmen muss. Die Bank gibt hierzu eine Scheckkarte mit Foto des Inhabers aus. Der Entwurf enthält auch keinerlei Bestimmungen zum Informationsprozess für Rentner, denen die Pensionszahlungen suspendiert werden. Der Prozess der Wiederaufnahme der Pensionszahlungen ist langwierig und geht oftmals über die Gerichte (UNHCR 2.2019).
Im Dezember 2018 gaben 5% der befragten IDPs in der Ukraine an, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein (6% weniger als noch drei Monate zuvor). Die wahrgenommene Diskriminierung betrifft in den meisten Fällen die Unterbringung (31%), medizinische Versorgung (31%), das Berufsleben (30%) und Interaktion mit der lokalen Bevölkerung (26%). Die effektivsten Wege um Diskriminierung bekannt zu machen, sind für 46% der befragten Betroffenen die Medien, für 44% die lokalen Behörden für 40% die zentralen Regierungsbehörden, für 32% internationale Organisationen und für 30% NGOs (IOM 12.2018).
Grundversorgung
Die makroökonomische Lage stabilisiert sich nach schweren Krisenjahren auf niedrigem Niveau. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen, die Wirtschaftsentwicklung weiter erheblich beeinträchtigenden, Umstände, wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von geschätzten 3,4% erzielt; die Inflation lag bei rund 10%. Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 22.2.2019).
Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern bleibt daher karg. Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig. In den von Separatisten besetzten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk müssen die Bewohner die Kontaktlinie überqueren, um ihre Ansprüche bei den ukrainischen Behörden geltend zu machen (AA 22.2.2019).
Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).
Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP im Jahr 2013 auf 18,5% im Jahr 2015 und danach weiter auf 17,8%. Die ist vor allem auf Reduktion von Sozialleistungen, beso