TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/31 I416 2225398-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2020
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Entscheidungsdatum

31.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I416 2225398-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX (festgestelltes Geburtsdatum), alias XXXX , StA. Sierra Leone, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, als Mitglied der ARGE-Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. wie folgt lautet:

"Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 Asylgesetz 2005 wird nicht erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

l. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer ein Staatsangehöriger von Sierra Leone reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet ein und stellte am 14.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seiner Fluchtroute, führte er aus, dass er sein Heimatland zu Fuß in Richtung Türkei verlassen habe, von dort sei er schlepperunterstützt nach Griechenland gekommen, wo er erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Danach sei er über Mazedonien, Serbien, Slowenien nach Österreich gereist. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er wörtlich an: „Mein Vater wurde von Politikern meines Landes bedroht, dass diese ihn verletzen oder töten werden. Mein Vater ist Wahrsager und hat die Zukunft vorhergesagt und ich musste das Land verlassen.“ Gefragt, was er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, gab er wörtlich an: „Ich habe Angst getötet zu werden.“

2.       Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 9.2.2016, Zl. XXXX , wurde die Obsorge für den Beschwerdeführer an den Jugendwohlfahrtsträger XXXX übertragen.

3.       Da Zweifel an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers bestanden, wurde eine Altersfeststellung eingeleitet. Ein medizinisches Sachverständigengutachten vom 11.03.2016 ergab, dass sein angegebenes Geburtsdatum aufgrund der behobenen Befunde aus gerichtsmedizinischer Sicht nicht belegt werden kann und wurde darin festgestellt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seines Asylantrages mindestens 18 Jahre alt gewesen ist. Mit Verfahrensanordnung vom 14.03.2016 wurde dem Beschwerdeführer über seine gesetzliche Vertretung mitgeteilt, dass sein spätmöglichstes Geburtsdatum mit XXXX festgestellt wurde.

4.       Am 29.03.2017, wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte aus, dass seine Muttersprache Fulla sei, er aber auch noch Krio, Englisch und ein wenig deutsch sprechen würde. Er sei gesund, gehöre der Volksgruppe der Fulla an und sei moslemischen Glaubens. Er sei in einem Dorf im Moyamba District geboren, in Freetown aufgewachsen und habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. In seinem Heimatland habe er sechs Jahre die Volksschule und sechs Jahre die Mittelschule besucht, er sei ledig und habe keine Kinder. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise befanden sich noch seine Eltern seine Schwester und sein jüngerer Bruder in Sierra Leone, seinen älteren Bruder, der mit ihm ausgereist sei, habe er in der Türkei aus den Augen verloren. Kontakt habe er zu seinen Familienangehörigen seit seiner Ausreise keinen mehr. Seine Familie habe Ihren Lebensunterhalt in Sierra Leone damit bestritten, dass sein Vater den Leuten die Zukunft vorhergesagt und diese ihm dafür Geld gegeben haben und haben sein Bruder und er dem Vater dabei geholfen, indem sie die Holztafeln, auf welche der Vater Dinge geschrieben habe, gewaschen und getrocknet haben. Verlassen habe er Sierra Leone 2015, bezahlt wurde seine Ausreise und die seines Bruders von einem Mann namens „Herr XXXX “, dieser habe sich um das Eigentum seines Vaters gekümmert und sei oft zu ihnen nach Hause gekommen.

5.       Am 12.04.2017 fand eine forensisch-afrikanistische Befunderhebung zu den Sprachkompetenzen des Beschwerdeführers statt. Das in Auftrag gegebene Sprachgutachten ergab, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Sierra Leone auszugehen sei.

5.       Am 02.09.2019, wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Er führte aus, dass er das er keiner schweren Krankheit leiden würde, dass er zu Beginn Schlafstörungen gehabt habe, dafür aber keinen Arzt aufgesucht habe und er diese Schlafstörungen jetzt nur noch manchmal habe, er sei auch nicht in medizinische Betreuung, kaufe sich aber in der Apotheke immer wieder Medikamente z.B. gegen Kopfschmerzen. Er gab weiters an, dass er keine Dokumente besitzen würde, die seine Identität bestätigen würden, er sei in Sierra Leone geboren und aufgewachsen und gehe davon aus, dass er Staatsangehöriger von Sierra Leone sei. Die Angaben hinsichtlich seiner Lebensumstände in Sierra Leone aus der vorangegangenen Einvernahme hielt der Beschwerdeführer aufrecht. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er zusammengefasst aus, dass sein Vater jemand gewesen sei, der anderen Leuten die Zukunft vorhergesagt habe, er habe bestimmt Dinge auf Tafeln geschrieben, das Wasser mit dem die Tafeln gewaschen worden seien, habe sein Vater als Arzneimittel benutzt, indem es in verschiedene Flaschen abgefüllt worden sei. Wenn Leute, die zu seinem Vater gekommen seien, ihm das Problem erklärt haben, habe sein Vater dann eine Flasche gewählt und z.B.: gesagt, dass sie dreimal pro Tag davon trinken sollen. Sein Vater habe diesen Leuten gesagt, wann ihnen etwas passieren oder zustoßen würde. Sein Vater habe einen langjährigen Klienten gehabt, welcher ein bis zweimal in der Woche mit viel Sicherheitspersonal und mehreren Autos gekommen sei. Im September 2015, als er sich gerade in der Schule befand, sei Herr XXXX gekommen und habe gesagt, dass er und sein Bruder das Land verlassen müssten, weil der langjährige Klient seinen Vater mitgenommen habe und er und sein Bruder in Gefahr wären. Herr XXXX habe ihm gesagt, dass sein Vater diesen gebeten habe, dass er sie beide wegbringe, die Mutter seine Schwestern und sein jüngerer Bruder seien okay, aber sie wären in Gefahr, weil sie mit ihrem Vater gearbeitet hätten. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass sie ca. 9 bis 10 Stunden mit dem Auto zu einem Haus gefahren seien, in welchem sie mehrere Wochen blieben. In dem Haus habe es eine weitere Person gegeben, die auf sie aufgepasst hätte, Herr XXXX habe ihnen dann Papiere mitgebracht und erklärt, dass sie nicht sicher seien. Er habe sie dann zu einem Flugplatz gebracht und mitgeteilt, dass ihr Vater bereits umgebracht worden sei und sie deshalb von dort weg müssten. Er habe dann gefragt, worin das Problem bestehen würde und habe Herr XXXX erklärt, dass der Klient des Vaters Probleme gehabt hätte, dieser habe seinen Job verloren und hätte seinen Vater beschuldigt, dass er dafür verantwortlich sei, da dieser sich verpflichtet habe, ihm immer Bescheid zu geben, wenn etwas in seinem Leben vorkommen würde, da er ja dafür bezahlt habe. Er führte weiters aus, dass dieser gesagt habe, dass sein Vater dessen Zukunft zerstört habe und er jetzt seine Familie zerstören würde. Er führte weiters aus, dass sie, nachdem sie mit dem Flugzeug gelandet waren, wieder in ein Haus zu einem anderen Freund von XXXX gebracht worden seien. Der Freund von XXXX , in dessen Haus sie gewohnt hätten, habe sie an einen Ort gebracht, wo viele Boote gewesen seien, dieser Freund, habe dann auch gesagt, dass sie getrennt reisen müssen, da das Boot voll sei und sie auf der anderen Seite XXXX wieder treffen würden und habe sein Bruder dem zugestimmt. Er sei dann mit dem Freund auf einer großen Insel mit vielen Menschen angekommen und habe dort auf seinem Bruder gewartet, der Freund sei dann gegangen, um Essen zu kaufen, sei aber nicht mehr zurückgekommen. Dies sei das letzte Mal gewesen, dass er seinen Bruder gesehen habe. Auf Vorhalt, dass er weder in der Erstbefragung noch in seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme erwähnt habe, dass sein Vater bereits verstorben sei, gab der Beschwerdeführer wörtlich an: „Das haben sie mich nicht gefragt.“ Gefragt, wer genau der Klient seines Vaters gewesen sei, gab er an, dass er diesen nicht persönlich kennen würde, dieser sei immer mit vielen Autos gekommen und in seinem Land würde nur jemand, der für die Regierung arbeite, soviel Macht haben, dass er mit Sicherheitspersonal ankommen würde. Er kenne nur den Familiennamen des Mannes, er wisse nicht, was dieser für ein Amt bekleide, er wisse nicht viel über ihn, er wisse nur, dass dieser ihn begrüßt und Kekse o.ä. mitgebracht habe. Herr XXXX habe ihm erklärt, dass seine Mutter, seine Schwester und sein jüngerer Bruder nichts zu befürchten hätten und dass sein Vater Herrn XXXX gebeten habe, ihn und seinen älteren Bruder in Sicherheit zu bringen. Gefragt, wann sein Vater verstorben sei, gab er an, dass er das nicht genau wisse, als sie jedoch drei Wochen in dem einen Haus gewesen seien, habe Herr XXXX ihnen erklärt, dass sie weitermüssen, weil sein Vater bereits tot sei, nähere Angaben, habe Herr XXXX dazu nicht machen können. Über Herrn XXXX führte der Beschwerdeführer aus, dass dieser das Eigentum seines Vaters verwaltet habe, da sein Vater keine umfangreiche Erziehung genossen habe und sich mit Papieren und Dokumenten nicht so gut ausgekannt habe. Gefragt, warum sein Vater nicht sofort das Land verlassen habe, gab der Beschwerdeführer an, dass dieser von zu Hause mitgenommen worden sei, während sie in der Schule gewesen seien, gefragt, wie sein Vater Herrn XXXX habe ausrichten können, dass er ihn und seinem Bruder in Sicherheit bringen solle, gab der Beschwerdeführer wörtlich an: „Der Klient Herr XXXX hatte meinen Vater bereits angerufen und ihm gesagt, dass er seinen Job verloren hat. Mein Vater hat in der Folge XXXX versucht anzurufen um ihm zu sagen das Problem sei nicht so groß, er erreichte ihn aber nicht. Als XXXX mit seinen Leuten zum Haus meines Vaters kam, stand dieser beim Fenster und sah sie kommen, er rief XXXX an, während er am Fenster stand und sagte, wenn du von mir nichts mehr hörst, hol meine Kinder von der Schule ab und bringe sie in Sicherheit.“ Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass er außer den geschilderten Problemen in seinem Herkunftsstaat keine Probleme und auch nie mit Behörden seines Herkunftslandes Probleme gehabt habe, gefragt, warum er sich wegen dieser Bedrohung nicht an die Polizei gewandt habe, führte er wörtlich aus: „Mein Bruder und ich sagten zu Herrn XXXX , er solle dies tun. Er erklärte, dass dies nicht möglich sei, weil er Herrn XXXX genau kennt.“ Gefragt, ob er wisse, warum dieser seinen Job verloren habe, gab er an, dass er keine Ahnung habe. Er führte weiters aus, dass er in Sierra Leone nie politisch aktiv gewesen sei, dass es nie Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit gegeben habe und dass er nie Probleme aufgrund seiner Religion gehabt habe. Gefragt, was er im Falle seiner Rückkehr nach Sierra Leone befürchten würde, führte er wörtlich aus: „Ich denke mein Leben ist nach wie vor Gefahr. Dieser Mann hat lange für die Regierung gearbeitet hat nach wie vor die Macht irgendetwas zu tun.“ Gefragt, warum er glaube, dass dieser für die Regierung gearbeitet habe, gab er an, dass er dies sagen könne, weil dieser ein paar Jahre zu seinem Vater gekommen sei und diese Leute eine besondere Kleidung anhaben würden und die Autos in spezifischen Farben lackiert seien. Es seien schwarze Autos bei denen die Scheiben alle blau gestrichen sein. Gefragt, ob es ihm nicht möglich gewesen wäre, außerhalb seiner Heimatstadt in einem anderen Teil von Sierra Leone zu leben, gab er an, dass sie dies Herrn XXXX gefragt hätten, dieser aber gemeint habe, dass sie weit weg von ihrem Heimatland sein müssten, weil diese Leute sehr mächtig seien und ihre Macht weitreichend ausüben könnten. Zu seinen Lebensumständen in Österreich, gab er an, dass er in der Grundversorgung sei, aber arbeiten könne. Er habe in Österreich die Pflichtschule abgeschlossen und mit dem Gymnasium begonnen und sei im fünften Semester und habe zusätzlich dem B1 Kurs abgeschlossen und strebe die B2 Prüfung an. Er habe keine Familienangehörigen oder sonstige Verwandte in Österreich, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, er habe sie gesucht aber niemanden gefunden, er habe aber einige Staatsangehörige aus Sierra Leone getroffen und habe die Leute die er hier getroffen habe, hinsichtlich seiner Verwandten gefragt. In Österreich sei er Mitglied im Fußballklub XXXX “ und nehme über die Nachbarschaftshilfe an einem Sprachcafé teil. In seiner Freizeit treffe er, wenn keine Schule sei, seine Schulkameraden in der Bibliothek, am Wochenende habe er Fußballtraining oder ein Spiel und am Sonntag putze er die Wohnung oder besuche XXXX . Dem Beschwerdeführer wurden das Länderinformationsblatt zu Sierra Leone zur Abgabe einer Stellungnahme binnen 14 Tagen ausgehändigt. Im Rahmen der Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer folgende Unterlagen vorgelegt: Kursbesuchsbestätigung der VHS vom 4.7.2016 hinsichtlich Deutsch A1+, ein Zertifikat Start Deutsch A2 der XXXX Akademie vom 01.10.2016, eine Schulbesuchsbestätigung über die Teilnahme am Pflichtschulabschluss Kurs des Vereins XXXX vom 18.1.2017, eine Teilnahmebestätigung der XXXX Akademie vom 22.2.2017 über den Deutschkurs B1, zwei Kursbestätigung des Vereins XXXX , ein Zertifikat des Vereins XXXX vom 30.6.2016 über die Basis Bildung und Vorbereitung auf dem Pflichtschulabschluss, eine Kursbesuchsbestätigung der XXXX Akademie vom 28.3.2017 über den Deutschkurs A2-1 und A 2-2, ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung vom 7.6.2017, ein B1 Zeugnis des internationalen Kulturinstituts vom 17.1.2018, eine edu.card des Bundesgymnasiums, Bundesrealgymnasium und Wirtschaftskundliches Bundesrealgymnasium für Berufstätige gültig bis 8.2.2020, zwei Semesterzeugnisse mit Stundentafel dieses Gymnasiums vom 2.2.2018 (WS 2017/2018) und 29.06.2018 (SS 2018) in der Schulform AHS für Berufstätige, eine Zeugniskopie über das Wintersemester 2018/19, eine Zeugniskopie Sommersemester 2019, ein Informationsblatt hinsichtlich der Suchdienstsprechstunde des Roten Kreuzes, einen Spielerpass für den Verein XXXX und eine Anmeldebescheinigung beim ÖFB vom 24.3.2016, eine Teilnahmebestätigung bei der Privatinitiative XXXX vom 27.3.2017, die Bestätigung des Kulturvereins „ XXXX “ vom 10.05.2017 über seine Mithilfe als Ton und Lichttechniker, eine Teilnahmebestätigung am Bildungsprojekt XXXX vom 22.8.2019, eine Anmelde- und Teilnahmebestätigung am Kompetenzworkshop für Erwachsene Asylwerber im November 2018, ein Sozialbericht des Vereins „Die Johanniter“ vom 28.3.2017 und acht personalisierte Empfehlungsschreiben.

6.       Mit Schriftsatz vom 16.9.2019 wurde zu den Länderberichten eine Stellungnahme übermittelt.

7.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 10.10.2019, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten "gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBI I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Sierra Leone gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn "gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBI Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ eine Rückkehrentscheidung "gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.) und "gemäß § 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung "gemäß § 46 FPG" nach Sierra Leone zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde "gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG“ mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

8.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 30.10.2019 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung eine für den Beschwerdeführer günstigere Bescheid erlassen worden wäre. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe, da sie mangelhafte Ermittlungen hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers durchgeführt habe zudem sei die Beweiswürdigung mangelhaft, da der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der polizeilichen Erstbefragung gerade einmal 18 Jahre und einen Tag alt gewesen sei und bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit nicht der gleiche Maßstab wie bei einem erwachsenen Menschen anzulegen sei. Zudem handle es sich bei Englisch nicht um seine Muttersprache und seien etwaige sprachliche Missverständnisse vor diesem Hintergrund zu sehen. Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland religiöse Verfolgung drohe bzw. Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit „zur „sozialen Gruppe der Familie in Sierra Leone Verfolgung“ und sei auch eine Verfolgung durch Teile der lokalen Bevölkerung asylrelevant, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage sei Schutz vor den Übergriffen dieser Akteure zu bieten. Zudem drohe dem Beschwerdeführer seitens des Feindes seines Vaters Verfolgung und unmenschliche Behandlung dies sei insbesondere bereits durchgesetzte Verfolgungshandlungen evident insbesondere durch den Mord am Vater des Beschwerdeführers, zudem käme der Beschwerdeführer im Falle einer Außerlandesbringung mangels Familiennetzwerk und angesichts des Sicherheits- und Versorgungslage in eine ausweglose Situation und würde eine Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung vorliegen. Zu seinem Privatleben wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer unbescholten sei, dass er vielfach erkennbare Anstrengungen unternommen habe sich in Österreich von Beginn an in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht bestmöglich zu integrieren, dies werde bescheinigt durch eine Vielzahl an Integrationsnachweisen, zudem strebe er derzeit die Absolvierung der Deutschprüfung B2 an, besuche ein Gymnasium und habe österreichische Freunde. Der Beschwerdeführer sei zudem ehrenamtlich tätig und sportlich sehr aktiv und würde die Vielzahl an vorgelegten Schreiben beweisen, dass der Beschwerdeführer in der österreichischen Gesellschaft nachhaltig verwurzelt sei und starken Rückhalt genieße. Es werde daher beantragt das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung inklusive der nochmaligen Einvernahme des Beschwerdeführers sowie Einvernahme der beantragten Zeugen durchführen, die angefochtene Entscheidung hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zu erkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt II. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gewähren, in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben und für auf Dauer unzulässig erklärt wird, in eventu den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Der Beschwerde beigelegt, war eine E-Mail der XXXX Altenpflege XXXX , wonach sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich einmal in der Woche für die Dauer von 2 Stunden innerhalb der Musik- bzw. Bastelgruppe engagiert.

9.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 14.11.2019 vorgelegt.

10.      Mit Schriftsatz vom 14.7.2020 wurde die zeugenschaftliche Einvernahme von Frau XXXX zum Beweisthema des Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, beantragt. Am 17.7.2020 wurde ein Schreiben des „ XXXX “ vom 3.7.2020 über den Beschwerdeführer, ein Zeugnis über das Sommersemester 2020 und die Bestätigung des österreichischen Roten Kreuzes betreffend den Suchantrag des Beschwerdeführers vom 26.9.2019 vorgelegt. Am 17.07.2020 wurde weiters ein Konvolut an Unterlagen in Vorlage gebracht, wobei es sich neben den bereits vorgelegten Unterlagen um folgende zusätzliche Unterlagen handelt: Schulbesuchsbestätigungen für das Wintersemester 2018/2019; Schulbesuchsbestätigung für das Wintersemester 201772018; Anträge auf Kostenübernahme für Bildungsleistungen betreffend der AHS für Berufstätige vom 11.09.2018, 16.11.2018 und 12.9.2019: Schulbesuchsbestätigung für das Wintersemester 2019/2020: zwei Unfallerhebungsberichte der XXXX Gebietskrankenkasse vom 27.9.2017 und 6.8.2019 hinsichtlich zweier Sportunfälle; die Kopie eines Suchantrages des Roten Kreuzes; zwei Jugendtickets; zwei ZMR- Auszüge (5.6. und 8.1.2020) und zwei Zeichnungen.

11.      Am 24.07.2020 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht. In dessen Verlauf wurden seitens des Beschwerdeführers folgende nachstehende Unterlagen vorgelegt: Sozialbericht Diakonie vom 17.07.2020.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005. Er ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund, volljährig, ledig, stammt aus Freetown und bekennt sich zur moslemischen Glaubensrichtung. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe Fulla an.

Der Beschwerdeführer hat in Sierra Leone die Grund- und Mittelschule besucht.

Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID 19 Pandemie an.

In Sierra Leone leben noch Verwandte des Beschwerdeführers, Kontakt besteht derzeit keiner.

Der Beschwerdeführer hält sich seit 14.11.2015 in Österreich auf. Der Beschwerdeführer war bereits zum Zeitpunkt seiner Asylantragsstellung in Österreich volljährig.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte, es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer geht keiner Erwerbstätigkeit nach, bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich seiner Integration personalisierte Empfehlungsschreiben, Deutschkursbesuchsbestätigungen, eine Deutschprüfung B1, ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung, Schulbesuchsbestätigungen und Semesterzeugnisse des „ XXXX “, Bestätigungen über gemeinnützige und ehrenamtliche Tätigkeiten ( XXXX , Kolpinghaus); Teilnahmebestätigungen an einem Bildungsprojekt und an Workshops, die Bestätigung über die Mitgliedschaft im Verein „ XXXX “, inkl. Anmeldung beim ÖFB und eine Teilnahmebestätigung bei „ XXXX , vorgelegt.

Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über soziale und private Kontakte. Der Beschwerdeführer spricht qualifiziert Deutsch.

Der Beschwerdeführer in strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Sierra Leone aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Dem Beschwerdeführer droht in Sierra Leone keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention. Eine Verfolgung/Bedrohung durch staatliche Behörden hat der Beschwerdeführer verneint. Der vom Beschwerdeführer behauptete Fluchtgrund Verfolgung durch eine Privatperson konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden und war sohin nicht festzustellen, dass der Beschwerdeführer Sierra Leone aufgrund staatlicher Verfolgung verlassen hat, bzw. eine asylrelevante Verfolgung im Falle der Rückkehr zu befürchten hat.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Es spricht auch nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Dem Beschwerdeführer wird im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen, selbst wenn man davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer derzeit keinen Kontakt zu dort lebenden Familienangehörigen hat, bzw. deren Aufenthaltsort nicht kennt.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Sierra Leone und der individuellen Rückkehrsituation:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Sierra Leone übermittelt. Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Politische Lage

Sierra Leone ist eine Präsidialdemokratie mit einem Mehrparteiensystem. Der Präsident wird direkt vom Volk gewählt und ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen finden gleichzeitig alle fünf Jahre statt (GIZ 6.2018a; vgl. AA 3.2017a). Die Verfassung aus dem Jahre 1991 gilt noch heute und setzt sich aus britischen und amerikanischen Elementen zusammen. Es gibt eine horizontale Gewaltenteilung mit Legislative, Exekutive und Judikative. Das Parlament als legislative Gewalt hat eine Kammer mit 144 Sitzen, von denen 132 Sitze für direkt gewählte Abgeordnete bestimmt sind (GIZ 6.2018a), zwölf Sitze sind für die Vertretung der Paramount Chiefs reserviert (GIZ 6.2018a; vgl. AA 3.2017a). Diese zwölf Abgeordneten vertreten die Paramount Chiefs der 190 Chiefdoms, wobei die Paramount Chiefs in den einzelnen Chiefdoms wiederum vom Volk auf Lebenszeit gewählt werden (GIZ 6.2018a).

Die Präsidentschaftswahl gewann 2018 Julius Maada Bio von der Sierra Leone People's Party (SLPP) im 2. Wahlgang. Er wurde am 4. April 2018 zum neuen Präsidenten Sierra Leones ernannt. Er löst Ernest Bai Koroma vom All People's Congress (APC) ab, der nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal kandidieren durfte. Parteipolitisch ist Sierra Leone hauptsächlich in zwei Lager geteilt. Während der APC tendenziell als Partei der Temne im Norden gilt, hat die SLPP ihr Wählerklientel vorwiegend bei den Mende im Süden und Südosten des Landes. Beide Parteien sind politisch vorbelastet. Das Einparteiensystem und die Misswirtschaft der APC haben letztlich zum Bürgerkrieg geführt. Die SLPP stand danach zunächst für eine Erneuerung und den Frieden. Allerdings wird auch ihr vorgeworfen, dass sich ihre Führung während der Regierungszeit hemmungslos bereichert hat (GIZ 6.2018a).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 26.6.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im ganzen Land stabil (AA 3.2017a). Das französische Außenministerium bewertet lediglich die Lage im direkten Grenzgebiet zu Liberia als instabil (FD 27.6.2018). Das deutsche Auswärtige Amt nennt keine relevanten Sicherheitsprobleme (AA 26.6.2018). Laut österreichischem Außenministerium herrscht im ganzen Land ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 27.6.2018). Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (AA 3.2017a; vgl. EDA 27.6.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018

-        AA – Auswärtiges Amt (26.6.2018): Sierra Leone:Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/sierraleonesicherheit/203500, Zugriff 26.6.2018

-        BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.6.2018): Reiseinformationen Sierra Leone, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (27.6.2018): Reisehinweise Sierra Leone, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/sierra-leone/reisehinweise-fuersierraleone.html, Zugriff 27.6.2018

-        FD – France Diplomatie (27.6.2018): Conseils aux voyageurs – Sierra Leone – Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung gewährleistet eine unabhängige Justiz, diese ist jedoch zeitweise der Einflussnahme seitens der Exekutive ausgesetzt (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018a). Bei Gerichtsverfahren kommt es immer wieder zu Einmischungsversuchen durch die Politik (GIZ 6.2018a).

Das Rechtssystem Sierra Leones ist im Wesentlichen geprägt von der Koexistenz dreier Systeme: dem staatlichen (Ebene der Distrikte); dem traditionellen (Ebene der Chiefdoms); und vereinzelt dem islamischen Recht. Das staatliche Justizsystem basiert auf dem britischen Common Law und besteht aus einem mehrstufigen Instanzenzug. Die Richter für die drei höchsten Gerichte werden vom Präsidenten ernannt, müssen aber vom Parlament bestätigt werden. Die Gerichte auf der Ebene der Chiefdoms sind mit Laienrichtern besetzt. Gegen Urteile kann Berufung eingelegt werden (GIZ 6.2018a). Die traditionelle Justiz funktioniert – v.a. in ländlichen Gebieten. Die dort geführten Prozesse sind generell fair, es kommt aber in vielen Fällen zu Bestechung und Korruption (USDOS 20.4.2018).

Die Judikative befindet sich seit dem Ende des Bürgerkrieges in einer Reform. Sie leidet unter zu wenig Personal und materiellen Ressourcen. Außerdem sind Korruption und Vetternwirtschaft auf allen politischen Ebenen weit verbreitet (GIZ 6.2018a).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen. Gerichtsverfahren sind öffentlich. Für Angeklagte gilt generell die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht auf Vertretung durch und rechtzeitige Konsultation mit einem Anwalt. Gesetzlich müssen Anwälte auf Staatskosten zur Verfügung gestellt werden, sofern sich der Angeklagte keinen Anwalt leisten kann. In der Praxis funktionierte dies nicht durchwegs. Angeklagte haben üblicherweise nicht die Möglichkeit, ihre Verteidigung angemessen vorzubereiten (USDOS 20.4.2018). Der Zugang der Bevölkerung zu den Justizbehörden wird generell durch einen Mangel an Richtern, langwierige Verfahren und allgemein zu geringe Kapazitäten im Bereich der Strafverfolgung und der örtlichen Gerichte behindert (GIZ 6.2018a).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018

Sicherheitsbehörden

Die Polizei (SLP/Sierra Leone Police) unter dem Ministry of Internal Affairs ist für die innere Sicherheit zuständig (GIZ 6.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings herrschen auch hier korrupte Strukturen vor (GIZ 6.2018a). Die Polizei ist schlecht ausgerüstet und es mangelt ihr an ausreichenden investigativen und kriminalistischen Kapazitäten sowie der Fähigkeit zur Eindämmung von Unruhen (USDOS 20.4.2018).

Für die äußere Sicherheit ist die Armee (RSLAF/Republic of Sierra Leone Armed Forces) unter dem Ministry of Defence and National Security zuständig (GIZ 6.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018 ). Sie hat aber auch einige Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit durch das Programm "Military Aid to Civil Power", welches auf Anfrage die Unterstützung der Polizei unter außergewöhnlichen Umständen genehmigt. Zivile Behörden kontrollieren SLP und RSLAF und die Regierung verfügt über Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Korruption und Misshandlungen. Trotzdem ist Straffreiheit weiterhin ein Problem (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Verfassung und Gesetze verbieten Folter und unmenschliche Behandlung, es gibt allerdings Berichte, wonach Polizei und andere Sicherheitskräfte exzessive Gewalt anwenden. Es gibt Berichte, wonach Beamte für mehrere willkürliche oder extralegale Tötungen verantwortlich ist. Die Regierung unternahm Schritte, um die Verantwortlichkeit der Polizei zu stärken. In der Praxis werden jedoch seitens der Regierung Polizeibeamte nicht zur Verantwortung gezogen, so willkürlich oder übermäßig diese Gewalt anwenden (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 28.4.2017

Korruption

Gesetzlich sind Strafen für behördliche Korruption vorgesehen. Die Regierung schafft es jedoch nicht, das Gesetz wirksam umzusetzen. Trotz einiger gut dokumentierter Korruptionsfälle sind Beamte häufig korrupt und gehen straffrei aus. Korruption bleibt somit weiterhin ein ernstes Problem (USDOS 20.4.2018).

Die Anti-Corruption Commission (ACC) beschuldigte im August 2016 zwei Beamte wegen Verschwörung, der Begehung eines Korruptionsdeliktes und der Unterschlagung von öffentlichem Eigentum. Einer der Beamten wurde verurteilt und mit einer Geldstrafe von 30 Millionen Leones (4.000 Dollar) belegt, und der andere Fall wurde fortgeführt. Am 31. August 2017 beschuldigte die ACC auch Beamte der NGOs PLAN International Sierra Leone und The Needy Today mit der Unterschlagung von Geldern für Ebola-Überlebende (USDOS 20.4.2018). Auf dem Index von Transparency International befand sich Sierra Leone im Jahr 2016 auf Rang 130 von 180 untersuchten Ländern (TI 2017).

Quellen:

-        TI – Transparency International (21.2.2018): Corruption Perceptions Index 2017, Sierra Leone, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 26.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

In Sierra Leone entwickelte sich eine umfangreiche Szene zivilgesellschaftlich aktiver Gruppen. NGOs bemühten sich schon während des Bürgerkrieges um die Wiederherstellung des Friedens. Auch bei der kritischen Begleitung des darauffolgenden Versöhnungsprozesses spielte die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Die Zivilgesellschaft in Sierra Leone beinhaltet zum einen spezifische, historisch gewachsene Strukturen wie Geheimbünde, zum anderen neuere Strukturen wie die oben angesprochenen NGOs (GIZ 6.2018a). Eine Reihe von inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeitet im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen, untersuchen Menschenrechtsfälle und veröffentlichen ihre Ergebnisse. Beamte sind oft kooperativ, gehen auf Ansichten lokaler und internationaler NGOs ein und erkennen angesprochene Probleme an (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Ombudsmann

Das parlamentarische Menschenrechtskomitee arbeitet ohne Einmischung der Regierung oder der Parteien und soll die Menschenrechte fördern und Vergehen aufzeigen. Das Komitee bemüht sich, Menschenrechtsfragen auf der parlamentarischen Agenda zu halten und ebnet den Weg für Gesetzesänderungen oder die Ratifizierung internationaler Konventionen. (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 28.4.2017

Wehrdienst und Rekrutierungen

Es gibt keine Wehrpflicht. Ein Mindestalter von 18 Jahren gilt für den freiwilligen Militärdienst (mit elterlicher Zustimmung auch weniger). Frauen können zum Militärdienst zugelassen werden. Potentielle Rekruten müssen HIV-negativ sein (CIA 8.6.2018).

Quellen:

-        CIA – Central Intelligence Agency (8.6.2018): The World Factbook – Sierra Leona, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sl.html, Zugriff 27.6.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtelage hat sich nach dem Ende des Bürgerkriegs in vielen Bereichen deutlich verbessert. Die Regierung Sierra Leones hat 2006 die "Human Rights Commission of Sierra Leone" ins Leben gerufen. Eine Ausnahme im Hinblick auf die insgesamt positive Menschenrechtsentwicklung ist vor allem die in Gesellschaft und Rechtsordnung verankerte, in Religion und Tradition wurzelnde, Benachteiligung von Frauen und Kindern (AA 3.2017a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen zählen unter anderem: rechtswidrige Tötungen und Misshandlungen durch die Polizei; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; weitverbreitete behördliche Korruption auf allen Ebenen. . Weitere Probleme sind: mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen, einschließlich FGM; Zwangsheirat; behördliche und gesellschaftliche Diskriminierung von Homosexuellen und Kinderarbeit (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt Deutschland (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Meinungs- und Pressefreiheit

Verfassung und Gesetze gewährleisten Pressefreiheit. In der Praxis respektiert die Regierung dies üblicherweise aber nicht immer (USDOS 20.4.2018). Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2018 belegt Sierra Leone leicht verbessert Platz 79 von 180 untersuchten Staaten. Ein Instrument zur Einschüchterung und Sanktionierung von Journalisten sind die Libel Laws (Verleumdungsgesetze), die das Ansehen von Politikern schützen sollen. Seit langem kämpfen Journalisten für deren Abschaffung, bisher ohne Erfolg (GIZ 6.2018a). Historisch gesehen ist die Geschichte der Printmedien Sierra Leones einmalig: Im anglophonen Teil Westafrikas wurden hier erstmals Zeitungen veröffentlicht. Heute gibt es 44 Zeitungen, die bei der Independent Media Commission registriert sind. Von diesen erscheinen etwa zwölf Zeitungen regelmäßig. Zum Teil können diese Zeitungen im Internet gelesen werden (GIZ 6.2018a). Die meisten registrierten Zeitungen sind unabhängig, auch wenn mehrere politischen Parteien nahestehen. Zeitungen kritisieren offen die Regierung und ihre Beamten, sowie Oppositionsparteien (USDOS 20.4.2018).

Heute ist das wichtigste Medium in Sierra Leone das Radio. Die Sierra Leone Broadcasting Corporation (SLBC) ist 2010 aus den Sierra Leone Broadcasting Services (SLBS) und dem UN Radio hervorgegangen. Außerdem strahlen mehr als 20 private Radiosender Programme aus, teilweise regional begrenzt (GIZ 6.2018a).

Das Fernsehen ist in Sierra Leone beliebt, aber begrenzt zugänglich. Es gibt eine staatliche Fernsehstation, SLBC, die ihr Programm in Freetown, Bo, Kenema und Makeni ausstrahlt. Darüber hinaus gibt es Kabel-TV mit einigen Dutzend Kanälen. Außerhalb der größeren Städte hat das Fernsehen auf Grund fehlender Stromversorgung wenig Bedeutung (GIZ 6.2018a).

Generell können unabhängige Rundfunkmedien ohne Einschränkungen betrieben werden, es gibt jedoch Ausnahmen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind durch die Verfassung garantiert und werden in der Praxis üblicherweise respektiert. Dennoch kommt es vor, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf friedliche Versammlung oder auf Vereinigung eingeschränkt werden (AI 22.2.2018). Proteste eskalieren häufig in übermäßiger Gewalt, wie am 24.3.2017, als die Polizei 60 Studenten im Zuge einer Demonstration verhaftete (AI 22.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Haftbedingungen

Gefängnis- und Haftbedingungen sind hart und manchmal lebensbedrohlich (USDOS 20.4.2018; vgl. AI 22.2.2018). Überbelegung ist eines der größten Probleme (USDOS 20.4.2018), neben unhygienischen Lebensbedingungen und ungenügender medizinischer Versorgung (USDOS 20.4.2018). Zudem äußerten NGOs Bedenken hinsichtlich des verzögerten Zugangs zu medizinischer Versorgung für Häftlinge, unzureichender Nahrung und Grundausstattung, schlechter Bedingungen in den Polizeizellen, einschließlich unzureichender sanitärer Einrichtungen, und längerer Haftzeiten, die die verfassungsmäßigen Rechte der Häftlinge verletzen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (HRCSL) berichtet, dass seit Oktober 2016 Männer und Frauen in Gefängnissen separat untergebracht werden. Minderjährige werden allerdings häufig mit Erwachsenen inhaftiert (USDOS 20.4.2018).

Strafvollzugsgruppen berichteten, dass die Behörden im Allgemeinen Vorwürfe der Misshandlung von Gefangenen untersuchten. Die Regierung erlaubte zudem auch die Überwachung durch unabhängige, nichtstaatliche Beobachter. Internationale Beobachter hatten uneingeschränkten Zugang zu den Gefängnissen, Haftanstalten und Polizeizellen. Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (HRCSL) überwacht monatlich die Gefängnisse (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Todesstrafe

Die Todesstrafe existiert zwar weiterhin, wird aber seit 1998 nicht mehr vollstreckt. Der ehemalige Präsident Koroma hat auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2011 ein Moratorium verkündet (AA 3.2017a). Als Antwort auf die Empfehlungen des Constitutional Review Committee, lehnte die Regierung unter anderem die Abschaffung der Todesstrafe ab (AI 22.2.2018). NGOs wie Human Rights Watch kritisieren, dass die Todesstrafe in Sierra Leone nach wie vor im Gesetz und im öffentlichen Diskurs existiert, auch wenn sie seit 1998 nicht mehr praktiziert worden ist (GIZ 6.2018a).

Es werden weiterhin Todesurteile verhängt. Im September 2017 wurden sechs Polizisten wegen Verschwörung und Raubüberfall zum Tode verurteilt (AI 22.2.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt Deutschland (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018

Religionsfreiheit

Die Verfassung und andere Gesetze schützen die Religionsfreiheit und diese wird von der Regierung auch in der Praxis im Allgemeinen respektiert (USDOS 15.8.2017).

Laut Volkszählung (2015) sind 77 Prozent der Bevölkerung Muslime und 21,9 Prozent Christen (Protestanten, Katholiken, Angehörige pentekostaler und afrikanischer Freikirchen). Gleichzeitig gibt es einige Gläubige traditioneller afrikanischer oder anderer Religionen (GIZ 6.2018b). Nach anderer Quelle sind rund 60 Prozent der Bevölkerung Muslime (größtenteils Sunniten), 30 Prozent Christen (Protestanten, Katholiken u.a.) und 10 Prozent Anhänger animistischer Religionen (USDOS 15.8.2017).

Sierra Leoner sind auf das friedliche und respektvolle Zusammenleben der Religionen in ihrem Land sehr stolz (GIZ 6.2018b). Der interreligiöse Rat (IRC), der sich aus christlichen und muslimischen Führern zusammensetzte, arbeitete mit Verbänden, die christliche und muslimische religiöse Gruppen vertreten, um die interreligiöse Harmonie zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Magisches Denken ist in Sierra Leone weitverbreitet und häufig schließt die Zugehörigkeit zum Islam oder Christentum eine gleichzeitige Zugehörigkeit zu einer Geheimgesellschaft (Secret Society) nicht aus. Eine strikte Trennung und reine Befolgung einer religiösen Lehre findet kaum statt. Vielmehr werden im Alltag der Islam und das Christentum mit weiteren Religionen und religiösen Traditionen vermischt. Magische Elemente mischten sich in die Praxis des lokalen Islams, sodass einige Islamgelehrte magische Fetische in ihre Lehre integriert haben (GIZ 6.2018b).

Interreligiöse Ehen sind häufig (USDOS 15.8.2017). Es gibt weder Berichte über Verletzungen der Religionsfreiheit durch die Regierung noch über gesellschaftlichen Missbrauch oder Diskriminierung aufgrund der religiösen Zugehörigkeit, des Glaubens oder der Religionspraxis. Religiöse Gruppen müssen sich bei der Regierung registrieren (USDOS 15.8.2017).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone – Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – US Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1407986.html, Zugriff am 27.6.2018

Ethnische Minderheiten

In Sierra Leone leben circa 16 ethnische Gruppen, die ihre eigene Sprache und Kultur pflegen. Seit der Kolonialzeit gibt es Bemühungen, eine nationale Identität zu etablieren. Dennoch bleibt der wichtigste Bezugsrahmen für die meisten Sierra-Leoner die Familie und die lokale Gesellschaftsordnung (GIZ 6.2018b). Die größte ethnische Gruppe bilden in Sierra Leone die Temne und die Mende mit je etwa 30 Prozent (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Krio mit 2 Prozent der Bevölkerung dominieren historisch den öffentlichen Dienst und die Justiz (USDOS 20.4.2018). Dabei wird der Norden des Landes von den Temne und der Süden von den Mende dominiert (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018). Zwei vorwiegend Handel betreibende, nicht aus Westafrika stammenden Minderheiten sind Inder und Libanesen (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018) sowie kleine Gruppen von Pakistanis oder Europäern (USDOS 20.4.2018).

Starke ethnische Loyalitäten, Vorurteile und Stereotype bestehen zwischen allen ethnischen Gruppen. Die Temne und Mende wetteiferten während des 11-jährigen Bürgerkriegs um politische Macht (USDOS 20.4.2018). Ethnische Loyalität bleibt ein wichtiger Faktor in der Regierung, den Streitkräften und der Wirtschaft. Beschwerden über ethnische Diskriminierung bei Regierungsposten, Auftragsvergabe und militärischen Beförderungen sind üblich (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018b). Die ethnische Zugehörigkeit beeinflusst auch die Parteimitgliedschaft der beiden dominierenden Volksgruppen. Die Mende unterstützen traditionell die Sierra Leone People's Party (SLPP) und die Temne den All People's Congress (APC). Anders als die Limba, die drittgrößte ethnische Gruppe, die traditionell die APC unterstützt, haben die anderen ethnischen Gruppen keine starke politische Parteizugehörigkeit (USDOS 20.4.2018).

In Sierra Leone gibt es kaum ernsthafte Auseinandersetzungen wegen ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten (GIZ 6.2018b). Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien oder Religionen sind daher häufig (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone – Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Bewegungsfreiheit

In der Verfassung sind uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr verankert. Die Regierung respektiert diese Rechte üblicherweise. Jedoch gibt es Berichte, wonach Sicherheitskräfte bei Straßensperren außerhalb der Hauptstadt Bestechungsgelder von Fahrzeuglenkern verlangen. Auch Polizei, Zöllner und Militär verlangen Bestechungsgelder (USDOS 20.2018).

Trotz des offiziellen Kriegsendes 2002 ist das Land von den Jahren des Bürgerkrieges noch schwer gezeichnet. Die Infrastruktur ist in vielen Gebieten im Landesinneren weiterhin zerstört und erholt sich nur langsam (BMEIA 28.4.2017).

Quellen:

-        BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.6.2018): Reiseinformationen Sierra Leone, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018

-        USDOS – U.S. Department of State (20.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

IDPs und Flüchtlinge

Die Regierung arbeitete mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, Rückkehrern, Asylsuchenden, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zu gewähren. Im August 2017 beherbergte Sierra Leone ca. 700 anerkannte Flüchtlinge (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Grundversorgung

Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung (GIZ 6.2018c; vgl. AA 3.2017b). Rund 51,4 Prozent des BIP werden vom landwirtschaftlichen Sektor erwirtschaftet. Der Dienstleistungssektor trägt 26,6 Prozent und der Industriesektor 22,1 Prozent zum BIP bei (GIZ 6.2018c).

Sierra Leone ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt (AA 3.2017b) und belegt auf dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Ländern. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77 Prozent) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2018c).

Ein schwach strukturierter privater Sektor, schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, Korruption und wenig Rechtssicherheit behindern ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Die kaum ausgebaute Infrastruktur behindert zudem den Handel außerhalb der größeren Städte. Während der Regenzeit sind viele Straßen unpassierbar und die Erreichbarkeit ländlicher Gebiete ist schwierig. Die wirtschaftliche Entwicklung unterscheidet sich jedoch auch zwischen Stadt und Land. Zudem beeinflussen die Nachwirkungen des Bürgerkrieges (1991 bis 2002), die weit verbreitete Korruption und die unzureichend ausgebaute Infrastruktur die Wirtschaftslage Sierra Leones (GIZ 6.2018c).

In Sierra Leone gibt es einen extremen Mangel an formaler Beschäftigung, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit stellt ein besonders gravierendes soziales Problem dar. Dabei gibt es einige wenige Projekte, die versuchen, die Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren. Es gibt Projekte, die sich auf lokaler Ebene direkt an Kinder und Jugendliche wenden, die kein zu Hause haben und auf der Straße leben müssen (GIZ 6.2018b).

Der Bürgerkrieg brachte die wirtschaftlichen Aktivitäten vollkommen zum Erliegen. Seitdem ist es noch nicht im notwendigen Umfang gelungen, einen beschäftigungswirksamen Aufschwung zu erzeugen (GIZ 6.2018b).

Im Jahr 2016 ist die Wirtschaft dank anziehender Rohstoffpreise und hierdurch belebter Wirtschaftsaktivität wieder um knapp 5 Prozent gewachsen. Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik des ehemaligen Präsidenten Koroma war die Förderung großer ausländischer Investitionen mit dem Ziel, rasch neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Staatseinnahmen deutlich zu steigern, insbesondere in den Bereichen Tourismus, Bergbau, Agrobusiness, Fischereiwirtschaft, Energiewirtschaft (auch erneuerbare Energien) und Ausbau der Infrastruktur (Häfen, Flughäfen, Straßen, Telekommunikation). Sierra Leone ist reich an Bodenschätzen und mit seinen schönen Stränden ein potenzielles Ziel für Touristen in Westafrika (AA 3.2017b).

Das Entwicklungsprogramm "Agenda for Prosperity" für den Zeitraum 2013 bis 2018 soll dazu beitragen, dass Sierra Leone bis 2035 das Niveau eines Landes mit mittlerem Einkommen erreicht (AA 3.2017b).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (3.2017b): Sierra Leone – Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203486, Zugriff 28.4.2017

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone – Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018c): Sierra Leone – Wirtschachaft, https://www.liportal.de/sierra-leone/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 27.6.2018

Medizinische Versorgung

Die Gesundheitsversorgung in Sierra Leone wird zum Teil vom Staat, zum Teil von NGOs gestellt (GIZ 6.2018b). Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch äußerst problematisch (AA 27.6.2018).

Es besteht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten, der sich durch die Ebola-Epidemie weiter verschärft hat. Selbst in Freetown ist die ärztliche Versorgung gegenwärtig sehr begrenzt (AA 27.6.2018).

2010 wurde mit der Unterstützung des Vereinigten Königreiches und der UN ein Programm zur kostenlosen Versorgung von schwangeren Frauen und Müttern mit Kindern unter fünf Jahren eingeführt, um die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit zu reduzieren. Die Situation der Frauen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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