Entscheidungsdatum
04.09.2020Norm
BBG §40Spruch
W261 2233922-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 21.07.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Der Bescheid vom 21.07.2020 wird ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 29.05.2020 (einlangend) einen Antrag auf „Ausstellung einer Bescheinigung der Notwendigkeit einer Diätverpflegung“ beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.
Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 02.07.2020 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Osteoporose, Funktionseinschränkungen beider Hüftgelenke bei Hüftgelenksersatz rechts, Zustand nach Schilddrüsenoperation bei Hashimoto und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 von Hundert (in der Folge v.H.) fest. Der medizinische Sachverständige führte aus, dass keine Gesundheitsschädigungen vorlägen, welche Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung bedürfen würden.
Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 06.07.2020 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Der Beschwerdeführer gab eine Stellungnahme ab, welche am 17.07.2020 bei der belangten Behörde einlangte. Darin führte er aus, dass er nach der Gallenoperation die Notwendigkeit einer Diätverpflegung habe, weswegen er einen entsprechenden Antrag gestellt habe, um seine Diät beim Finanzamt absetzen zu können. Es sei bei ihm ein guter Ernährungszustand festgestellt worden. Er müsse wegen der Galle Diät halten, um nicht ständig unter Magenschmerzen oder Übelkeit zu leiden, daher verstehe er nicht, weswegen dies abgelehnt werde. Er ersuche daher, die Ablehnung noch einmal zu überdenken.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.07.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie bei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er keinen Behindertenpass beantragt habe. Er würde seit der Entfernung der Gallenblase am 10.07.2014 unter extremen Bauch-Magenschmerzen leiden. Er müsse sich ausgewogen und fettarm ernähren. Genau aus dem Grund möchte er beim zuständigen Finanzamt den Freibetrag von € 110,- beantragen. Angeblich liege der ärztliche Bericht über die Operation nicht vor, weswegen er diesen noch einmal anschließe. Er ersuche, den Bescheid noch einmal zu überdenken, und ihm den Sonderausgabenposten für das Finanzamt zu bescheinigen. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde eine Krankengeschichte und Operationsniederschrift vom 10.07.2014 bei.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.08.2020 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.08.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer stellte am 29.05.2020 (einlangend) einen „Antrag auf Bescheinigung der Notwendigkeit der Diätverpflegung“. Er stellte keinen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.
Mit Bescheid vom 21.07.2020 stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer mit einem Grad der Behinderung nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt und wies den Antrag vom 29.05.2020 daher ab.
In den Feststellungen dieses Bescheides hielt die belangte Behörde – aktenwidrig - fest, dass der Beschwerdeführer am 29.05.2020 die Ausstellung eines Behindertenpasses beantragte.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen basieren auf dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
…
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
Wie sich aus dem klaren Wortlaut des § 40 Abs. 1 BBG ergibt, bedarf die Ausstellung eines Behindertenpasses eines Antrages. Daraus folgt, dass auch Bescheiden, mit welchen Anträgen auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen werden, ein entsprechender Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses zugrunde liegen muss.
Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist aus dem Antrag vom 29.05.2020, auf welchem der Beschwerdeführer handschriftlich anführte „Antrag auf Bescheinigung der Notwendigkeit einer Diätverpflegung“ und kein Kreuz beim Vordruck für einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses machte, klar zu entnehmen, dass er keinen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses stellen wollte. Dies wird auch durch sein Vorbringen in seiner Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid klar zum Ausdruck gebracht, wo er anführt: „Laut Ihrem Bescheid v. 21.07. erfülle ich nicht die Voraussetzungen f.d. Ausstellung eines Behindertenpasses, den ich überhaupt nicht beantragt habe.“
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteienerklärungen und Anbringen der Parteien nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen (VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066; 3.10.2013, 2012/06/0185; 23.5.2014, 2012/02/0188).
Nachdem der Beschwerdeführer sowohl bei Antragstellung als auch in seiner Beschwerde klar zum Ausdruck brachte, dass er keinen Behindertenpass, sondern eine „Bescheinigung der Notwendigkeit einer Diätverpflegung“ beantragen wollte, hätte die belangte Behörde über diesen Antrag abzusprechen gehabt.
Daher ist der vom Beschwerdeführer bekämpfte Bescheid vom 21.07.2020, mit welchem ein vom Beschwerdeführer ausdrücklich nicht gestellter Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen wurde, mit Rechtswidrigkeit belastet.
Hingegen ist eine Entscheidung der belangten Behörde über den eigentlichen Antrag des Beschwerdeführers vom 29.05.2020 auf Ausstellung „der Bescheinigung der Notwendigkeit einer Diätverpflegung“ noch offen.
Der angefochtene Bescheid war daher aus Anlass der Beschwerde ersatzlos zu beheben.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt ist und sich aus dem Verwaltungsakt selbst ableiten lässt. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. die Entscheidung des EGMR vom 2. September 2004, 68.087/01 [Hofbauer/Österreich ], wo der Gerichtshof unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass die Anforderungen von Art 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jegliche Anhörung [im Originaltext "any hearing at all"] erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft und in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise verwiesen hat (vgl. dazu auch das zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 29.April 2015, Zl. Ro 20015/08/0005). In der gegenständlichen Fallkonstellation war der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides jedenfalls aus der Aktenlage geklärt.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Antragsbegehren Antragstellung ersatzlose Behebung objektiver Erklärungswert VerfahrensgegenstandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2233922.1.00Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020