TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/4 W155 2204083-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.09.2020
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Entscheidungsdatum

04.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W155 2204083-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX alias XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gesetzlich vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.     XXXX wird eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für 1 Jahr erteilt.

IV.      Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinem zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Bruder XXXX , geb. XXXX alias XXXX , in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte durch den Magistrat Wien, MA 11 als gesetzlichen Vertreter am 07.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 07.06.2016 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Er gab wörtlich an: „In Afghanistan herrscht Krieg. Die Lage dort ist schlecht. Ich bin mit meinem Bruder nach Österreich gereist und möchte da zur Schule gehen. Ich habe Angst vor den Taliban und fürchte um mein Leben.“ Weiters führte er aus, dass seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester in Afghanistan leben würden und ein anderer Bruder im Iran. Der Beschwerdeführer legte folgende Unterlagen vor:

?        Sozialbericht der Caritas der Erzdiözese Wien vom 22.12.2017

?        Empfehlungsschreiben XXXX vom 25.12.2017

?        Schulbesuchsbestätigung öffentliche NMS XXXX , Schuljahr 2016/2017

?        Schulbesuchsbestätigung öffentliche NMS XXXX , Schuljahr 2015/2016

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.06.2016, wurde dem Kinder- und Jugendhilfeträger, Land Wien, die Obsorge für den Beschwerdeführer übertragen.

Am 03.01.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass seine Eltern und Geschwister nunmehr im Iran leben würden. In Afghanistan würden noch eine sehr alte Tante mütterlicherseits sowie ein Onkel leben. Ein weiterer Onkel lebe in Pakistan. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass die Taliban zu seinem Vater gekommen seien, damit er seine Kinder nach Pakistan schicke. Sein Vater sei aber dagegen gewesen. Daraufhin seien sein Vater, seine Mutter und sein Bruder XXXX von den Taliban geschlagen worden. Sein Vater habe nach einem Gespräch mit seiner Mutter beschlossen, ihn und seinen Bruder XXXX aus Afghanistan wegzuschicken, um zu verhindern, dass sie von den Taliban nach Pakistan mitgenommen würden. Sein Vater habe sie nach Kabul gebracht und sie einem Schlepper übergeben. Das seien seine Fluchtgründe. Vorgelegt wurden weiters folgende Unterlagen:

?        Befundbericht Röntgeninstitut Fünfhaus vom 04.12.2017

?        MR-Befund Radiologicum Penzing vom 30.09.2017

?        Empfehlungsschreiben der Klassenlehrerinnen des Beschwerdeführers vom 09.01.2018

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer insgesamt keine konkrete, ihn treffende Verfolgungshandlung vorgebracht habe. Überdies stehe dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat offen. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen wiege schwerer als die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich, weshalb sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als geboten erweise.

Mit Verfahrensanordnung vom 24.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Mit Schriftsatz vom 20.08.2018 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch seinen ausgewiesenen Rechtsberater fristgerecht Beschwerde und führte begründend aus, dass es im Heimatort des Beschwerdeführers in den letzten Jahren regelmäßig zu Zwangsrekrutierungen Jugendlicher durch die stets präsenten Taliban gekommen sei. So sei auch der Vater des Beschwerdeführers aufgefordert worden, seine Söhne als Kämpfer zur Verfügung zu stellen. Infolge der Weigerung seines Vaters, seine Söhne rekrutieren zu lassen, sei dieser mehrfach bedroht und schließlich zusammengeschlagen worden. Von einer direkten Entführung des Beschwerdeführers und seines Bruders hätten die Taliban vermutlich deshalb Abstand genommen, weil sie davon ausgegangen seien, dass die Rekrutierung durch bloßen Druck auf den Vater erreicht werden könne. Der Vater des Beschwerdeführers hätte jedoch die Ausreise des Beschwerdeführers und seines Bruders in den Iran organisiert, um sie dem Zugriff der Taliban zu entziehen. Später seien der Beschwerdeführer und sein Bruder aus Sorge um die eigene Sicherheit sowie aus Sorge um die Sicherheit der Eltern aus dem Iran ausgereist. Im gegenständlichen Bescheid fände sich trotz festgestellter Minderjährigkeit keinerlei Hinweis darauf, dass die Frage der besonderen Schutzwürdigkeit des minderjährigen Beschwerdeführers einer besonderen Prüfung unterzogen worden sei. Auch werde verkannt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die volatile Situation in der Provinz XXXX plausibel und wahrscheinlich erscheine. Soweit die belangte Behörde ausführe, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers deshalb nicht glaubwürdig erscheine, da dieser nie direkt von den Taliban bedroht worden sei, sei zu entgegnen, dass die Bedrohung des Vaters in Anbetracht der Berichtslage plausibel und den Traditionen und Sitten Afghanistans entsprechend erscheine. Der Beschwerdeführer habe vielmehr ein widerspruchsfreies und detailliertes Vorbringen erstattet, das in der Berichtslage Deckung fände. Im September 2015 hätten die Taliban die Provinzhauptstadt XXXX vollständig erobert und die Stadt vorübergehend unter ihre Kontrolle gebracht. Hierbei hätten die Taliban Massenmorde, Gruppenvergewaltigungen und andere Verbrechen begangen. Der Beschwerdeführer werde bei einer Rückkehr von den Taliban als „verwestlicht“ angesehen und schon deshalb in deren Visier geraten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Lage in Afghanistan mittlerweile derart schlecht sei und die bewaffneten Konflikte ein entsprechendes Niveau willkürlicher Gewalt erreicht hätten, dass dem Beschwerdeführer bei Rückkehr eine Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK drohe und ihm jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Es bestünde für ihn auch keine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative, zumal die Konflikte landesweit vorherrschten. Der Beschwerdeführer habe zudem keinerlei familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Kabul oder einer anderen Stadt, eine Neuansiedelung sei für ihn mit unzumutbaren Härten verbunden.

Mit Verfügung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.05.2020 wurde eine mündliche Beschwerdeverhandlung ausgeschrieben und dem Beschwerdeführer unter einem ein Konvolut an Unterlagen zur aktuellen Situation in Afghanistan zur Kenntnisnahme übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben.

In der Stellungnahme vom 10.06.2020 wurde auf die notwendige Beachtung des Kindeswohls hingewiesen. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in eine ihm fremd gewordene Kultur, ohne Ausbildung, ohne familiäres Netzwerk, ohne Wohnung und ohne Geld könne nicht im Kindeswohl liegen. Er habe in Österreich ein ausgeprägtes Privatleben und führe ein Familienleben mit wichtigen Bezugspersonen. Er habe in der Einvernahme bereits klar gesagt, dass die Taliban ihn und seinen Bruder nach Pakistan schicken wollten sowie sie alle jungen Burschen rekrutieren wollten. Auch seine Familie habe aus Afghanistan flüchten müssen, da sie mit der verweigerten Rekrutierung ihre oppositionelle Gesinnung den Taliban gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten. Zudem befinde sich Afghanistan erst am Anfang der Corona-Pandemie und würde die Rückkehr in ein „normales“ Leben Monat dauern. Der Beschwerdeführer habe überdies bereits einen hohen Grad an Integration erreicht, beteilige sich am kulturellen und sportlichen Leben in Österreich, feiere österreichische Feste und sei Mitglied in einem Fitnessstudio. Er schaffe dieses Semester den Pflichtschulabschluss und wolle nächstes Jahr die Handelsschule besuchen. Er wolle Flugbegleiter werden. Er habe in Afghanistan keine nahen Angehörigen mehr. Seine Eltern und Geschwister würden im Iran leben. Auch lebe sein Bruder in Österreich, sodass kein Überwiegen des Familienlebens in Afghanistans vorliege. Beigefügt wurden folgende Unterlagen:

?        Sozialbericht Caritas Wien vom 04.06.2020

?        Bestätigung XXXX vom 03.06.2020 bezüglich des Besuchs des Beschwerdeführers in deren logopädischer Praxis

?        Vorläufige Zuweisung an die HAK/HAS Tulln vom 09.03.2020

?        Mitgliedsvertrag McFit

?        Empfehlungsschreiben XXXX vom 04.06.2020

?        Konvolut an Fotos

Mit Stellungnahme vom 17.06.2020 brachte der Beschwerdeführer durch seinen gesetzlichen Vertreter ergänzend vor, dass die Provinz XXXX die erste Provinzhauptstadt gewesen sei, die nach dem Sturz der Taliban 2001 wieder an die Taliban zurückgefallen sei. Die Taliban würden daher Kämpfer zu Hause rekrutiert. Mit der Weigerung, die Kinder den Taliban zu übergeben, habe die Familie des Beschwerdeführers ihre kritische Haltung den Taliban gegenüber zum Ausdruck gebracht und die Konsequenz ihrer ablehnenden Haltung gezogen, indem sie die beiden Kinder auf die Flucht geschickt und sodann selbst Afghanistan verlassen habe. Der Beschwerdeführer wäre im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auf sich alleine gestellt und ohne familiäre Bindung. Er wäre de facto ein minderjähriger Waise, was bereits für sich ein erhebliches Verfolgungsrisiko darstelle. Aufgrund seiner Minderjährigkeit, seiner fehlenden Berufsausbildung und Berufserfahrung, seines fehlenden sozialen Unterstützungsnetzwerkes und vor allem ohne die Unterstützung seiner Familie könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil er in eine ausweglose, die Eingriffsintensität von Art. 2 und 3 EMRK erreichende Notlage gelangen würde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.06.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers, der Beschwerdeführervertreterin, mehrerer Vertrauenspersonen eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde zu seinen Beweggründen hinsichtlich seiner Ausreise und seinen Rückkehrbefürchtungen ausführlich befragt und XXXX als Zeuge befragt. Die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter. Die Beschwerdeführervertreterin legte folgende Unterlagen vor:

?        Übersichtsblatt betreffend ÖIF Integrationsmaßnahmen

XXXX Stellungnahme der Lehrer der NMS XXXX

?        Jahreszeugnis NMS XXXX

?        Konvolut an Fotos

Zu den Länderberichten über das Herkunftsland des Beschwerdeführers legte die Beschwerdeführervertreterin eine schriftliche Stellungnahme vor. Von der belangten Behörde langte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben in Österreich:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, die er ein wenig schreiben und lesen kann.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz XXXX geboren und dort im Dorf Aliabad aufgewachsen, wo er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern bis zur Ausreise aus Afghanistan lebte. Der Beschwerdeführer besuchte ca. 2 Jahre lang eine Koranschule. Er hat weder eine Berufsausbildung in Afghanistan noch eine Berufserfahrung. Der Beschwerdeführer hat keine aufrechten familiären Anknüpfungspunkte mehr in Afghanistan. Seine Eltern sowie zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben mittlerweile im Iran. Eine andere Schwester lebt in Griechenland. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Kernfamilie in Kontakt. In Afghanistan leben noch entferntere Verwandte, zu welchen er keinen Kontakt hat.

Der Beschwerdeführer verließ ca. Ende 2015, Anfang 2016 gemeinsam mit seinem Bruder XXXX Afghanistan und hält sich seit Juni 2016 in Österreich auf. Das Beschwerdeverfahren seines Bruders XXXX ist vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zahl XXXX anhängig.

Der Beschwerdeführer lebt mit seinem Bruder in einer betreuten Wohngemeinschaft. Er hat mit dem Schuljahrabschluss 2019/2020 einer NMS die allgemeine Schulpflicht gemäß § 3 Schulpflichtgesetzt beendet. Er beabsichtigt, eine Handelsschule zu besuchen, sein Berufswunsch ist Flugbegleiter zu werden. Er betreibt Sport (Fitnesscenter, Schwimmen, Radfahren) und konnte Freundschaften zu anderen Asylwerbern, Schulfreunden und Personen anderer Nationalitäten schließen. Er wird von Vertrauenspersonen, seinen Betreuern sowie den Lehrern als höflich, pflichtbewusst, sozial engagiert und bemüht beschrieben.

Er hat an diversen Integrationsmaßnahmen des ÖIF teilgenommen, lebt von der Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten. Er ist gesund.

Zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen:

Der Beschwerdeführer wurde weder direkt von den Taliban noch sein Vater aufgefordert, dass er mit den Taliban nach Pakistan mitgehen solle. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen noch angeworben. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban.

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat daher keiner konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit keine Gewalt oder Diskriminierung von erheblicher Intensität.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Aufenthaltes in Europa und als „verwestlicher Rückkehrer“ keine konkrete persönliche Verfolgung.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan und der Situation des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2). Schätzungen zufolge sind 40% der Einwohner Paschtunen, etwa 27-30 % Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können allerdings weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2) Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 16.2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2). Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19). Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Rekrutierung durch die Taliban: Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (LIB 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (LIB 2, Kapitel 4.1.1). Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen (LIB 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (LIB 2, Kapitel 5.1). Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können (LIB 2, Kapitel 3.3). Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (LIB 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (LIB 2, Kapitel 5.1). Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband „herauslösen“ (LIB 2, Kapitel 6).

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Daneben gibt es eine Kooperation mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Afghanistan im Rahmen des Programms „Assisted Voluntary Return and Reintegration“. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten und bei der Ankunft in Kabul sowie Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerbern Unterstützung nach der Ankunft im Land. In Kabul sowie im Umland sind Unterkünfte grundsätzlich verfügbar, die Mietkosten in der Stadt Kabul sind allerdings höher als in den Vororten oder in anderen Provinzen. Rückkehrer können nach ihrer Ankunft für bis zu zwei Wochen von IOM untergebracht werden.

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Die Situation der Kinder in Afghanistan hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben dennoch Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung – insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Teilweise fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. In von den Taliban kontrollierten Gegenden sind gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder – insbesondere Mädchen – ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen auch Lehrer an und setzen Schulen in Brand. Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Berichten zufolge arbeiten allerdings mindestens 15% der schulpflichtigen Kinder. Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen, daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Viele Kinder in Afghanistan sind unterernährt. Etwa 10% der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Im Jahr 2017 waren 30% aller zivilen Opfer Kinder. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden, Sprengfallen und zurückgelassene Kampfmittel. Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. Trotz einer internen Regel der Taliban, Kinder nicht zu rekrutieren, kommt es vorliegenden Informationen zufolge dennoch zur Rekrutierung und Indoktrinierung von Kindern. In Gebieten unter der Kontrolle des IS kommt es ebenfalls zu aktiver Rekrutierung von Kindern. In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018 wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers XXXX liegt im Norden Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai. Die Provinz hat 1.113.676 Einwohner (LIB, Kapitel 2.19). Die Sicherheitslage der Provinz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Einige Distrikte stehen weitgehend oder vollständig unter der Kontrolle der Taliban. In den vergangenen Monaten sind Zellen der Islamischen Staates in der nördlichen Provinz XXXX aufgetaucht. In XXXX kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Bei diesen werden unter anderem auch Aufständische getötet und Luftangriffe durchgeführt. Es kam auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften. Im Jahr 2019 gab es 492 zivile Opfer (141 Tote und 351 Verletzte) in der Provinz XXXX . Dies entspricht einer Steigerung von 46% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffen (LIB, Kapitel 2.19). In der Provinz XXXX reicht eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht aus, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer fällt nicht unter die Risikogruppe der Personen über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen. Ein bei einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.

2. Beweiswürdigung:

Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Heimatprovinz, seiner Muttersprache, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zu seinen Familienangehörigen gründen auf den gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahren.

Der im Spruch angeführte Name dient mangels Vorlage eines geeigneten Identitätsnachweises lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers und seinem schulischen Fortkommen in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren in Zusammenschau mit den im Verfahren vorgelegten Dokumenten, Bestätigungen bzw. Schulzeugnissen sowie den hiergerichtlich eingeholten Auszügen aus den Speicherdatenbanken (GVS, ZMR). Der Beschwerdeführer hat bereits vor der belangten Behörde mit zahlreichen Urkunden und Unterstützungsschreiben, aber auch im hiergerichtlichen Verfahren seine intensiven Integrationsbestrebungen und die fortgesetzte Integration in Österreich nachgewiesen.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich über Familienangehörige verfügt und mit seinem Bruder in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, seines gesetzlichen Vertreters, dem einvernommenen Zeugen im Beschwerdeverfahren und dem hier anhängigen Gerichtsakt seines Bruders.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft

Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens:

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer in der Erstbefragung und sodann in einer ausführlichen Einvernahme vor der belangten Behörde Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen, wie aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde ersichtlich. Die erkennende Richterin konnte zudem im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen und sich von der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens ein eigenes Bild machen, wobei der Beschwerdeführer auf die Richterin einen gefestigten, wenn auch zurückhaltenden, Eindruck machte, sein Leben mit der Hilfe seines Bruders und Betreuern und Freunden im Griff zu haben scheint und durchwegs bemüht war, alle Fragen zu beantworten und am Verfahren mitzuwirken.

Im Hinblick auf die nach wie vor bestehende Minderjährigkeit des Beschwerdeführers bedarf es zudem einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362).

Es ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. dazu auch UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4), dies aber vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer kaum eigene Angaben zu den Gründen zu seiner Flucht machen konnte und sich vielmehr auf die Erzählungen durch seine Verwandten berief. Aus diesem Grund wurde auch auf die Angaben seines Bruders im Behördenverfahren berücksichtigt. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter all diesen Gesichtspunkten zu würdigen.

Dem Beschwerdeführer ist es aber selbst unter Bedachtnahme auf dessen Minderjährigkeit nicht gelungen, eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung seiner Person vor seiner Ausreise und im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan glaubhaft zu machen.

Bereits in seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, Afghanistan verlassen zu haben, weil in Afghanistan Krieg herrsche, die Lage dort schlecht wäre und er mit seinem Bruder nach Österreich gereist sei und hier in die Schule gehen wolle (AS., 7). Mit diesem Vorbringen machte der Beschwerdeführer bei erster Gelegenheit zur Darlegung seiner Bewegründe für die Ausreise aus Afghanistan keine ihn konkret und persönlich treffende Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat geltend. Dabei wird nicht verkannt, dass sich die Angaben in der Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen haben (vgl. VfGH 20.02.2014, U 1919/2013 ua; 27.06.2012, U 98/12). Ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert.

Von einer allfälligen Rekrutierung seiner Person bzw. seines Bruders seitens der Taliban war jedenfalls keine Rede.

Vor der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, dass die Taliban seinen Vater aufgefordert hätten, ihn und seinen Bruder nach Pakistan zu schicken. Nachdem sein Vater dagegen gewesen sei, sei er von den Taliban zusammengeschlagen worden (Aktenseite 58). Es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Beschwerdeführer - sollte er tatsächlich ins Visier der Taliban zwecks Rekrutierung geraten und sein Vater misshandelt worden sein - derartiges nicht bereits bei erster Gelegenheit bei der Schilderung seiner Fluchtgründe angab, sondern erst eineinhalb Jahre später erstmals ins Treffen führte. Schon vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen zu den Fluchtgründen im Laufe des Asylverfahrens erkennbar gesteigert hat, entsteht der Eindruck, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte nachträglich mit erfundenen Details anzureichern versuchte, um so seine Chancen auf eine Asylgewährung zu erhöhen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

Der Eindruck, dass die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers frei erfunden ist, ergibt sich aber auch dadurch, dass sich seine Angaben zu seinen Fluchtgründen anlässlich seiner Einvernahme vor der belangten Behörde auf einige wenige knappe Stehsätze beschränkten und der Beschwerdeführer sich nicht in der Lage zeigte, detaillierter zu seinen Fluchtgründen zu berichten. Es entspricht der Erfahrung der erkennenden Richterin, dass Personen, die eine schwerwiegender Situation erlebt haben und fluchtartig das Heimatland verlassen mussten, über die fluchtauslösenden Umstände selbst im Detail aus eigenem zu berichten imstande sind und generell aus eigenem Antrieb umfassend über ihre Fluchtgründe erzählen. Die Tatsache, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich der behaupteten versuchten Rekrutierung seitens der Taliban auf einige wenige Sätze beschränkt, indiziert daher, dass seine Fluchtgründe lediglich auf einer erfundenen Rahmengeschichte basieren, deren Details er vor der belangten Behörde bzw. dem Bundesverwaltungsgericht nicht ad hoc darzulegen vermochte. Ferner fällt auf, dass der Beschwerdeführer keine eigenen Wahrnehmungen zur Vorgangsweise der Taliban im Zusammenhang mit Rekrutierungen dartun konnte, sondern sein Wissen aus Erzählungen bezieht.

Die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hat sich für das erkennende Gericht letztlich auch dadurch bestätigt, dass der Bruder des Beschwerdeführers im Rahmen seines Asylverfahrens angab, dass sein Vater infolge der Misshandlungen von seiner Mutter, dem Beschwerdeführer und seiner Schwester in eine Art örtliches Spital gebracht worden und dort ein bis zwei Tage verblieben sei. Diesen Umstand erwähnte der Beschwerdeführer mit keinem Wort. Es liegt auf der Hand, dass es sich bei einem derartigen Vorfall um zweifellos höchst dramatische und zwangsläufig entsprechend einprägsame Ereignisse im Leben auch des Beschwerdeführers gehandelt haben müsste. Nach menschlichem Ermessen wäre daher zu erwarten, dass der Beschwerdeführer diesen Umstand, wenn er sich tatsächlich so zugetragen hätte, auch vor der belangten Behörde sowie in der Beschwerdeverhandlung erwähnt hätte. Damit wird aber der mangelnde Wahrheitsgehalt der Fluchtgeschichte verdeutlicht. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer die allgemeine Fluchtbewegung 2015 genützt hat, um ein besseres Leben mit Schulbildung führen, zu können und um der „schlechten Lage“ - wie in der Erstbefragung angegeben - zu entkommen. Dass die Lage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers zweifellos angespannt ist, ergibt sich aus der Länderinformation, rechtfertigt aber nicht eine Flucht aus Asylgründen. Die Familie des Beschwerdeführers hätte auch in sichere und ruhigere Städte, wie Mazar-e Sharif oder Herat, wo auch es auch Schulen gibt, abwandern können.

Im Übrigen ist den Länderberichten zu entnehmen, dass es nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban kommt. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. „Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen". Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Vater des Beschwerdeführers nach nur einmaliger Begegnung mit den Taliban sofort Ausreisemaßnahmen für seine Söhne festlegte.

Insgesamt betrachtet gelang es dem Beschwerdeführer daher nicht, eine ihn betreffende asylrelevante Bedrohungssituation glaubhaft zu machen.

Dass dem Beschwerdeführer – wie erstmals in der Beschwerde vorgebracht – bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund seines Aufenthaltes in Europa bzw. der westlichen Welt eine persönliche Verfolgung droht, konnte dieser nicht plausibel darlegen. Der Beschwerdeführer behauptete zudem weder in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde noch in der Beschwerdeverhandlung, dass er "westliche" Verhaltensmuster angenommen bzw. örtliche Gewohnheiten oder Rituale abgelegt habe. Anhaltspunkte hierfür sind im gesamten Verfahren ebenfalls nicht hervorgekommen. Schulbesuche sind auch in Afghanistan zB in Mazar-e Sharif möglich und stellen keine „westliche“ Institution dar. Dazu ist insbesondere anzumerken, dass sich der Beschwerdeführer seit Juni 2016 in Österreich aufhält und in Zusammenhang mit dem von ihm in den Beschwerdeverhandlungen gewonnenen persönlichen Eindruck und des diesbezüglich unsubstantiierten Vorbringens nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer eine „westliche Lebenseinstellung“ in einer solchen Weise übernommen hätte, dass er alleine deshalb bei einer Rückkehr einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre. Er berichtet von keinerlei Verhaltensweisen, die ihn als Mann in Afghanistan in eine exponierende Stellung bringen würden. Eine freie, selbstständige Lebensführung stellt für Männer keinen substantiellen Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar. Der Beschwerdeführer hat weder vor dem Bundesamt, noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Verfolgungssituation oder Bedrohungshandlung aufgrund einer etwaigen westlichen Haltung vorgebracht.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, Stand 18.05.2020, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.

Ergänzend wurden insbesondere hinsichtlich der Feststellungen zur Wirtschafts- und Versorgungslage neben dem genannten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation auch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation „AFGHANISTAN Sozialleistufür Rückkehrer“ vom 01.02.2018 sowie der EASO Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ vom Juni 2018 herangezogen.

Die Feststellungen zur Situation von Kindern in Afghanistan beruhen auf dem bereits genannten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und dem EASO Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ vom Juni 2018.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte bzw. Folgeberichte des deutschen Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des European Asylum Support Office und des U.S. Department of State) versichert hat. Auch wenn in den vergangenen Monaten vermehrt Anschläge in der Stadt Kabul stattgefunden haben, so weisen diese keine solche Intensität auf, dass eine Rückkehr nach Kabul generell eine Verletzung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) darstellt, zumal ein großer Teil der zivilen Opfer auf einzelne „high-profile“ Angriffe zurückzuführen ist, die sich nicht in Wohngebieten, sondern insbesondere im Diplomaten- bzw. Regierungsviertel ereignet haben.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums – insbesondere in Bezug auf die COVID-19 Pandemie – für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen (s. jeweils mit einer Vielzahl weiterer Hinweise u.a.: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Neuartiges-Coronavirus-(2019-nCov).html, https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/, https://orf.at/corona/daten, https://www.bing.com/covid/local/afghanistan (abgefragt am 31.08.2020).

Der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers ist den im Rahmen der Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht konkret entgegengetreten.

Zu den Feststellungen betreffend die Fluchtgründe des Beschwerdeführers ist Folgendes auszuführen:

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A) I

Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wendet, ist sie nicht begründet:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

Wie oben ausgeführt, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine begründete Furcht vor Verfolgung darzutun. Eine Prüfung des Zusammenhanges der vorgebrachten Bedrohung mit einem Konventionsgrund erübrigt sich daher und kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer diesbezüglich asylrelevante Verfolgung in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Aus den Länderberichten geht ferner hervor, dass in Afghanistan Zwangsrekrutierungen von Kindern – sowohl seitens der Taliban als auch des IS in von ihnen beherrschten Gebieten möglich sind. Es wird auch von Zwangsrekrutierungen von Kindern bzw. Jugendlichen durch – insbesondere irreguläre – Teile der Regierungsstreitkräfte berichtet. Daraus, aus sonstigen Länderberichten (vgl. etwa LIP, Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban, vom 29.06.2017 (BFA Arbeitsübersetzung): „Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet.“) sowie aus dem notorischen Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes ist jedoch nicht abzuleiten, dass jedes Kind oder jeder Jugendliche bei einer Rückkehr – ohne Hinzutreten individueller, gefahrenerhöhender Umstände – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt wäre. Auch in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, auf die in der Beschwerde verwiesen wurde, wird im Zusammenhang mit Zwangsrekrutierung darauf hingewiesen, dass bei Minderjährigen, die in bestimmten Gebieten leben, je nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann. Von einer Gruppenverfolgung aller Kinder, die den genannten Kategorien unterfallen, ist demzufolge nicht auszugehen.

Dies gilt auch für eine sonstige kinderspezifische Gefährdung des Beschwerdeführers. Bei Kindern mit bestimmten Profilen oder Kindern, die unter bestimmten Bedingungen leben, kann nach den UNHCR-Richtlinien vom 19.04.2016 (vgl. auch UNHCR Eligibility Guidelines vom 30.08.2018) je nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen. Für das Vorliegen solcher Umstände sind gegenständlich allerdings keine konkreten Hinweise hervorgekommen und wurden vom Beschwerdeführer auch nicht substantiiert vorgebracht.

Der Behauptung des Beschwerdeführers, aufgrund seines Aufenthaltes in Europa bzw. der westlichen Welt einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, ist ebenfalls keine asylrelevante Verfolgungsgefahr zu entnehmen. Wie den Feststellungen und der korrespondierenden Beweiswürdigung zu entnehmen ist, konnte der Beschwerdeführer eine derartige europäische oder "westliche" Lebenseinstellung seiner Person, die zu einer Gefährdung führen könnte, nicht plausibel darlegen und ist es ihm damit nicht gelungen, eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung iSd GFK aufgrund seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa im Zusammenhang mit einer "westlichen Wertehaltung" darzulegen. Aus den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen ist zudem nicht ersichtlich, dass alleine eine westliche Geisteshaltung bei Männern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Insbesondere verneint der VwGH in seiner Judikatur auch eine Vergleichbarkeit solcher Sachverhalte mit seiner Judikatur zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen (vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329). Darüber hinaus ist auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" für Rückkehrer aus Europa – wie in der Beschwerde unter Verweis auf das UNHCR-Risikoprofil der als „verwestlicht wahrgenommenen Rückkehrer“ aufgeworfen und mit dem Vorbringen, diese Verwestlichung würde in Zukunft „allerorts“ im Herkunftsland künftige Verfolgungshandlungen provozieren, verbunden – vor dem Hintergrund der oben angeführten Länderfeststellungen für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar. So geht aus diesen zwar hervor, dass Rückkehrer Konflikten, Unsicherheiten und weitreichender Armut ausgesetzt sein können, es wird jedoch auch von 1.821.011 Personen berichtet die in den Jahren 2012-2017 zurückgekehrt sind, davon 41.803 Personen aus Europa und der Türkei.

Es ist dem Beschwerdeführer auch mit diesem Vorbringen nicht gelungen, eine wohlbegründete, aktuelle und damit asylrelevante Verfolgungsgefahr innerhalb des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK entsprechend glaubhaft zu machen.

Da sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.

Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.

Zu Spruchpunkt A) II.:

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 EMRK, Artikel 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß Artikel 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention beinhalten die Abschaffung der Todesstrafe.

§ 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, verwies auf § 57 Fremdengesetz, BGBl. I Nr. 75/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (im Folgenden: FrG) wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig ist, wenn dadurch Artikel 2 EMRK, Artikel 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtsh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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