TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W104 2162891-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W104 2162891-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX vom 31.5.2017, Zl. 1075750203-150761209, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.7.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 29.6.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, er sei am XXXX in der afghanischen Provinz Ghazni im Distrikt XXXX geboren, afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und hänge dem Islam an. Er sei ledig und habe keine Kinder. Sein Vater sei bereits vor vielen Jahren getötet worden, seine Mutter sei vor fünf Jahren verstorben. Seine Schwester lebe derzeit in Pakistan in der Stadt XXXX . Er habe Afghanistan im Alter von ungefähr einem Jahr verlassen und sei in Pakistan aufgewachsen. Zum Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, er sei mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Pakistan geflüchtet, nachdem sein Vater in Ghazni von den Taliban getötet worden sei. In Pakistan sei ihre finanzielle Lage schlecht gewesen. Nach Afghanistan könne der Beschwerdeführer nicht zurück, da er Schiit sei und die Taliban Hazara bekämpfen würden. Auch die Pakistani hätten keine Hazara gemocht. Der Mann seiner Schwester, der ebenfalls Hazara gewesen sei, sei von den pakistanischen Taliban getötet worden. Der Beschwerdeführer habe in ein sicheres Land gewollt und sei daher nach Österreich geflüchtet.

Mit Aktenvermerk vom 31.7.2015 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Asylverfahren des Beschwerdeführers gemäß § 24 Abs. 2 AsylG ein, da der Aufenthalt des Beschwerdeführers unbekannt sei und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen könne.

Im September 2015 teilte das Norwegian Directorate of Immigration dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, der Beschwerdeführer sei derzeit in Norwegen aufhältig und habe dort ebenfalls einen Asylantrag gestellt. Ein medizinisches Sachverständigengutachten habe ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht minderjährig, sondern spätestens im Jahr XXXX geboren sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl werde daher ersucht, die Zuständigkeit Österreichs zur Führung des Asylverfahrens betreffend den Beschwerdeführer im Sinn der Dublin-III-Verordnung anzuerkennen.

Am 25.2.2016 wurde der Beschwerdeführer über den Luftweg von Norwegen nach Österreich überstellt.

Am 19.8.2016 langte ein Konvolut an polizeilichen Unterlagen bei der belangten Behörde ein, wonach der Beschwerdeführer beschuldigt wird, am 1.8.2016 einen anderen Asylwerber im Zuge einer Auseinandersetzung in der Asylunterkunft am Körper verletzt zu haben.

Mit Schreiben vom 22.8.2016 verständigte das Landesgericht XXXX die belangte Behörde über eine erfolgte Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB. In einem wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Strafantrag übermittelt.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.12.2016 führte der Beschwerdeführer zunächst aus, er sei in Pakistan am Nachhauseweg von der Arbeit täglich von mehreren Männern sexuell missbraucht worden. Diese Vorfälle hätten sich über einen Zeitraum von ca. drei Jahren erstreckt. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, es habe ständig Bombenanschläge in XXXX gegeben. Als er als Schuhmacher gearbeitet habe, seien die Taliban in das Geschäft eingebrochen und hätten sechs Personen getötet. Der Beschwerdeführer sei nicht im Geschäft gewesen, da er in einem Hotel Tee geholt habe. Es seien Schüsse zu hören gewesen. Der Hotelmanager habe dem Beschwerdeführer geraten, im Hotel zu bleiben. Er habe Schreie gehört, wonach Schiiten unrein seien und getötet werden müssten. Auch die benachbarten Geschäfte seien von den Taliban gestürmt worden. Dabei hätten die Taliban weitere Menschen getötet. Nach diesem Vorfall habe sich der Beschwerdeführer eine andere Arbeit als Kellner gesucht. Zu Hause habe ihm seine Schwester mitgeteilt, dass die Taliban dagewesen seien und nach dem Beschwerdeführer gefragt hätten. Der Beschwerdeführer sei daher geflüchtet.

Am 24.2.2017 langte eine Benachrichtigung des Landesgerichtes XXXX von der Beendigung des Strafverfahrens samt freisprechendem Urteil vom 3.10.2016 bei der belangten Behörde ein.

Am 2.3.2017 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine medizinische Untersuchung durch einen Sachverständigen zur Abklärung des Missbrauchsvorbringens des Beschwerdeführers an. Die ärztliche Untersuchung ergab, dass beim Beschwerdeführer der Verdacht auf eine sexuell übertragene Krankheit bestehe. Darüber hinaus seien keine Hinweise aus sexuellen Missbrauch oder körperliche Gewalt feststellbar.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31.5.2017, zugestellt am 7.6.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen (gemeint: 14 Tagen) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgungshandlung oder ein Bedrohungsszenario in Afghanistan darlegen können. Hinsichtlich des Zeitpunkts seiner Ausreise und der Dauer seines Aufenthalts im Iran habe der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben gemacht, was die Unglaubwürdigkeit seiner Person unterstreiche. Hinsichtlich des behaupteten Missbrauchs in Pakistan habe das ärztliche Gutachten ergeben, dass keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch oder körperliche Gewalt feststellbar seien. Zudem habe der Beschwerdeführer angegeben, die Vorfälle hätten sich in Pakistan und nicht in seinem Heimatstaat Afghanistan ereignet. Insgesamt sei davon auszugehen, dass der Wunsch nach einer wirtschaftlichen und sozialen Besserstellung den Beschwerdeführer veranlasst habe, nach Europa zu reisen. Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers habe nicht festgestellt werden können. Es würden auch keine Gründe vorliegen, welche zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen könnten. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Kabul Fuß fassen und sich selbst versorgen könne.

Dagegen richtet sich die am 19.6.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Darin wird im Wesentlichen das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wiederholt und vorgebracht, die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit dem gesamten individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers sachgerecht auseinanderzusetzen und diesbezüglich ein adäquates Ermittlungsverfahren durchzuführen. Der angefochtene Bescheid leide daher an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel. Sollte dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz zugebilligt werden können, werde beantragt, dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, da ihm im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan eine reale Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK drohe. Insgesamt habe sich die belangte Behörde unzureichend mit den Angaben des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und eine nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung vorgenommen.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

Am 9.5.2018 informierte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht über die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Grundversorgung des Landes XXXX mit 25.4.2018.

Am 18.1.2019 reichte die belangte Behörde eine Überstellungsankündigung vom 11.1.2019 samt „Laissez-Passer for Transfer of Applicant“ vom 7.1.2019, ausgestellt vom Swedish Migration Board, nach. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in Schweden aufhalte und seine Überstellung nach Österreich am 24.1.2019 über den Luftweg geplant sei.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 5.4.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 23.5.2019 an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 11.4.2019 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls beantragt.

Am 26.4.2019 legte die bisherige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, der Verein Menschenrechte Österreich, die am 9.6.2017 erteilte Vollmacht nieder.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.5.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer nicht erschien. Die Verhandlung wurde um 9.10 Uhr abberaumt.

Auf Nachfrage durch das erkennende Gericht teilte die belangte Behörde mit E-Mail vom 24.5.2019 mit, dass der derzeitige Aufenthalt des Beschwerdeführers unbekannt sei. Die Überstellung des Beschwerdeführers von Schweden nach Österreich sei zuletzt für den 5.2.2019 geplant gewesen. Am 6.2.2019 sei das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von den schwedischen Behörden über das Untertauchen des Beschwerdeführers informiert worden. Es gebe derzeit keine Hinweise, dass sich der Beschwerdeführer im Bundesgebiet aufhalte.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.5.2019, W104 2162891-1/13E, wurde das Asylverfahren betreffend den Beschwerdeführer gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer habe das Bundesgebiet freiwillig verlassen und sei in Schweden untergetaucht. Da das Verfahren nicht nach § 25 Abs. 1 AsylG 2005 als gegenstandslos abzulegen sei, sei das Asylverfahren mit verfahrensleitendem Beschluss gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 einzustellen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem erkennenden Gericht am 28.11.2019 eine Überstellungsankündigung vom 28.11.2019 samt „Laissez-Passer for Transfer of Applicant“ vom 7.1.2019, ausgestellt vom Swedish Migration Board, wonach die Überstellung des Beschwerdeführers von Schweden nach Österreich am 3.12.2019 geplant sei.

Auf Nachfrage durch das erkennende Gericht teilte die belangte Behörde mit E-Mail vom 11.3.2020 mit, dass der Beschwerdeführer am 3.12.2019 planmäßig von Schweden nach Österreich überstellt worden sei.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 15.6.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 23.7.2019 (gemeint: 23.7.2020) an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schriftsatz vom 10.7.2020 informierte der Verein Menschenrechte Österreich das Bundesverwaltungsgericht über die weitere Vertretung im Beschwerdeverfahren. In einem wurden eine Vollmacht vom 9.7.2020 sowie ein Konvolut an Integrationsunterlagen und medizinischen Befunden vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer an Epilepsie leidet.

Am 10.7.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers, vertreten durch RA Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, beim erkennenden Gericht ein, mit der im Wesentlichen Berichte betreffend die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers, die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan, die Erkrankung des Beschwerdeführers und die Lage von Christen in Afghanistan vorgelegt werden. Insbesondere wird ausgeführt, der Beschwerdeführer sei weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Als Rückkehrer aus Europa begegne dem Beschwerdeführer Misstrauen. Er verfüge über kein Netzwerk in Afghanistan und werde daher unmittelbar nach seiner Ankunft mit dem Überleben kämpfen müssen. Zudem leide der Beschwerdeführer unter Epilepsie und werde aufgrund seiner Krankheit gesellschaftlich diskriminiert. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, die nötigen Medikamente selbst zu kaufen. Ohne die Einnahme von Medikamenten werde er jedoch viele Anfälle erleiden und dadurch zum Opfer von Übergriffen und Gewalt werden. Der Beschwerdeführer sei zudem sehr am Christentum interessiert, weshalb er nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch von Seiten der zivilen afghanischen Gesellschaft bedroht werde. Insgesamt sei dem Beschwerdeführer daher Asyl bzw. zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 22.7.2020 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls beantragt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am 23.7.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat insbesondere wegen seiner Konversion zum christlichen Glauben aufrecht. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Verhandlung Unterlagen zum Glauben des Beschwerdeführers vor, welche nach Durchsicht durch den erkennenden Richter an die Rechtsvertretung retourniert wurden.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Tazkiren;

?        Anzeigeprotokoll Nr. XXXX einer Polizeidienststelle in XXXX vom 9.4.2012;

?        Schreiben vom Vorsitzenden der „Hazara Democratic Party“, XXXX , vom XXXX (Referenznummer XXXX );

?        Schulbesuchsbestätigung der Bundeshandelsakademie & Bundeshandelsschule XXXX über Besuch der Übergangsstufe für Flüchtlinge im Schuljahr 2017/18 ab 6.11.2017 vom 6.11.2017;

?        Bestätigung der Volkshochschule XXXX über Besuch des Kurses „Deutsch für Asylwerbende – Alphabetisierung 2 – XXXX “ im Zeitraum 3.5.2016 bis 23.8.2016 vom 7.9.2016;

?        Bestätigung der Volkshochschule XXXX über Besuch des Kurses „Deutsch für Asylwerbende – A1/1“ ab 7.6.2017 vom 28.6.2017;

?        ÖSD Zertifikat A1 „bestanden“ vom 4.7.2017;

?        Bestätigung von XXXX betreffend den Besuch von Deutschstunden vom 25.11.2017;

?        Bestätigung des Deutschen Roten Kreuzes im Kreis XXXX über die Teilnahme an Deutschkursen im Zeitraum 9.5.2018 bis Oktober 2018 vom 10.10.2018;

?        Bestätigung des Deutschen Roten Kreuzes im Kreis XXXX über Teilnahme am Kurs „Deutsch, Sprach-Niveaustufe A1“ vom 10.10.2018;

?        Bestätigungsschreiben Pastoralbüro XXXX , Katholische Stadtpfarrei XXXX , über Besuch eines Taufvorbereitungskurses vom 24.7.2019;

?        Bestätigungsschreiben Pastoralbüro XXXX , Katholische Stadtpfarrei XXXX , über Besuch eines Taufvorbereitungskurses vom 19.12.2019;

?        Eidesstattliche Erklärung von XXXX , Pfarrer von XXXX , Erzdiözese XXXX , betreffend Übernahme des Beschwerdeführers als Taufbewerber vom 20.6.2020;

?        Bestätigung der XXXX betreffend Besuch des Taufwerberunterrichts seit Dezember 2019 vom 24.6.2020;

?        Bestätigungsschreiben des Pfarrers XXXX , Assistent und Sprecher des Erzbischofs für Flucht und Asyl (röm. kath. Pfarramt XXXX ), betreffend Teilnahme des Beschwerdeführers am Projekt „Armut teilen“ seit 26.6.2020;

?        Konvolut an medizinischen Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer (Diagnose: Epilepsie).

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl;

?        Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;

?        Einsichtnahme in folgende vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Berichte:

-        Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020;

-        European Asylum Support Office (EASO): Country Guidance: Afghanistan, June 2019; https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf

-        European Asylum Support Office (EASO): Country of Origin Information Report: Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017; https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports

-        European Asylum Support Office (EASO): Bericht Afghanistan Netzwerke (Übersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), Stand Jänner 2018;

https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports

-        Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 31.5.2018;

-        Ecoi.net – European Country of Origin Information Network: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke), 15.2.2013;

-        Landinfo, Informationszentrum für Herkunftsländer: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Arbeitsübersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staaten-dokumentation), 23.8.2017; https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf

?        Einsichtnahme in folgende Berichte und Informationen zur aktuell maßgeblichen Situation in Afghanistan aufgrund der COVID-19-Epidemie:

-        Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020;

-        Kurzinformation der Staatendokumentation zu COVID-19 Afghanistan, Stand 29.6.2020;

-        Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8.6.2020, Afghanistan;

?        Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.

2.       Feststellungen:

2.1.    Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Ghazni geboren. Er ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und wuchs als schiitischer Moslem auf. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, in der er über Lese- und Schreibkenntnisse verfügt. Weiter spricht der Beschwerdeführer etwas Englisch und bereits gut Deutsch. Er ist ledig und kinderlos.

Mit etwa zwei Jahren reiste der Beschwerdeführer nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter und seiner Schwester aus seinem Herkunftsstaat nach Pakistan aus. Dort übergab die Mutter des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer und seine Schwester seiner Tante mütterlicherseits. Der Beschwerdeführer wuchs in Pakistan, Region XXXX in der Stadt XXXX bei seiner Tante mütterlicherseits gemeinsam mit seiner Schwester in einer Mietwohnung auf. Er besuchte in XXXX die Schule bis zur sechsten Klasse, erhielt jedoch keine Ausbildung. Nach seinem Schulbesuch nahm der Beschwerdeführer in Pakistan Gelegenheitsarbeiten als Schäfer, Elektriker oder Schuhmacher wahr. Ungefähr im Juni 2012 verließ der Beschwerdeführer Pakistan und reiste in den Iran. Dort arbeitete er zwei Jahre in einem Steinbruch als Hilfsarbeiter, ehe er den Iran verließ und Richtung Europa reiste.

Der Vater des Beschwerdeführers verstarb, als der Beschwerdeführer ungefähr zwei Jahre alt war. Seine leibliche Mutter ließ den Beschwerdeführer und seine Schwester anschließend bei seiner Tante mütterlicherseits zurück. Die leibliche Mutter des Beschwerdeführers lebt derzeit in Schweden. Die Tante mütterlicherseits des Beschwerdeführers verstarb ungefähr im Jahr 2010 in Pakistan. Die Schwester des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in Pakistan in der Stadt XXXX in einem Miethaus. Sie ist verwitwet und muss ohne männliche Unterstützung für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen. Derzeit hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner Schwester. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür aufgekommen, dass die Schwester des Beschwerdeführers diesen im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützen könnte. Der Beschwerdeführer verfügt über keine – allenfalls auch entfernten – Verwandten in Afghanistan. Er hat in Afghanistan kein soziales Netzwerk.

Der Beschwerdeführer leidet seit seiner Kindheit an Epilepsie. Er wurde in Europa erstmals in Deutschland im August 2018 und am 24.9.2018 in der zentralen Notfall-Aufnahme der XXXX neurologisch ambulant vorstellig, da er zusammensackte und krampfte. Dabei zeigte sich, dass der Beschwerdeführer die empfohlenen Medikamente nicht eingenommen hat. Dem Beschwerdeführer wurde eine ideopathische Epilepsie diagnostiziert. Auch während seines Aufenthalts in Schweden traten beim Beschwerdeführer Anfälle auf und er befand sich im November 2019 in einer schwedischen Klinik in Behandlung. Am 24.12.2019 wurde der Beschwerdeführer erstmals mit der Rettung in die neurologische Notfallambulanz des Uniklinikums XXXX eingeliefert. Dort wurde ein Anfallsrezidiv bei anamnestischer Epilepsie diagnostiziert. Am 30.12.2019 wurde der Beschwerdeführer abermals krampfend aufgefunden und erhielt durch einen Notarzt 4 mg. Midazolam. Bei der Untersuchung zeigte sich beim Beschwerdeführer klinisch neurologisch kein fokales Defizit. Initial wurde der Beschwerdeführer mit Lamotrigin, Stesolid bei Anfallsgeschehen, Mirtazepin und Orfiril Long 300 mg 1-0-1 behandelt. Wegen Medikamentenincompliance wurde die Therapie auf Levetiracetam umgestellt. Dennoch zeigte sich beim Beschwerdeführer auch in weiterer Folge mangelnde Compliance bei der Einnahme der verordneten Medikamente. Am 7.2.2020 erlitt der Beschwerdeführer einen generalisierten tonisch klonischen Anfall mit Bewusstseinsstörung und unwillkürlichem Urinabgang. Er wurde mit der Rettung in Begleitung eines Notarztes in die neurologische Notfallambulanz des Uniklinikums XXXX eingeliefert und nach einer Überwachungszeit nach Hause entlassen. Am 15.3.2020 trat beim Beschwerdeführer ein generalisierter tonisch klonischer Anfall auf. Er wurde mit der Rettung in Begleitung eines Notarztes in die neurologische Notfallambulanz des Uniklinikums XXXX eingeliefert, wobei sich wiederum zeigte, dass die antiepileptische Medikation nicht regelmäßig eingenommen wurde. Bei nicht eingenommener antiepileptischer Medikation treten beim Beschwerdeführer Anfallsrezidive auf. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer am 5.5.2020 von seinen Betreuern in XXXX am Boden aufgefunden. Die Epilepsie des Beschwerdeführers wird medikamentös mit Levetiracetam 750 mg 1-0-1 und Orfiril Long 300 mg 1-0-1 behandelt, wobei der Beschwerdeführer mangelnde Compliance bei der Einnahme der Medikamente zeigt. Ohne die Einnahme der erforderlichen Medikamente treten regelmäßig Anfälle auf.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer stellte am 29.6.2015 seinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und hielt sich bis ungefähr Juli 2015 in Österreich auf, ehe er weiter nach Norwegen reiste und dort ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Am 25.2.2016 wurde der Beschwerdeführer von den norwegischen Behörden über den Luftweg nach Österreich überstellt. Nach seiner Überstellung nach Österreich lebte der Beschwerdeführer bis ungefähr Mai 2018 in Österreich, ehe er nach Deutschland reiste und sich dort bis Oktober 2018 aufhielt. Von Deutschland reiste der Beschwerdeführer weiter nach Schweden, stellte dort am 10.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz und tauchte schließlich im Februar 2019 unter, um einer Überstellung nach Österreich zu entgehen. Am 3.12.2019 wurde der Beschwerdeführer schließlich von den schwedischen Behörden über den Luftweg nach Österreich überstellt. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Er lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen. Im Juli 2017 legte er eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab und erwarb ein ÖSD-Sprachzertifikat A1. Anschließend besuchte er ab November 2017 im Schuljahr 2017/18 die Übergangsstufe für Asylwerber an der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Derzeit besucht der Beschwerdeführer einen Deutschkurs und bereitet sich auf eine Deutschprüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen vor. Während seines Aufenthalts in Deutschland kam der Beschwerdeführer mit dem christlichen Glauben in Berührung und besuchte einen Taufvorbereitungskurs. Seit Dezember 2019 besucht der Beschwerdeführer unregelmäßig den Taufwerberunterricht der XXXX und ist seit Jänner 2020 Taufbewerber der Pfarre XXXX . Seit 26.6.2020 arbeitet der Beschwerdeführer einmal wöchentlich beim Projekt „Armut teilen“ bei der Lebensmittelausgabe der Pfarre XXXX mit. Er möchte zukünftig eine Ausbildung zum Kellner oder Elektriker machen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. In seiner Freizeit nimmt der Beschwerdeführer am Sonntagsgottesdienst der Pfarre XXXX teil oder geht laufen.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

2.2.    Zu den Fluchtgründen und der Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde getötet, als der Beschwerdeführer ungefähr zwei Jahre alt war. Genaue Umstände zum Tod des Vaters sind nicht bekannt. Es handelte sich nicht um einen gezielten Anschlag auf die Person des Vaters des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffen bzw. Verfolgung durch die Taliban oder sonstige Akteure bis hin zu seiner Tötung, etwa aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters ausgesetzt wäre, ist nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer ist noch nicht aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten, interessiert sich jedoch seit seinem Aufenthalt in Deutschland von Mai 2018 bis Oktober 2018 für den christlichen katholischen Glauben. Seine Taufe ist für den 3.4.2021 geplant. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und der christliche Glauben wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan seinem Interesse für den christlichen Glauben weiter nachgehen bzw. nach dem christlichen Glauben leben oder sich öffentlich zum christlichen Glauben bekennen würde. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu Personen in Afghanistan. Das Interesse des Beschwerdeführers am christlichen Glauben ist daher niemandem in Afghanistan bekannt. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers von seinem in Österreich an den Tag gelegten Interesse am Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden. Dem Beschwerdeführer droht im Zusammenhang mit seinen religiösen Aktivitäten in Österreich, seiner behaupteten Konversion zum Christentum bzw. seinem Interesse für den christlichen Glauben oder aufgrund eines allenfalls unterstellten Glaubensabfalls bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine psychische oder physische Gewalt oder Verfolgung.

Dem Beschwerdeführer droht im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung wegen seiner Erkrankung (Epilepsie).

Dem Beschwerdeführer droht im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat auch keine Verfolgung oder Übergriffe wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Ebenso wenig drohen dem Beschwerdeführer als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Ghazni) zählt zu den volatilen, stark vom Konflikt betroffenen Provinzen Afghanistans. Aufständische sind in einigen Distrikten aktiv und versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Taliban und Sicherheitskräften. Militärische Operationen werden regelmäßig durchgeführt; es finden Luftangriffe statt. Die Taliban konnten seit 2001 an Einfluss gewinnen. Im November 2018 erfolgten Angriffe der Taliban in den Distrikten Jaghuri und Malistan. Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus Jaghuri und Malistan vertrieben.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Kabul verzeichnet eine hohe Anzahl ziviler Opfer. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch.

Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Aufständische sind in einigen abgelegenen Distrikten aktiv. Die Hauptstadt der Provinz – Herat (Stadt) – ist davon wenig betroffen und gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als sehr sicher. Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Die Provinzen Balkh und Herat waren von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Aufgrund der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) zwar vorhanden, jedoch beschränkt. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns wegen des Corona-Virus kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt zusätzlich eingeschränkt sein. Die Versorgungslage ist angespannt und der Zugang zum Arbeitsmarkt ist aufgrund der herrschenden COVID-19-Pandemie zusätzlich beschränkt.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) jedoch nicht möglich, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, so wie es auch seine Landsleute führen können. Der Beschwerdeführer leidet an Epilepsie; es kommt regelmäßig zu Anfällen. Der Beschwerdeführer hat keine abgeschlossene Ausbildung und verfügt lediglich über Arbeitserfahrung in Form von Gelegenheitsarbeiten. Aufgrund der COVID-19-Pandemie ist die Arbeitsmarktsituation äußerst angespannt, viele Tagelöhner finden keine bzw. nur unzureichende Arbeit. Der Beschwerdeführer verfügt über kein Vermögen und ist mittellos. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in Pakistan aufgewachsen ist und über kein Unterstützungsnetzwerk in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) verfügt, welches ihn allenfalls zu Beginn unterstützen könnte. Aufgrund seiner Erkrankung ist der Beschwerdeführer auf eine medikamentöse Behandlung angewiesen. Epilepsie wird in Afghanistan als psychische Erkrankung erachtet. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen findet in Afghanistan jedoch nicht in ausreichendem Maße statt und wäre nicht gesichert. Ohne adäquate Behandlung seiner Erkrankung würden jedoch regelmäßig Epilepsie-Anfälle beim Beschwerdeführer auftreten. Im Fall einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) liefe der Beschwerdeführer, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuell bestehenden COVID-19-Pandemie, Gefahr, mangels sozialer und familiärer Unterstützung sowie mangels ausreichender (leistbarer) Unterkunftsmöglichkeiten in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie seine medizinische Behandlung, Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Auch wäre die ärztliche Behandlung des Beschwerdeführers im Fall einer Infektion mit COVID-19 nicht gewährleistet.

2.3.    Zur Lage im Herkunftsstaat

2.3.1.  Staatendokumentation (Stand 18.5.2020, außer wenn anders angegeben):

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap. 1.

Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliba

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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