Entscheidungsdatum
09.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I411 2126464-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ägypten, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.09.2020 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten hat:
„Eine Aufenthaltsbewilligung besonderer Schutz wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.“
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer XXXX , ein ägyptischer Staatsangehöriger, reiste im März 2010 mit einem von der österreichischen Botschaft in Kairo ausgestellten Visum D in das österreichische Bundesgebiet ein.
2. Ihm wurde am 24.02.2011 vom Magistrat der Stadt XXXX , MA 35, eine Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ ausgestellt, die ein Mal bis zum 25.02.2013 verlängert wurde. Ein weiterer Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels vom 15.02.2013 wurde mit Bescheid der MA 35 vom 27.05.2013 zurückgewiesen.
3. Am 28.09.2013 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes damit begründete, dass sich die politische Situation in Ägypten sehr verschlechtert habe und ihm eine Rückkehr in die Heimat aufgrund der unsicheren und gefährlichen Lage nicht möglich sei. Er möchte das in Österreich begonnene Studium abschließen. Eine Verlängerung seines Aufenthaltstitels als Studierender sei daran gescheitert, dass er keinen Deutschkurs B2 absolviert habe.
4. Am 29.02.2016 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde). Hinsichtlich seiner Fluchtmotive brachte er zusammengefasst vor, dass er der Muslimbruderschaft angehöre und deswegen Ägypten verlassen müssen habe. Er sei öfters ohne Angabe von Gründen auf der Straße von Polizisten angehalten und befragt worden. Man wisse nie konkret, ob man verfolgt werde oder nicht. Wenn man Teil der Muslimbruderschaft sei, werde man grundlos umgebracht. Ein entfernter Verwandter sei wegen seiner Angehörigkeit zur Muslimbruderschaft getötet worden. Der Beschwerdeführer habe sich entschlossen, Ägypten zu verlassen, um weiter studieren zu können und weit weg von diesen Umständen zu leben.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.04.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III., erster Satz). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III., zweiter Satz) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei (Spruchpunkt III., dritter Satz). Weiters wurde eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens und damit, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in keine lebensbedrohliche Notlage geraten würde. Darüber hinaus läge ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Bundesgebiet nicht vor.
6. Mit Schriftsatz vom 04.05.2016 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und begründete dies im Wesentlichen mit einem mangelhaften Ermittlungsverfahren der belangten Behörde und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die angefochtene Entscheidung sei mit Willkür belastet.
7. Am 01.09.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und in Abwesenheit eines Vertreters der belangten Behörde eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Ägyptens und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 10 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG). Seine Identität steht fest.
Er ist volljährig, mit seiner in Ägypten lebenden Cousine traditionell verheiratet, kinderlos, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum islamischen Glauben.
Er reiste im März 2010 legal mit einem von der österreichischen Botschaft in Kairo am 04.03.2010 ausgestellten Visum D (Gültigkeit: 09.03.2010 bis 09.07.2010) in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither ununterbrochen in Österreich auf.
Von 24.02.2011 bis 25.02.2013 war er in Besitz einer Aufenthaltsbewilligung „Studierender“. Sein Verlängerungsantrag vom 15.02.2013 wurde mit Bescheid der MA 35 des Magistrats der Stadt XXXX vom 27.05.2013 zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 04.12.2013 wurde der Beschwerdeführer als außerordentlicher Studierender für die Bachelorstudien XXXX zugelassen. Gleichzeitig wurde vorgeschrieben, dass der Beschwerdeführer vor der Zulassung als ordentlicher Studierender eine Ergänzungsprüfung aus Deutsch, sowie Ergänzungsprüfungen aus Mathematik und Physik abzulegen habe. Mit Bescheid der Universität XXXX vom 16.03.2016 wurde er als außerordentlicher Student zum Masterstudium XXXX zugelassen. Vor der tatsächlichen Zulassung zum ordentlichen Studium wurde ihm die positive Ablegung der Ergänzungsprüfung Deutsch vorgeschrieben. Die vorgeschriebenen Ergänzungsprüfungen absolvierte der Beschwerdeführer nicht.
Am 28.09.2013 stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung und ist erwerbsfähig. Er war an einer mittlerweile ausgeheilten Hepatitis C erkrankt und stand aus diesem Grund von Oktober 2010 bis Dezember 2011 in ärztlicher Behandlung.
Er besuchte in Ägypten die Schule bis zur Universitätsreife und studierte dort im Anschluss Betriebswirtschaft. Er arbeitete bis zu seiner Ausreise als Buchhalter, wobei er laut eigenen Angaben für ägyptische Verhältnisse gut verdiente. Es ist davon auszugehen, dass er in seinem Heimatland in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten.
Die Eltern und vier volljährige Geschwister des Beschwerdeführers halten sich noch immer in Ägypten auf. Der Beschwerdeführer hat nach wie vor Kontakt zu seiner Familie und kann im Falle seiner Rückkehr auf ihre Unterstützung zählen.
In Österreich lebt eine Cousine des Beschwerdeführers, zu der jedoch kein Kontakt besteht. Der Beschwerdeführer hat keine weiteren Familienangehörigen oder Verwandten im Bundesgebiet.
Es konnten keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Er war lediglich während seiner Zeit als Studierender fallweise für wenige Monate als geringfügig beschäftigter Arbeiter tätig. Seit Februar 2013 geht er im Bundesgebiet keiner erlaubten Erwerbstätigkeit mehr nach. Seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen, liegen bereits längere Zeit zurück und er hat bisher keine Deutschprüfung positiv absolviert. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte er nur einfache Fragen auf Deutsch verstehen und war auf die anwesende Dolmetscherin angewiesen. Er ist in Österreich keiner ehrenamtlichen Beschäftigung nachgegangen, ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen integrationsbegründenden Organisation und hat auch keine engen sozialen Kontakte im Bundesgebiet.
Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser in Ägypten aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war oder sein wird.
Es haben sich im Verfahren insbesondere keine Anhaltspunkte in Bezug auf eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen Sympathien für die Moslembruderschaft ergeben. Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer der Moslembruderschaft angehört oder innerlich für diese eingestellt ist.
Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ägypten eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Ägypten:
Die wesentlichen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers lauten:
Politische Lage
2013 übernahm Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, damals Verteidigungsminister und Befehlshaber der Streitkräfte (FH 4.2.2019; GIZ 12.2018), die Macht durch einen Putsch und stürzte den gewählten Präsidenten Mohamed Morsi von der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbrüder (FJP) (FH 4.2.2019). Al-Sisi war seit 12.8.2012 Minister für Verteidigung und Militärproduktion unter Ministerpräsident Hesham Qandil in der Regierung von Mohamed Mursi (GIZ 12.2018). Seit dem 8.6.2014 ist Abdel Fattah Al-Sisi, Präsident Ägyptens. Der Verfassung zufolge ist eine Kandidatur nur einem Zivilisten erlaubt. Al-Sisi musste aus dem Militärdienst austreten, um bei den Wahlen antreten zu können (GIZ 12.2018).
Am 17.6.2019 brach der ehemalige, erste frei gewählte Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, in einer Gerichtsverhandlung zusammen und starb später in einem Krankenhaus. Offizielle Todesursache ist Herzversagen (BAMF 24.6.2019).
Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt (FH 4.2.2019). Bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 gewann Präsident Abdel Fattah Al-Sisi mit 97% der gültigen Stimmen eine zweite Amtszeit (AA 24.6.2019a; vgl. AI 26.2.2019; FH 4.2.2019) und setzte sich deutlich gegen den einzig verbliebenen Gegenkandidaten Mousa Mostafa Mousa durch (AA 24.6.2019a).
Die Wahlen waren durch Unterdrückung und Überwachungsbemühungen der Regierung beeinträchtigt, und die Amtszeit von Präsident Sisi ist von einem harten Vorgehen gegen abweichende Stimmen geprägt (TI 23.2.2019). Die Präsidentschaftswahl 2018 bot den Wählern keine echte demokratische Wahl und wurde unter anderem durch Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt (FH 4.2.2019). Vor der Abstimmung wurden lautstarke Oppositionelle inhaftiert und zum Schweigen gebracht (FH 4.2.2019). Die übrigen Kandidaten wurden im Vorfeld verhaftet oder zogen ihre Kandidatur zurück (AA 24.6.2019a). Legitime Oppositionskandidaten wurden unter Druck gesetzt, sich noch vor dem Wahlkampf zurückzuziehen. Schließlich stand Al- Sisi einem anerkannten Herausforderer gegenüber, Mousa Mostafa Mousa, dem Vorsitzenden der Oppositionspartei Al-Ghad. Mousa warb für Al-Sisi, bevor er selbst ins Rennen ging (FH 4.2.2019).
Kritische Äußerungen über Ägypten und politische Kommentare, auch in den sozialen Medien, können unter anderem als strafbare Beleidigung und Diffamierung Ägyptens oder des Staatspräsidenten bzw. als strafbares "Verbreiten falscher Gerüchte" angesehen werden und eine Strafverfolgung nach sich ziehen (AA 1.7.2019). Bereits im Jänner 2018 verstärkten die Behörden das Vorgehen gegen Dissens und verhafteten willkürlich mindestens 113 Personen, nur weil sie friedlich ihre Meinung äußerten. Unter den Verhafteten befanden sich viele hochrangige Politiker, die den Präsidenten öffentlich kritisiert oder bei den Präsidentschaftswahlen gegen ihn kandidiert hatten. Sami Anan, der ehemalige Stabschef des Militärs, wurde im Jänner 2018 verhaftet, nachdem er seine Kandidatur angekündigt hatte. Abdelmonim Aboulfotoh, Gründer der Misr Al- Qawia-Partei, wurde im Feber 2018 in Bezug auf von ihm gegebene Medieninterviews verhaftet. Im April 2018 verurteilte ein Militärgericht Hisham Genina, den ehemaligen obersten Wirtschaftsprüfer Ägyptens, zu fünf Jahren Gefängnis, nachdem er den Präsidenten in einem Medieninterview kritisiert hatte. Im Oktober 2018 bestätigte ein Gericht eine Bewährungsstrafe von drei Monaten wegen "öffentlicher Unsittlichkeit" gegen den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Khalid Ali und disqualifizierte ihn damit erneut von der Kandidatur (AI 26.2.2019).
Die Wahl wurde durch eine geringe Wahlbeteiligung, die Nutzung staatlicher Ressourcen und Medien zur Unterstützung der Kandidatur von Al-Sisi, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt. Die Wahlkommission drohte Nichtwählern mit Geldstrafen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen (FH 4.2.2019).
Im Feber 2019 verabschiedeten Parlamentarier in Ägypten eine Reihe von Verfassungsänderungen, welche die Macht des Präsidenten konsolidieren und gleichzeitig das Militär als die ultimative Autorität des Landes wiederherstellen soll (TI 23.2.2019). Die im April 2019 in Kraft getretenen Verfassungsänderungen eröffneten mit einer Spezialklausel dem Staatspräsidenten die Möglichkeit, über die gegenwärtig festgelegten zwei Amtsperioden hinaus bis 2030 im Amt zu bleiben. Zudem sehen diese Verfassungsänderungen erhebliche Eingriffe in die Gewaltenteilung und eine weitere Stärkung der Kontrolle des Militärs über das zivile Leben vor (AA 24.6.2019a). Die vorgeschlagenen Änderungen würden die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern. Präsident Sisi sollte im Jahr 2022 zurücktreten (TI 23.2.2019).
Seit Amtsantritt setzt Präsident Al-Sisi den Schwerpunkt auf Reformen im Wirtschaftsbereich, um Ägypten aus der Krise zu führen (ÖB 1.2019). Arbeitsschwerpunkte der ägyptischen Regierung unter Ministerpräsident Mustafa Madbouly bleiben Stabilitätserhalt und Wirtschaftsförderung. Mit der "Egypt Vision 2030" legte die ägyptische Regierung einen ambitionierten Entwicklungsplan vor, der sich auch an den internationalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) orientiert (AA 24.6.2019a). Nach Zuspitzung der Wirtschaftskrise (u.a. akuter Devisenmangel) wurden im Herbst 2016 im Rahmen eines vom IWF gestützten Reformprogramms der ägyptischen Regierung die Wechselkurse freigegeben und schrittweise Subventionskürzungen (Strom, Treibstoff) vorgenommen. Das Reformprogramm zeigt mittlerweile deutliche Erfolge und Verbesserungen bei den wirtschaftlichen Eckdaten, birgt aber auch weiterhin die Gefahr sozioökonomisch bedingter Unruhen, da Maßnahmen kurz- bis mittelfristig eine starke Belastung für die Bevölkerung darstellen (starker Anstieg der Inflation und Verlust von Arbeitsplätzen) (ÖB 1.2019). Durch die Preiserhöhung kam es sporadisch zu kleinen Protesten, die von der Polizei unterdrückt wurden. Die Polizei reagierte mit Härte auf die friedlich gegen Sparmaßnahmen protestierenden Demonstranten (AI 26.2.2019).
Ein neues Gesetz, das im Juli 2018 verabschiedet wurde, erlaubt es dem Präsidenten, hochrangige Führer der Streitkräfte zu benennen, die er für begangene Vergehen vor Strafverfolgung schützen will. Der Zeitraum umfasst den 14.8.2013, als die Sicherheitskräfte und die Armee während der Auflösung der Sitzblockaden (Sit-ins) von Rabaa al-Adawiya und Nahda an einem einzigen Tag bis zu 1.000 Menschen töteten (AI 26.2.2019). Die vorgeschlagenen Änderungen würden auch die Rechtsstaatlichkeit und die Aufsicht über die Exekutive untergraben. Das Militär würde "Hüter des Staates" werden. Die Änderungen würden auch zur Auflösung der Nationalen Medienbehörde führen (TI 23.2.2019).
Sicherheitslage
Die terroristische Bedrohung ist auf ägyptischem Gebiet chronisch (FD 1.7.2019b). Es besteht landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge. Diese richten sich meist gegen ägyptische Sicherheitsbehörden, vereinzelt aber auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger (AA 1.7.2019; vgl. FD 1.7.2019a).
Das Risiko besteht auch bei politischen Kundgebungen, Demonstrationen und religiösen Veranstaltungen in Ballungsräumen. Insbesondere bei christlich-orthodoxen Feiertagen ist in der Umgebung von christlichen Einrichtungen erhöhte Vorsicht geboten (BMEIA 1.7.2019). Nach der Zündung eines Sprengkörpers am 19.5.2019 in Gizeh wird empfohlen wachsam zu sein und stark frequentierte Bereiche zu meiden (FD 1.7.2019a). In den letzten Jahren wurden mehrere Terroranschläge verübt. Nach einer Reihe von Anschlägen wurde im April 2017 für drei Monate der landesweite Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wird seitdem regelmäßig alle drei Monate verlängert (AA 1.7.2019; AI 26.2.2019; vgl. FD 1.7.2019). Die Maßnahme geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher. Es kommt vor allem nachts zu verstärkten Kontrollen durch Sicherheitskräfte (AA 1.7.2019). Zu Demonstrationen kommt es seit der Wahl von Staatspräsident Al-Sisi im Mai 2014 kaum noch (AA 1.7.2019).
Es kam auch zu einem erneuten religiös motivierten Angriff, auf einen koptischen Pilgerbus in Minya, bei dem 29 Menschen getötet wurden (FD 1.7.2019). Seit 2016 ist es wiederholt zu Anschlägen auf koptische Christen und koptische Kirchen gekommen. Dabei gab es zahlreiche Tote und Verletzte (AA 1.7.2019). Am 28.12.2018 wurden bei der Aktivierung eines Sprengsatzes in der Nähe der Pyramiden von Gizeh vier Menschen getötet. Am 15.2.2019 versuchten die Sicherheitskräfte, drei in Kairo gefundene Sprengsätze zu entschärfen, von denen einer explodierte. Am 18.2.2019 tötete eine Person mit einem Sprengstoffgürtel drei Menschen (FD 1.7.2019b).
Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird gewarnt (AA 1.7.2019). Am 9.2.2019 begann die ägyptische Armee ihre umfassende Operation "Sinai 2018" gegen militante Islamisten auf der Sinai Halbinsel (AA 24.6.2019a; AI 26.2.2019). Es kam zu Angriffen auf Touristen am Strand und in Hotels. Ein besonders schwerer terroristischer Anschlag nach dem Freitagsgebet in einer Moschee im November 2017 im Dorf Bir el Abed im Nord-Sinai forderte mehr als 300 Menschenleben (AA 1.7.2019; vgl. AA 24.6.2019a; FD 1.7.2019b) und zahlreiche weitere verletzt (AA 1.7.2019). Bereits im August 2013 wurde im Gouvernorat Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt und seitdem immer wieder verlängert. Es gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre (AA 1.7.2019). Bereits Im April 2017 wurden in Folge von Anschlägen auf zwei Kirchen in Alexandria und Tanta 45 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" hat sich zu den Anschlägen bekannt. Staatspräsident Al-Sisi verhängte einen Tag später den Ausnahmezustand, der seitdem alle drei Monate verlängert wurde. Die Politik der Härte und des permanenten Ausnahmezustands hat die Terrorgefahr jedoch nicht beseitigen können (AA 24.6.2019a). Das Österreichische Außenministerium ruft für den Nordsinai ein partielles Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 5) aus wie auch für die Saharagebiete an den Grenzen zu Libyen (einschließlich Mittelmeergebiet) und zum Sudan (BMEIA 1.7.2019). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) besteht in den restlichen Gebieten der Sinai-Halbinsel, inklusive der Ostküste im Bereich von Nuweiba bis Taba sowie auch für das Innere des Südsinai (BMEIA 1.7.2019). Es kommt auch weiterhin zu terroristischen Anschlägen, zuletzt am 2.11.2018 in der ägyptischen Provinz Minya, wo sieben koptische Pilger starben, und am 28.12.2018 sowie am 19.5.2019 in der Nähe der Pyramiden von Gizeh, wo ausländische Touristen zu Tode kamen oder verletzt wurden (AA 24.6.2019a). Am 24.6.2019 kam es auf dem Sinai zu einem Gefecht zwischen der Armee und Kämpfern des Islamischen Staates (IS). Laut Auskunft des Innenministeriums seien dabei sieben Polizisten und vier Kämpfer des IS getötet worden (BAMF 1.7.2019).
Vor Reisen in entlegene Gebiete der Sahara einschließlich der Grenzgebiete zu Libyen und Sudan wird gewarnt (AA 1.7.2019). Die ägyptischen Behörden haben die Grenzregionen zu Libyen und zum Sudan zu Sperrgebieten erklärt (AA 1.7.2019). Minenfelder sind häufig unzureichend gekennzeichnet, insbesondere auf dem Sinai, in einigen nicht erschlossenen Küstenbereichen des Roten Meeres, am nicht erschlossenen Mittelmeerküstenstreifen westlich von El Alamein und in Grenzregionen zu Sudan und Libyen (AA 1.7.2019).
Die Kriminalitätsrate ist in Ägypten vergleichsweise niedrig. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und auch vereinzelte Übergriffe speziell auf Frauen haben etwas zugenommen (AA 1.7.2019).
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik. (AA 22.2.2019).
Die Todesstrafe wird verhängt und gegenwärtig auch vollstreckt. Zu diskriminierender Strafverfolgung oder Strafzumessung aufgrund bestimmter Merkmale liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. In diesem Bereich macht sich häufig der Druck der öffentlichen Meinung bemerkbar. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Vor dem Hintergrund allgemein harter und häufig menschenrechtswidriger Haftbedingungen gibt es Hinweise, dass insbesondere junge und unbekannte politische Straftäter besonders harten Haftbedingungen ausgesetzt sind. Amnestien werden wiederholt angekündigt und auch umgesetzt. Anlässlich ägyptischer Feiertage werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Im November 2016 kam es jedoch zur Amnestierung von über 100 Studenten und Journalisten, die wegen Teilnahme an Demonstrationen oder wegen ihrer Berichterstattung festgenommen wurden (AA 22.2.2019).
Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Andersdenkende inhaftieren zu können und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und Mitarbeiter ein. Die Behörden verwendeten Einzelhaft, Folter und andere Misshandlungen und ließen weiterhin Hunderter von Menschen ungestraft verschwinden. Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen wurden nicht untersucht. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten zahlreiche Menschen zum Tode (AI 26.2.2019; vgl. AI 23.5.2018). Sie hatten im August 2013 an Massenprotesten vor der al-Fateh-Moschee teilgenommen. Das Verfahren gegen die insgesamt 494 Angeklagten war grob unfair. Gerichte verließen sich bei der Urteilsfindung maßgeblich auf Berichte des nationalen Geheimdienstes und ließen Beweise zu, die nicht stichhaltig waren, darunter auch unter Folter erpresste "Geständnisse". Zivilpersonen mussten nach wie vor mit unfairen Gerichtsverfahren vor Militärgerichten rechnen. Mindestens 384 Zivilpersonen wurde 2017 vor Militärgerichten der Prozess gemacht (AI 23.5.2018).
Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Die Gerichte handelten in der Regel unabhängig, obwohl es einzelnen Gerichten manchmal an Unparteilichkeit fehlte und diese zu politisch motivierten Ergebnissen gelangten. Die Regierung respektierte in der Regel Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus, und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 13.3.2019).
Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 12.2018).
Sicherheitsbehörden
Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei (USDOS 13.3.2019).
Lang andauernde Haft ohne Anklage ist auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden weit verbreitet. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019). In den meisten Fällen hat die Regierung Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, die zu einem Umfeld der Straflosigkeit beitragen, nicht umfassend untersucht. Die Regierung verfügt nicht über wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch. Die offizielle Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019).
Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 22.2.2019).
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung besagt, dass keine Folter, Einschüchterung, Nötigung oder körperlicher oder moralischer Schaden einer Person zugefügt werden darf, die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben. Das Strafgesetzbuch verbietet die Folter, um ein Geständnis von einem festgenommenen oder inhaftierten Verdächtigen zu erlangen, berücksichtigt aber nicht den psychischen oder psychologischen Missbrauch (USDOS 13.3.2019).
Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Polizeigewahrsam sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen werden (AA 22.2.2019; USDOS 13.3.2019). Die Praxis der Folter ist nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt, auch wenn politische Aktivisten besonders gefährdet sind. Folter wird als Mittel zur Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt (AA 22.2.2019). Regierungsbeamte leugneten, dass die Anwendung von Folter systematisch sei. Laut Human Rights Watch (HRW) und lokalen NGOs war Folter am häufigsten auf Polizeistationen und anderen Inhaftierungsorten des Innenministeriums zu finden (USDOS 13.3.2019).
Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Willkürliche Festnahmen und erzwungenes Verschwindenlassen. Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Benachrichtigung von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019).
Gefangene in Gewahrsam der Sicherheitskräfte wurden verprügelt und anderweitig misshandelt. Verhörbedienstete des nationalen Geheimdienstes folterten und misshandelten zahlreiche Personen, die Opfer des Verschwindenlassens geworden waren, um "Geständnisse" zu erpressen, die später vor Gericht als Beweismittel verwendet wurden. Das Ausmaß der Menschenrechtskrise in Ägypten hat sich erweitert. Die Behörden setzten weiterhin Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten ein (AI 26.2.2019).
Seitdem Präsident Abdel Fattah Al-Sisi im März 2018 eine zweite Amtszeit in einer weitgehend unfreien und unfairen Präsidentschaftswahl gewonnen hat, haben seine Sicherheitskräfte eine Kampagne der Einschüchterung, Gewalt und Verhaftungen gegen politische Gegner, Aktivisten der Zivilgesellschaft und viele andere geführt, die lediglich leichte Kritik an der Regierung geäußert haben (HRW 17.1.2019).
Die Kampagne Stop Enforced Disappearance hat von Juli 2013 bis August 2018 1.530 Fälle dokumentiert. Mindestens 230 davon ereigneten sich zwischen August 2017 und August 2018. Der Aufenthaltsort von mindestens 32 der im Jahr 2018 verschwundenen Personen blieb bis August 2018 unbekannt (HRW 17.1.2019).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend (AA 24.6.2019a). Die im Januar 2014 angenommene Verfassung enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Viele dieser Grundrechte stehen jedoch unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. In der Praxis werden diese Rechte immer weiter eingeschränkt, vor allem bürgerlich-politische Rechte. Allerdings hat Ägypten den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 22.2.2018).
Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 12.2018).
Das Ausmaß der ägyptischen Menschenrechtskrise weitete sich aus, da die Behörden Gegner, Kritiker, Satiriker, aktuelle und ehemalige Menschenrechts- und Arbeitsrechtsaktivisten, Journalisten, Präsidentschaftskandidaten und Überlebende sexueller Belästigung verhafteten. Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Gegner zu inhaftieren, und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Mitarbeiter ein. Die Behörden wandten Einzelhaft, Folter und weitere Arten von Misshandlungen an und ließen Hunderte von Menschen ungestraft verschwinden. Untersuchungen von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen wurden unterlassen. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten Hunderte von Menschen zum Tode. Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung verhaftet. Die Behörden hinderten Christen daran, ihren Glauben frei auszuüben, und verabsäumten es, die Verantwortlichen für sektiererische Gewalt zur Verantwortung zu ziehen. Die Streitkräfte setzten bei einer laufenden Militäroperation im Sinai verbotene Streubomben ein (AI 26.2.2019).
Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 13.3.2019).
Weiters gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen auch mit Todesfolge in Haftanstalten der Staatssicherheit und Polizeistationen. Die Todesstrafe kommt unter Staatspräsident Al-Sisi wieder verstärkt zur Anwendung und wird seit Dezember 2017 auch vermehrt vollstreckt. Im Namen der Terrorismusbekämpfung und Sicherung der Stabilität geht die staatliche Repression mit erheblichen Verletzungen grundlegender Menschenrechte einher. (AA 24.6.2019a).
Opposition
Rechtlich gesehen ist die Bildung politischer Parteien erlaubt und diese dürfen auch operieren; In der Praxis gibt es keine politischen Parteien, die der herrschenden Partei Widerstand bietet. Die Bedingungen für Oppositionsparteien haben sich 2018 verschlechtert, insbesondere mit den Präsidentschaftswahlen. Vielen zogen sich wegen des Drucks vonseiten der Regierung zurück, weitere prominente Oppositionskandidaten wurden verhaftet oder festgehalten. Verhaftungen, harte Haftstrafen, Todesurteile, außergerichtliche Gewalt und verschieden Formen von Druck auf Aktivisten, Parteien und politische Bewegungen, die die Regierung kritisieren, waren 2018 üblich (FH 4.2.2019). Die Betätigungsmöglichkeiten der politischen Opposition sind sehr eingeschränkt. Die Regierung geht gegen die Opposition repressiv vor. In einem politischen Klima, in dem die gegenwärtige Politik unter Staatspräsident Al-Sisi als nationaler Überlebenskampf gegen Terrorismus und fremde Einflüsse stilisiert wird, steht oppositionelle Betätigung unter dem Generalverdacht der Staatsfeindlichkeit. Kritik am Präsidenten wird zunehmend strafrechtlich geahndet. Die oppositionelle Muslimbruderschaft, die im Volk nach wie vor über eine eigene Anhängerschaft verfügt, ist als Terrororganisation klassifiziert und verboten. Ein Großteil der Führungskader befindet sich in Haft oder im Exil. Auch liberale Aktivisten sind Ziel von Verfolgungsmaßnahmen und einem harten, oft willkürlichen Vorgehen seitens der Sicherheitsbehörden (AA 22.2 2019). Zyad Elelaimy, führendes Mitglied einer sozialdemokratischen Oppositionspartei, wurde am 24.6.2019 zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern der Partei unter dem Vorwurf verhaftet, einen von den Muslimbrüdern finanzierten Plan zur Durchführung von Terrorakten vorangetrieben zu haben. Die Partei wies die Anschuldigungen als absurd zurück. Beobachter vermuten, dass die Partei und die Parteienkoalition, der sie angehört, an der Vorbereitung für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr gehindert werden sollen (BAMF 1.7.2019). Die in Ägypten verbotene Muslimbruderschaft ist exilpolitisch aktiv und operiert vorwiegend von Büros in London und Istanbul aus. Von repressiven Maßnahmen gegen zurückgekehrte Aktivisten ist, angesichts der allgemeinen Repression gegen Angehörige der Organisation im Land, bei Führungskadern auszugehen. Prominente regimekritische Aktivisten müssen mit Ausreisesperren, Inhaftierung und Strafverfolgung rechnen. Vermutete politische Aktivitäten im Ausland können selbst bei nur kurzen Aufenthalten (z. B. zur Teilnahme an Seminaren) zu längeren Befragungen durch die Sicherheitsbehörden nach Rückkehr führen (AA 22.2.2019).
Haftbedingungen
Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten bleiben hart und potenziell lebensbedrohlich (USDOS 13.3.2019) und entsprechen nicht internationalen Standards. Haftanstalten sind gegenwärtig überfüllt. Folter und Misshandlungen sowie Todesfälle in Haft sind verbreitet. Zwangsarbeit kann in Verbindung mit Haftstrafen als Teil der Strafe verhängt werden, ausdrücklich auch in Form von schwerer körperlicher Arbeit ("hard labour") (AA 22.2.2019).
Es gab Fälle von zu Tode gefolterten Personen und andere Vorwürfe von Morden in Gefängnissen und Haftanstalten. Die Regierung hat in einigen Fällen Täter angeklagt, verfolgt und verurteilt (USDOS 13.3.2019).
Folter und andere Misshandlungen blieben in den offiziellen Hafteinrichtungen an der Tagesordnung und werden systematisch in den Haftzentren des nationalen Geheimdienstes praktiziert. Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, werden mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft bestraft. Im Februar 2017 änderte das Innenministerium die Gefängnisbestimmungen dahingehend, dass die Dauer der Einzelhaft auf bis zu sechs Monate verlängert werden kann. Andere Formen von Misshandlungen und mangelnde medizinische Versorgung bleiben in Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung (AI 23.5.2019; AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In einigen Fällen hielten Gefängnisbehörden Gefangene in kleinen Zellen fest, denen es an angemessener Beleuchtung, Belüftung oder Betten fehlte, oder Überbelegung aufwiesen (AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Mangel herrscht auch an ausreichender Nahrung. In einem Fall hielten die Behörden ein zwölfjähriges Kind mehr als sechs Monate lang in Einzelhaft (AI 26.2.2019). Zahlreiche Inhaftierte starben, weil die Gefängnisbehörden sich weigerten, sie zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus zu verlegen (AI 23.5.2019; vgl. AI 26.2.2019). Im September 2017 starb der ehemalige Anführer der Muslimbruderschaft Mohamed Mahdi Akef im Gefängnis an Bauchspeicheldrüsenkrebs (AI 23.5.2018).
Mursi litt seit langem an Diabetes und Hepatopathie und wurde nach Angaben seines Sohnes nicht adäquat behandelt. Dies wurde auch von britischen Parlamentsabgeordneten bestätigt, die ihn im Jahre 2018 besuchten. Mursi befand sich seit Jahren in Einzelhaft und war bereits 2018 auf einem Auge erblindet. Die wenigen Berichte über seine Haftbedingungen sprechen von nicht ausreichender und teilweise verdorbener Nahrung sowie dem Fehlen eines Bettes. Tod in Haft, vermutlich aufgrund unmenschlicher Haftbedingungen, ist kein seltenes Ereignis (BAMF 24.6.2019).
Das Strafgesetzbuch sieht einen angemessenen Zugang zu den Gefangenen vor. Nach Angaben von NGO-Beobachtern und Verwandten verhinderte die Regierung manchmal den Zugang von Besuchern zu Gefangenen (USDOS 13.3.2019).
Todesstrafe
Das ägyptische Strafrecht sieht die Möglichkeit, die Todesstrafe zu verhängen. Die Verhängung, Aufrechterhaltung und Durchführung der Todesstrafe haben in Ägypten seit 2017 deutlich zugenommen. Im Juni 2014 wurde nach einem seit 2011 bestehenden de-facto Moratorium die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufgenommen.
Öffentlichkeitswirksam wurden zahlreiche Führungskader der Muslimbrüder erstinstanzlich zum Tode verurteilt. Die Verfahren entsprachen nicht rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern sind das Instrument einer politisierten Justiz, sich an der staatlichen Repression gegen die Muslimbrüder zu beteiligen und diese unter zusätzlichen Druck zu setzen. Auch bei schweren Verbrechen ohne politischen Hintergrund wird die Todesstrafe verhängt (AA 22.2.2019). Ägypten lag 2017 mit der höchsten Zahl an Hinrichtungen an sechster Stelle und lag an dritter Stelle mit der Zahl an Todesurteilen weltweit. Allein im September 2018 verhängte ein Strafgericht in Kairo in einem Massenprozess 75 Todesurteil (HRW 17.1.2019). Seit Dezember 2017 ist die Zahl der Hinrichtungen drastisch gestiegen. Die Zivilgesellschaft geht 2018 von mindestens 612 erstinstanzlichen Todesurteilen und 38 Hinrichtungen aus. In der ägyptischen Gesellschaft besteht breite Zustimmung zur Verhängung der Todesstrafe (AA 22.2.2019). Zwischen Dezember 2017 und März 2018 hat das Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS) die Hinrichtung von 39 Personen dokumentiert, die meisten davon Zivilisten, die von Militärgerichten verurteilt wurden (HRW 17.1.2019).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Zudem darf laut Verfassung kein Bürger daran gehindert werden, das Staatsgebiet zu verlassen. Dennoch dürfen Männer, die den Wehrdienst nicht absolviert und keine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Personalausweise belegen den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 13.3.2019).
Die Behörden verlangten sporadisch von Bürgern im Alter von 18 bis 40 Jahren, eine Erlaubnis des Innenministeriums, um in bestimmte Länder zu reisen, um so den Beitritt zu terroristischen Gruppen zu erschweren und die Flucht von Kriminellen zu verhindern (USDOS 13.3.2019).
Die Regierung verhängte zunehmend Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten, die wegen Straftaten angeklagt oder untersucht wurden. Weiters gibt es kein von der Regierung auferlegtes Exil, und die Verfassung verbietet der Regierung, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Einige Politiker leben freiwillig außerhalb des Landes, da sie von der Regierung mit Strafverfolgung bedroht wurden (USDOS 13.3.2019).
Grundversorgung
Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben nach hiesiger Kenntnis keinen Zugang zu diesem System (AA 22.2.2019). Im Rahmen des mit dem IWF verhandelten Reformprogramms versucht die Regierung, den notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 4,2 % und 2018 bei 5,3 %. Subventionen für Benzin, Diesel und Elektrizität werden von der Regierung sukzessive reduziert. Bis Juni 2021 ist eine vollständige Eliminierung aller Energiesubventionen vorgesehen (AA 24.6.2019c).
Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 22.2.2019).
Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 22.2.2019).
Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind. Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und finanziert aus Spenden und wohltätigen Stiftungen (AA 22.2.2019).
Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Subventionsabbau droht - trotz langsam sinkender Inflation und sozialen Gegenmaßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Situation vor allem der armen Segmente der Gesellschaft weiter zu verschlechtern. Bisher hat sich der latent in der Bevölkerung vorhandene Unmut nur punktuell manifestiert. Viel wird davon abhängen, wie schnell eine wirtschaftliche Erholung auch diese Schichten erfasst. Daneben zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren (AA 22.2.2019).
Ägypten ist das nach Südafrika am stärksten industrialisierte Land Afrikas. Die Landwirtschaft spielt eine erhebliche Rolle. Der große informelle Sektor (v.a. Dienstleistungen; Schätzungen gehen von 30-40 % des BIP aus) nimmt zudem einen Großteil der Arbeitskräfte auf. Bei einem Netto-Bevölkerungswachstum von jährlich rund 2,5 Millionen Menschen ist die Arbeitslosigkeit und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch (offiziell wird die Jugendarbeitslosigkeit mit 28 % angegeben, Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus). Ägypten hat ein großes Interesse an ausländischen Direktinvestitionen und fördert diese gezielt. Zahlreiche Handelshemmnisse und Bürokratie schrecken potenzielle Investoren jedoch ab. Staatliche Unternehmen sowie das ägyptische Militär spielen im Wirtschaftsleben eine starke Rolle. Jeder dritte Ägypter ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche erstreckt sich vor allem entlang des Nils sowie im Nildelta, macht aber nur rund 4 % der Gesamtfläche des Landes aus (AA 24.6.2019c).
Der Dienstleistungssektor absorbiert einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen und erwirtschaftet große Teile des Bruttoinlandsproduktes. Einen maßgeblichen Beitrag leistet hierbei der Tourismusbereich (AA 24.6.2019c). Der Dienstleistungssektor ist der größte Wirtschaftssektor (GIZ 9.2018c). Er bietet rund 50 % der ägyptischen Arbeitskräfte eine Beschäftigung und trägt mit rund 49 % etwa die Hälfte zum BIP bei (GIZ 9.2018c). Ein schwer zu erfassender und vermutlich erheblicher Teil des Dienstleistungsbereichs arbeitet informell (AA 24.6.2019c).
Nach einer Studie der staatlichen Statistikbehörde CAPMAS gibt eine ägyptische Durchschnittsfamilie rund 40 % ihres Einkommens nur für Nahrungsmittel aus, Familien aus ärmeren Schichten bis zu 63 %. Die Einkommensverteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker zuungunsten der unteren Einkommensschichten entwickelt. Die meisten Ägypter verdienen jedoch wesentlich weniger als die Durchschnittslöhne und nur 60 % aller Lohnabhängigen haben überhaupt geregeltes Einkommen. Die dramatischen Preiserhöhungen für Grundlebensmittel in den letzten Jahren verschärften den Kaufkraftverlust und trafen vor allem die unteren Einkommensschichten, die nach Angaben von CAPMAS mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben (GIZ 9.2018).
Die staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden heute weithin als unzulänglich kritisiert. Sie bestehen im Wesentlichen aus nicht zielgruppenorientierten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Energie, extrem niedrigen Sozialhilfe- und Pensionszahlungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie Kredit-, und Entwicklungsprogrammen des Sozialfonds für Entwicklung (SfD), die jedoch weit hinter dem Bedarf zurückbleiben (GIZ 9.2018).
Die Armutsquote (2016/17) ist auf 27 % gestiegen (die höchste seit 2000). Über 10 Millionen Menschen in Ägypten haben weniger als 1 $ am Tag zur Verfügung. Rund 12,5 % der Bevölkerung sind arbeitslos und ca. 17 % der Familien werden von Frauenarbeit (im informellen Sektor) unterstützt (GIZ 9.2018).
Medizinische Versorgung
In Kairo ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Die medizinische Versorgung außerhalb Kairos hat sich in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, dennoch entspricht sie nach wie vor oft nicht westeuropäischem Standard (AA 9.7.2019). Es kommt zu gravierenden Qualitätsmängel in der staatlichen Versorgung - mangelnde Hygiene oder vernachlässigte Wartung von Geräten ebenso wie unterbezahltes Personal (GIZ 2.2018).
Das grundlegend funktionierende Sozialversicherungssystem mit Elementen der Kranken- und Unfallversicherung ist eingeschränkt leistungsfähig. Eine minimale kostenlose Grundversorgung ist gegeben. Notfälle werden behandelt; die Grundversorgung chronischer Krankheiten ist minimal und oft nur mit Zuzahlungen gegeben (AA 22.2.2019). Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung ist über den Staat versichert. Problematisch ist, dass diese Versicherung an Ausbildung oder Arbeitsplatz gekoppelt ist, und Arbeitslose oder Arme daher ausschließt (GIZ 2.2018).
Aktuell soll ein neuer Gesetzesentwurf das Problem angehen und eine adäquate Krankenversicherung schrittweise auf alle Bevölkerungsgruppen ausdehnen (GIZ 2.2018). Ein Gesetz über umfassende Gesundheitsvorsorge wurde im Herbst 2017 verabschiedet, aber dessen Finanzierung ist noch nicht abschließend geregelt. Es gibt im Großraum Kairo über 100 staatliche Krankenhäuser, u. a. die Uni-Kliniken Kasr El Aini und Ain Shams. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. Importe werden staatlich kontrolliert (AA 22.2.2019).
Im September 2017 kam es zum ersten Ausbruch von Dengue-Fieber am Roten Meer (Alquaseer) seit mehreren Jahren. Inzwischen wurden auch Fälle aus Hurghada gemeldet (AA 9.7.2019).
Rückkehr
Es gibt keine gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt. Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind nicht bekannt (AA 22.2.2019).
Die Verhältnisse in Ägypten stellen sich nicht derart dar, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat für ihn eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten. Auch droht ihm als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Eine nach Ägypten zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
Entgegen der Vorbringen des Beschwerdeführers konnten sohin keine Umstände festgestellt werden, wonach die Abschiebung gemäß § 50 FPG in seinen Heimatstaat Ägypten unzulässig wäre.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (samt vorgelegten Unterlagen), in den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz, in das Länderinformationsblatt zu Ägypten, sowie durch persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 01.09.2020.
Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister, dem Schengener Informationssystem, dem AJ-Web und dem Betreuungsinformationssystem wurden ergänzend eingeholt.
2.2. Zum Verfahrensgang:
Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der dem Verwaltungsakt enthaltenen Kopie des Reisepasses (AS 175-191) und des vorgelegten Auszugs aus dem Geburtsregister (AS 77) fest.
Die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen, seiner Herkunft, Volksgruppenzugehörigkeit, sowie seiner Religionszugehörigkeit beruhen auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellung der legalen Einreise nach Österreich beruht auf dem im Reisepass ersichtlichen Visum D (AS 177).
Die Feststellung zu seinem durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet seit März 2010 und zu den ihm anfangs erteilten Aufenthaltstiteln ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers, einer am 16.06.2020 eingeholten ZMR-Auskunft und einem Auszug aus dem zentralen Fremdenregister.
Aus den vorliegenden Bescheiden der TU XXXX vom 04.12.2013 (AS 37) sowie der Universität XXXX vom 16.03.2016 (Beilage D) geht die Zulassung des Beschwerdeführers als außerordentlicher Studierender an der TU XXXX sowie der Universität XXXX hervor. Den Nachweis der vorgeschriebenen Ergänzungsprüfungen zur Zulassung zum ordentlichen Studium hat der Beschwerdeführer nicht erbracht.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen eigenen glaubhaften Angaben, sowie den vorliegenden medizinischen Unterlagen, darunter: ein Befund des XXXX vom 15.10.2010 samt Laborbericht (AS 83-89), eine Bestätigung eines Facharztes für innere Medizin vom 09.01.2012 (AS 67), ein Laborbericht vom 23.12.2011 (AS 74-75), sowie Befunde des XXXX vom 05.01.2012 (AS 79), 30.03.2017, 29.09.2017 und 02.10.2017 (Beilage J). Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 29.02.2016 erklärte der Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit den vorgelegten medizinischen Unterlagen, dass seine Hepatitis C- Erkrankung ausgeheilt sei. Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020 sowie den bei der Verhandlung vorgelegten Befunden vom 02.10.2017 (Beilage J) ergeben sich keine Hinweise auf ein erneutes Auftreten der Erkrankung. Unterlagen aktuelleren Datums wurden nicht vorgelegt.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Schulausbildung und zu seiner in Ägypten lebenden Familie sind glaubhaft.
Dass der Beschwerdeführer über kein soziales Umfeld im Bundesgebiet verfügt, keine familiären Anknüpfungspunkte oder relevante private Beziehungen hat, ergibt sich aus seinen Angaben und dem Akt.
Der Beschwerdeführer brachte weder vor der belangten Behörde, noch in der gegenständlichen Beschwerde oder im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konkrete Angaben oder Unterlagen vor, die die Annahme einer umfassenden Integration in Österreich in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht rechtfertigen würden.
Zu seiner Integration wurde lediglich eine Bestätigung der österreichischen Orient-Gesellschaft vom 01.03.2013 über den Besuch eines Deutsch-Intensivkurses für AnfängerInnen mit guten Vorkenntnissen zwischen 04.12.2012 und 28.02.2013, sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug vom 28.08.2020 vorgelegt. Aus diesen Unterlagen in Zusammenschau mit den eigenen Angaben des Beschwerdeführers und einer aktuellen Auskunft aus dem AJ-Web geht hervor, dass der Beschwerdeführer ansonsten keinerlei Schritte setzte, um sich zu integrieren. Aufgrund des gewonnenen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung durch den erkennenden Richter und mangels Vorlage entsprechender Prüfungszeugnisse kann den Ausführungen der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, wonach der Beschwerdeführer über gute Deutschkenntnisse verfüge, nicht gefolgt werden.
Für den erkennenden Richter ergibt sich in einer Gesamtschau und aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindruckes, dass auch unter Berücksichtigung der langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Privatleben in Österreich besteht, wie in der rechtlichen Beurteilung näher auszuführen sein wird.
Die Feststellung zum Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes.
Die Feststellung betreffend die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich leitet sich aus der Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich vom 16.06.2020 ab.
2.4. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Im Hinblick darauf, dass im Asylverfahren die Aussage des Beschwerdeführers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt, stützt sich der erkennende Richter vor allem auf die unmittelbaren Angaben des Beschwerdeführers. Der erkennende Richter geht aufgrund des bei Durchsicht der Einvernahmeprotokolle sowie des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks davon aus, dass das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Fluchtvorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Für die Glaubhaftigkeit eines Vorbringens spricht, wenn das Vorbringen genügend substantiiert ist. Das Erfordernis der Substantiierung i