TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 W108 2203727-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W108 2203728-1/17E
W108 2203725-1/17E
W108 2203726-1/17E
W108 2203727-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Iran, 3. und 4. vertreten durch: 2., alle vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 17.07.2018, 1. Zl. 1185078800/180282302, 2. Zl. 1185081904/180282315, 3. Zl. 1185075406/180282361, 4. Zl. 1185075210/180282337, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (iVm § 34 Abs. 2 AsylG und § 34 Abs. 4 AsylG) der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:

1. Verfahrensgegenständlich sind die Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: auch Antrag bzw. Asylantrag und AsylG) des Erstbeschwerdeführers und seiner Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihrer minderjährigen ledigen Töchter (Dritt- und Viertbeschwerdeführerin) vom 21.03.2018.

Bei der Erstbefragung gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin an, sie seien iranische Staatsangehörige und ohne religiöses Bekenntnis. Sie hätten den Iran am 21.03.2018 legal mit einem Flugzeug verlassen. Die Eltern und acht Geschwister des Erstbeschwerdeführers sowie die Eltern und zwei Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin seien alle im Iran aufhältig. Sie hätten ihr Land verlassen müssen, weil der Erstbeschwerdeführer am XXXX bei Demonstrationen in XXXX verhaftet und 4 Tage lang eingesperrt worden sei. Die Familie sei dann nach XXXX geflohen, dort sei ihnen mitgeteilt worden, dass ihre Wohnung in XXXX vom Geheimdienst durchsucht und ein Laptop und andere Sachen beschlagnahmt worden seien. Weiters sei ihnen mitgeteilt worden, dass nach ihnen gesucht werde, weshalb sie das Land verlassen hätten. Der Geheimdienst suche nach ihnen, sie hätten Angst festgenommen bzw. umgebracht zu werden.

Im Zuge der Erstbefragung legten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin u.a jeweils ihren iranischen Reisepass, Personalausweis und ihren Führerschein sowie die Reisepässe der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin vor.

Am 14.09.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Der Erstbeschwerdeführer legte im Zuge der Einvernahme eine Kursteilnahmebestätigung „Deutschkurse für AsylwerberInnen“ der XXXX vom 16.05.2018 vor.

Der Erstbeschwerdeführer sagte aus: Er gehöre der Volksgruppe der Perser an, seit zwei Jahren sei er konfessionslos, er glaube nicht mehr an den Islam. Von seiner Konfessionslosigkeit wüssten nur seine Eltern. Im Dezember 2017 hätten im Iran landesweite Demonstrationen gegen den Staat stattgefunden. Er selbst sei auch sehr oft bei diesen Demonstrationen dabei gewesen, bis er am XXXX vor der Universität XXXX von Sicherheitskräften festgenommen worden sei. Er sei in eine Einzelzelle gesteckt und vier Tage lang verhört und misshandelt worden. Man habe von ihm wissen wollen, wer sein Anführer sei, wie er informiert worden sei und wie groß diese Gruppe sei. Weil sie nichts gegen ihn in der Hand gehabt hätten, sei er dann auf freien Fuß gesetzt worden. Er habe zuvor eine Verpflichtungserklärung unterschreiben müssen, dass er sich von Menschenansammlungen fernhalten und sich nicht mehr gegen das Regime betätigen werde. Danach sei er zu den Schwiegereltern gefahren, anschließend habe er sich zwei Monate im Haus eines Freundes versteckt. Am 15.02.2018 habe er erstmals mit einem Mann vor der XXXX Botschaft in XXXX Kontakt aufgenommen, der der Familie die XXXX Visa organisiert habe. Er werde vom Geheimdienst (Etelaat) gesucht, dies wisse er von seinem Nachbarn und Vermieter, der ihm erzählt habe, dass Personen vom Etelaat seine Wohnung durchsucht hätten. Auch seine Verwandten seien einige Male vom Etelaat telefonisch kontaktiert worden, dass er und die Zweitbeschwerdeführerin sich stellen sollten. Er gehöre über Umwege zu einem internationalen Komitee gegen Hinrichtungen, er habe auch Ausdrucke zu Hause gehabt, die zu Demonstrationen aufgerufen hätten. Weiters sei sein Laptop beschlagnahmt worden, dort seien Unterlagen und Flugzettel drauf gewesen. Bei einer Rückkehr in den Iran fürchte er, wie alle anderen festgenommen und hingerichtet zu werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an: Sie gehöre der Volksgruppe der Perser an und stamme aus einer schiitischen Familie ab, bekenne sich selbst aber zu keiner Religion. Von ihrer Einstellung über den Islam habe niemand gewusst. Sowohl sie als auch ihr Mann, der Erstbeschwerdeführer, seien politisch tätig gewesen. Sie seien mit dem internationalen Komitee gegen Hinrichtungen in Kontakt gestanden, dies sei in Schweden beheimatet, ihr Cousin sei auch bei diesem Komitee. Sie seien von ihrem Cousin aufgefordert worden, Fotos bei diesen Demonstrationen zu machen. Als es keine Internetverbindung gegeben habe, hätten sie diese „Telegram“-Nachrichten ausgedruckt und verteilt, indem sie sie auf die Straße geworfen hätten. Der Erstbeschwerdeführer sei bei einer Demonstration festgenommen und vier Tage lang angehalten worden. Nach seiner Freilassung hätten sie sich zwei Monate in einem ihr unbekannten Versteck aufgehalten, bis sie das Land verlassen hätten. Sie werde vom Etelaat gesucht, dies habe sie von ihren Eltern erfahren, die vom Etelaat telefonisch kontaktiert worden seien. Der Etelaat gehe davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer und sie die Anführer dieser Unruhestifter seien. Bei einer Rückkehr befürchte sie, als politische Aktivistin hingerichtet zu werden. Ihre Kinder, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen, hätten keine eigenen Fluchtgründe, sie könnten ohne den Erstbeschwerdeführer und sie nicht in den Iran zurück.

2. Mit den nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wies sie die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (jeweils Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG erteilte die belangte Behörde den beschwerdeführenden Parteien keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (jeweils Spruchpunkt III.), erließ gegen die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) (jeweils Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in den Iran gemäß 46 FPG zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V.). Die belangte Behörde bestimmte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise (jeweils Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität der beschwerdeführenden Parteien fest, dass diese spätestens am 21.03.2018 illegal ins Bundesgebiet eingereist seien und am selben Tag einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hätten. Sie seien iranische Staatsangehörige, würden der Volksgruppe der Perser angehören und sich seit ein paar Jahren zu keiner Religion bekennen. Die beschwerdeführenden Parteien hätten im Rahmen ihres Verfahrens den von ihnen vorgebrachten Fluchtgrund, nämlich eine Verfolgungsangst vor dem iranischen Geheimdienst, nicht glaubhaft machen können. Aufgrund der Konfessionslosigkeit habe ebenfalls kein Fluchtgrund erkannt werden können. Sie hätten somit nicht glaubhaft machen können, dass sie einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen seien oder bei einer Rückkehr einer solchen ausgesetzt wären.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass nicht nachvollzogen werden könne, dass der Erstbeschwerdeführer wieder freigelassen worden wäre, würde er als Unruhestifter gesucht werden. Dem Vorbringen der Hausdurchsuchung mangle es darüber hinaus auch an Logik, da man diese zu einem Zeitpunkt durchführen würde, solange der Erstbeschwerdeführer in Haft wäre, um etwaige belastende Beweise gegen ihn zu finden. Ebenfalls als äußerst fragwürdig erscheine die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht daran gedacht habe, belastendes Material zu vernichten. Zudem habe der Erstbeschwerdeführer in der Einvernahme gelogen und Falschaussagen getätigt, indem er zunächst vorgebracht habe, das Versteck niemals verlassen zu haben, später aber angegeben habe, dass er sich nach XXXX begeben habe, um sein Visum zu beantragen. Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer freiwillig nach XXXX begeben habe, obwohl angeblich vom Geheimdienst nach ihm gesucht worden sei, sei für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar. Auch die Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin hätten dazu geführt, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht habe werden können, die Zweitbeschwerdeführerin habe - befragt nach dem Verbleib der Reisepässe im Iran - versucht, eine fiktive Geschichte zu erfinden, um den Verbleib der Reisepässe zu erklären. Schließlich sei es den beschwerdeführenden Parteien auch möglich gewesen, legal über den Flughafen XXXX aus dem Iran auszureisen, wodurch der Umstand, dass diese vom Geheimdienst gesucht worden wären, als äußerst unglaubhaft erscheine. Die beschwerdeführenden Parteien hätten keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können, vielmehr sei davon auszugehen, dass diese aufgrund des Wunsches nach Emigration ihr Heimatland verlassen hätten. Die Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführerin hätten jeweils keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

3. Gegen diese Bescheide erhoben die beschwerdeführenden Parteien innerhalb offener Frist Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG an das Bundesverwaltungsgericht mit der wesentlichen Begründung, die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, sie habe es unterlasen, die Zweitbeschwerdeführerin zu ihrer westlichen Gesinnung bzw. ihrem wesentlichen Lebensstil zu befragen und nicht zur Situation von Atheisten ermittelt. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte seien allgemein gehalten und zumindest teilweise nicht mehr aktuell. Den beschwerdeführenden Parteien drohe aufgrund ihrer politischen Gesinnung Verfolgung. Der Erstbeschwerdeführer sei im Rahmen von Demonstrationen verhaftet und vier Tage lang festgehalten und befragt worden. Aus Mangel an Beweisen habe ihn der Geheimdienst nicht länger festhalten können, der Geheimdienst habe aber anschließend das Haus des Erstbeschwerdeführers durchsucht und seinen Laptop sichergestellt, um Beweise für die politische Tätigkeit zu erlangen. Die Hausdurchsuchung habe bereits fünf Tage nach der Entlassung stattgefunden, dieser Umstand spreche dafür, dass der Geheimdienst nach wie vor gegen den Erstbeschwerdeführer ermittle. Weshalb die Tatsache, dass der Geheimdienst die Verwandten der beschwerdeführenden Parteien lediglich telefonisch kontaktiert und nach dem Aufenthalt der Beschwerdeführer befragt habe, gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens der beschwerdeführenden Parteien spreche, sei nicht nachvollziehbar und werde von der belangten Behörde auch nicht begründet. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer sehr wohl Videos der Demonstrationen gemacht, diese habe er mit anderen Dokumenten auf seinem Laptop gespeichert gehabt. Bei Unklarheiten wäre es im Rahmen der Ermittlungspflicht Aufgabe der belangten Behörde gewesen, den Erstbeschwerdeführer dazu näher zu befragen. Die beschwerdeführenden Parteien hätten aus Angst, vom Geheimdienst gefunden zu werden, nicht mehr in ihr Haus zurückkehren können und somit den Laptop auch nicht mehr sicherstellen können. Der Erstbeschwerdeführer habe die Ausreise organisieren müssen, weshalb er nach XXXX gefahren sei. Mit der Angabe, er habe sein Versteck nie verlassen, habe er gemeint, dass die Familie bis zur Ausreise an keinem anderen Ort aufhältig gewesen sei. Hinsichtlich der Reisepässe bestehe kein Widerspruch zwischen den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, die Zweitbeschwerdeführerin habe nicht mit Sicherheit angeben können, wo die Pässe gewesen seien. Alles in allem hätte die belangte Behörde bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren zu dem Schluss kommen müssen, dass die beschwerdeführenden Parteien ein detailliertes Vorbringen erstattet hätten und bereits im Heimatland eine konkrete Verfolgungsgefahr vorgelegen habe. Das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien finde zudem Deckung in den einschlägigen Länderberichten. Den beschwerdeführenden Parteien hätte somit der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden müssen.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerden samt den bezughabenden Akten der Verwaltungsverfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

5. Mit Schriftsatz und Urkundenvorlage vom 18.07.2019 gaben die Beschwerdeführer bekannt, dass sie am 19.05.2019 in der evangelischen Pfarre A.u.H.B. XXXX getauft worden seien, sie hätten sich schon in Australien dem Christentum zugewandt. Diesbezüglich wurden von den beschwerdeführenden Parteien die Taufscheine, ein Schreiben des Pfarrers XXXX zur Taufvorbereitung (Glaubenskurs) und zur christlichen Glaubenspraxis vom 11.01.2019 (wonach der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig den Gottesdienst besuchen und an dem anschließend stattfindenden Nachkirchenkaffee teilnehmen sowie seit Mai 2018 den Glaubensgrundkurs besuchen würden) sowie ein Schreiben von Reverend XXXX der Uniting Church in Australia vom 28.01.2019 (wonach die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig in die Kirche gekommen sei und mit ihr über das Christentum gesprochen habe, obwohl die Zweitbeschwerdeführerin Angst vor der iranischen Geheimpolizei, die sie in Brisbane vermutet habe, gehabt habe) vorgelegt.

Weiters legten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Teilnahmebestätigungen am Werte- und Orientierungskurs des XXXX vom 13.09.2018 sowie ein Zeugnis über die bestandene Integrationsprüfung A1 der Zweitbeschwerdeführerin vor.

6. Mit Stellungnahme und Urkundenvorlage vom 20.01.2020 legten die beschwerdeführenden Parteien ua. abermals ein Schreiben des Pfarrers XXXX vom 17.01.2020 (wonach der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin auch nach der am 19.05.2019 erfolgten Taufe weiterhin den Gottesdienst und den Glaubenskurs besuchen würden, ihre Verbundenheit mit der evangelischen Pfarrgemeinde dadurch zum Ausdruck komme, dass der Erstbeschwerdeführer ehrenamtlich bei der Renovierung des Privatkindergartens sowie der Übersiedelung des pensionieren Pfarrers mitgeholfen habe, die Zweitbeschwerdeführerin wöchentlich im Nachkirchenkaffee mithelfe und darüber hinaus sich beide ehrenamtlich bei „ XXXX “ engagieren würden), eine Unterstützungsliste mit 16 Unterschriften, ein Referenzschreiben betreffend die ehrenamtliche Mithilfe des Erstbeschwerdeführers bei der Renovierung des Kindergartens vom 27.08.2019 (unterzeichnet von Pfarrer XXXX und dem Architekten XXXX ), eine Unterstützungserklärung einer Nachbarin vom 21.01.2010, mehrere Empfehlungsschreiben von Gemeindemitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde XXXX sowie der römisch-katholischen Pfarre XXXX , Bestätigungen des Magistrats der Stadt XXXX vom 07.01.2020 (wonach der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin als ehrenamtliche Helfer bei der Aktion „ XXXX “ tätig seien), eine Bestätigung des Pflege- und Betreuungszentrums XXXX vom 17.01.2020 (wonach die Zweitbeschwerdeführerin als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Pflege- und Betreuungszentrum tätig sei), Terminkarten des XXXX vom 07.01.2020 (aus denen die vom Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin abgeschlossenen Module ersichtlich sind), ein Zertifikat über die positive Absolvierung des Basisbildungskurses der XXXX durch die Zweitbeschwerdeführerin vom 17.12.2019, eine Teilnahmebestätigung der XXXX hinsichtlich des Besuchs von Schulungen der Basisbildung durch den Erstbeschwerdeführer vom 07.01.2020, ein Zeugnis über die bestandene Integrationsprüfung A1 des Erstbeschwerdeführers vom 30.08.2019, ein privates Empfehlungsschreiben für den Erstbeschwerdeführer vom 20.01.2020, psychologische Befundberichte der klinischen Psychologin und Gesundheitspsychologin XXXX hinsichtlich der Viertbeschwerdeführerin vom 08.07.2019 und 18.07.2019 (wonach diese an Angstzuständen, depressiven Symptomen, Schlafstörungen, Alpträumen und Bauchschmerzen leide) sowie Screenshots von Texten und YouTube-Videos (in welchen die Zweitbeschwerdeführerin Missstände im Iran anprangere) vor.

Sie erstatteten eine Stellungnahme dahingehend, dass sie unter keinen Umständen bereit seien, zum Islam zurückzukehren und ihren christlichen Glauben aufzugeben. Im Iran würden ihnen aufgrund ihrer Konversion lange Haftstrafen und eventuell auch die Todesstrafe drohen. Weiters wiederholten sie ihr Fluchtvorbringen, wonach sie im Iran regimekritisch in Erscheinung getreten seien, was sie in den Fokus der iranischen Behörde gebracht habe und fluchtauslösend gewesen sei. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zudem politisch als aktive Sympathisantin des Komitees gegen Hinrichtungen aktiv, sie habe Texte zum Fall „Maedeh Hojabri“ verfasst und poste vorwiegend Kurzfilme, welche Missstände im Iran anprangern würden.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der beschwerdeführenden Parteien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher sich der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin persönlich beteiligten.

Die beschwerdeführenden Parteien legten in der mündlichen Verhandlung weitere Urkunden vor, nämlich ua. eine Petition auf Farsi gegen die im Iran verhängten Todesurteile, auf welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin unterzeichnet hätten, einen Auszug aus einer Webseite des Komitees gegen Hinrichtungen, bei welcher der Erstbeschwerdeführer Administrator sei, Auszüge aus Youtube bzw. der Webseite des Komitees gegen Hinrichtungen, auf welchen zu sehen sei, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gegen Exekutionen protestieren würden, mehrere Unterstützungserklärungen sowie eine Unterschriftenliste für die beschwerdeführenden Parteien, eine Bestätigung der XXXX vom 28.01.2020 betreffend Besuch des evangelischen Religionsunterrichtes durch die Drittbeschwerdeführerin, ein Schreiben des XXXX vom 22.01.2020, wonach der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seit 2018 Mitglieder dieses Komitees seien sowie ein Album unter anderem bestehend aus Lichtbildern zur Taufe vom 19.05.2019.

Der Erstbeschwerdeführer sagte ua. aus, dass aufgrund ihrer politischen Aktivitäten der Etelaat hinter ihnen her sei. Im Iran sei ihr Leben in Gefahr gewesen, sie seien in einer Gruppe aktiv gewesen, die sich gegen Hinrichtungen gerichtet hätte, und sie hätten einige Dokumente auf ihren Laptops und in der Gruppe Telegram ausgedruckte Flugblätter und auch zwei E-Mails der Gruppe gegen Hinrichtungen gehabt. Sie hätten verschiedene Gruppen eingeladen, an Demonstrationen gegen die Regierung teilzunehmen. Nach seiner Freilassung sei die Familie nach Norden geflüchtet, die iranischen Behörden hätten danach ihr Haus durchsucht, weil sie vermutlich verraten worden seien. Auch in Österreich sei er politisch aktiv, er sei Administrator der Gruppe „ XXXX “ und sei dagegen, dass Folterungen und Hinrichtungen stattfinden; dies wolle er der ganzen Welt zeigen. Er habe auch an Demonstrationen teilgenommen, etwa vor der iranischen, britischen und russischen Botschaft wegen des Flugzeugabsturzes, bei welchem 176 Personen getötet worden seien. Die Menschen sollten im Iran frei sagen können, was sie wollen, es würden viele Unschuldige getötet.

Die Familie würde weiters verfolgt, weil sie seit ihrer Taufe am 19.05.2019 Christen seien. Als sie nach Österreich gekommen seien, sei ihnen das Christentum schon bekannt gewesen, sie hätten dann eine Kirche und einen Glaubenskurs besucht, bis sie gläubig geworden seien. Mit dem Christentum seien sie im Jahr 2012 in Australien in Berührung gekommen, dort hätten sie auch eine Kirche besucht, weil es ihnen aufgrund er großen Entfernung von ihrer Heimat sehr schlecht gegangen sei. In der Kirche hätten sie mitgebetet und mitgesungen, dies habe ihnen innere Ruhe gegeben, weswegen sie den Entschluss gefasst hätten, Christen zu werden. An Sonntagen besuche er den Gottesdienst in der evangelischen Kirche XXXX und zweimal im Monat den Glaubenskurs. Nach dem Gottesdienst würden sie noch alle etwa eine Stunde zusammensitzen, er habe in der Kirche seine Hilfe für alle möglichen Tätigkeiten angeboten und arbeite auch freiwillig für ein Altersheim. Weiters habe er christliche Freunde, mit denen er in Kontakt sei. Sie hätten in ihrem Wohnort auch eine katholische Kirche, zu der sie Kontakt hätten; sie würden auch dort an Feierlichkeiten teilnehmen. Auch aus diesem Kreis hätten sie Freunde gefunden. Er lese täglich in der Bibel. Im Iran würde er versuchen, seinen Glauben täglich zu stärken und andere Menschen zu missionieren.

Die Zweitbeschwerdeführerin erstattete ein Vorbringen dahingehend, dass sie auch in Österreich politisch aktiv seien. Sie würden seit dem Jahr 2018 beim internationalen Komitee gegen Hinrichtung arbeiten, dort und auf Facebook und Instagram würden sie Videos gegen die islamische Regierung im Iran veröffentlichen. Der Erstbeschwerdeführer sei Administrator, sie selbst würde Videos aufnehmen. Im Iran hätten sie indirekt mit dem Komitee zusammengearbeitet, sie hätten Informationen, die sie vom Komitee erhalten hätten, ausgedruckt und Flugblätter verteilt. Die iranische Regierung sei über ihre Tätigkeit informiert. In Österreich habe der Erstbeschwerdeführer auch an Demonstrationen teilgenommen.

In Australien hätten sie begonnen, sich für das Christentum zu interessieren und die Kirche zu besuchen. Seit sie getauft sei, sei sie eine gläubige Christin. Sie würden jeden Sonntag den Gottesdienst in der Kirche besuchen und beisammensitzen. Jede zweite Woche hätten sie auch einen Glaubenskurs. Sie helfe auch ehrenamtlich im Altersheim. Im Iran könnten sie keine Kirche besuchen, man würde sie festnehmen, weil sie konvertiert seien. Sie würden auch missionieren wollen, was aber im Iran nicht möglich sei. Auch auf Facebook und Instagram poste sie oft Sachen in Verbindung mit dem Christentum.

In der mündlichen Verhandlung wurde Pfarrer im Ruhestand XXXX als Zeuge einvernommen. Er gab an, den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seit April 2018 zu kennen, sie würden regelmäßig die Kirche besuchen und seien sehr treu, was ihre Glaubensseite betreffe. Die Zweitbeschwerdeführerin sei sehr aktiv, sie helfe mit und decke die Tische. Die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin würden den Kindergottesdienst besuchen. Er habe die ganze Familie getauft, vor der Taufe habe es eine relative lange Unterweisung gegeben, er glaube über ein Jahr. Die Taufe sei auf den eigenen Wunsch der beschwerdeführenden Parteien erfolgt, er denke, dass sie einfach das Bedürfnis gehabt hätten, ganz zur christlichen Kirche zu gehören. Er sei davon überzeugt, dass die beschwerdeführenden Parteien nicht aus asyltaktischen Gründen zum Christentum konvertiert seien, sie würden sich in der Öffentlichkeit zum Christentum bekennen und hätten schon in Australien eine Freikirche besucht und Interesse am Christentum gezeigt.

Zu den in der Beschwerdeverhandlung auf Grundlage von Länderberichten erörterten Verhältnissen im Iran gaben die beschwerdeführenden Parteien keine weitere Stellungnahme ab, sondern verwiesen auf die Stellungnahme vom 20.01.2020.

8. Mit Stellungnahme und Urkundenvorlage vom 13.02.2020 legten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ein Konvolut an Auszügen aus ihren jeweiligen Accounts in sozialen Netzwerken (Facebook und Instagram) vor und führten aus, dass sie einen sehr engmaschigen und intensiven religiösen Austausch mit vielen Followern pflegen und gleichzeitig regimekritisch die im Iran vorherrschenden Missstände mit Hauptaugenmerk auf die exzessiv praktizierte Todesstrafe anprangern würden. Weiters wurde von den beschwerdeführenden Parteien eine Bestätigung des Oberkirchenrates der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich vorgelegt, aus welcher sich ergebe, dass Taufwerber, bevor sie getauft werden könnten, frei von jeglicher anderwärtigen Konfession sein müssten und die beschwerdeführenden Parteien in diesem Sinne vor dem Erhalt des Taufsakraments im Mai 2019 konfessionslos gewesen seien.

Mit einer als „ergänzende Vorlage aus sozialen Medien“ bezeichneten Urkundenvorlage vom 10.09.2020 legten die beschwerdeführenden Partien weitere Beweismittel (u.a. Ausdrucke aus dem Internet bzw. aus elektronischen sozialen Netzwerken) vor und führten aus, die beschwerdeführenden Partien seien ohne Unterbrechung weiterhin sehr aktiv in den sozialen Medien. Hier würden sie sich sehr intensiv mit zwei Themenbereichen befassen, und zwar erstens mit dem Christentum und zweitens würden sie Kritik am iranischen Regime üben. Als überzeugte Christen verbreiteten sie mit Begeisterung christliche Inhalte. Ziel dieser Nachrichtenverbreitung sei u.a. die Missionierung von Followern. Sie übten Kritik am iranischen Regime, wobei sie die im Iran exzessiv praktizierten (weltweit am zweithäufigsten nach China) Todesurteile bzw. Exekutionen ganz besonders anprangerten. Regimekritische und islamfeindliche Äußerungen würden im Iran auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt würden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, liefen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden. Das vorgelegte Jahreszeugnis der Drittbeschwerdeführerin weise als Religionsbekenntnis „evang. AB.“ aus, die Viertbeschwerdeführerin habe vom 25.08.2020 bis 04.09.2020 an der Kinderbibelwoche ihrer evangelischen Pfarrgemeinde teilgenommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Hinsichtlich der Lage im Iran:

Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik. Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“. Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten.

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt. Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat. Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt.

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert.

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Verbotene Organisationen

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wird, es ist aber schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich. Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht. Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt. Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren.

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt. Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung.

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern. Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen. Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich. Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

NGOs gegenüber agiert der iranische Staat sehr misstrauisch, aufgrund der Befürchtung, dass NGOs die staatliche Ordnung untergraben würden. Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran somit nicht möglich. Alle Menschenrechtsorganisationen bedürfen einer staatlichen Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle. Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und sie müssen um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Auf Anfragen und Berichte seitens der Aktivisten reagieren Behörden mit Schikanen, Inhaftierungen und Überwachung. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikane aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen aufgrund anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber.

In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Das Innenministerium warnt vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt wird, etwa in Form von Straftatbeständen wie „Propaganda gegen das Regime“ oder „Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“. Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sitzen in ihrer überwiegenden Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Entsprechende Zahlen sind mangels offizieller Angaben nicht vorhanden. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe drohen.

Menschenrechtsorganisationen sind in Iran nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Es gibt auch immer wieder Bestrebungen, die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiter zu verschärfen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs, etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung laut eigenen Angaben ungehindert arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, Frauenrechte und seit 2018 auch Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und unter der Gefahr der Verfolgung arbeiten. Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des „Defenders of Human Rights Center“, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet).

Zahlreiche friedliche Regierungskritiker wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert. Betroffen waren Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende, Filmemacher, Musiker, Schriftsteller, Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtlerinnen und Aktivisten, die sich für die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten einsetzten. Im Visier standen außerdem Umweltschützer, Gewerkschafter, Gegner der Todesstrafe, Rechtsanwälte sowie Aktivisten, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für Massenhinrichtungen und das Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren forderten. Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Meinungs- und Pressefreiheit

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die „Rechte der Öffentlichkeit“ sind. In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert und Behörden nutzen das Gesetz, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Der staatliche Rundfunk wird streng von Hardlinern kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert. Die iranischen Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen.

Die iranische Presselandschaft spiegelt eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter „roter Linien“ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen „Propaganda gegen das System“ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen. „Propaganda gegen den Staat“ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei „Propaganda“ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden – dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet. Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa „regimefeindliche Propaganda“ verhängt.

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden. Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln. Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden geblockt. Ihr Empfang ist jedoch mithilfe von VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber „gefiltert“ bzw. mitgelesen und regelmäßig auch gestört. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen.

Die Behörden gestatten es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren.

Die 1997 unter Khatami gegründete „Association of Iranian Journalists“ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Farsi hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung.

Auch gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr sowie Internet-Cafés (obligatorische Personenidentifikation und Überwachungskameras) stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt. Regimefeindliche oder „islamfeindliche“ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden.

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als „unislamisch“ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist „regimefeindlicher Propaganda“ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt.

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als „Bürgerrecht“ und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema „Cyberspace“ hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2018 wurde die überaus beliebte Messenger App „Telegram“ gesperrt. Es gibt weiterhin Polizeiaktionen gegen auf Instagram erfolgreichen Frauen, die „unsittliche“ Inhalte (Fotos ohne Kopftuch, Make-up-Videos, Tanzvideos, usw.) teilen. Die Messenger App Telegram hatte in Iran mehr als 40 Millionen Nutzer. Auch Facebook und Twitter bleiben blockiert, genauso wie hunderte andere Webseiten.

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um sechs Plätze verschlechtert und liegt nun an Position 173 (2019: 170) von 180. Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der größten Gefängnisse für Journalisten. Verhaftungen von professionellen Journalisten und nicht professionellen Journalisten, vor allem solche, die in sozialen Netzwerken posten, haben sich im Jahr 2018 gesteigert.

Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studenten teilweise verpflichtet werden. Ebenfalls ist eine unabhängige gewerkschaftliche Betätigung nicht möglich, denn auch gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil mit dem Vorwurf der „Propaganda gegen das Regime“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet, jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu schweren Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt. Nach den Ende Dezember 2017 ausgebrochenen Protestdemonstrationen im ganzen Land nahmen Behörden zahlreiche Menschen fest. Berichten zufolge gingen Sicherheitskräfte mit Schusswaffen und anderer exzessiver Gewaltanwendung gegen Protestierende vor und verletzten und töteten unbewaffnete Demonstrierende. Zahlreiche friedliche Regierungskritiker (Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende etc.) wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert. Seit diesen Protesten im Dezember 2017 haben die Behörden das Recht auf friedliche Versammlung systematisch verletzt. Die Sicherheitskräfte, insbesondere die Geheimdienstorganisation der Revolutionsgarden (IRGC), unterdrücken weiterhin Aktivisten der Zivilgesellschaft und behalten friedliche Versammlungen, besonders arbeitsbedingte Proteste fest im Griff.

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften. Erlaubt sind nur „Islamische Arbeitsräte“ unter der Aufsicht des „Haus der Arbeiter“ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft wurden in den letzten Jahren zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich seit Anfang 2018, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Es kommt auch vermehrt zu Protesten im Zusammenhang mit zunehmendem Wassermangel in manchen Teilen des Landes. Seit Anfang 2018 sind auch Umweltaktivisten von Verfolgung bedroht. Unter dem Vorwurf der (mitunter „unbewussten“) Spionage im Umfeld von atomaren Einrichtungen wurden seit Jänner 2018 mehrere Dutzend Personen inhaftiert.

Die iranischen Behörden unterdrückten brutal landesweite Proteste, die nach dem Anstieg der Kraftstoffpreise am 25. November 2019 ausbrachen. Videomaterial und Augenzeugenberichte, die nach einer fast vollständigen Schließung des Internets durch die Regierung im Land entstanden waren, zeigen Sicherheitskräfte, die sich direkt gegen Demonstranten richteten. Es sollen über 200 Menschen bei diesen Protesten getötet worden sein und laut Schätzungen ca. 7.000 Personen verhaftet worden sein.

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Bei Wahlen (sowohl bei Präsidenten- als auch Parlamentswahlen) nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als „nicht geeignet“ ausgeschlossen. Die entscheidenden Konfliktlinie im iranischen Parlament liegt oft zwischen den Rohani-Loyalen (Reformern und Moderaten) einerseits und den Anhängern der Revolutionstreuen (Parlamentspräsident Ali Larijani, Oberster Führer Khamenei) andererseits, bisweilen kommen aber auch andere Gegensätze zum Tragen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv. Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18 und den Protesten im November 2019. Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände („regimefeindliche Propaganda“, „Beleidigung des Obersten Führers“ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen. An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen.

Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen. Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist.

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha‘i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament. Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten. Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden und ihre politische Vertretung bleibt schwach.

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück.

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt.

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden.

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt.

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen „Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini“ und 20 wegen „Korruption auf Erden“.

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020).

Situation für Konvertiten

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht. Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“. Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt. Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen. Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden. Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar]. Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt.

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind.

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit „Konversion“ vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese „Konversion“ ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Im derzeitigen Parlament sind Sunniten (vorwiegend aus Sistan-Belutschistan) vertreten. Gewisse hohe politische Ämter sind jedoch de facto Schiiten vorbehalten. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt.

Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da man zuerst Informationen über die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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