Entscheidungsdatum
18.09.2020Norm
BFA-VG §9 Abs3Spruch
G306 2221478-1/13E
G306 2221485-1/13E
G306 2221483-1/13E
G306 2221484-1/13E
Im namen der republik!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX , geb. XXXX , 2.) der XXXX , geb. XXXX , 3.) der XXXX , geb. XXXX und 4.) des XXXX , geb. XXXX , allesamt StA: Kosovo, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2019, Zahlen XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.05.2020 zu Recht erkannt:
A)
I. Den Beschwerden wird stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Kosovo gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG für auf Dauer als unzulässig erklärt.
II. Avni und Silvije CAKAJ wird gemäß § 55 Abs. 2 AsylG iVm. § 54 Abs. 2 AsylG je ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
III. Eronda und Roland CAKAJ wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG iVm. § 54 Abs. 2 AsylG iVm. § 9 Abs. 5 Z 1 IntG je ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1), die Zeitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), die Drittbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3) sowie der Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF4), die beiden letzten gesetzlich vertreten durch den BF1 und die BF2, stellten gemeinsam mit einem weiteren Sohn des BF1 und der BF2, XXXX , geb. XXXX , StA: Kosovo, am 05.02.2015 einen Antrag auf Zuerkennung des internationalen Schutzes.
1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Zlen.: XXXX , XXXX , XXXX und XXXX vom 16.10.2015, wurden die Anträge der Beschwerdeführer (im Folgenden. BF) abgewiesen, diesen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG vorübergehend bis zum 30.04.2018 für unzulässig erklärt.
1.3. Am 22.08.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem BFA statt.
1.4. Mit Aktenvermerk des BFA vom 01.03.2018 wurde die Aufenthalts-Duldung in Bezug auf die BF bis 30.04.2019 verlängert.
2. Am 15.03.2019 fand neuerlich eine niederschriftliche Einvernahme des BF1, der BF2 und der BF3 vor dem BFA statt und gaben die BF mit Schreiben vom 28.03.2019 eine zusätzliche Stellungnahme vor dem BFA ab.
3. Mit oben im Spruch angeführten Bescheiden wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm. § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt III.) und festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage betrage (Spruchpunkt IV.).
4. Mit per Post eingebrachtem und am 15.07.2019 beim BFA eingelangtem Schriftsatz erhoben die BF durch ihren Rechtsvertreter (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide.
Darin wurde jeweils die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die Behebung des angefochtenen Bescheides, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung, in eventu die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde beantragt.
5. Die Beschwerden samt den Verfahrensakten wurde vom BFA dem BVwG vorgelegt und langten am 19.07.2019 ein.
6. Am 19.05.2020 fand in der Grazer Außenstelle des BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an jener der BF1 die BF2 sowie deren RV und ihr erwachsener Sohn, XXXX , geb. XXXX , StA: Kosovo, (im Folgenden: zweiter Sohn) teilnahmen.
Die belangte Behörde wurde korrekt geladen, jedoch nahm ein/eine Vertreter/Vertreterin derselben an der Verhandlung nicht teil.
7. Mit am 03.07.2020 beim BVwG eingelangter schriftlicher Eingabe brachten die BF durch ihren RV weitere Unterlagen in Vorlage.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF tragen die im Spruch angeführten Identitäten (Name und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige von Kosovo.
Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet und leibliche Eltern der BF3 und des BF4 sowie eines weiteren Sohnes, XXXX , geb. XXXX , StA: Kosovo.
Die BF3 und der BF4 sind ledig und kinderlos.
Die BF lebten bisher immer im gemeinsamen Haushalt gemeinsam mit dem zweiten Sohn.
Der BF1 besuchte im Herkunftsstaat 8 Jahre lang die Schule und war zudem erwerbstätig. Die BF2 besuchte 4 Jahre lang die Schule und war immer als Hausfrau tätig.
Die BF reisten am 05.02.2015 gemeinsam mit dem zweiten Sohn ins Bundesgebiet ein, wo sie jeweils einen Antrag auf Zuerkennung des internationalen Schutzes stellten und sich seither durchgehend aufhalten.
Mit Bescheid des BFA, Zl. XXXX , vom 16.10.2015, wurde der Antrag des zweiten Sohnes auf Zuerkennung des internationalen Schutzes vom 05.02.2015 abgewiesen. Eine Rückkehrentscheidung wurde jedoch aufgrund notwendiger im Kosovo nicht erhältlicher medizinscher Behandlungen bis zum 30.04.2018 für vorübergehend unzulässig erklärt. Der Aufenthalt desselben in Österreich war seither geduldet.
Mit Bescheiden des BFA, Zlen XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , vom 16.10.2015, wurden die Anträge der BF auf Zuerkennung des internationalen Schutzes vom 05.02.2015 ebenfalls abgewiesen. Eine Rückkehrentscheidung wurde jedoch mit Verweis auf die medizinische Behandlung des zweiten Sohnes bis zum 30.04.2018 für vorübergehend unzulässig erklärt. Der Aufenthalt der BF in Österreich war seither geduldet.
Die belangte Behörde hat die Duldung der BF sowie des zweiten Sohnes am 01.03.2018 bis 30.04.2019 verlängert.
Die BF sind nicht im Besitz von Aufenthaltstiteln.
Die BF sind gesund und sind der BF1, die BF2 und die BF3 zudem arbeitsfähig. Jedoch belastet die gesundheitliche Situation des zweiten Sohnes, welcher sich wegen einer angeborenen Erkrankung (Dysostosis otomandibularis (hemiaziele Mikrosomie) in ärztlicher Behandlung befindet, derentwegen er wiederholt operiert werden musste und noch operiert werden muss, die BF sehr.
Die BF gehen keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nach, sondern leben überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der BF1 ist jedoch im Besitz von zwei Arbeitsvorverträgen über Vollzeitbeschäftigungen als Fenster-Monteur Helfer bei der Firma XXXX , in XXXX und als Hilfsarbeiter bei der Firma XXXX , XXXX , in XXXX .
Der BF1 und die BF2 betreuen und unterstützen den zweiten Sohn, welcher aufgrund seiner Erkrankung und Operationen auf deren physische wie psychische Unterstützung angewiesen ist.
Abgesehen vom zweiten Sohn verfügen die BF über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Soziale Kontakte bestehen jedoch.
Im Herkunftsstaat halten sich Angehörige (Eltern des BF1, Vater der BF2 und weitere Geschwister des BF1 und der BF2) der BF auf.
Der BF1 und die BF2 haben jeweils einen Deutschsprachkurs der Niveaustufe A1 besucht und besuchen die BF3 und der BF4 die Schule in Österreich. Der BF4 ist zudem aktives Mitglied in einem Fußballverein.
Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat und erweisen sich die BF in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.
Mit am heutigen Tag zur G306 2221482-1 protokollierten Beschwerde des zweiten Sohnes ergangenen Entscheidung des BVwG wurde eine Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und diesem ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilt.
Zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat:
Kosovo
1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
KI vom 31.10.2019, Parlamentswahlen Oktober 2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)
Am 5. Oktober 2019 fanden im Kosovo vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese Wahl war erforderlich geworden, weil der amtierende Ministerpräsident und ehemalige UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj wegen einer Vorladung zum Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag vom Amt als Regierungschef zurückgetreten war (DS 7.10.2019a; NZZ 7.10.2019)
Die Wahlen wurden – bei einer Wahlbeteiligung von 44% - von den bisherigen Oppositionsparteien gewonnen. Den Kampf um den ersten Platz und damit um den Regierungsauftrag entschied mit knapp 25,6% der Stimmen die groß-albanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit ihrem Spitzenkandidaten Albin Kurti, für sich. Dicht dahinter folgt 24,9% der Stimmen die moderat-konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK), mit ihrer Spitzenkandidatin Vjosa Osmani. Den dritten Platz belegt mit 21,1% der Stimmen, die Demokratische Partei des Kosovo (PDK), die von Staatspräsident Hashim Thaci dominiert wird. Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) des nur zwei Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj kam auf 11,6% (NZZ 7.10.2019; vgl. DP 7.10.2019).
Der Wahlausgang wird als Signal gegen Korruption und Stillstand gewertet und dürfte das Ende der langjährigen Dominanz der PDK von Staatspräsident Hashim Thaci über die kosovarische Politik bedeuten (ORF 6.10.2019). Mehr als die Hälfte aller Stimmen haben zwei Politiker auf sich vereint, deren Karriere nicht in der UCK begann und die für einen klaren Bruch mit dem Klientelsystem des politischen Establishments stehen (NZZ 7.10.2019). Beobachter erwarten ein Bündnis zwischen den nunmehr siegreichen bisherigen Oppositionsparteien unter Führung von Kurti und Osmani (DP 7.10.2019).
Quellen:
? DS - Der Standard (7.10.2019a): Riskante Wachablöse im Kosovo, https://www.derstandard.at/story/2000109598474/riskante-wachabloese-im-kosovo, Zugriff 8.10.2019
? DS - Der Standard (7.10.2019b): Revolutionärer Machtwechsel im Kosovo,https://www.derstandard.at/story/2000109601418/revolutionaerer-machtwechsel-im-kosovo, Zugriff 8.10.2019
? DP - Die Presse (7.10.2019): Kosovos Rebell greift nach der Macht, https://www.diepresse.com/5702091/kosovos-rebell-greift-nach-der-macht, Zugriff 8.10.2019
? NZZ – Neue Zürcher Zeitung (7.10.2019): Wahlerfolg der Opposition: In Kosovo weht ein neuer Wind, https://www.nzz.ch/international/wahlen-im-kosovo-bisherige-oppositionsparteien-liegen-vorn-ld.1513769, Zugriff 8.10.2019
? ORF – Österreichischer Rundfunk (6.10.2019): Opposition gewinnt Parlamentswahl im Kosovo, https://orf.at/stories/3139956/, Zugriff 8.10.2019
KI vom 7.9.2017, Politische Krise im Kosovo gelöst (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)
Die fast dreimonatige politische Krise nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im Kosovo ist nun offenbar gelöst. Die Partei "Allianz für ein Neues Kosovo" (AKR) des Geschäftsmannes Behgjet Pacolli schloss sich am Montagnachmittag dem Wahlsieger, der PAN-Koalition, auch offiziell an. Ein Koalitionsvertrag mit den neuen Bündnispartnern, Kadri Veseli von der Demokratischen Partei (PDK), Ramush Haradinaj, Allianz für die Zukunft (AAK) und Ratmir Limaj, Nisma, wurde am Montagabend im Haus Pacollis unterzeichnet. Dank dem neuen Bündnispartner hat sich die als "Kriegsflügel" bekannte PAN-Koalition nach mehreren gescheiterten Versuchen nun die notwendige Stimmenmehrheit sowohl für die Wahl des Parlamentspräsidenten als auch der Regierung gesichert. Der Wahlsieger wird von 20 Abgeordneten der Minderheitenparteien unterstützt und kommt somit nun auf 63 Mandate im 120-Sitze-Parlament.
Wie der staatliche TV-Sender RTK am Dienstag berichtete, haben neue Bündnispartner darüber hinaus eine Einigung über die Postenverteilung in der künftigen Koalitionsregierung erzielt, die erneut von Ex-Premier Haradinaj geleitet werden soll. Demnach sollen der kleinen Partei Pacollis mit vier Parlamentssitzen fünf Ministerposten, darunter jener des Äußeren, zufallen. Die PDK soll sechs Minister stellen, die AAK drei und den Premier, Nisma vier. Die Belgradtreue "Serbische Liste" soll wie bisher zwei Minister haben, noch ein Ressort wird von anderen Minderheitenvertretern geleitet werden (derStandard.at 5.9.2017).
Quelle(n):
- derStandard.at (5.9.2017): International, Europa, Kosovo, Koalitionsvertrag unterzeichnet: Politische Krise im Kosovo gelöst, http://derstandard.at/2000063620495/Koalitionsvertrag-unterzeichnet-Politische-Krise-im-Kosovo-offenbar-geloest, Zugriff 7.9.2017
2. Politische Lage
Das politische System hat sich seit der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 gefestigt. Kosovo ist eine Republik mit parlamentarischer Demokratie. Die Verfassung enthält neben den Grundwerten moderner europäischer Verfassungen und dem Prinzip der Gewaltenteilung umfassenden Schutz, zum Teil Privilegien für die in Kosovo anerkannten Minderheiten (Serben, Türken, Bosniaken, Goranen, Roma, Ashkali, Ägypter). Sie eröffnet ihnen weitgehende Möglichkeiten der politischen Partizipation, so z.B. garantierte Sitze im Parlament. Art. 59 der Verfassung sieht z.B. die Ausübung der eigenen Sprache, Kultur und Religion sowie den Zugang zu Bildungseinrichtungen mit jeweiligem Sprachangebot und die Nutzung eigener Medien vor (AA 9.12.2015).
Gemäß der am 15. Juni 2008 in Kraft getretenen Verfassung ist die Republik Kosovo eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung. Gesetzgebungsorgan ist das Ein-Kammer-Parlament mit 120 Sitzen, von denen 20 für Abgeordnete der nationalen Minderheiten reserviert sind (darunter 10 Sitze für kosovo-serbische Abgeordnete). Bei den letzten Parlamentswahlen im Juni 2014 errang die PDK (Demokratische Partei Kosovo) des ehemaligen Premierminister Hashim Thaçi mit 30,38% die meisten Stimmen. Die LDK (Demokratische Liga) folgte mit 25,24% der Stimmen. Seit 09.12.2014 besteht eine Koalitionsregierung aus PDK und LDK sowie Vertretern der Minderheiten unter Führung von Premierminister Isa Mustafa (LDK) (AA 12.2015, vgl. GIZ 6.2016).
Seit Herbst 2015 versuchen die drei Oppositionsparteien Vetevendosje, AAK und NISMA die Arbeit des Parlaments zu blockieren. Hintergrund des Protests sind, nach Aussage der Opposition, zwei Abkommen welche die kosovarische Regierung mit den Nachbarländern Montenegro und Serbien geschlossen hat. Im Abkommen mit Montenegro geht es um eine Übereinkunft der Grenzziehung zwischen den beiden Staaten. Von noch größerer Relevanz ist das Abkommen mit Serbien, welches die Bildung einer Gemeinschaft » (serb. zajednica) der serbischen Gemeinden im Kosovo regelt, womit eine Übertragung bestimmter Kompetenzen an die Gemeinschaft verbunden ist. Ein wesentliches Argument der Opposition stützt sich auf ein Urteil des kosovarischen Verfassungsgerichts, welches das Abkommen als in Teilen nicht im Einklang mit der kosovarischen Verfassung bewertet. Die internationale Gemeinschaft kritisiert die Blockade der Opposition und den damit verbunden politischen Stillstand (GIZ 6.2016, vgl. Presse 29.2.2016).
Eine EU-Rechtsstaatsmission EULEX hat den Auftrag, die kosovarischen Behörden beim Aufbau eines multiethnischen Justiz-, Polizei- und Zollwesens zu unterstützen und an rechtsstaatliche EU-Standards heranzuführen. Das Mandat wurde um weitere zwei Jahre bis zum Juni 2018 verlängert (EULEX 21.6.2016).
Laut einer repräsentativen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (Jugendliche in Südosteuropa, Juli 2015) will fast die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus acht Balkanländern (ALB, BuH, KOS, MZ, SLO, KRO, BU, RU) auswandern. Begehrteste Ziele sind Deutschland, Großbritannien, die Schweiz und die USA. Gut ein Drittel der Befragten ist unzufrieden mit dem Zustand der Demokratie in ihren Ländern. Nur 17% sind dagegen zufrieden. Am größten ist der Unmut in Mazedonien, wo gerade einmal 6% mit dem politischen System zufrieden sind, 44% dagegen unzufrieden. Arbeitslosigkeit und Armut sind in ganz Südosteuropa die drängendsten Sorgen. „Sehr wahrscheinlich“ oder „ziemlich wahrscheinlich“ ihr Land verlassen wollen 45,5% aller Befragten. Am dramatischsten sind die Zahlen in Albanien mit 66,7% Auswanderungswilligen, in Kosovo mit 55,1% und in Mazedonien mit 52,8% (BAMF 3.8.2015).
Nach Angaben des kosovarischen Außenministeriums haben 111 Staaten (darunter 23 EU-Staaten sowie die Nachbarstaaten Montenegro, EJR Mazedonien und Albanien) die Republik Kosovo anerkannt (Stand 1.10.2015) (AA 9.12.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- AA - Auswärtiges Amt (12.2015): Kosovo - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kosovo/Innenpolitik_node.html, Zugriff 29.6.2016
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.8.2015): Balkan - Fast 50 % der Jugend will auswandern, Briefing Notes
- diePresse.com (29.2.2016): Europas jüngster Staat in akutem Lähmungszustand, http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/4936140/Europas-jungster-Staat-in-akutem-Laehmungszustand?from=suche.intern.portal, Zugriff 29.6.2016
- EULEX (21.6.2016): Eulex New Mandate, http://www.eulex-kosovo.eu/?page=2,11,438, Zugriff 29.6.2016
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2016): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/#c37416, Zugriff 29.6.2016
3. Sicherheitslage
Die interethischen Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit im Kosovo. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zwischen den im Norden lebenden Serben, die ein zusammenhängendes Gebiet bewohnen und den Serben die im restlichen Kosovo in kleinere versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten, und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich die Unabhängigkeit des Kosovo sowie die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Die Zusammenarbeit ist minimal. Problematisch in der Diskussion sind speziell die Behandlung der Grenzen zwischen Kosovo und Serbien, die von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt werden.
Mit der Ausnahme Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen. So geschehen, als in Serbien im von Albanern bewohnten Preševo-Tal ein nicht genehmigtes Heldendenkmal von der serbischen Polizei entfernt wurde. Hierauf kam es im Kosovo unter anderem zu Schändungen serbischer Friedhöfe (GIZ 6.2016).
Im Norden Kosovos (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) hat sich die Lage seit den gewalttätigen Zusammenstößen Ende Juli 2011 weitgehend beruhigt, sie bleibt aber angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt. Im restlichen Teil Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil (AA 23.9.2015).
Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren im Zeitraum von 2012-2015 ergab folgende wesentliche Ergebnisse: 40% der Befragten fühlten sich im Kosovo sicher, weitere 40% weder sicher noch unsicher, nur 20% dagegen fühlten sich unsicher. Von 2012-2015 nahm auch das allgemeine Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheitsbehörden und Sicherheitsinstitutionen pro Jahr jeweils um drei Prozentpunkte zu. In Nachbarschaften mit überwiegend serbischer Bevölkerung und an der Grenze zu Serbien war das allgemeine Sicherheitsgefühl tendenziell weniger ausgeprägt als im übrigen Kosovo (KCSS 5.2016)
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (23.9.2015): Kosovo: Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/KosovoSicherheit_node.html, Zugriff 29.6.2016
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2016): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/#c37416, Zugriff 29.6.2016
- KCSS - Kosovo Center for Security Studies (5.2016): Special Edition: Public Safety in Kosovo Trends of Citizens’ Perceptions on Public Safety in Kosovo Covering period: 2012 – 2015, http://www.qkss.org/repository/docs/Public_Safety_KSB_81063.PDF, Zugriff 30.6.2016
4. Rechtsschutz/Justizwesen
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. Die lokale Rechtsprechung sah sich jedoch Einflüssen von außen ausgesetzt und sorgte nicht immer für faire Prozesse. Auch gab es immer wieder Berichte über Korruption und über Ineffizienz im Gerichtswesen. Ein effizientes Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte war vorhanden. Gerichtsurteile wurden von den Behörden im Allgemeinen respektiert. EULEX setzte seine Arbeit im Justizbereich fort und operierte unabhängig oder in Zusammenarbeit mit heimischen Anklägern. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellte kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigen Einkommen zur Verfügung, insbesondere in Zivil- und Verwaltungsstrafverfahren. Das Amt der Oberstaatsanwaltschaft betrieb eine Opferunterstützungsstelle, die Verbrechensopfern einen kostenlosen Zugang zum Recht ermöglichte, wobei ein spezieller Fokus auf Opfer von häuslicher Gewalt, Menschenhandel, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung gelegt wurde. Das Justizministerium betrieb eine justizielle Integrationsabteilung mit zwei Gerichtsverbindungsbüros, die Minderheiten in serbischen Mehrheitsgebieten bei Gerichtsangelegenheiten unterstützen und ebenso Informationen und Rechtshilfe für Flüchtlinge und IDPs zur Verfügung stellten (USDOS 13.4.2016).
Ein effizientes Disziplinarverfahren ist vorhanden. Im gesamten Justizwesen sind Richter und Staatsanwälte verschiedener Ethnie tätig. Zum Teil gibt es noch erhebliche Ausbildungsdefizite. Eine Integrationsabteilung im Justizministerium setzte sich insbesondere für Anliegen von Minderheiten ein. Diese unterhält elf Verbindungsämter, um Angehörige von Minderheiten in serbischen Mehrheitsgebieten bei Gerichtsangelegenheiten zu unterstützen. Dennoch ist von allen Institutionen das Justizwesen am schwächsten entwickelt und weist trotz gewisser Fortschritte immer noch erhebliche Mängel auf. Neben unzureichenden Ressourcen und Fähigkeiten des Personals, fehlt es oft an der Bereitschaft zur Strafverfolgung und Korruptionsbekämpfung. Die Gehälter und die soziale Absicherung des Personals sind dürftig. Die starke Vernetzung in traditionellen Clan- und Großfamilienstrukturen führt dazu, dass Amtsträger oft starkem sozialen Druck und Bestechungsversuchen ausgesetzt sind. Es gibt immer wieder Berichte über Korruption, politische Einflussnahme und über mangelnde Effizienz im Gerichtswesen (BAMF 5.2015, vgl. EC 10.11.2015).
5. Allgemeine Menschenrechtslage
Das Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten ist in der Verfassung verankert. Nach Art. 22 der Verfassung gelten viele internationale Menschenrechtsabkommen unmittelbar und haben Anwendungsvorrang. Seit November 2000 gibt es die Einrichtung einer Ombudsperson, die für alle Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen oder Amtsmissbrauch durch die zivilen Behörden in Kosovo zuständig ist. Die Ombudsperson geht Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen nach und gibt in einem Jahresbericht an das Parlament (www.ombudspersonkosovo.org) Empfehlungen für deren Behebung ab (AA 9.12.2015).
Es gibt keine Hinweise auf staatliche Repressionen oder Menschenrechtsverletzungen. Probleme beim Aufbau eines funktionierenden Justizsystems sowie einer effizienten Verwaltung, aber auch das hohe Maß an Korruption beeinflussen jedoch den Schutz zentraler Menschenrechte. Das Anti-Diskriminierungsgesetz wird nicht konsequent angewendet. Es kommt immer wieder zu einzelnen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen, denen in der Regel durch NGOs, den Ombudsmann aber auch durch staatliche Stellen nachgegangen wird (BAMF 5.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (5.2015): Kosovo, Länderreport Band 3
6. Relevante Bevölkerungsgruppen
6.1. Frauen
Die kosovarische Gesellschaft ist weiter stark von traditionellen Formen geprägt. In diesem Zusammenhang sind z. B. das spezifische Verständnis von Ehe, Familie, Verwandtschaft, Geschlecht, Zentrum – Peripherie oder Recht zu nennen (GIZ 6.2016). Das gesetzliche Regelwerk bezüglich der Gleichstellung von Mann und Frau hat sich verbessert und entspricht europäischen Standards. Strukturelle Herausforderungen bestehen und die Umsetzung bedarf weiterhin großer Anstrengungen. Jede Polizeistation hat eine Einheit, die sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt beschäftigt. Trotz Ernennung eines nationalen Koordinators gegen häusliche- und sexuelle Gewalt, gab es in der Bekämpfung derselben keine Fortschritte. Wegen fehlender Datenerfassung laufender Verfahren und Verurteilungen fehlen dazu allerdings statistische Daten. Auch die Rechte der Frauen in Bezug auf Erbschaft oder eingetragener Eigentumsrechte bedürfen weiterer Verbesserungen in der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen (EC 10.11.2015).
Laut des Kosovo-Länderreports des Deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom Mai 2015 ist geschlechts-spezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen (Belästigung, Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Zwangsprostitution, Menschenhandel, frühe Verheiratung) weit verbreitet und vorherrschend kulturell akzeptiert. Nach Angaben von Igballe Rogova, der Direktorin des Kosovo Women‘s Network, ist das Problem nicht nur die Haltung der Männer, sondern auch die hohe Akzeptanz der Gewalt unter den Frauen. Laut einer aktuellen Studie von UNICEF und der Kosovo Statistics Agency haben in einer Umfrage rund 42% der befragten Frauen zwischen 15 und 49 Jahren angegeben, dass ein Mann das Recht habe, seine Frau zu schlagen, wenn diese das Haus verlasse, ohne es ihm zu sagen. Das Gleiche gelte, wenn die Frau die Kinder vernachlässige, wenn die Eheleute einen Streit hätten, wenn die Ehefrau Geschlechtsverkehr verweigere, wenn sie das Essen anbrenne, wenn sie sich nicht genügend um den Haushalt und die Hygiene oder um die Eltern des Ehemanns kümmerte, oder wenn die Ehefrau Entscheidungen bezüglich der Familie treffe, ohne den Ehemann zu fragen. Die kosovarische Polizei hat laut eigenen Angaben eine spezielle Abteilung für häusliche Gewalt. So habe es in jeder Polizeistation in Kosovo zwei Untersuchungsbeamte, welche einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst unterhalten. Die Polizei habe ebenfalls standardisierte Arbeitsabläufe bei Eingang derartiger Anzeigen. Die spezialisierten Einheiten der Polizei führen bei Anzeigen bezüglich häuslicher Gewalt die Untersuchungen durch und übergeben die Fälle der Staatsanwaltschaft. Zudem informiert die Polizei die zuständigen Akteure, welche kostenlose Rechtshilfe für Opfer anbieten. Gemäß den Praxiserfahrungen der spezialisierten NGO Women Wellness Center, welche in der Stadt Peja ein Frauenhaus betreibt, sei die Reaktion der Polizei vielfach nicht angemessen. So würde diese oft Partei für die Männer ergreifen, die Opfer beschuldigen und weitere Beweise verlangen (SFH 7.10.2015)
Diskriminierungen aufgrund der Rasse, des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Sprache, der sexuellen Orientierung oder des sozialen Status sind verboten. Auch häusliche Gewalt ist verboten, dabei besteht auch ein Wegweisungsrecht im Falle gesetzter Bedrohungen. Die Polizei reagierte angemessen auf Fälle von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt. Allerdings sind Verurteilungen und Anzeigen selten, was kulturellen Normen, aber auch mangelnden Schutzeinrichtungen, Zurückziehung der Anzeige und schlechten Beschäftigungsmöglichkeiten geschuldet war. Das Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt unterstützte NGOs finanziell, die einige Frauenhäuser für Opfer von Gewalt betrieben und bot Sozialdienste mittels der Sozialämter an (USDOS 13.4.2016).
Die rechtliche Stellung betroffener Frauen wurde z.B. durch die UNMIK Regulation 2003/12 sowie durch das vorläufige Strafgesetzbuch verbessert. Daneben wurden Spezialeinheiten gegen Missbrauch und Misshandlungen in jeder größeren Polizeiwache sowie Anlaufstellen bei Gericht und bei Nichtregierungsorganisationen eingerichtet. Verteilt auf die kosovarischen Regionen bestehen derzeit in Pec/Peja, Gjakova/Djakovica, Prizren, Gjilan/Gnjilane, (Süd-)Mitrovica und Pristina sechs Frauenhäuser, die als sog. "sichere Häuser" bezeichnet werden (AA 9.12.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- EC - European Commission (10.11.2015): KOSOVO* 2015 REPORT, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447156524_20151110-report-kosovo.pdf, Zugriff 4.7.2016
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2016): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/#c37429, Zugriff 4.7.2016
- SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (7.10.2015): Kosovo: Gewalt gegen Frauen und Rückkehr von alleinstehenden Frauen, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1444397675_151007-kos-gewaltgegenfrauen-themenpapier.pdf, Zugriff 4.7.2016
- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Kosovo, http://www.ecoi.net/local_link/322517/461994_de.html, Zugriff 4.7.2016
6.2. Kinder
Nur ca. 10% der Kinder im Kosovo besuchen vorschulische Einrichtungen, wobei hier deutliche regionale Unterschiede festzustellen sind. Exklusion im Bereich Bildung ist erheblich für Mädchen aus den ländlichen Gebieten und für Minderheiten, wobei die serbische Minderheit hierbei eine Ausnahme darstellt. Bis zu 10% der weiblichen Jugendlichen (16-19 Jahre) in ländlichen Gebieten können nicht Lesen und Schreiben. Die Qualität der Bildung ist allgemein als vergleichsweise schlecht zu beurteilen. Unterrichtsmaterialien und die Infrastruktur sind unzureichend. Viele Jugendliche verlassen die Schule ohne adäquate Vorbereitung für die Arbeitswelt. Fehlende Qualifikationen behindern den erfolgreichen Übergang zwischen Schule und Beruf (GIZ 6.2016).
Kindesmissbrauch blieb ein Problem. Laut Angaben von UNICEF waren 30% der Kinder im Kosovo Opfer von Missbrauch, wobei die Dunkelziffer höher ist, schon allein wegen mangelnden öffentlichen Bewusstseins dafür. Das PIK leitete eine Untersuchung ein gegen 8 Polizeibeamte wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger, Amtsmissbrauchs und Bedrohung und übergab diese den Strafverfolgungsbehörden. Das Phänomen Zwangs- und Frühheirat kommt noch in bestimmten Gruppen (Roma, RAE) vor. Lokale Regierungseinrichtungen und die Agentur für Gleichheit der Geschlechter versuchten in diversen Kampagnen dagegen zu steuern (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2016): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/#c37429, Zugriff 4.7.2016
- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Kosovo, http://www.ecoi.net/local_link/322517/461994_de.html, Zugriff 4.7.2016
7. Bewegungsfreiheit
Alle Ethnien können sich in Kosovo grundsätzlich frei bewegen. Die Sicherheitskräfte bemühen sich um einen verstärkten Schutz für Minderheitengebiete und Enklaven. Angehörige von Minderheiten verlassen diese Gebiete - oftmals aufgrund eines subjektiv empfundenen Unsicherheitsgefühls und auch sprachlicher Barrieren - nur selten. Von der Freizügigkeit wird zum Teil von Kosovo-Serben und Kosovo-Albanern vor allem dort aus einem subjektiven Unsicherheitsgefühl heraus kein Gebrauch macht, wo sich diese Gruppen in der Minderheit befinden. Ziele der Binnenmigration für Kosovo-Serben sind in der Regel mehrheitlich serbisch bewohnte Ortschaften (AA 9.12.2015, vgl. BAMF 5.2015, USDOS 13.4.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (5.2015): Kosovo, Länderreport Band 3
- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Kosovo, http://www.ecoi.net/local_link/322517/461994_de.html, Zugriff 4.7.2016
8. Grundversorgung und Wirtschaft
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Staatliche Sozialhilfeleistungen werden aus dem Budget des Sozialministeriums finanziert. Sie sind bei der jeweiligen Gemeindeverwaltung zu beantragen und werden für die Dauer von bis zu sechs Monaten bewilligt. Die Leistungsgewährung für bedürftige Personen erfolgt auf Grundlage des Gesetzes No. 2003/15. Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen wird durch Mitarbeiter der Kommunen und des Sozialministeriums überprüft. Jede Gemeinde verfügt über ein Zentrum für Soziales. Angehörige der Minderheiten werden zusätzlich von den in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (MOCR) betreut. Die Freizügigkeit wird für Sozialhilfebezieher nicht eingeschränkt. Der Wohnortwechsel ist der bisherigen Gemeinde anzuzeigen. Die von der bisherigen Kommune ausgestellte Registrierungsbescheinigung ist innerhalb einer Frist von sieben Tagen bei der Kommune des neuen Wohnsitzes bei der Anmelderegistrierung vorzulegen. Für den weiteren Sozialhilfebezug ist in der Kommune des neuen Wohnortes ein entsprechender Antrag zu stellen. Der Umzug wird durch Mitarbeiter des Sozialministeriums überprüft. Wohnraum - wenn auch mitunter auf niedrigem Standard - steht ausreichend zur Verfügung (AA 9.12.2015).
Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2014 nach Angaben der kosovarischen Regierung bei EUR 3.084, das BIP insgesamt bei etwa EUR 5,5 Mrd. Damit bleibt Kosovo das ärmste Land auf dem Balkan. Allerdings sind zuverlässige Angaben über die Höhe der Transferleistungen der Diaspora und Informationen über das Ausmaß der Schattenwirtschaft letztlich nur schwer zu erhalten (AA 12.2015). Der Umfang der Auslandsüberweisungen wird auf einen Anteil am BIP zwischen 11% und 13% geschätzt, was in etwa den öffentlichen Ausgaben für soziale Sicherung entspricht. Haushalte, die auf Auslandsüberweisungen zurückgreifen, geben im Vergleich zu Nicht-Empfängern 22% mehr für medizinische Versorgung aus. Ähnliches lässt sich für den Bildungsbereich konstatieren. Auslandsüberweisungen sind somit für viele Menschen im Kosovo eine vitale Strategie bei der Prävention bzw. bei der Überwindung von sozialen Risiken. Dem Kosovo Human Development Report 2014 zu Folge können sich ca. 50% der jungen Kosovaren zwischen 18 und 36 Jahre vorstellen ihr Land für eine Beschäftigung, eine Ausbildung oder ein Studium temporär oder dauerhaft zu verlassen. Im Lichte dieser Beschreibung ist ersichtlich, welche Bedeutung Migration für die kosovarische Gesellschaft besitzt und welchem Umfang Migration zu der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Stabilität des Landes beiträgt (GIZ 6.2016).
34% der kosovarischen Bevölkerung leben in absoluter Armut (täglich verfügbares Einkommen geringer als EUR 1,55) und 12% in extremer Armut (EUR 1,02). Armutsgefährdung korreliert stark mit Ethnizität (RAE-Minderheiten sind von Armut überproportional stark betroffen), Alter, Bildung, Geographie und Haushaltsgröße. Der Lebensstandard ist im Kosovo sehr ungleich verteilt, mit Unterschieden in der durchschnittlichen Lebenserwartung von bis zu 10 Jahren zwischen einzelnen Gemeinden. Ein bedeutender Teil der Gesellschaft ist als mehrdimensional arm zu bezeichnen: Neben dem Mangel an finanziellen Ressourcen ist der Zugang zu sozialer Infrastruktur bzw. die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse für viele Menschen begrenzt (GIZ 6.2016).
Kosovo gehört zu den ärmsten Staaten der Region und ist auf die Hilfe der EU und der im Ausland lebenden Kosovo-Albaner angewiesen. Der Anteil der informellen Wirtschaftsleistung ist immens - schätzungsweise zwischen 27% und 45%. Weitere Probleme sind die unzureichende Infrastruktur (Energie, Wasser und Verkehr), ungelöste rechtliche Verhältnisse, mangelnde politische Transparenz, Korruption, Kriminalität, etc. Die Mehrheit der Beschäftigten zahlt weder Steuern noch Sozialabgaben. Zudem sind viele Arbeitnehmer ohne Arbeitsvertrag beschäftigt. Der Durchschnittslohn liegt bei ca. EUR 300 bis 450. Der Durchschnittslohn im öffentlichen Dienst liegt zwischen EUR 290 und 375. Die Beschäftigungsrate beträgt lediglich 28%. Zuverlässige Zahlen über die tatsächliche Höhe der Arbeitslosigkeit liegen nicht vor (BAMF 5.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- AA - Auswärtiges Amt (12.2015): Kosovo - Wirtschaftspolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kosovo/Wirtschaft_node.html, Zugriff 5.7.2016
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (5.2015): Kosovo, Länderreport Band 3
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2016): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/#c37429, Zugriff 5.7.2016
8.1. Sozialbeihilfen
Das Gesetz über die soziale Grundsicherung umfasst zwei Kategorien von Leistungsempfängern. Kategorie I definiert Familien als Leistungsempfänger, in denen alle Familienmitglieder temporär oder dauerhaft dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, z.B. Kinder bis 14 Jahre, Jugendliche bis 18 Jahren, insofern diese in das Bildungssystem integriert sind, Alleinerziehende mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren, Personen mit schwerer und dauerhafter Behinderungen über 18 Jahre, ältere Personen über 65 Jahre. Kategorie II umfasst jene Familien, in denen mindestens ein Familienmitglied dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und in denen mindestens ein Kind jünger als 5 Jahre bzw. ein/e Waise jünger als 15 Jahre versorgt wird. Die Leistungen aus beiden Kategorien sind an strenge Bedürftigkeitsprüfungen gebunden. Die Grundrente (EUR 45) wird aus Mitteln des öffentlichen Haushalts finanziert, Rentner, die Beitragszahlungen von mindestens 15 Jahren nachweisen können, erhalten zusätzlich eine erweiterte Grundrente in Höhe von EUR 35. Das durchschnittliche Niveau der Leistungen liegt bei ca. EUR 60 (GIZ 6.2016, vgl. AA 9.12.2015, BIO 6.6.2016).
Das Sozialsystem ist nur rudimentär ausgebaut und bietet keine angemessene Versorgung. Ein Gesetz zum Aufbau einer staatlichen Krankenversicherung wurde verabschiedet, aber noch nicht umgesetzt. Ein Altersversorgungsystem ist eingerichtet, die Renten bewegen sich aber auf niedrigem Niveau. Die Registrierung am Wohnort sowie der Besitz von Personenstandsurkunden sind Voraussetzungen für den Zugang zu vielen Leistungen. Wegen der strengen Anspruchsvoraussetzungen oder mangels Registrierung erhalten nur wenige Familien staatliche Leistungen in Form von Sozialhilfe oder Renten. Mit Stand August 2014 erhielten etwa 30.000 Familien Sozialhilfeleistungen. Die staatlichen Hilfen betragen zwischen EUR 60 bis EUR 110 im Monat. Das wirtschaftliche Überleben dieser Familien sichern in der Regel der Zusammenhalt der Familien und die in Kosovo noch ausgeprägte gesellschaftliche Solidarität. Eine große Rolle spielen dabei die Schattenwirtschaft, Spenden und die Unterstützung durch die Diaspora (BAMF 5.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (5.2015): Kosovo, Länderreport Band 3
- BIO - Belgian Immigration Office (6.6.2016): Accessibility of healthcare – Kosovo, Country Fact Sheet, Zugriff 6.7.2016
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2016): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/#c37429, Zugriff 5.7.2016
9. Rückkehr
Von der kosovarischen Regierung wurde im Mai 2010 eine Strategie für Rückkehrer und Reintegration verabschiedet. Im Rahmen der Umsetzung dieser Strategie unterstützt die Regierung seit dem 1. Januar 2011 Rückkehrer aus Drittstaaten - unabhängig von ihrer Ethnie - mit Geld-, Sach- und Beratungsleistungen. Die „National Strategy for Reintegration of Repatriated Persons in Kosovo” (2013 – 2017), die vor allem organisatorische Änderungen der Strategie aus dem Jahre 2010 betrifft, sieht für die Haushaltsjahre 2014 bis 2017 Mittel in Höhe von EUR 3,2 Mio. pro Jahr vor. Damit keine Anreize für eine Ausreise aus Kosovo bestehen, erhalten nur diejenigen Rückkehrer Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm, die vor dem 28. Juli 2010 Kosovo verlassen haben. Ausnahmen gelten bei aufgrund von Alter, Krankheit, Behinderung, familiärer oder sozialer Probleme besonders gefährdeten Personen („vulnerable persons“). Zuständig für die Antragstellung zur Gewährung von Leistungen an Rückkehrer sind die Kommunen, in denen die Rückkehrer registriert werden oder bereits registriert sind. In fast allen Gemeinden Kosovos wurde hierfür ein Büro für Gemeinschaften und Rückkehrer (MOCR) sowie kommunale Ausschüsse für Reintegration (MCR) eingerichtet (AA 9.12.2015, vgl. BAMF 5.2015).
Geleitet wird der gesamte Reintegrationsprozess von der Abteilung für die Reintegration von Rückkehrern im kosovarischen Innenministerium. Für diese Abteilung arbeiten u.a. sechs sog. Regionalkoordinatoren, die dezentral in den größeren Gemeinden von Kosovo (auch Nord-Mitrovica) tätig sind und als Ansprechpartner für die MOCR fungieren sollen sowie auch Mitglieder der MCR sind. Zu den Aufgaben der Regionalkoordinatoren gehört auch ein Monitoring der MOCR und der MCR. Im Bereich der Wohnraumbeschaffung können sie zudem eigenständig tätig werden. Die erste Kontaktaufnahme zu den Rückkehrern findet bereits unmittelbar nach deren Ankunft in einem eigenen Büro des DRRP im Flughafen Pristina statt. Falls erforderlich, werden Transport in die Heimatgemeinde oder eine befristete Unterkunft in einer Einrichtung in Pristina angeboten sowie Ansprechpartner in den Kommunen benannt. Im Bedarfsfall können individuelle medizinische Versorgungsmöglichkeiten über die Abteilung für die Reintegration von Rückkehrern in Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Gesundheitsministerium organisiert werden (AA 9.12.2015).
Derzeit liegen der Staatendokumentation keine Erkenntnisse vor, dass abgelehnte Asylwerber bei der Rückkehr in den Kosovo allein wegen deren Beantragung von Asyl im Ausland mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben (Stdok 7.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (5.2015): Kosovo, Länderreport Band 3
- Stdok - BFA-Staatendokumentation (7.2016)
10. Dokumente
Personen mit gewöhnlichem Wohnsitz in Kosovo oder im Ausland lebende Kosovaren, die im zentralen Zivilregister erfasst sind, konnten bis Ende Juni 2008 bei den kommunalen Zentren für Zivilregistrierung unter Vorlage ihres UNMIK-Personalausweises UNMIK-Reisedokumente beantragen. Einzelheiten zu UNMIK-Reisedokumenten sind in der UNMIK-Vorschrift 2000/18 geregelt. Wegen der Verlängerung von zwei bzw. fünf Jahren kann es zum jetzigen Zeitpunkt keine gültigen UNMIK-Pässe und ID-Karten mehr geben. Seit Ende Juli 2008 werden bis zu zehn Jahre gültige kosovarische Reisepässe (seit November 2011 auch mit biometrischen Merkmalen) ausgestellt (AA 9.12.2015).
Quelle:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
10.1. Serbische Pässe
Zudem haben sämtliche Bewohner Kosovos die Möglichkeit, biometrische Pässe der Republik Serbien zu erlangen (da aus serbischer Perspektive Kosovo weiterhin ein Teil Serbiens ist). Bewohner von Kosovo müssen sich hierfür seit 24. 9. 2009 zu einer „Koordinierungsdirektion“ (Koordinaciona uprava) nach Belgrad begeben. Die dort ausgestellten Pässe unterscheiden sich von den regulären Pässen nur durch die ausstellende Behörde und berechtigen nicht zur visumfreien Einreise in das Schengen-Gebiet. Es gibt in Kosovo weiterhin serbische "Parallelbehörden", mit Außenstellen in Südserbien (in Klammern).
- MPU SRBIJE, PU ZA PRISTINU (Niska Banja)
- MPU SRBIJE, PU ZA GNJILANE (Vranje)
- MPU SRBIJE, PU ZA DAKOVICU (Jagodina)
- MPU SRBIJE, PU ZA KOSOVSKO MITROVICO (Kraljevo)
- MPU SRBIJE, PU ZA PRIZREN (Krusevac)
- MPU SRBIJE, PU ZA PEC (Kragujevac)
- MPU SRBIJE, PU UROSEVAC (Leskovac)
In den Polizeiaußenstellen in Südserbien können nur biometrische Personalausweise beantragt und ausgegeben werden. Vor der o.a. Regelung sind etwa 5.600 biometrische serbische Reisepässe von den serbischen „Parallelbehörden“ in Kosovo ausgestellt worden, deren Inhaber ins Schengen-Gebiet visumfrei einreisen dürfen.
Ein weiteres großes Problem bei der Ausstellung serbischer Dokumente an Kosovo-Albaner ist die oft deutliche Differenz der Schreibweisen der kosovarischen Namen bis hin zur völligen Verfremdung. Eine zweifelsfreie Identifikation ist so oft nicht möglich. Abfragen in den einschlägigen Datenbanken (auch im Visa-System) gehen ins Leere (AA 9.12.2015).
Quelle:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
10.2. Gefälschte Dokumente
Es liegen wenige Erkenntnisse darüber vor, dass kosovarische Reisepässe gefälscht werden. Es kommt allerdings regelmäßig vor, dass in die Reisedokumente gefälschte Visa oder Aufenthaltstitel eingefügt werden. In der Vergangenheit wurden mehrfach Fälscherwerkstätten in Kosovo ausgehoben, hierbei wurden beträchtliche Mengen an gefälschten und blanko gestohlenen Reisedokumenten und Schengen-Aufenthaltstiteln beschlagnahmt (AA 9.12.2015).
Quelle:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG
2. Beweiswürdigung
2.1.Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten sowie einer mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität, zur Staatsbürgerschaft, zu den Familienständen, zur Einreise ins Bundesgebiet, zum Aufenthalt in demselben, zu den verwandtschaftlichen Verhältnissen zueinander, zum Gesundheitszustand, zur Erwerbslosigkeit sowie zu den familiären Bezugspunkten der BF in Österreich und im Herkunftsstaat und zu den Schulbesuchen des BF1 und der BF3 sowie zu deren Erwerbs- und Hausfrauentätigkeiten im Herkunftsstaat getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden, jenen weder in der gegenständlichen Beschwerde, noch in der mündlichen Verhandlung und der Stellungnahme entgegengetreten wurde.
Der gemeinsame Haushalt der BF miteinander und mit dem zweiten Sohn beruhen auf den konsistenten und übereinstimmenden Vorbringen der BF, was durch durgehende gemeinsame Wohnsitzmeldungen in Österreich zudem untermauert wird.
Die gemeinsame Einreise der BF ins Bundesgebiet mit dem zweiten Sohn beruht auf dem unbestrittenen Akteninhalt sowie den Ausführungen in den seinerzeitigen die Asylanträge der BF abweisenden Bescheiden des BFA. Auf einer jeweiligen Ausfertigung der besagten Bescheide beruht zudem auch die Duldung des Aufenthalts der BF in Österreich bis zum 30.04.2018 und ergibt sich die Verlängerung derselben bis zum 30.04.2019 aus einem Aktenvermerk des BFA vom 01.03.2018 (siehe G306 2221478-1 (im Folgenden: Akt BF1) AS 199). Dem besagten Aktenvermerk kann auch die weitere Duldung des zweiten Sohnes entnommen werden.
Die Abweisung des Asylantrages des zweiten Sohnes sowie die weitere Duldung seines Aufenthaltes beruht auf einer Ausfertigung des oben zitierten Bescheides des BFA (siehe G306 2221482-1 (im Folgenden: Akt Sohn) Aktenteil (im Folgenden: A) 1 AS 137f).
Durch Abfrage des Zentralen Fremdenregisters konnte ermittelt werden, dass die BF über keine Aufenthaltstitel für Österreich verfügen.
Der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung beruht auf einer Einsichtnahme in das GVS-Informationssystem und ergibst sich die Eistufung der Republik Kosovo als sicherer Herkunftsstaat aus § 1 Z 2 HStV.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit beruht ferner auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich, und haben der BF1 und die BF2 ihre Druschsprachkursbesuche durch entsprechende Bestätigungen nachzuweisen vermocht. (siehe Beilagen zum Verhandlungsprotokoll) Der Schulbesuch der BF3 und des BF4 wurde zudem durch Vorlage von Schulzeugnissen (siehe Akt BF2 AS 135ff) sowie die Mitgliedschaft des BF4 bei einem Fußballverein durch die Vorlage einer Bestätigung des Trainers desselben (siehe Akt BF2 AS 167) belegt.
Die Erkrankung sowie die andauernde Behandlung des zweiten Sohnes beruht auf einer Vielzahl in Vorlage gebrachter medizinischer Unterlagen. So wurde dieser wiederholt in Österreich operiert, befindet er sich weiterhin in medizinischer Behandlung und erfolgte die letzte Operation im Juli 2020. (siehe OZ 11 sowie Beilagen zum Verhandlungsprotokoll). Aus der Vorlage entsprechender medizinischer Unterlagen und einer ärztlichen Bestätigung (siehe OZ 11) ergibt sich, dass weitere Operationen und Behandlungsschritte in Bezug auf die Erkrankung des zweiten Sohnes notwendig sind. Die in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen geben jedoch keinen Aufschluss darüber, wie oft der BF noch operiert werden muss bzw. wie lange die Behandlung noch fortdauern wird. Nach näherem Studium aller bisher im Verfahren vorgelegter medizinischer Unterlagen ist zum Schluss zu kommen, dass aus Sicht der Mediziner/Medizinerinnen die konkrete Dauer der weiteren Behandlung des BF nicht abgeschätzt werden kann, zumal einzelne Behandlungsschritte immer erst nach und nach gesetzt und vom jeweiligen Heilungs- und Wachstumsverlauf des BF beeinflusst werden können. (sieh bspw. Akt Sohn A2 AS 17; OZ 11)
Insofern festgestellt wurde, dass die Situation des zweiten Sohnes die BF sehr belastet, beruht dies auf den konsistenten Angaben der BF vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung. Aus den besagten Angaben derselben ergibt sich auch, dass der zweite Sohn der Unterstützung und Hilfe der BF, insbesondere des BF1 und der BF2 benötigt. So wurde seitens der BF wiederholt auf Kreislaufprobleme sowie auf das Auftreten von Schwindel mit einhergehender Sturzgefahr beim zweiten Sohn hingewiesen, was sich aufgrund der medizinischen Vorgeschichte des zweiten Sohnes zudem durchaus als plausibel erweist. So ist den medizinischen Unterlagen zu entnehmen, dass operative Maßnahmen am Ohr und Innenohr desselben vorgenommen wurden (siehe Akt Sohn A1 AS 75) und gab dieser in der mündlichen Verhandlung an, auf dem linken Ohr aufgrund dessen Verschlusses nichts hören zu können. Da notorisch bekannt ist, dass das Innenohr für den Gleichgewichtssinn essentiell ist, erweist sich das besagte Vorbringen als glaubwürdig und nachvollziehbar. Ferner wurde dem zweiten Sohn bereits am 14.06.2019 eine Kreislaufinstabilität attestiert (siehe Akt Sohn A2 AS 249). Zudem wurde die belastende Situation, insbesondere im Hinblick auf die BF2, sowie die Betreuungsnotwendigkeit des zweiten Sohnes durch die BF vom BFA seinerzeit in einem Aktenvermerkt (siehe Akt BF1 AS 199) festgehalten.
Vor diesem Hintergrund vermochten die BF glaubwürdig darlegen, dass der zweite Sohn ihrer physischen und psychischen Unterstützung bedarf und diese von den BF, insbesondere dem BF1 und der BF2 wahrgenommen wird.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF beruht ferner auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
Die sozialen Bezugspunkte beruhen auf der Vorlage von Empfehlungsschreiben und sich gegen eine Ausweisung der BF stark machender Unterschriftenlisten (siehe Akt BF1 und BF2 OZ 2,5,6)
2.2. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die gegenständlich getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von der belangten Behörde in das Verfahren eingebrachten und angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Es wurden dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des BVwG, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Insoweit zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Die BF sind den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, die auf den in das Verfahren eingeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen beruhen, nicht substantiiert entgegengetreten.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist als Drittstaatsangehöriger.
Der BF als Staatsangehörige von Kosovo ist sohin Drittstaatsangehöriger iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
3.1.2. Staatsangehörige der Republik Kosovo benötigen nach Art. 3 Abs. 2 iVm Anlage I der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1, (sowie auch nach aktuell gültigem Art 3 Abs. 1 Verordnung (EU) 2018/1806, vom 14.11.2018) zum Überschreiten der Außengrenzen ein Visum.
Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt b