TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/21 I415 2233775-1

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Veröffentlicht am 21.09.2020
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Entscheidungsdatum

21.09.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §133
StGB §146
StGB §147 Abs2
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I415 2233775-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA: Bulgarien, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 30.01.2020, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Bulgariens, wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB und des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Höhe von acht Monaten verurteilt.

2.       Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 07.05.2020 teilte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit, dass die Erlassung einer Ausweisung bzw. eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn beabsichtigt sei. Er wurde zur Erstattung einer Stellungnahme binnen 14 Tagen aufgefordert.

3.       Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer fristgerecht am 26.05.2020 nach. Er halte sich seit Juli 2015 durchgehend rechtmäßig in Österreich auf und sei vollkommen integriert. Er lebe zusammen mit seiner Ehefrau und drei gemeinsamen Kindern, verfüge über Deutschkenntnisse und sei laufend beschäftigt gewesen. Seit Februar 2020 arbeite er als XXXX . Es werde daher ersucht, von fremdenrechtlichen Maßnahmen abzusehen.

4.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid des BFA vom 03.07.2020, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit erteilt (Spruchpunkt II.). Das Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

5.       Dagegen erhob der Beschwerdeführermit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 28.07.2020 fristgerecht Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Bescheidbegründung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Aufgrund des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers, der Verbundenheit zu seiner Familie und der beruflichen Eingliederung in die Gesellschaft gehe vom Beschwerdeführer keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Der Beschwerdeführer bereue sein Verhalten und werde dieses nicht wiederholen. Der Bescheid des BFA sei mit Willkür behaftet und nicht nachvollziehbar.

6.       Beschwerde samt Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 06.08.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Bulgariens. Seine Identität steht fest.

Er hält sich durchgehend seit dem 11.06.2015 im österreichischen Bundesgebiet auf, ist seither durchgehend behördlich gemeldet und ist seit 14.07.2015 im Besitz einer Anmeldebescheinigung.

Im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt leben seine Ehefrau und ihre drei gemeinsamen Kinder im Alter von vier, 14 und 15 Jahren, welche allesamt ebenfalls bulgarische Staatsangehörige sind.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er war in Österreich immer wieder, jeweils für wenige Monate bei verschiedenen Dienstgebern als Arbeiter beschäftigt (zum Teil nur geringfügig), hatte Anspruch auf pauschales Kinderbetreuungsgeld und bezog vorübergehend Arbeitslosengeld und Leistungen aus der Mindestsicherung. Seit dem 11.02.2020 geht er einer Beschäftigung als XXXX nach.

Im Strafregister der Republik Österreich scheint eine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers auf.

Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 30.01.2020, Zl. XXXX wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB und des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Höhe von acht Monaten verurteilt.

Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Wien

I./ im Mai 2019 ein ihm anvertrautes Gut in einem EUR 5.000, -- übersteigenden Wert, nämlich ein unter Eigentumsvorbehalt der XXXX Bank stehendes Fahrzeug Ford Transit im Wert von etwa EUR 7.900, -- sich mit dem Vorsatz zugeeignet hat, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er das Fahrzeug nach Bulgarien verbrachte und dort an einen Dritten verkaufte oder verborgte;

II./ am 16.01.2019 einen Dritten mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen, nämlich, dass er ihm Eigentum an dem unter I./ genannten Fahrzeug Ford Transit verschaffen werden, indem der Dritte die Kreditrate weiterzahlen und das Fahrzeug im Juni ausbezahlen werde, zu einer Handlung, nämlich zur Übergabe von EUR 4.000,-- und eines PKW Citroen im Wert von EUR 2.000,--, verleitet, wodurch der Dritte in einem Betrag von EUR 6.000,-, sohin in einem EUR 5.000,- übersteigenden Wert am Vermögen geschädigt wurde.

Im Zuge der Strafzumessung wertete das Gericht das teilweise Geständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd; erschwerend wirkte sich das Zusammentreffen von zwei Vergehen aus.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1.    Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem AJ-Web, dem Schengener Informationssystem und dem Strafregister wurden ergänzend eingeholt.

2.2      Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf den entsprechenden Angaben im Bescheid, denen in der Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Der durchgehende Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit Juni 2015 geht aus dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister (ZMR) hervor.

Die Anmeldebescheinigung des Beschwerdeführers ist im zentralen Fremdenregister dokumentiert.

Die Feststellungen zu seiner in Österreich lebenden Familie ergeben sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt. Aus einem Abgleich der Auskünfte aus dem zentralen Melderegister geht hervor, dass der Beschwerdeführer mit seiner Familie in einem Haushalt lebt.

Der Beschwerdeführer machte keine gesundheitlichen Beschwerden geltend und es liegen keine Anhaltspunkte für Erkrankungen oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit vor.

Die Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich geht aus dem eingeholten Versicherungsdatenauszug hervor.

Die Feststellung zu den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung basieren auf einem aktuellen Strafregisterauszug in Zusammenschau mit dem vorliegenden Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) (Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war der Beschwerde stattzugeben, dies aus folgenden Gründen:

Für den Beschwerdeführer, der aufgrund seiner bulgarischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, kommt der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1., 1. Satz FPG für Unionsbürger zur Anwendung, dies aufgrund des rechtmäßigen über fünfjährigen, aber unter zehnjährigen Aufenthalts. Er befindet sich seit Juni 2015 im Bundesgebiet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl dazu etwa VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).

Die Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist dann gegeben, wenn vom Fremden auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

In diesem Zusammenhang weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass es die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts betreffend die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs zu treffen hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die belangte Behörde hat grundsätzlich zutreffend den § 67 FPG als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogen. Sie hat jedoch verkannt, dass vorliegend nicht von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr gesprochen werden kann. Maßgeblich ist gegenständlich nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Beschwerdeführer hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

Um eine Gefährlichkeitsprognose abgeben zu können, muss eine Gesamtbetrachtung stattfinden. Bei der für den Beschwerdeführer zu erstellenden Gefährdungsprognose steht dessen (einzige) Verurteilung zu einer bedingten, achtmonatigen Freiheitsstrafe wegen des Vergehens der Veruntreuung und des Vergehens des schweren Betruges im Mittelpunkt der Betrachtung. Die belangte Behörde hat bei ihrer Entscheidung vollkommen außer Acht gelassen, dass sich der Beschwerdeführer mittlerweile seit fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält, er zuvor unbescholten war, es sich bei den von ihm begangenen Straftaten um Vergehen handelt und der Beschwerdeführer zu keiner unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ansonsten hat sich der Beschwerdeführer bisher nichts zu Schulden kommen lassen. Auch liegt das seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Verhalten bereits über ein Jahr zurück und er geht seit nunmehr sieben Monaten einer geregelten Beschäftigung nach. Unter Anwendung des § 67 Abs. 1 und 2 FPG kann das erkennende Gericht dem vorliegenden Fall keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Republik (dauerhaft) gefährdet, abgewinnen. Die vorzunehmende Zukunftsprognose fällt daher zu Gunsten des Beschwerdeführers aus.

Im Ergebnis und vor dem Hintergrund der zu Beginn zitierten VwGH-Judikatur zeigt sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegend somit nicht als verhältnismäßig.

Auch im Lichte der in § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass er sich seit Juni 2015 durchgehend in Österreich aufhielt, zuletzt berufstätig war und immer noch ist und er ein Familienleben mit seiner in Österreich wohnhaften bulgarische Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern im Alter von vier, 14 und 15 Jahren führt. Da sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon dem Grunde nach als unzulässig erweist, war auf die Relation des Privat- und Familienlebens zu den öffentlichen Interessen nicht (mehr näher) einzugehen. Wegen der untrennbaren Verbindung des § 70 Absatz 3 FPG mit dem Bestand eines Aufenthaltsverbotes war der Bescheid auch dahingehend aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4.       Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, da sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Prognoseentscheidung schwerer Betrug Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger Vergehen Veruntreuung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2233775.1.00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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