Entscheidungsdatum
22.09.2020Norm
ASVG §18aSpruch
W229 2216766-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 28.02.2019, AZ XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass Frau XXXX auch ab 01.11.2018 zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG berechtigt ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin beantragte am 13.01.2011 rückwirkend die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX , geb. am XXXX .
2. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) wurde dem Antrag vom 13.01.2011 ab 01.06.2010 stattgegeben.
3. Mit Schreiben der PVA vom 12.07.2013 wurde der Tochter der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass die durchgeführte Nachuntersuchung ergeben habe, dass bei ihr weiterhin Pflegebedürftigkeit in unverändertem Ausmaß vorliege, und die Leistung daher in unveränderter Höhe ausgezahlt werde. Die nächste Nachuntersuchung werde im Juni 2016 stattfinden.
4. Am 18.07.2016 fand eine Nachuntersuchung durch die PVA statt, woraufhin ein Ärztliches Gutachten zum Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes gemäß § 18a ASVG erstellt wurde.
5. Am 15.10.2018 fand neuerlich eine Untersuchung im Kompetenzzentrum der PVA statt, woraufhin ein ärztliches Gesamtgutachten zum Antrag auf Selbstversicherung erstellt wurde.
Mit chefärztlicher Stellungnahme vom 22.10.2018 wurde festgehalten, dass aufgrund des festgestellten Leidenszustandes eine Selbstversicherung nach § 18a ASVG wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes nicht mehr gerechtfertigt sei.
6. Mit gegenständlichem Bescheid der PVA vom 28.02.2019 wurde ausgesprochen, dass die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , mit 31.10.2018 ende.
Begründend wurde ausgeführt, dass im Fall der Beschwerdeführerin ein Beendigungs- bzw. Ausschlussgrund vorliege. Wie ärztlicherseits festgestellt worden sei, bedürfe das Kind der Beschwerdeführerin nicht ständig der persönlichen Pflege. Es bestehe zwar weiterhin ein Typ I Diabetes mit Insulinpumpen-Therapie, XXXX sei aber nun XXXX Jahre alt und sei bei dem Management der Zuckererkrankung deutlich selbständiger als noch vor zwei Jahren. Hauptsächlich bedürfe sie Hilfe bei der Insulin- und Broteinheiten-Berechnung, wobei sie von ihrer Mutter auch häufig nur noch telefonisch unterstützt werden müsse.
Der durchschnittliche wöchentliche Pflegebedarf betrage deutlich unter 21 Stunden, sodass auch die überwiegende Beanspruchung der Mutter zur Pflege und persönlichen Hilfe nicht mehr vorliege.
7. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde vom 25.03.2019, in welcher sie im Wesentlichen ausführte, dass ihr Kind nach wie vor ihre Leistung überwiegend beanspruche, vorwiegend in der Nacht, da die erhöhten Werte und die starken Schwankungen der Zuckerwerte meistens abends aufkommen. In manchen Nächten müsse sie bis zu fünf Mal, alle zwei Stunden, aufstehen, um den Blutzucker zu korrigieren. Nach wie vor weise ihr Kind einen Pflegebedarf der Stufe 1 auf. Die letzte Begutachtung habe im Oktober 2018 stattgefunden.
Der Beschwerde war eine Kopie des Blutzuckerprotokolls von März 2019 sowie die Wochenstunden-Aufstellung der tatsächlichen Pflege für die Tochter beigelegt.
8. Die Beschwerdeführerin sendete die Beschwerde direkt an das Bundesverwaltungsgericht, welche am 01.04.2019 gemäß § 6 AVG iVM § 17 VwGVG zuständigkeitshalber an die PVA weitergeleitet wurde.
9. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 11.04.2019 vorgelegt. In der Stellungnahme wurde im Wesentlichen die Begründung des angefochtenen Bescheides wiederholt und darüber hinaus nach Anführung der Rechtsgrundlagen ausgeführt, dass nach VwGH-Erkenntnis vom 19.01.2017, Ro 2014/08/0084, eine „überwiegende Beanspruchung“ der Arbeitskraft im Sinne des § 18a Abs. 1 iVm Abs. 3 ASVG bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich anzunehmen sei. Aufgrund der Ausführungen in der chefärztlichen Stellungnahme vom 22.10.2018 sowie aufgrund des Nachuntersuchungsgutachtens der belangten Behörde vom 15.10.2018 sei von keiner überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft seitens der Beschwerdeführerin auszugehen. Der durchschnittliche wöchentliche Pflegebedarf liege bei deutlich unter 21 Stunden.
10. Der Beschwerdeführerin wurde mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.05.2020 die Beschwerdevorlage der PVA vom 11.04.2019 übermittelt und ihr Gelegenheit eingeräumt, innerhalb von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
Eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin langte nicht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin hat eine Tochter namens XXXX , geboren am XXXX . Sie besucht eine Neue Mittelschule. Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter leben im gemeinsamen Haushalt. Für die Tochter wird seit Juli 2008 bis laufend erhöhte Familienbeihilfe bezogen.
Im zweiten Lebensjahr der Tochter wurde ein Diabetes mellitus Typ I bekannt. Weiters hat die Tochter einen Strabismus am linken Auge und trägt ein Prismenglas.
Die Beschwerdeführerin stellte am 13.01.2011 bei der PVA einen Antrag auf rückwirkende Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihrer Tochter XXXX . Mit Bescheid der PVA vom 04.05.2011 wurde dem Antrag stattgegeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid der PVA vom 28.02.2019 wurde ausgesprochen, dass die Selbstversicherung der Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX mit 31.10.2018 endet.
Mit Ärztlichem Gesamtgutachten zum Antrag auf Selbstversicherung vom 22.01.2014 wurde unter anderem festgehalten, dass aufgrund der sehr schwankenden Blutzuckerwerte weiterhin die häufigen Blutzuckermessungen und auch häufige Insulinapplikationen über die Pumpe notwendig seien. Das Kind leide auch relativ häufig unter Unterzuckerungen, sodass man bisher die häufigen Blutzuckermessungen noch nicht reduzieren habe können. Da sonst auch die Blutzuckerwerte eher schwankend seien, seien fixe Vorgaben und fixe Mahlzeiteinnahmen nicht umsetzbar. Eine relativ häufige Observanz der Blutzuckerstoffwechsellage sei notwendig. Da die Mutter mindestens zwei Mal vormittags erreichbar sein und auch das Kind zum Bus hinbringen und abholen müsse, sei derzeit eine Halbtagstätigkeit weiterhin nicht möglich.
Mit Ärztlichem Gesamtgutachten zum Antrag auf Selbstversicherung vom 18.07.2016 wurde unter anderem festgehalten, dass die Diagnose von XXXX Insulinpflichtiger Diabetes mellitus seit dem 2. Lebensjahr sei, es finde eine Insulinpumpentherapie (7 bis 10 Mal täglich Blutzuckerkontrollen, Insulinabgaben je nach Messwert), regelmäßige Berechnung von Broteinheiten statt. Sie habe deutlich schwankende Blutzuckerwerte mit regelmäßigen Hypos und auch deutlich erhöhten Werten. Die Hypos werden von ihr nicht wahrgenommen. Aufgrund der schwankenden Blutzuckerwerte seien häufige Kontrollen erforderlich. In der Schulzeit werden diese der Mutter telefonisch mitgeteilt und die Insulinapplikation besprochen. Die Mahlzeiten werden von der Mutter in Broteinheiten berechnet. Die Mutter müsse mindestens zweimal am Vormittag telefonisch erreichbar sein, fallweise auch öfter, und gehe bei sämtlichen Schulveranstaltungen mit. XXXX sei derzeit noch nicht in der Lage, die Insulinapplikation selbständig durchzuführen.
Bezüglich Pflegegeld sei weiterhin die Hilfe bei der Zubereitung von mehr als fünf Einzelmahlzeiten und Berechnung der Broteinheiten erforderlich. Weiters brauche sie Hilfe beim Handling der Insulinpumpe und bei den Insulingaben sowie bei der Mobilitätshilfe im weiteren Sinne von Begleitung zu diversen Ärzten (Diabetesambulanz, Augenärzte, Hausarzt). Dies ergebe einen Pflegebedarf von 55 Stunden pro Monat – es werde weiterhin Pflegegeld der Stufe 1 vorgeschlagen. Eine Besserung sei mit Zunahme der Selbständigkeit zu erwarten. Eine Nachuntersuchung in zwei Jahren werde empfohlen.
Mit ärztlichem Gesamtgutachten zum Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes gemäß § 18a ASVG vom 15.10.2018 wurde unter anderem festgehalten, dass seit dem Vorgutachten keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien. Zwischenzeitig sei der Blutzuckersensor implantiert worden. Es ergebe sich weiterhin ein Pflegebedarf von 55 Stunden pro Monat. Es werde weiterhin Pflegestufe 1 vorgeschlagen. Es liege keine wesentliche Besserung vor. Eine Nachuntersuchung werde zum 15. Lebensjahr empfohlen.
Der Tochter der Beschwerdeführerin wurde im Jahr 2017 ein Blutzuckersensor implantiert. Damit kommt sie gut zurecht und kontrolliert damit selbst Blutzuckerwerte. Der Sensor muss dreimal täglich kalibriert werden, dies macht XXXX grundsätzlich selber. Sie muss jedoch immer wieder von der Beschwerdeführerin daran erinnert werden. Wenn sie dies in der Schule durchführt, hält XXXX telefonische Rücksprache mit der Beschwerdeführerin. Sie kontrolliert vor der Schuljause ihren Blutzucker und hält Rücksprache mit der Beschwerdeführerin, um die Insulindosis festzulegen. Die Beschwerdeführerin wechselt alle sechs Tage den Insulinsensor ihrer Tochter, da es zu deutlichen Hautreizungen kommt.
Im Zuge von Schulveranstaltungen zeigen sich die betreuenden Lehrer sind mit der Situation überfordert und es werden häufig telefonische Rücksprachen mit der Beschwerdeführerin gehalten. Zuletzt wurde angekündigt, XXXX nicht mehr zu Schulveranstaltungen mitzunehmen, da sie die Verantwortung nicht übernehmen möchten.
Die Blutzuckerwerte schwanken stark und liegen zwischen 35 und 350 mg/dl.
Von der Beschwerdeführerin werden zudem regelmäßig die Broteinheiten berechnet und die Mahlzeiten nach Broteinheiten zubereitet. Die Beschwerdeführerin wiegt alle Lebensmittel ab. Die Schuljause wiegt die Beschwerdeführerin ebenfalls ab und beschriftet diese mit der Broteinheit. Alle zwei bis vier Monate erfolgen ambulante Kontrollen in der Diabetesambulanz des Krankenhauses XXXX .
Die Beschwerdeführerin misst auch nachts den Blutzucker, während ihre Tochter schläft. Dies erfolgt je nach Höhe des Blutzuckers und geschieht teilweise auch mehrmals pro Nacht.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden eindeutigen und unzweifelhaften Akteninhalten der Verfahrensakten der belangten Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere liegen die Ärztlichen Gutachten vom 22.01.2014, 18.07.2016 und 15.10.2018 sowie der Bescheid vom 04.05.2011 im Akt ein.
Die Diagnosen sowie die sonst aufgetretenen Erkrankungen und Behandlungen ergeben sich aus den angeführten Gutachten der PVA.
Die Feststellung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG im Zeitraum von Juni 2010 bis Oktober 2018 beruht auf dem Verdichteten Versicherungsverlauf der PVA vom 10.04.2019.
Die Feststellungen zum derzeitigen Pflegeaufwand der Beschwerdeführerin beruhen insbesondere auf dem aktuellen Ärztlichem Gesamtgutachten vom 15.10.2018, sowie auf dem Vorbringen in der Beschwerde und den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Blutzuckerprotokollen und der schriftlichen Aufstellung ihrer Aufwendungen für die Pflege.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. In Ermangelung eines entsprechenden Antrages liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.2. Die im vorliegenden Beschwerdefall anzuwendenden zeitraumbezogen maßgebenden Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) lauten:
„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes
§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.
(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der
1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)
2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder
3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.
(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind
1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,
2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,
3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.
[…]
(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,
1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,
2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.
Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.
(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.“
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
3.3. Zu den Voraussetzungen der Selbstversicherung:
3.3.1. Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin und ihr zu pflegendes Kind im gemeinsamen Haushalt im Inland leb(t)en und dass für keine andere Person eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes besteht. Ebenso bezog bzw. bezieht die Beschwerdeführerin für ihre Tochter XXXX erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 FLAG.
3.3.2. Zur überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft:
3.3.2.1. In der Beschwerdevorlage vom 11.04.2019 wird von der belangten Behörde begründend das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.01.2017, Ro 2014/08/0084, herangezogen, nach welchem eine „überwiegende Beanspruchung“ der Arbeitskraft im Sinne des § 18a Abs. 1 iVm Abs. 3 ASVG bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich anzunehmen sei. Eine ganz überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft liege bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand der pflegenden Person von mehr als 120 Stunden monatlich bzw. mehr als 28 Stunden wöchentlich vor.
Dabei übersieht die belangte Behörde jedoch, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis mit der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege einer nahen Angehörigen nach § 18b ASVG auseinandersetzt und dabei ausdrücklich Folgendes festhält:
„Nur klarstellend ist festzuhalten, dass § 18a ASVG im gegebenen Zusammenhang nicht zur Auslegung herangezogen werden kann. In jener Bestimmung wurde zwar durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz - SVAG, BGBl. I Nr. 2/2015, eine „überwiegende“ (zuvor „gänzliche“) Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege eines behinderten Kindes vorgesehen. Die diesbezügliche Legaldefinition des § 18a Abs. 3 ASVG stellt jedoch – im Gegensatz zu § 18b ASVG – nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege (hier: Anzahl der Pflegestunden), sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien ab.“
Die im zitierten Erkenntnis vorgenommene Auslegung der „überwiegenden Beanspruchung“ dient somit lediglich der Kontextualisierung des Begriffes der „erheblichen Beanspruchung“ nach § 18b ASVG.
3.3.2.2. Für die Beurteilung der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft ist es somit nicht ausreichend, allein auf ein etwaiges Stundenausmaß abzustellen, wie dies die belangte Behörde getan hat. Zur Beurteilung der speziell für behinderte Kinder zugeschnittenen Kriterien ist vielmehr auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu der vor dem 01.01.2015 geltenden Fassung des § 18a ASVG (Kriterien der "gänzlichen Beanspruchung der Arbeitskraft") zurückzugreifen. Diese Judikatur ist auf die neue Rechtslage sinngemäß zu übertragen: Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft iSd. § 18a Abs 1 ASVG liegt somit auch dann vor, wenn ein schulpflichtiges behindertes Kind zwar die Schule besucht (also nicht wegen seiner Behinderung von der Schulpflicht befreit ist), aber dennoch unter Berücksichtigung des Alters und seiner spezifischen Behinderung die überwiegende Betreuung auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches erforderlich ist und wenn bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet ist. (vgl. VwGH 16.11.2005, 2003/08/0261 bezogen auf die alte Rechtslage).
Die Pflegeleistungen sind als „ständig“ zu beurteilen, wenn sie zwar nicht notwendigerweise täglich, aber doch mehrmals in der Woche regelmäßig erforderlich sind (s. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 18a ASVG Rz 10 [Stand 1.7.2018, rdb.at]).
3.3.2.3. Zur Betreuungstätigkeit ist zunächst festzuhalten, dass die PVA den von der Beschwerdeführerin dargelegten Betreuungsaufwand im Grunde nicht bestritten hat. Es ist zudem festzuhalten, dass sich aus den Ärztlichen Gutachten der PVA vom 22.01.2014, 18.07.2016 und 15.10.2018 ein im Wesentlichen gleichbleibendes Krankheitsbild der Tochter der Beschwerdeführerin ergibt. Wie bereits ausgeführt stellt der angefochtene Bescheid bei der Beurteilung der überwiegenden Beanspruchung der Beschwerdeführerin zur Pflege und persönlichen Hilfe vorwiegend auf das Stundenausmaß des durchschnittlichen wöchentlichen Pflegebedarfs ab. Inwiefern eine Besserung im Vergleich zu den, der Selbstversicherung zugrunde gelegten, Vorgutachten eingetreten sei, wird jedoch über die Feststellung, dass die Tochter bei dem Management der Erkrankung deutlich selbständiger sei als vor zwei Jahren, hinausgehend nicht dargelegt. Aufgrund des Bescheides der PVA vom 04.05.2011 war die Beschwerdeführerin gemäß § 18a ASVG ab 01.06.2010 in der Pensionsversicherung selbstversichert. Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, erbrachte die Beschwerdeführerin weiterhin für ihre Tochter regelmäßig wiederkehrende, notwendige und krankheits- und behinderungsbedingte Betreuungsleistungen, welche die Kontrolle des Blutzuckerwertes, auch nachts während die Tochter schläft, und die darauf abgestimmte Berechnung der Broteinheiten, das Abwiegen und Beschriften der Mahlzeiten und Schuljause, das Erinnern der Tochter an die Kontrolle des Blutzuckers sowie die telefonischen Rücksprache während der Schulzeit, das Wechseln des Insulinsensors, das Begleiten zu den ambulante Kontrollen in der Diabetesambulanz und nicht zuletzt Rücksprachen mit dem Lehrpersonal ihrer Tochter umfassen.
Zwar wurde mittlerweile bei der Tochter der Beschwerdeführerin ein Blutzuckersensor implantiert, mit welchem sie auch gut zurechtkommt und somit die Kontrolle des Blutzuckerspiegels erleichtert ist. Allerdings muss dieser drei Mal täglich kalibriert werden, was die Tochter selbst macht, und der Insulinsensor alle sechs Tage gewechselt werden, was von der Beschwerdeführerin durchgeführt wird. Auch muss die Beschwerdeführerin ihre Tochter immer wieder an die Kontrolle der Blutzuckerwerte erinnern und hält die Beschwerdeführerin telefonische Rücksprache mit ihrer Tochter, wenn sie die Messung in der Schule durchführt. Dadurch besteht trotz der grundsätzlich erleichterten Messung weiterhin ein behindertenbedingter Pflegebedarf der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin erbringt somit mehrmals täglich erforderliche, spezifisch auf den gesundheitlichen Zustand ihrer Tochter zugeschnittene Pflegeleistungen. Diese regelmäßigen Betreuungsleistungen sind auf Grund der festgestellten Diagnose erforderlich. Nach dem Gutachten vom 15.10.2018 sind seit dem Vorgutachten keine wesentlichen Änderungen eingetreten und sind nach wie vor nicht unerhebliche Pflegeleistungen der Beschwerdeführerin erforderlich, die notwendiger weise täglich erfolgen (vgl. zur Beurteilung von Pflegeleistungen als „ständig“ nochmals Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 18a ASVG Rz 10 [Stand 1.7.2018, rdb.at]). Die Tochter der Beschwerdeführerin bedurfte somit weiterhin ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege iSd der oben genannten Bestimmung. Bei Unterbleiben dieser Betreuung wäre ihre Entwicklung im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet.
3.4. Ergebnis:
Das Vorliegen überwiegender Inanspruchnahme der Arbeitskraft ist im gegenständlichen Fall weiterhin zu bejahen. Die Voraussetzungen für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung aufgrund überwiegender Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin zur Pflege ihrer Tochter XXXX gemäß § 18a ASVG liegen somit vor.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid zu beheben.
3.5. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Die Beschwerdeführerin beantragte in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Im gegenständlichen Fall wird das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als erwiesen erscheint. Es hat sich daher aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keine Notwendigkeit ergeben, den als geklärt erscheinenden Sachverhalt mit der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde näher zu erörtern. Unter diesen Umständen geht das Gericht davon aus, dass einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Arbeitskraft Gutachten Pensionsversicherung Pflegebedarf SelbstversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W229.2216766.2.00Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020