TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 W151 2197889-1

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
GSVG §2 Abs1 Z4
IO §214
IO §215

Spruch

W151 2197889-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ über den Vorlageantrag des Beschwerdeführers XXXX , XXXX , XXXX , in Verbindung mit der Beschwerde gegen die Beschwerdevorentscheidung der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (vormals Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) vom 04.05.2018, VSNR.: XXXX , betreffend Feststellung und Beitragsentrichtung zur Pensions- und Krankenversicherung, Verzugszinsen und Nebengebühren,

zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.03.2018 (Erstbescheid) stellte diese fest, dass der Beschwerdeführer (in der Folge BF oder Beschwerdeführer) von 01.01.2011 bis 31.12.2011 der Pflichtversicherung in der Pensions- und Krankenversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterliegt, somit der monatliche Beitrag in der Pensionsversicherung in diesem Zeitraum 245,15 €, der monatliche Beitrag für die Dauer der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung 107,16 € und der monatliche Beitrag nach dem BMSVG 21,43 € beträgt, der monatliche Beitragszuschlag 32,77 € beträgt, der BF rückständige Beiträge schuldet (Pensionsversicherung 2.941,80 €, Krankenversicherung 1.286,92 €, Selbständigenvorsorge 257,16 €, Beitragszuschlag 393,24 €), weiters verpflichtet ist, die im Zeitraum 19.09.2013 bis 04.03.2018 angefallenen Verzugszinsen und Nebengebühren in Gesamthöhe von 1.228,70 € zu bezahlen, insgesamt somit 6.205,22 €. Weiters seien die für die weitere Dauer des Zahlungsverzuges ab 05.03.2018 anfallenden Verzugszinsen im gesetzlichen Ausmaß aus einem Kapital in Höhe von 4.326,12 € zu bezahlen.

Mit Beschluss des LG XXXX vom 05.12.2011 sei über den BF das Insolvenzverfahren und mit Beschluss vom 05.07.2012 das Abschöpfungsverfahren eröffnet worden. Der Behörde könne kein Verschulden an der Nichtfeststellung der Pflichtversicherung bzw. der Beitragspflicht angelastet werden. Der BF habe seine Meldepflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflichtversicherung verletzt. Der Einkommenssteuerbescheid des Jahres 2011 sei erst am 29.03.2013 erstellt worden. Die Feststellung der Pflichtversicherung sei also erst nach Einlangen des rechtskräftigen Einkommenssteuerbescheides nach dem 28.03.2013 möglich gewesen.

2. Dagegen erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte vor, es sei unstrittig, dass es sich bei den Pflichtversicherungsbeiträgen für das Jahr 2011 um eine Insolvenzforderung iSd § 51 IO handle. Da es sich um ein Abschöpfungsverfahren handle, sei die Anwendung des § 156 Abs. 4 IO, auf die sich die Behörde stützte, jedoch nicht möglich. Gemäß § 207 IO seien Insolvenzgläubiger, die eine Forderung nicht angemeldet haben, bei den Verteilungen dann zu berücksichtigen, wenn ihre Forderung feststeht und diese beim Treuhänder angezeigt wurde. Der BF stelle sohin den Antrag auf Änderung des Bescheides und allfällige Anzeige der Forderung gemäß § 207 IO bei seinem Treuhänder.

3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 04.05.2018 wurde der Erstbescheid, nunmehr gestützt auf § 215 Z 2 IO, vollinhaltlich bestätigt. Im Zuge der Beschwerdevorentscheidung sei die im Zuge der rechtlichen Beurteilung angewendete rechtliche Bestimmung zwar geändert worden, an der inhaltlichen Beurteilung ändere sich jedoch nichts. Sowohl § 156 Abs. 4 IO als auch § 215 IO würden auf das Verschulden des Schuldners an der Nichtgeltendmachung der Forderung abstellen. Durch die festgestellte Meldepflichtverletzung habe es der BF verschuldet, dass die belangte Behörde die Forderung nicht geltend machen könnte.

4. Mit Schreiben vom 23.05.2018 stellte der BF einen Vorlageantrag.

5. Am 11.06.2018 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

6. Dem Verbesserungsauftrag des Gerichtes kam der BF mit Stellungnahme vom 02.07.2018 nach.

7. Die belangte Behörde replizierte mit Schreiben vom 09.07.2018. Bei der Bestimmung des § 215 IO handle es sich um eine lex specialis gegenüber § 207 IO, die der letztgenannten vorgehe. Die Behörde habe dem Treuhänder mitgeteilt, dass eine Anzeige (iSd § 207 IO) nicht erfolgen werde.

8. Auf Ersuchen des erkennenden Gerichts legte das XXXX am 16.05.2019 den Konkursakt zu XXXX vor, in den das erkennende Gericht Einsicht nahm.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 05.12.2011 zu XXXX wurde über das Vermögen des BF ein Konkursverfahren eröffnet. Die Anmeldefrist für Forderungen endete am 17.01.2012. Mit Beschluss vom 07.05.2012 war das Abschöpfungsverfahren rechtskräftig eingeleitet und der Konkurs aufgehoben.

Am 28.05.2013 wurde der belangten Behörde gemäß § 229a GSVG der Einkommensteuerbescheid des BF vom 29.03.2013 für das Beitragsjahr 2011 übermittelt. Darin sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 3.500 € ausgewiesen. Im Jahr 2011 wurden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 13.310,28 € (Hinzurechnungsbetrag) vorgeschrieben. Die sich daraus ergebende Forderung der belangten Behörde stand somit erst nach Aufhebung des Konkurses fest. Der BF hat keine Versicherungserklärung gemäß § 2 Absatz 1 Ziffer 4 GSVG abgegeben.

Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 21.06.2019 wurde das Abschöpfungsverfahren beendet und dem BF Restschuldbefreiung erteilt. Die belangte Behörde hat keine Anzeige ihrer Forderung gemäß § 207 Abs. 1 IO während des laufenden Abschöpfungsverfahrens erstattet.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens des BF wurde öffentlich bekanntgemacht in der Insolvenzdatei, wo die Behörde Einsicht nehmen konnte.

Es liegt keine Verletzung einer Meldepflicht durch den BF vor. Den BF trifft kein Verschulden daran, dass seine Versicherungspflicht erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommenssteuerbescheides für das Beitragsjahr 2011 festgestellt werden konnte. Mangels Verschuldens des BF wirkt die Restschuldbefreiung im Beschwerdefall gemäß § 214 Absatz 1 IO in Verbindung mit § 215 Ziffer 2 IO auch gegen die belangte Behörde.

2. Beweiswürdigung:

Der oben dargestellte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie des Gerichtsaktes und blieb in der Beschwerde unbestritten.

Die Angaben zum Insolvenzverfahren ergeben sich aus dem Auszug aus der Insolvenzdatei bzw. dem durch das erkennende Gericht beigeschafften Insolvenzakt XXXX . Da eine reine Rechtsfrage vorliegt und der Sachverhalt nicht bestritten wird, konnte von einer Verhandlung gemäß § 24 VwGVG abgesehen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit:

Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, vorliegend sohin die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (vormals Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 194 Z 5 GSVG gelten hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung dieses Bundesgesetzes die Bestimmungen des Siebenten Teiles des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes mit der Maßgabe, dass § 414 Abs. 2 und Abs. 3 ASVG nicht anzuwenden sind.

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Der BF moniert, mangels Verschulden wirke die Restschuldbefreiung gemäß § 214 Absatz 1 IO in Verbindung mit § 215 Ziffer 2 IO auch gegen die belangte Behörde.

Es war daher zu prüfen, ob dem BF ein Verschulden an der Nichtmeldung des Insolvenzverfahrens angelastet werden kann und ob die Behörde in anderer Form Kenntnis vom Insolvenzverfahren erlangen konnte.

3.2.1. Maßgebliche gesetzliche Bestimmungen des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG) in der zeitraumbezogenen Fassung

Gemäß § 2 Absatz 1 Ziffer 4 GSVG, in der für den relevanten Zeitraum geltenden Fassung, normiert, dass auf Grund dieses Bundesgesetzes, soweit es sich um natürliche Personen handelt, selbständig erwerbstätige Personen, die auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte im Sinne der §§ 22 Ziffer 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988), BGBl. Nr. 400, erzielen, wenn auf Grund dieser betrieblichen Tätigkeit nicht bereits Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz oder einem anderen Bundesgesetz in dem (den) entsprechenden Versicherungszweig(en) eingetreten ist, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert sind. Solange ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid oder ein sonstiger maßgeblicher Einkommensnachweis nicht vorliegt, ist die Pflichtversicherung nur dann festzustellen, wenn der Versicherte erklärt, dass seine Einkünfte aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr die in Betracht kommende Versicherungsgrenze (§ 4 Absatz 1 Ziffer 5 oder Ziffer 6) übersteigen werden. In allen anderen Fällen ist der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides oder eines sonstigen maßgeblichen Einkommensnachweises im Nachhinein festzustellen.

Die Versicherungsgrenze beträgt gemäß § 4 Absatz 1 Ziffer 5 GSVG im Kalenderjahr 2011 EUR 6.453,36. Die Einkünfte des BF lagen darüber, sodass eine Einbeziehung in die Sozialversicherung vorzunehmen war.
3.3. Fallbezogen folgt daraus:

Gemäß § 38 Absatz 1 GSVG sind für die Behandlung der Beiträge im Insolvenzverfahren die Vorschriften der Insolvenzordnung (IO, davor: Konkursordnung) maßgebend.

Im Beschwerdefall wurde ein Abschöpfungsverfahren mit Restschuldbefreiung durchgeführt, es sind daher die §§ 199 bis 216 IO maßgeblich (vgl. auch OGH 21.01.2015, 3Ob221/14t, mit Hinweis darauf, dass sich die Voraussetzungen für die Verfahren über den Zwangsausgleich, den Zahlungsplan und das Abschöpfungsverfahren unterscheiden).

Zur Kenntnis der Behörde über das Insolvenzverfahren:

Gemäß § 214 Absatz 1 IO wirkt eine Restschuldbefreiung gegen alle Insolvenzgläubiger, und zwar auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

§ 215 Ziffer 2 IO sieht allerdings vor, dass Verbindlichkeiten, die nur aus Verschulden des Schuldners unberücksichtigt geblieben sind, von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt werden. Im Hinblick auf die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Verbindlichkeiten, die nur aus Verschulden des Schuldners unberücksichtigt geblieben sind, zumindest bei inländischen Gläubigern kaum vorstellbar (vgl. Kodek, Privatkonkurs² Rz 708).

Aufgrund der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist jedenfalls bei inländischen Gläubigern nicht davon auszugehen, dass die Forderung nur aus Verschulden des Schuldners unberücksichtigt bleibt.

Gegenständlich wurde der Einkommenssteuerbescheid für das Beitragsjahr 2011 am 29.03.2013 erstellt und wurde der belangten Behörde somit erst nach Aufhebung des Konkursverfahrens mit Beschluss des LG XXXX vom 05.07.2012 und Einleitung des Abschöpfungsverfahrens übermittelt. Die fristgerechte Anmeldung der Beitragsforderung war der belangten Behörde zum Zeitpunkt der Übermittlung des rechtskräftigen Einkommenssteuerbescheides zwar nicht mehr möglich, jedoch hätte die Behörde vorab in die öffentlich zugängliche Insolvenzdatei Einsicht nehmen müssen, was nicht erfolgte.

Zur Nichtmeldung des BF:

Der BF hat keine Versicherungserklärung gemäß § 2 Absatz 1 Ziffer 4 GSVG abgegeben, weshalb der Eintritt der Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Versicherungsgrenze für das beschwerdegegenständliche Jahr erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides im Nachhinein festgestellt werden konnte. Fest steht, dass damit die Pflichtversicherung in der Pensions- und Krankenversicherung rückwirkend mit Beginn des beschwerdegegenständlichen Kalenderjahres eintrat (§ 6 Absatz 4 Z 1 GSVG, vgl. dazu auch VwGH 06.06.2012, 2009/08/0011).

Daher ist die beschwerdegegenständliche Beitragsforderung als Insolvenzforderung im Sinn des § 51 IO zu qualifizieren (vergleiche VwGH 11.12.2013, 2012/08/0288 mit Ausführungen dazu, der "die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt" bei Beiträgen auf Grund einer Pflichtversicherung nach § 2 Absatz 1 Ziffer 4 GSVG grundsätzlich schon mit der Erzielung von über der Versicherungsgrenze liegenden Einkünften verwirklicht ist und unter Verweis auf OGH 14.12.2011, 3 Ob 215/11f sowie zur Abgrenzung zu dem Erkenntnis vom 27.04.2011, 2008/08/0259; sowie VwGH 09.09.2015, Ra 2015/08/0034). Verzugszinsen und Nebengebühren sind akzessorisch zur Beitragspflicht und daher ebenfalls als Insolvenzforderungen anzusehen.

Eine Meldepflicht lässt sich jedoch der gesetzlichen Bestimmung des § 2 Absatz 1 Ziffer 4 GSVG nicht entnehmen. Diese Bestimmung stellt es der selbständig erwerbstätigen Person vielmehr frei, eine (bindende) Versicherungserklärung abzugeben oder den rechtskräftigen Einkommenssteuerbescheid abzuwarten (vergleiche auch Scheiber in Sonntag (Hrsg), GSVG8 (2019) § 2 Rz 2 dazu, dass Selbständige nicht zur Abgabe einer derartigen Erklärung verpflichtet sind und Scheiber in Sonntag (Hrsg), GSVG8 (2019) § 2 Rz 96 unter Verweis auf Judikatur, dass einer Versicherungserklärung im Sinne des § 2 Absatz 1 Ziffer 4 GSVG die Rechtswirkung eines Opting-in zu kommt).

Ergebnis:

Da es somit auch an einer Meldepflicht, die der BF verletzen hätte können, fehlt, trifft diesen folglich kein Verschulden daran, dass seine Versicherungspflicht erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommenssteuerbescheides festgestellt werden konnte. Zudem wäre es für die belangte Behörde geboten gewesen, sich durch regelmäßige Einsicht in die Insolvenzdatei Kenntnis über die jeweiligen Verfahren zu verschaffen und danach auch noch nach § 207 Abs. 1 IO ihre Forderung dem Treuhänder anzuzeigen, sodass es zu einer allfälligen Berücksichtigung im Abschöpfungsverfahren gekommen wäre. Davon hat die belangte Behörde jedoch ausdrücklich Abstand genommen.

Somit liegt kein Verschulden des BF nach § 215 Z2 IO, sondern vielmehr ein Versäumnis der Behörde, sodass die Restschuldbefreiung im Beschwerdefall gemäß § 214 Absatz 1 IO in Verbindung mit § 215 Ziffer 2 IO auch gegen die belangte Behörde wirkt.

4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der BF die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Partei zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall liegt dem Bundesverwaltungsgericht die zur Klärung der Rechtsfrage nötige Aktenlage vor. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes hätte mündliche Verhandlung auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lassen und war der Sachverhalt iSd § 24 Abs. 4 VwGVG entscheidungsreif. Insgesamt konnte daher von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschöpfungsverfahren Beitragsschuld Einkommenssteuerbescheid Insolvenzdatei Insolvenzverfahren Kenntnisnahme Meldepflicht Restschuldbefreiung Versicherungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W151.2197889.1.00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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