TE Vwgh Beschluss 2020/10/16 Ra 2020/13/0066

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Veröffentlicht am 16.10.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
22/02 Zivilprozessordnung
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwGG §26 Abs1
VwGG §30a Abs7
VwGG §30b Abs1
VwGG §42 Abs2 Z2
ZPO §292 Abs2
ZustG §22
ZustG §9 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, in der Revisionssache des L in W, vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Christian Klotz, MMag. Mathias Demetz, Mag. Claudia Lantos und Dr. Simon Gleirscher, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Erlerstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. Dezember 2019, Zl. RV/7102727/2016, betreffend u.a. Umsatzsteuer 2004, Einkommensteuer 2004, 2011 und 2013, den Beschluss gefasst:

Spruch

1. Der Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 17. Februar 2020, RR/7100013/2020, wird wegen Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes aufgehoben.

2. Die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. Dezember 2019, RV/7102727/2016, wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2019 entschied das Bundesfinanzgericht über Beschwerden des Revisionswerbers betreffend Wiederaufnahme (Einkommensteuer 2008, 2009, 2010 und 2012) sowie betreffend Umsatzsteuer 2004 und Einkommensteuer 2004 bis 2013. Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2        Mit am 28. Jänner 2020 zur Post gegebenem Schriftsatz erhob der Revisionswerber gegen dieses Erkenntnis, soweit es Umsatzsteuer 2004 sowie Einkommensteuer 2004, 2011 und 2013 betrifft, (außerordentliche) Revision. Darin wurde u.a. ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis sei dem Revisionswerber am 17. Dezember 2019 zugestellt worden.

3        Mit dem Beschluss vom 17. Februar 2020 wies das Bundesfinanzgericht die Revision gemäß „§ 30a Abs. 1“ VwGG zurück. Es führte darin im Wesentlichen aus, auf Grund der im Abgabeninformationssystem ausgewiesenen Zustellungsvollmacht des steuerlichen Vertreters sei das Erkenntnis vom 9. Dezember 2019 zu Handen dieses Vertreters versendet worden. Nach dem im Akt erliegenden Zustellnachweis sei die Sendung am 12. Dezember 2019 an der Adresse des steuerlichen Vertreters übernommen worden. Die Revisionsfrist habe daher am 23. Jänner 2020 geendet; die am 28. Jänner 2020 zur Post gegebene Revision sei damit verspätet. Die Revision sei daher vom Bundesfinanzgericht wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß § 30a Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen gewesen.

4        Der Revisionswerber beantragte, die außerordentliche Revision gemäß § 30b Abs. 1 VwGG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

5        Mit Verfügung vom 27. August 2020 hielt der Verwaltungsgerichtshof dem Revisionswerber vor, dass sich ausgehend von dem in den Akten befindlichen Rückschein über die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses ergebe, dass die Revision verspätet eingebracht worden sei; es wurde dazu auch auf den Inhalt des Beschlusses des Bundesfinanzgerichtes vom 17. Februar 2020 verwiesen. Dem Revisionswerber wurde die Möglichkeit eingeräumt, hiezu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen und dieses Vorbringen zu bescheinigen.

6        Mit Schriftsatz vom 17. September 2020 führte der Revisionswerber aus, nach den dem Rechtsvertreter übermittelten Aufzeichnungen des steuerlichen Vertreters sei das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts am 17. Dezember 2019 zugestellt worden. Weiters habe der Rechtsvertreter in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters explizit nachgefragt, wann die Zustellung erfolgt sei; dabei sei mitgeteilt worden, dass die Zustellung am 17. Dezember 2019 erfolgt sei. Aus diesen Gründen sei der Revisionswerber davon ausgegangen, dass sämtliche Anträge rechtzeitig erstattet worden seien. Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers habe keinen Anlass gehabt, an den Angaben des steuerlichen Vertreters zu zweifeln. Erst mit der Mitteilung des Bundesfinanzgerichtes über die verspätete Einbringung der außerordentlichen Revision habe der Rechtsvertreter von der früheren Zustellung Kenntnis erlangt. Festzuhalten sei allerdings, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Zustellung an den im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht nicht ausgewiesenen steuerlichen Vertreter statt an den Rechtsvertreter erfolgt sei. Als Bescheinigungsmittel wurden (neuerlich) Auszüge aus dem Postbuch des steuerlichen Vertreters sowie E-Mail-Korrespondenz zwischen dem steuerlichen Vertreter und dem Rechtsvertreter vorgelegt.

7        § 30a VwGG (in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013) lautet:

„(1) Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

(2) Revisionen, denen keiner der im Abs. 1 bezeichneten Umstände entgegensteht, bei denen jedoch die Vorschriften über die Form und den Inhalt (§§ 23, 24, 28, 29) nicht eingehalten wurden, sind zur Behebung der Mängel unter Setzung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung. Dem Revisionswerber steht es frei, einen neuen, dem Mängelbehebungsauftrag voll Rechnung tragenden Schriftsatz unter Wiedervorlage der zurückgestellten unverbesserten Revision einzubringen.

(3) Das Verwaltungsgericht hat über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien Ausfertigungen der Revision samt Beilagen mit der Aufforderung zuzustellen, binnen einer mit höchstens acht Wochen festzusetzenden Frist eine Revisionsbeantwortung einzubringen.

(5) Im Fall des § 29 hat das Verwaltungsgericht eine Ausfertigung der Revision samt Beilagen auch dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung mit der Mitteilung zuzustellen, dass es ihm bzw. ihr freisteht, binnen einer mit höchstens acht Wochen festzusetzenden Frist eine Revisionsbeantwortung einzubringen.

(6) Nach Ablauf der Fristen gemäß Abs. 4 und 5 hat das Verwaltungsgericht den anderen Parteien Ausfertigungen der eingelangten Revisionsbeantwortungen samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die Revision und die Revisionsbeantwortungen samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

(7) Hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, sind die Abs. 1 bis 6 nicht anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des § 29 dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

(8) Auf Fristsetzungsanträge sind die Abs. 1 und 2 sinngemäß anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat dem Verwaltungsgerichtshof den Fristsetzungsantrag unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

(9) Auf Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind die Abs. 1 und 2 sinngemäß anzuwenden.

(10) Hat das Verwaltungsgericht Verfahrensschritte gemäß den Abs. 2 und 4 bis 7 nicht oder nicht vollständig vorgenommen, kann der Verwaltungsgerichtshof dem Verwaltungsgericht die Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens mit dem Auftrag zurückstellen, diese Verfahrensschritte binnen einer ihm zu setzenden kurzen Frist nachzuholen. Der Verwaltungsgerichtshof kann diese Verfahrensschritte auch selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist.“

8        § 30b VwGG (in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013) lautet:

„(1) Soweit das Verwaltungsgericht die Revision bzw. den Fristsetzungsantrag als unzulässig zurückweist, kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses beim Verwaltungsgericht den Antrag stellen, dass die Revision bzw. der Fristsetzungsantrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

(2) Das Verwaltungsgericht hat dem Verwaltungsgerichtshof den Vorlageantrag und die Revision bzw. den Fristsetzungsantrag unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind vom Verwaltungsgericht mit Beschluss zurückzuweisen.“

9        Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis vom 9. Dezember 2019 ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Daher sind die § 30a Abs. 1 bis 6 nach dem Abs. 7 dieses Paragraphen nicht anzuwenden. Über die Rechtzeitigkeit der Revision hat daher der Verwaltungsgerichtshof zu befinden (vgl. VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0020; 18.1.2016, Ra 2015/17/0110; 26.4.2017, Ra 2016/19/0370; 19.4.2018, Ra 2018/15/0009; vgl. hingegen zu ordentlichen Revisionen z.B. VwGH 18.7.2014, Ro 2014/15/0025; 22.4.2015, Ro 2014/10/0130; 31.3.2017, Ro 2016/13/0022; zur Zurückweisung mangels Revisionslegitimation VwGH 15.9.2016, Ro 2016/15/0019; zur alleinigen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Einstellung des Revisionsverfahrens vgl. VwGH 17.10.2017, Ro 2016/15/0020).

10       Das Bundesfinanzgericht war daher zur Zurückweisung der Revision im vorliegenden Fall einer außerordentlichen Revision unzuständig. Über (rechtzeitigen) Vorlageantrag war der Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 17. Februar 2020 daher gemäß § 30b Abs. 1 VwGG aufzuheben (vgl. VwGH 22.4.2015, Ro 2014/10/0130; vgl. auch VwGH 19.6.2017, Fr 2017/19/0023, 0024; 2.7.2019, Fr 2019/12/0028, je mwN).

11       Der Verwaltungsgerichtshof geht von folgendem Sachverhalt aus:

12       Das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 9. Dezember 2019 wurde dem steuerlichen Vertreter des Revisionswerbers am 12. Dezember 2019 zugestellt. Die dagegen erhobene Revision wurde am 28. Jänner 2020 zur Post gegeben.

13       Diese Sachverhaltsannahmen ergeben sich betreffend das Zustelldatum aus dem in den Verfahrensakten befindlichen Rückschein. Ein ordnungsgemäßer Zustellnachweis macht als öffentliche Urkunde Beweis über die Zustellung; allerdings ist der Gegenbeweis möglich (vgl. VwGH 1.2.2019, Ro 2018/02/0014; 24.6.2020, Ra 2020/17/0017, je mwN). Mit dem bloßen Hinweis auf das Posteingangsbuch kann aber die Unrichtigkeit des am Rückschein eingetragenen Zustelldatums nicht dargetan werden; weitere Bescheinigungsmittel wurden nicht angeboten. Wie aus der vorgelegten Korrespondenz zwischen Rechtsvertreter und steuerlichem Vertreter hervorgeht, wird nach Vorhalt des Rückscheins die Richtigkeit des Zustelldatums auch nicht mehr in Zweifel gezogen. Das Datum der Postaufgabe der Revision ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Kuvert und ist nicht strittig.

14       Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes sechs Wochen. Diese Frist beginnt im Allgemeinen mit dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses (§ 26 Abs. 1 Z 1 VwGG).

15       Das angefochtene Erkenntnis wurde am 12. Dezember 2019 dem steuerlichen Vertreter des Revisionswerbers zugestellt.

16       Der Revisionswerber macht in der Stellungnahme geltend, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Zustellung an den im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht nicht ausgewiesenen steuerlichen Vertreter und nicht an den Rechtsvertreter erfolgt sei. Das Bundesfinanzgericht hat im Beschluss vom 17. Februar 2020 ausgeführt, im Abgabeninformationssystem sei eine Zustellungsvollmacht des steuerlichen Vertreters eingetragen; aus diesem Grund sei die Zustellung an diesen erfolgt. Dass diese Zustellungsvollmacht an den steuerlichen Vertreter nicht wirksam begründet worden oder in der Folge widerrufen worden sei, wird vom Revisionswerber nicht behauptet.

17       Ein Abgabepflichtiger kann auch mehrere Vertreter und auch mehrere Zustellungsbevollmächtigte haben. Gemäß § 9 Abs. 4 zweiter Satz ZustG gilt die Zustellung in einem solchen Fall als bewirkt, sobald sie an einen von mehreren Zustellungsbevollmächtigten vorgenommen wird (vgl. z.B. VwGH 20.2.2008, 2005/15/0078; 29.9.2010, 2010/13/0112; 26.2.2014, 2012/13/0051).

18       Die Revisionsfrist begann daher mit der Zustellung des Erkenntnisses an den steuerlichen Vertreter. Die am 28. Jänner 2020 zur Post gegebene Revision erweist sich demnach als verspätet und war gemäß § 34 Abs. 1 VwGG vom Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

Wien, am 16. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020130066.L00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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