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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §13 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. August 2019, L516 2195431-2/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: Z A in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 21. März 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses Beschwerdeverfahren war im Zeitpunkt der Erlassung des hier in Revision gezogenen Erkenntnisses noch nicht abgeschlossen.
4 Mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 verständigte die Staatsanwaltschaft Wien das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der Anklageerhebung gegen den Mitbeteiligten in einer Jugendstrafsache wegen eines Suchtgiftdeliktes.
5 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Jänner 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB sowie wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 2a, 27 Abs. 3 SMG, § 15 StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt. Dieses Urteil erwuchs am 5. Februar 2019 in Rechtskraft.
6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte daraufhin dem Mitbeteiligten mit Verfahrensanordnung vom 4. Juli 2019 unter Hinweis auf die Anklageerhebung mit, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 verloren habe.
7 Mit Bescheid vom gleichen Tag sprach das Bundesamt aus, dass der Mitbeteiligte sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ab dem 25. Oktober 2018 verloren habe. Die Behörde stützte sich in der Begründung auf die mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 25. Oktober 2018 mitgeteilte Anklageerhebung.
8 Gegen diesen Bescheid erhob der zwischenzeitig volljährige Mitbeteiligte Beschwerde und verwies darauf, dass infolge des Rechtsfolgenausschlusses nach § 5 Z 10 Jugendgerichtsgesetz (JGG) der Verlust des Aufenthaltsrechtes nicht auf § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gestützt werden hätte dürfen.
9 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis vom 12. August 2019 sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der gegen den Bescheid vom 4. Juli 2019 erhobenen Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben werde. Weiters sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
10 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe verkannt, dass sowohl die Anklage der Staatsanwaltschaft als auch die darauf folgende rechtskräftige Verurteilung wegen einer Jugendstraftat nach dem JGG erfolgt sei. Der Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG führe dazu, dass die ex lege vorgesehene Rechtsfolge des § 13 Abs. 2 AsylG 2005 im Fall des Mitbeteiligten nicht eintrete, weshalb der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei.
11 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
13 Die Revision bringt unter Verweis auf § 2 Abs. 4 AsylG 2005 vor, der Mitbeteiligte weise eine rechtskräftige Verurteilung nach dem SMG „für Taten ab Oktober 2018“ auf. Da nach § 2 Abs. 4 AsylG 2005 abweichend von § 5 Z 10 JGG auch im Fall einer Verurteilung wegen einer Jugendstraftat eine nach dem AsylG 2005 maßgebliche Verurteilung vorliege, habe die genannte Bestimmung des JGG nichts am Verlust des Aufenthaltsrechtes ändern können. Soweit das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der rechtskräftigen Verurteilung entgegen § 2 Abs. 4 AsylG 2005 den Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG herangezogen habe, weiche es von der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Es fehle aber Rechtsprechung dazu, ob bloß Rechtsfolgen von Verurteilungen gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen iSd § 5 Z 10 JGG seien oder ob auch eine Anklageerhebung und die Verhängung von Untersuchungshaft (§ 13 Abs. 2 Z 2 und 3 AsylG 2005) hierunter zu verstehen seien. Es stelle sich auch die Frage, ob das Bundesamt während eines beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Bescheidbeschwerdeverfahrens zur Erlassung einer entsprechenden Verfahrensanordnung iS des § 13 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 und zur Entscheidung mit gesondertem Bescheid gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 überhaupt zuständig sei.
14 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
15 Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (zum Teil auszugsweise und samt Überschrift) lauten:
§ 2 und § 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005):
„Begriffsbestimmungen
§ 2. ...
(3) Ein Fremder ist im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er
1. wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder
2. mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist
rechtskräftig verurteilt worden ist.
(4) Abweichend von § 5 Z 10 des Jugendgerichtsgesetzes 1988 - JGG, BGBl. Nr. 599/1988, liegt eine nach diesem Bundesgesetz maßgebliche gerichtliche Verurteilung auch vor, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt ist.
...
Aufenthaltsrecht
§ 13. (1) Ein Asylwerber, dessen Asylverfahren zugelassen ist, ist bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder bis zum Verlust des Aufenthaltsrechtes (Abs. 2) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt.
(2) Ein Asylwerber verliert sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet, wenn
1. dieser straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3),
2. gegen den Asylwerber wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden ist,
3. gegen den Asylwerber Untersuchungshaft verhängt wurde (§§ 173 ff StPO, BGBl. Nr. 631/1975) oder
4. der Asylwerber bei der Begehung eines Verbrechens (§ 17 StGB) auf frischer Tat betreten worden ist.
...
(4) Das Bundesamt hat im verfahrensabschließenden Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechtes eines Asylwerbers abzusprechen.“
§ 1 und § 5 JGG:
„Begriffsbestimmungen
§ 1. Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. Unmündiger: wer das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat;
2. Jugendlicher: wer das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat;
3. Jugendstraftat: eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die von einem Jugendlichen begangen wird;
...
Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten
§ 5. ...
10.In gesetzlichen Bestimmungen vorgesehene Rechtsfolgen treten nicht ein.
...“
16 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im angefochtenen Erkenntnis in seiner Begründung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2018, Ra 2017/18/0246, [betreffend die Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005] bezogen, in dem ausgesprochen wurde, dass der Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG jedenfalls dort eingreift, wo Rechtsfolgen einer strafrechtlichen Verurteilung für den Bereich des Verwaltungsrechts aufgrund gesetzlicher Anordnung ex lege (mit Rechtskraft des Urteils) eintreten.
17 Dabei hat es jedoch gänzlich außer Acht gelassen, dass sich die Rechtslage zwischenzeitig insofern geändert hat, als durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018 (FrÄG 2018), BGBl. I Nr. 56/2018, die Bestimmung des § 2 Abs. 4 AsylG 2005 ins AsylG 2005 eingeführt wurde.
18 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FrÄG 2018 (vgl. 189 BlgNR 26. GP 21) wird zu dieser Bestimmung Folgendes ausgeführt:
„Der vorgeschlagene Abs. 4 nimmt dieses Erkenntnis [VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0246] zum Anlass, um für den Anwendungsbereich des AsylG 2005 generell klarzustellen, dass als maßgebliche gerichtliche Verurteilungen auch solche gelten, die wegen einer Jugendstraftat erfolgt sind. Über den im vorgenannten Erkenntnis einschlägigen § 9 Abs. 2 Z 3 hinaus sind Verurteilungen wegen Jugendstraftaten künftig auch beim Ausschluss von der Erteilung einer ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 zu berücksichtigen. Außerdem liegt eine nach dem AsylG 2005 maßgebliche Straffälligkeit künftig jedenfalls auch bei einer Verurteilung wegen einer die Anforderungen des § 2 Abs. 3 Z 1 oder 2 erfüllenden Jugendstraftat vor, sodass Rechtsfolgen, deren Eintritt allein an eine Straffälligkeit anknüpft, wie etwa der Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und der Ausschluss vom Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 Z 1, auch bei einer Verurteilung wegen einer Jugendstraftat eintreten.“
19 Gemäß § 2 Abs. 4 AsylG 2005 liegt somit seit dessen Inkrafttreten mit 1. September 2018 (§ 73 Abs. 20 AsylG 2005), abweichend von § 5 Z 10 JGG eine nach diesem Bundesgesetz maßgebliche gerichtliche Verurteilung auch dann vor, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt ist (vgl. dazu auch VwGH 21.5.2019, Ra 2019/14/0222).
20 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, der Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG führe dazu, dass die ex lege vorgesehene Rechtsfolge des § 13 Abs. 2 AsylG 2005 im Fall des Mitbeteiligten nicht eintrete, jedenfalls im Hinblick auf dessen strafgerichtliche Verurteilung als verfehlt.
21 Da schon deswegen das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist, hängt das Schicksal der Amtsrevision von den weiteren in ihr angesprochenen Rechtsfragen nicht ab.
22 Soweit in der Amtsrevision die Frage der Zuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung einer Verfahrensanordnung gemäß § 13 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 und eines gesonderten Bescheides gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 angesprochen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. September 2020, Ro 2019/20/0006, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, bereits klargestellt, dass bei der Konstellation, in der ein das Asylverfahren vor der Behörde abschließender Bescheid bereits erlassen wurde und erst während des Beschwerdeverfahrens ein Tatbestand verwirklicht wird, der ex lege zum Verlust des Aufenthaltsrechts des Asylwerbers führt, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowohl die Verfahrensanordnung zu erlassen als auch mit gesondertem Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechts (deklarativ) abzusprechen hat.
23 Das angefochtene Erkenntnis war im Hinblick auf die oben dargestellte Verkennung der Rechtslage gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 22. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200466.L00Im RIS seit
14.12.2020Zuletzt aktualisiert am
15.12.2020