Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des J H in W, vertreten durch Mag. Andrea Zinober, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Dezember 2019, W196 2126253-1/8E, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängigen Aussprüchen nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Ukraine, stellte am 17. Mai 2002 einen Asylerstreckungsantrag nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG), bezogen auf den gleichzeitig gestellten Asylantrag seiner damaligen Ehefrau. Im Jahr 2003 wurde der Sohn des Revisionswerbers im Bundesgebiet geboren.
2 Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. April 2004 gemäß § 10 iVm § 11 AsylG abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Juli 2007 stattgegeben und der behördliche Bescheid behoben, weil auch der Bescheid der Ehefrau des Revisionswerbers gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben worden war. Infolge der neuerlichen Abweisung des Antrages seiner Ehefrau gemäß § 7 AsylG (mangels Glaubwürdigkeit ihres Fluchtvorbringens) wurde der Asylerstreckungsantrag des Revisionswerbers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Mai 2008 gemäß §§ 10 iVm § 11 AsylG abgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers wurde infolge der Abweisung der Beschwerde seiner Ehefrau mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 12. August 2010 keine Folge gegeben.
3 Am 3. Mai 2014 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, dass er in der Ukraine noch immer verfolgt werde und Drohanrufe bekomme. Ein weiterer Grund sei der Krieg in der Ukraine. Er habe bereits zwei Einberufungsbefehle erhalten.
4 Mit Bescheid vom 13. April 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung die Beschwerde mit einer hier nicht weiter wesentlichen Maßgabe als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorlegt. Im Rahmen des vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahrens wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 3 VwGG ist ein Beschluss nach Abs. 1 in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat. Er ist weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0162, 0163, mwN).
12 In ihrer Zulässigkeitsbegründung wendet sich die Revision gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) vorgenommene Interessenabwägung.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0297, mwN).
14 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 6.4.2020, Ra 2020/20/0055, mwN). Dabei geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa erneut VwGH 6.4.2020, Ra 2020/20/0055, mwN).
15 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung alle im konkreten Fall entscheidungswesentlichen Umstände, auch im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers, berücksichtigt und ging - darauf gestützt - davon aus, dass der Revisionswerber eine maßgebliche soziale und berufliche Integration nicht aufweise. Mit seinem unsubstantiierten Vorbringen, er habe seinen Aufenthalt genützt, um sich soweit als möglich und rechtlich zulässig sozial und beruflich zu integrieren, sodass gerade in seinem Fall alle Voraussetzungen für ein Überwiegen des persönlichen Interesses an einem rechtmäßigen Verbleib in Österreich erfüllt seien, unterlässt es der Revisionswerber, konkret jene Umstände zu bezeichnen, die unberücksichtigt geblieben wären oder welchen zu wenig Gewicht beigemessen worden wäre. Er vermag daher nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder dass die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widerspräche.
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 23. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200056.L01Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
09.12.2020