Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
VwGG §26 Abs1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision 1. der U A O und 2. der H A O, beide vertreten durch Mag. Eric Breiteneder, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 5/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2020, Zlen. 1. W235 2199475-1/2E und 2. W235 2199471-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) in der Sache die Anträge der Revisionswerberinnen, beide Staatsangehörige von Somalia, auf Erteilung von Einreisetiteln nach § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
2 Mit Beschluss vom 3. Juni 2020, Ra 2020/01/0144, 0145-3, gewährte der Verwaltungsgerichtshof den Revisionswerberinnen zur Einbringung einer außerordentlichen Revision Verfahrenshilfe, unter anderem im Umfang der Beigebung eines Rechtsanwalts. Die Rechtsanwaltskammer Wien bestellte mit Bescheid vom 5. Juni 2020 Rechtsanwalt Mag. Eric Breiteneder zum Verfahrenshelfer. Der Bestellungsbescheid wurde dem Verfahrenshelfer laut Zustellnachweis am 17. Juni 2020 zugestellt.
3 Mit Schriftsatz, datiert mit 15. Juli 2020, per WEB-ERV beim Verwaltungsgericht am 30. Juli 2020, um 00:01:21 Uhr eingelangt, erhoben die Revisionswerberinnen vorliegende außerordentliche Revision. Darin wurde zur Rechtzeitigkeit der Revision vorgebracht, dass der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien über die Bestellung zum Verfahrenshelfer samt Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses dem Verfahrenshelfer am 17. Juni 2020 zugestellt worden sei.
4 In der auf den Verspätungsvorhalt vom 6. August 2020 erstatteten Stellungnahme vom 24. August 2020 brachten die Revisionswerberinnen vor, die Revision sei am 29. Juli 2020, um 23:59:06 Uhr, mittels Web-ERV versendet und beim Verwaltungsgericht am 30. Juli 2020, um 01:21 Uhr (richtig: 00:01:21 Uhr), laut Web-ERV „Zusammenfassung“ eingelangt. Die Behauptung der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an den Verfahrenshelfer am 17. Juni 2020 in der Revisionsschrift sei unzutreffend. Während des sogenannten „Corona log downs“ habe sich die einzige Sekretärin in der Kanzlei des Verfahrenshelfers in Kurzarbeit und daher nicht jeden Tag am Kanzleistandort befunden. Ebenso habe der Verfahrenshelfer von zuhause aus gearbeitet. Der Briefkasten am Kanzleistandort sei vom 16. März 2020 bis 30. Juni 2020 nicht regelmäßig entleert worden. Am Morgen des 18. Juni 2020 habe der Verfahrenshelfer die Kanzleiräumlichkeiten aufgesucht. Im Briefkasten habe sich unter anderem der Bestellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer Wien samt dem angefochtenen Erkenntnis befunden. Zumal nicht klar erkennbar gewesen sei, wann das Dokument in den Briefkasten gelegt worden sei, habe der Verfahrenshelfer die Zustellung mit 17. Juni 2020 datiert. Am 17. Juni 2020 habe sich jedoch niemand an der Abgabestelle befunden. Tatsächlich habe der Verfahrenshelfer erst am 18. Juni 2020 von den zugestellten Dokumenten und deren Zustellung Kenntnis erlangt. Nachdem die Rückkehr des Verfahrenshelfers an die Abgabestelle (Kanzleistandort) erst am 18. Juni 2020 erfolgt sei, sei die Zustellung gemäß § 26a Z 1 letzter Satz ZustG erst mit dem der Rückkehr folgenden Tag, sohin mit 19. Juni 2020, wirksam. Die Revisionsfrist habe daher tatsächlich am 31. Juli 2020 geendet.
5 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist, Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes oder Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, beginnt gemäß § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG die sechswöchige Revisionsfrist (§ 26 Abs. 1 erster Satz) mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen.
7 Gemäß § 19 Abs. 2 zweiter Satz BVwGG gelten Schriftsätze, die im elektronischen Verkehr oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht worden sind, mit dem Tag ihrer Einbringung als eingebracht, und zwar auch dann, wenn sie nach dem Ende der Amtsstunden eingebracht wurden.
8 Die zum Zeitpunkt der Zustellung des Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer Wien geltende Bestimmung des § 26a Z 1 Zustellgesetz (ZustG) in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 lautete:
„Zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID-19
§ 26a. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:
1. Das Dokument wird dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird; die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, ist der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.“
9 Nach dem Gesetzeswortlaut des § 26a Z 1 letzter Satz ZustG gilt die Zustellung (nur) dann nicht als bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Diese Bestimmung entspricht unter anderem § 16 Abs. 5 ZustG über die Folgen der Abwesenheit des Empfängers oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit. im Falle der Ersatzzustellung nach § 16 ZustG bzw. § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG über die Folgen der Abwesenheit des Empfängers oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit. im Falle der Hinterlegung nach § 17 ZustG.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 17 Abs. 3 ZustG wird die durch den dritten Satz dieser Bestimmung normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. zuletzt etwa VwGH 22.6.2020, Ra 2019/01/0117, 0118, Rn. 10, mwN).
11 Der Empfänger einer Sendung, deren Zustellung einen Fristenlauf auslöst, konnte nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 16 ZustG im Sinne des § 16 Abs. 5 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle dann nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen, wenn ihm wegen Abwesenheit von der Abgabestelle am Tag der vorgenommenen Ersatzzustellung die wahrzunehmende Frist nicht mehr ungekürzt oder nahezu ungekürzt zur Verfügung stand (vgl. VwGH 19.12.2016, Ra 2015/02/0028, Rn. 19, mwN).
12 Diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 16 Abs. 5 ZustG sowie § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist auch auf die Zustellung gemäß § 26a Z 1 letzter Satz ZustG in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020 anzuwenden.
13 Vorliegend hat der Verfahrenshelfer laut Zustellnachweis und dem Vorbringen zur Rechtzeitigkeit der Revision in der Stellungnahme vom 24. August 2020 zum Verspätungsvorhalt am 18. Juni 2020 vom Zustellvorgang am 17. Juni 2020, somit nur einen Tag nach der Zustellung gemäß § 26a Z 1 erster Satz ZustG, Kenntnis erlangt. Es stand daher die in Ansehung des zugestellten Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer Wien wahrzunehmende sechswöchige Revisionsfrist nahezu ungekürzt zur Verfügung. Der Verfahrenshelfer konnte somit trotz seiner „Abwesenheit von der Abgabestelle“ rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen (vgl. etwa VwGH 28.5.2010, 2004/10/0082, mwN, zur Wirksamkeit der Ersatzzustellung gemäß § 16 Abs. 5 ZustG bei Kenntnisnahme des Zustellvorgangs bloß einen Tag nach der Ersatzzustellung). Die Zustellung des Bestellungsbescheides gilt deshalb gemäß § 26a Z 1 erster Satz ZustellG mit 17. Juni 2020 als bewirkt. Die sechswöchige Revisionsfrist endete demgemäß am 29. Juli 2020.
14 Die vorliegende, erst am 30. Juni 2020 eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet.
15 Die Revision war sohin wegen Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 28. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010144.L00Im RIS seit
15.12.2020Zuletzt aktualisiert am
15.12.2020