TE Vwgh Beschluss 2020/10/30 Ra 2020/19/0367

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58
AVG §60
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §29

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S A in F, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwältin in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. September 2020, W216 2167473-1/26E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens, stellte am 14. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban befürchte. Mitglieder der Taliban hätten seinem Vater damit gedroht, dass sie den Revisionswerber töten würden, sollte dieser nicht für sie kämpfen.

2        Mit Bescheid vom 1. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise legte das BFA eine Frist von vierzehn Tagen fest.

3        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4        Begründend führte es im Wesentlichen aus, dass dem Revisionswerber keine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat drohe. Er habe eine solche nicht glaubhaft gemacht. Zudem sei auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer sowie der Bindungen des Revisionswerbers zu seinem Heimatstaat, auch unter Berücksichtigung seiner Integrationsbemühungen in Österreich, von einem Überwiegen öffentlicher Interessen an der Rückkehr des Revisionswerbers gegenüber seinem privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet auszugehen.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe seine Begründungspflicht verletzt. Das angefochtene Erkenntnis entspreche nicht jenen Anforderungen des Verwaltungsgerichtshofes, die in seinerRechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt worden seien. Ein Verstoß gegen die Begründungspflicht liege auch vor, weil es das BVwG verabsäumt habe, das Fluchtvorbringen anhand der einschlägigen und aktuellen Berichtslage zu messen.

Zudem sei die Interessenabwägung im Sinn des § 9 BFA-VG mangelhaft durchgeführt worden, weil das BVwG der erreichten beruflichen und privaten Integration des Revisionswerbers in Österreich, der langen Verfahrensdauer sowie der schwierigen Situation im Herkunftsstaat nicht die gebotene Bedeutung beigemessen habe. Bei einer ausreichenden Interessenabwägung wäre das BVwG zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich gekommen, weil auch die vom Revisionswerber in Österreich erlangte soziale und sprachliche Integration voll ausgeprägt sei.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/19/0447 bis 0450, mwN).

8        Im vorliegenden Fall hat das BVwG - entgegen dem Vorbringen in der Revision und der pauschalen Behauptung einer Verletzung der Begründungspflicht - hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers ausdrücklich festgestellt, dass dieser entgegen seinem Vorbringen nicht von Mitgliedern der Taliban bedroht worden sei und ihm eine Verfolgung durch diese auch in Zukunft nicht drohe. Das BVwG hat im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung dargelegt, worauf es diese Feststellungen stützt (Verweis auf die aktuelle Berichtslage) und in rechtlicher Hinsicht insbesondere ausgeführt, dass im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht glaubhaft sei, dass dem Revisionswerber im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohe (vgl. zum Maßstab der Glaubhaftmachung etwa VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).

Ausgehend davon vermag die Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von verwaltungsgerichtlichen Erkenntnissen nicht aufzuzeigen.

9        Soweit der Revisionswerber die in Zusammenhang mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung bemängelt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 22.9.2020, Ra 2020/19/0316, mwN).

10       Das BVwG hat im vorliegenden Fall alle entscheidungswesentlichen, so auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände, in seine Interessenabwägung einbezogen. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese fallbezogen unvertretbar wäre.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190367.L00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten