Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 2005 §18Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des S A S in H, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2019, W113 2164462-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans aus der Provinz Nangarhar, stellte am 7. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und führte dazu im Wesentlichen aus, dass in Afghanistan Krieg herrsche, die Lage sehr schlecht sei und der IS sowie die Taliban unschuldige Menschen töten würden.
2 In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 1. September 2016 brachte der Revisionswerber weiters vor, dass seine Familie nicht mehr in ihrem Dorf hätte leben können, weil die Familienmitglieder von den Dorfbewohnern bedroht worden seien. Diese hätten sie als Ungläubige und Kommunisten bezeichnet und behauptet, sie hätten für die kommunistische Regierung gearbeitet. Zudem habe es Drohbriefe der Taliban gegeben.
3 In einer weiteren Einvernahme am 2. Februar 2017 gab der Revisionswerber an, dass seine drei Brüder beim amerikanischen Militär gearbeitet hätten und bedroht worden seien, weswegen sie in die USA gereist seien. Danach habe der Revisionswerber die Drohbriefe erhalten.
4 Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass zwei Brüder des Revisionswerbers für die britische und amerikanische Besatzungsmacht als Dolmetscher gearbeitet hätten und der Revisionswerber von den Taliban im Jahr 2016 zwei Drohbriefe erhalten habe, in denen er aufgefordert worden sei, sich den Taliban zu stellen. Dass der Revisionswerber diese Tatsachen nicht bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgebracht habe, erkläre sich nur daraus, dass der Revisionswerber selbst diese Fakten nicht als im Zusammenhang mit einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung sehe. Nach Ansicht des Gerichtes habe der Revisionswerber daher eine Fluchtgeschichte rund um vorhandene Tatsachen „kreiert“. Zudem habe der Revisionswerber seine Fluchtgeschichte zwischen Erstbefragung und den Einvernahmen völlig ausgetauscht und das Fluchtvorbringen kontinuierlich gesteigert, was ebenfalls Indiz dafür sei, dass die Fluchtgeschichte nicht den Tatsachen entspreche. Das Vorbringen, die Taliban hätten den Revisionswerber kurz nach seiner Flucht bei den Eltern gesucht, erscheine nicht glaubwürdig. Da die Sicherheitslage in der Heimatprovinz Nangarhar volatil sei, könne der Revisionswerber nicht dorthin zurückkehren. Ihm stehe jedoch eine alternative Niederlassungsmöglichkeit in Herat offen.
7 Mit Beschluss vom 9. Juni 2020, E 4228/2019-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG und bringt dazu im Wesentlichen vor, das BVwG übergehe gänzlich das Vorbringen des Revisionswerbers sowie die eigenen Feststellungen, wonach dieser bereits durch die beiden Drohbriefe, in denen er aufgefordert worden sei, sich den Taliban zu stellen, Ziel von Verfolgungshandlungen durch die Taliban geworden sei.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0398, mwN).
13 In den beweiswürdigenden Ausführungen legte das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - vertretbar und nachvollziehbar dar, dass Teile des Fluchtvorbringens, nämlich dass zwei Brüder des Revisionswerbers für die amerikanischen und britischen Truppen in Afghanistan als Dolmetscher tätig gewesen seien und der Revisionswerber von den Taliban zwei Drohbriefe erhalten habe, den Tatsachen entsprechen würden. Ebenso nachvollziehbar wertete es das weitere Fluchtvorbringen als unglaubwürdig und begründete dies zusammengefasst mit dem völligen Austausch der Fluchtgeschichte zwischen Erstbefragung und Einvernahmen sowie mit der kontinuierlichen Steigerung des Vorbringens. Das BVwG kommt in seiner Beweiswürdigung nachvollziehbar zu dem Schluss, dass der Revisionswerber im Laufe des Verfahrens eine Fluchtgeschichte rund um vorhandene Tatsachen kreiert habe. Dass das BVwG diese Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
14 Die Revision wendet sich weiters gegen die Begründung des BVwG und führt dazu im Wesentlichen aus, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit der Beurteilung des Vorliegens einer asylrechtlich relevanten Verfolgung nach § 3 AsylG 2005 sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgewichen, weil es aktuelle Länderfeststellungen treffen hätte müssen und sich mit den klaren Empfehlungen von UNHCR und EASO zur möglichen Gefährdung von Dolmetschern und ihren Familien explizit hätte auseinandersetzen müssen.
15 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Asylbehörden in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen haben. Bei den von Amts wegen zu treffenden Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern haben die Asylbehörde und das Verwaltungsgericht von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen (vgl. etwa VwGH 16.6.2020, Ra 2020/19/0064, mwN).
16 Das BVwG stellte u.a. fest, dass zwei Brüder des Revisionswerbers für die britische und amerikanische Besatzungsmacht als Dolmetscher gearbeitet hätten. Aus den ins Verfahren eingeführten Quellen - unter anderem explizit aus den von der Revision angeführten UNHCR- und EASO-Richtlinien - ergebe sich, dass Dolmetscher, die für die internationale Besatzungsmacht tätig gewesen seien, prioritäre Ziele der Taliban darstellen würden und diese einer möglichen Verfolgung durch die Taliban auch schwer durch Übersiedlung in eine der Großstädte Afghanistans entgehen könnten. Familienmitglieder von Dolmetschern könnten zwar auch der Gefahr von Bedrohung und Verfolgung unterliegen, der Quellenlage sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die eventuelle Bedrohung asylrelevante Ausmaße erreichen könnte. Der Revisionswerber als Familienmitglied eines ehemaligen Dolmetschers werde nach einer Übersiedlung in eine Großstadt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr verfolgt, da er selbst aus näher genannten Gründen nicht zu einem prioritären Ziel der Taliban geworden sei.
17 Das BVwG hat sich somit mit den im Einzelfall in Betracht zu ziehenden Umständen auseinandergesetzt und in einer nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstandenden Prognose eine Verfolgungsgefährdung des Revisionswerbers - bei Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative - verneint. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass dem Bundesverwaltungsgericht dabei eine revisible Fehleinschätzung oder ein entsprechender Verfahrensfehler unterlaufen wäre (vgl. erneut VwGH 16.6.2020, Ra 2020/19/0064).
18 Das BVwG hat sich überdies im Zusammenhang mit der angenommenen inländischen Fluchtalternative ausführlich mit den einschlägigen Länderinformationen - auch mit den vom UNHCR und EASO herausgegebenen Richtlinien - auseinandergesetzt und konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat betreffende und im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Feststellungen getroffen. Fallbezogen begegnet die Einschätzung des BVwG, dem Revisionswerber stehe als jungem, gesundemund arbeitsfähigem Mann, der über eine höhere Schulausbildung samt universitärer Ausbildung sowie Berufserfahrung verfüge, eine Landessprache als Muttersprache spreche und mit den Sitten seines Herkunftsstaates vertraut sei, in Herat eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 30. Oktober 2020
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190298.L00Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
09.12.2020