TE OGH 2020/9/29 9ObA55/20h

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser und Wolfgang Jelinek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** W*****, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GesmbH & Co KG, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 65.176,65 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 2020, GZ 7 Ra 23/20h-31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I.1. Kettenarbeitsverträge sind nur dann rechtmäßig, wenn die Aneinanderreihung einzelner auf bestimmte Zeit abgeschlossener Arbeitsverträge im Einzelfall durch besondere soziale, wirtschaftliche Gründe bzw organisatorische oder technische Gründe gerechtfertigt ist, weil sonst die Gefahr der Umgehung zwingender, den Arbeitnehmer schützender Rechtsnormen durch den Arbeitgeber und einer darin zum Ausdruck kommenden rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Arbeitsverträgen besteht (vgl RS0021824; 9 ObA 25/20x Pkt 1.1.). Ist die erste Befristung eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zulässig, so ist aber bereits die erste Verlängerung auf bestimmte Zeit darauf zu prüfen, ob damit nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers die Bestimmungen des Kündigungsschutzes oder (auch) die gesetzlichen Vorschriften über Kündigungsfristen und Kündigungstermine umgangen werden (RS0105948). Je öfter die Aneinanderreihung erfolgt, desto strenger sind die inhaltlichen Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe (RS0021824 [T15]; RS0028327 [T3, T17]). Auch die Dauer der Befristung und die Art der Arbeitsleistung sind in die Überlegungen einzubeziehen (RS0028327 [T7]); dies im Hinblick auf die durch die mehrfache Verlängerung verstärkte Erwartung des Arbeitnehmers, es werde zu weiteren Verlängerungen kommen, sowie im Hinblick auf die gegenüber dem Verlust des Kündigungsschutzes immer mehr zurücktretenden Vorteile für den Arbeitnehmer aus der Befristung (RS0021818). Es bedarf einer Interessenabwägung im Sinne des beweglichen Systems, bei der nicht nur das Ausmaß der Unterbrechungszeiten, sondern auch das Ausmaß der zwischen diesen Unterbrechungszeiten liegenden Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen ist. Übersteigt die Dauer der Zeiten der Unterbrechung erheblich jene der Beschäftigung, so spricht dies tendenziell gegen eine unzulässige Vertragskette (RS0110312).

2. Die Frage, ob die Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverträgen gerechtfertigt ist, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls gelöst werden und stellt regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (9 ObA 118/14i [Pkt 2.]; RS0028327 [T13]). Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zu Kettenarbeitsverhältnissen.

3. Die Klägerin war bei der Beklagten von 1. 9. 2005 bis zu ihrem Pensionsantritt am 30. 6. 2018 als Expeditarbeiterin im Ausmaß von 36 Wochenstunden beschäftigt. Bereits davor war die Klägerin bei der Beklagten im hier relevanten Zeitraum von 23. 3. 1991 bis 31. 8. 2005 regelmäßig im Nachtdienst von Samstag bis Sonntag als Expeditarbeiterin tätig gewesen. Gelegentlich hatte sie auch zusätzliche Schichten übernommen. Nur wenn die Klägerin auf Urlaub oder im Krankenstand gewesen war, hatte sie keine Dienste geleistet. Da die Klägerin aber nicht nur tageweise, sondern durchgehend bei der Sozialversicherung angemeldet sein wollte, hatte sie zusätzlich ab 1. 7. 1991 (bis 31. 8. 2005) von Montag bis Freitag von 7:00 Uhr bis 12:00 Uhr im Ausmaß von zumindest 25 Wochenstunden als mobile Hauskrankenpflegerin gearbeitet.

4. Soweit die Beklagte ihre Argumentation auf die Entscheidung 8 ObA 87/10t stützt, haben bereits die Vorinstanzen übereinstimmend darauf hingewiesen, dass ein mit dem vorliegenden Fall vergleichbarer Sachverhalt nicht vorliegt. Konkret fehlen hier jegliche Anhaltspunkte dafür, dass für die gewählte Vertragsgestaltung auch Interessen der Klägerin maßgebend waren (vgl auch 8 ObA 13/14s [Pkt A.3.]). Dass die Klägerin die ihr jeweils angebotenen Dienste auch sanktionslos ablehnen konnte, mag durchaus sein. Tatsächlich stellte sich das gelebte Vertragsverhältnis zwischen den Parteien aber so dar, dass die Klägerin regelmäßig und ohne (längere) Unterbrechungen den Nachtdienst von Samstag auf Sonntag verrichtete. Interessen der Klägerin an der Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse anstelle eines durchgehenden Arbeitsverhältnisses sind nicht zu erkennen. Der Begriff der „fallweise beschäftigten Personen“ stammt aus dem Sozialversicherungsrecht. Ob die tageweise Anmeldung der Klägerin zur Sozialversicherung als „fallweise beschäftigte Person“ gemäß § 471b ASVG (in der bis 31. 12. 2018 geltenden Fassung) zutreffend war, ist für die vorstehende arbeitsrechtliche Beurteilung nicht ausschlaggebend (vgl RS0021265).

II. Die Rechtsprechung geht in unterschiedlichen Fällen vom Bestehen einer Aufgriffsobliegenheit des Arbeitnehmers aus (vgl RS0028233; RS0112268). Auch unzulässige Mehrfachbefristungen sind, wenn der Arbeitnehmer daraus einen Fortsetzungsanspruch ableitet, ohne Aufschub gegenüber dem Dienstgeber geltend zu machen (8 ObA 5/19x [Pkt 5.1.]). Keiner dieser Fälle liegt hier aber vor. Klagsgegenständlich ist ein Abfertigungsanspruch der Klägerin nach Auflösung des bis 30. 6. 2018 andauernden Arbeitsverhältnisses. Dieser Entgeltanspruch verjährt gemäß § 1486 Z 5 ABGB erst nach drei Jahren.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Textnummer

E129790

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00055.20H.0929.000

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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