TE OGH 2020/9/29 9ObA28/20p

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** P*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 39.606,96 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 10.618,56 EUR brutto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2019, GZ 8 Ra 46/19x-25, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Dezember 2018, GZ 9 Cga 95/17v-21, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das klagsabweisende – mit Beschluss des Berufungsgerichts vom 17. Dezember 2019 (I.) – berichtigte Urteil des Erstgerichts, insgesamt wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.063,42 EUR (darin 510,57 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.291,58 EUR (darin 143,43 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war von 1. 11. 1978 bis 31. 8. 2017 bei der Beklagten als Angestellte im Bereich der Verwaltung beschäftigt.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine französische Auslandsschule in Wien (Lycée Français de Vienne; kurz: LFV). Sie ist eine von etwa 500 französischen Einrichtungen im Ausland, die das Schulnetz der Agentur für französische Bildung im Ausland (AEFE) bilden. Die Beklagte untersteht der direkten Verwaltung der französischen Behörden. Die Vorgaben für die Unterrichts- und Lehrpläne kommen aus dem Bildungsministerium in Frankreich. Die Disziplinarentscheidungen hinsichtlich aller Schüler werden in erster Instanz von der Schulleiterin getroffen. Dagegen kann ein Rechtsmittel beim Verwaltungsgerichtshof in Frankreich eingebracht werden. Die Finanzierung der Schule erfolgt etwa je zur Hälfte durch Schulgelder und die AEFE. Die Beklagte hat jährlich einen Finanzbericht nach Frankreich zu schicken. Die Lehrer werden zum größten Teil vom französischen Staat bezahlt. Die Schüler dürfen Stipendien beim französischen Staat beantragen. Die Staatszugehörigkeit der Schüler setzt sich aus 40 % österreichischen, 40 % französischen und 20 % Schülern aus anderen Ländern zusammen.

Bei der Beklagten gibt es drei verschiedene Kategorien von Mitarbeitern: „Expatmitarbeiter“, bei welchen sämtliche arbeitsrechtliche Belange von Paris aus gesteuert werden, ortsansässige Mitarbeiter, welche für eine Dauer von drei Jahren von der Verwaltungsbehörde zur Verfügung gestellt werden, und das sogenannte „lokale Personal“ – dazu gehört die Klägerin – auf das das lokale Arbeitsrecht anwendbar ist. Die Gehaltsschemata, die seit 2004 in Abstimmung mit dem Betriebsrat festgelegt werden, richten sich nach der Funktion der Beschäftigten. Die Klägerin befindet sich seit 10 Jahren in der letzten Gehaltsstufe 11.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten 39.606,96 EUR brutto sA an Entgeltdifferenz für den Zeitraum von 1. 7. 2014 bis 31. 8. 2017. Auf ihr Dienstverhältnis sei der Mindestlohntarif für in privaten Bildungseinrichtungen beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (kurz: MLT) – mit Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 5 – anzuwenden gewesen.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass das Dienstverhältnis der Klägerin nicht vom persönlichen und fachlichen Geltungsbereich des MLT umfasst sei, weil die Beklagte als juristische Person des öffentlichen Rechts kollektivvertragsfähig und zudem keine private Bildungseinrichtung sei. Die Klägerin habe im Übrigen lediglich Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 4 verrichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren in Höhe von 28.012.04 EUR brutto (ohne Berücksichtigung der Klagsausdehnung und ohne Zinsenbegehren) ab. Die Beklagte sei keine private, sondern eine Bildungseinrichtung mit einem gesetzlichen Schulerhalter, weil Vorgaben für die Schule durch den französischen Staat erteilt würden.

Das Berufungsgericht berichtigte I. den Spruch des Ersturteils im Sinne einer Klagsabweisung im Umfang von 39.606,96 EUR brutto (ohne Zinsenzuspruch). Es gab II. der Berufung der Klägerin teilweise Folge und dem Klagebegehren mit 10.618,56 EUR brutto (ohne Zinsenzuspruch) statt. Das Rekursbegehren von 28.988,40 EUR brutto wies es ab. Das Zinsenbegehren, über das das Erstgericht nicht entschieden habe, sei mangels Geltendmachung durch die Klägerin aus dem Verfahren ausgeschieden.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass das Dienstverhältnis der Klägerin vom Geltungsbereich des MLT erfasst sei. Die Beklagte sei keine juristische Person des öffentlichen Rechts iSd § 7 ArbVG und damit nicht kollektivvertragsfähig, weil sie keine hoheitlichen Befugnisse ausübe. Die Beklagte sei auch keine öffentliche Schule iSd Art 14 Abs 6 B-VG, weil gesetzlicher Schulerhalter in Österreich nur der Bund, das Land, die Gemeinde oder ein Gemeindeverband sein könnten, sondern eine private Bildungseinrichtung iSd Art 14 Abs 7 B-VG. Die Unanwendbarkeit des Privatschulgesetzes beruhe lediglich auf dem zwischenstaatlichen Übereinkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Französischen Republik betreffend die Verfassung des Lycée Fran?ais in Wien. Als Direktionssekretärin sei die Klägerin jedoch bloß in die Beschäftigungsgruppe 4 des MLT einzustufen, weshalb ihr lediglich die daraus ergebende Entgeltdifferenz zustehe. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob die Beklagte eine juristische Person öffentlichen Rechts iSd § 7 ArbVG und damit kollektivvertragsfähig sei.

In ihrer gegen den Klagszuspruch gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 22 Abs 3 Z 1 ArbVG darf ein Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen. Dementsprechend werden vom persönlichen Geltungsbereich des Mindestlohntarifs für in privaten Bildungseinrichtungen beschäftigte Arbeitnehmer/innen, BGBl II 2013/437, auf Seiten der Arbeitgeber nur jene umfasst, die weder selbst kollektivvertragsfähig noch Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft sind (§ 1 Z 2 lit a MLT).

2. Juristische Personen öffentlichen Rechts, die die den Vorschriften des 1. Hauptstücks des I. Teils des ArbVG unterliegen, sind für die bei ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisse selbst kollektivvertragsfähig, soweit sie nicht für Arbeitsverhältnisse bestimmter Betriebs- oder Verwaltungsbereiche einer anderen kollektivvertragsfähigen Körperschaft angehören (§ 7 ArbVG). Der Kreis der dem I. Teil unterfallenden Arbeitgeber wird indirekt durch die Umschreibung des Kreises der von seinen Bestimmungen erfassten Arbeitsverhältnisse in § 1 ArbVG abgegrenzt. Daraus folgt, dass entsprechend der im öffentlichen Recht herrschenden Auffassung öffentlich-rechtliche Körperschaften einschließlich der Gebietskörperschaften, öffentlich-rechtliche Fonds mit Rechtspersönlichkeit und öffentlich-rechtliche Anstalten mit Rechtspersönlichkeit für die Kollektivvertragsfähigkeit gemäß § 7 ArbVG in Frage kommen. Von solchen juristischen Personen geführte Betriebe, Verwaltungsstellen und Unternehmungen, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, sind von dieser Kollektivvertragsfähigkeit miterfasst (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 7 Rz 4 mwN).

3. Juristische Personen öffentlichen Rechts sind durch einen öffentlichen Rechtsakt (insbesondere durch ein Gesetz) eingerichtet und (vielfach) mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet (vgl Mosler in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 7 Rz 2; Runggaldier in Tomandl, ArbVG § 7 Rz 3). Sie sind Träger von Rechten und Pflichten und erfüllen Aufgaben, die im öffentlichen Interesse gelegen sind (Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht4 Rz 869; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 Rz 75; Eberhard/Holoubek/Kröll/Lienbacher/Storr, Grundlagen des öffentlichen Rechts, 35).

4.1. Die Beklagte ist keine natürliche Person, sondern ein Gebilde, dem aufgrund des Kulturübereinkommens zwischen der Republik Österreich und der Französischen Republik (BGBl 1947/220) (kurz: Kulturübereinkommen) iVm dem staatsvertraglichen Übereinkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Französischen Republik betreffend die Verfassung des Lycée Français in Wien (BGBl 1983/44) (kurz: Regierungsübereinkommen) volle Rechtspersönlichkeit mit allen ihren rechtlichen Folgen zuerkannt wurde.

4.2. Die Art 1 und 2 des Kulturübereinkommens lauten:

Artikel 1.

Die österreichische Regierung ermächtigt die französische Regierung zur Schaffung eines Kulturinstitutes in Wien, das ständige und zeitweilige Lehrkurse abhalten und über eine der Öffentlichkeit zugängliche Bibliothek verfügen wird.

Dieses Institut wird unter den Schutz und unter die wissenschaftliche Leitung der Pariser Universität gestellt sein. Das französische Unterrichtsministerium wird im Einvernehmen mit dem Ministerium des Äußeren den Unterricht überwachen.

Das französische Kulturinstitut in Wien ist von der französischen Regierung als offizielles Organ zur Entwicklung der kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern bestimmt. Dieses Institut kann sowohl in Wien als auch in der Provinz Zweigstellen, Studienkreise und Geselligkeits- und Lesezirkel gründen. Es wird ebenfalls die Tätigkeit bereits bestehender oder noch zu schaffender französischer Schulen überwachen und wird volkstümliche Kurse in französischer Sprache einführen.

Artikel 2.

Die österreichische Regierung anerkennt, daß das französische Kulturinstitut im öffentlichen Interesse gelegen ist, gewährt diesem Hilfe und Schutz und sichert ihm volle Unabhängigkeit zu, insbesondere in bezug auf den freien Besuch, auf seine Handlungsfreiheit in Ansehung des Unterrichtes, der kulturellen Veranstaltungen, die unter seiner Aufsicht durchgeführt werden, den Betrieb seiner Bibliothek, seiner Leitung, seines Personals und seiner Finanzgebarung. Das Kulturinstitut wird volle Rechtspersönlichkeit mit allen ihren rechtlichen Folgen besitzen und insbesondere die Fähigkeit haben, Grundstücke zu erwerben oder zu mieten, Geschenke und letztwillige Zuwendungen zu empfangen, dies alles unter Aufsicht des Vertreters der französischen Republik in Wien. Der Direktor des Institutes verwaltet es und erhält zu diesem Zwecke sämtliche notwendigen Vollmachten.

4.3. Die Art I und II des Regierungsübereinkommens lauten:

Artikel I

Das Lycée Fran?ais in Wien ist eine Ausbildungsstätte der Französischen Republik im Ausland. Die Bestimmungen des Kulturübereinkommens zwischen der Republik Österreich und der Französischen Republik vom 15. März 1947 über das französische Kulturinstitut in Österreich finden auf die Anstalt und auf das Personal französischer Staatsbürgerschaft des Lycée Fran?ais in Wien Anwendung.

Artikel II

(1) Die im Lycée Fran?ais in Wien beschäftigten Dienstnehmer französischer Staatsbürgerschaft genießen die gleichen Vorteile und die gleichen Rechte wie jene des französischen Kulturinstituts in Österreich. Die Bestimmungen des österreichischen Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974, finden auf diese Dienstnehmer keine Anwendung.

(2) Hingegen findet das österreichische Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 22/1974, auf im Lycée Fran?ais in Wien beschäftigte Dienstnehmer nichtfranzösischer Staatsbürgerschaft Anwendung.

5. Die Einrichtung der Beklagten gründet auf dem bezughabenden Staatsvertrag. Staatsverträge nach Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG sind nach der Judikatur des VfGH aus innerstaatlicher Sicht eine formellen Gesetzen prinzipiell gleichwertige Rechtssatzform (VfGH 16. 3. 2013, SV 2/12, Pkt III.B.4.3.3.). Der Staatsvertrag betreffend die Verfassung des Lycée Français in Wien ist zufolge den Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ein gesetzesändernder und gesetzesergänzender Staatsvertrag iSd Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG (ErlRV 1102 BlgNR XV. GP 7). Das Lycée Fran?ais wurde daher auf besonderer gesetzlicher Grundlage durch einen Hoheitsakt errichtet.

6.1. Die Beklagte trägt als Schule zur Verwirklichung von Aufgaben, die im öffentlichen Interesse gelegen sind (zur Schulbildung) bei und dient somit auch deren Erfüllung. Die Aufgabe der österreichischen Schulen ist in § 2 Abs 1 SchOG umschrieben. Danach hat die österreichische Schule unter anderem die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.

6.2. Der Unterricht im Lycée Fran?ais in Wien wird nach den amtlichen französischen Lehrplänen erteilt. Für Schüler österreichischer Staatsbürgerschaft ist ein ergänzender Unterricht in deutscher Sprache für Deutsch, österreichische und deutsche Literatur, österreichische Geschichte und Sozialkunde sowie österreichische Geographie und Wirtschaftskunde zur Erreichung des Lehrziels der entsprechenden österreichischen Schulen in den genannten Bereichen verpflichtend (Art IV Abs 1 des Regierungsübereinkommens). Die Schüler des Lycée Fran?ais in Wien erfüllen durch den Besuch der entsprechenden Klasse des französischen Schulsystems die nach österreichischem Recht vorgeschriebene allgemeine Schulpflicht (Art V des Regierungsübereinkommens). Mit dem Schulabschluss erhält man sowohl ein französisches Baccalauréat als auch eine österreichische Matura, wenn der Zusatzunterricht auf Deutsch belegt wurde (Art IX des Regierungsübereinkommens). Die von der Beklagten über den Schulbesuch und vom Prüfungszentrum in Wien über die Ablegung des Baccalauréats einschließlich der Ablegung der Prüfungen über den ergänzenden Unterricht im Sinne des Artikels IV Abs 1 zweiter Satz des Regierungsübereinkommens ausgestellten Zeugnisse sind mit der Beweiskraft öffentlicher Urkunden ausgestattet (Art XII des Regierungsübereinkommens). Die Beklagte als französische Auslandsschule in Wien trägt daher ebenfalls zur Verwirklichung der in § 2 SchOG genannten – im öffentlichen Interesse gelegenen – Aufgaben bei.

7. Art I des Regierungsübereinkommens bezeichnet die Beklagte als Anstalt. Zur Frage, ob es sich dabei um eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit Rechtspersönlichkeit handelt, die als juristische Person öffentlichen Rechts anzusehen ist, hat der Senat erwogen:

7.1. Nach der Judikatur des VfGH und des VwGH ist für den Anstaltsbegriff ein Bestand an Mitteln persönlicher und sachlicher Art wesentlich, der für Dauer bestimmt ist, dem durch den Einsatz der Mittel verfolgten Zweck der öffentlichen Verwaltung zu dienen. Die Anstalt ist nach der sachlichen Seite hin ein zweckgebundenes Verwaltungsvermögen, das durch das Vorherrschen nach außen hin sichtbarer technischer Einrichtungen (zB Krankenhaus mit medizinischen Einrichtungen) charakterisiert wird und das als solches aus sich heraus die Eignung besitzen muss, bestimmte Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zu erfüllen. Diese Sachwerte müssen außerdem die Eignung besitzen, der Benützung durch individuell noch nicht erfassbare Personen (Destinatare) zu dienen (VfSlg 3296/1957; VwSlg 15275 A/1999 Pkt III.3.3.).

7.2. Die Lehre zeichnet ein vergleichbares Bild: Danach sind Anstalten juristische Personen mit einem Bestand an Sach- und Personalmitteln, die durch den Träger der Anstalt auf Dauer für bestimmte Zwecke der öffentlichen Verwaltung eingerichtet sind. Eine Anstalt kennt keine Mitglieder, sondern Benützer. Wesensmerkmal einer Anstalt ist ihre Nutzung durch einen unbestimmten Personenkreis (Kahl/Weber, Allgemeines Verwaltungsrecht7 Rz 253; vgl auch Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 Rz 82; Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht4 Rz 871). Raschauer ergänzt, dass das Benützungsverhältnis zur Anstalt sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich ausgestaltet sein kann.

7.3. Art 14 Abs 6 Satz 1 B-VG definiert Schulen als Einrichtungen, in denen Schüler gemeinsam nach einem umfassenden, festen Lehrplan unterrichtet werden und im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinen oder allgemeinen und beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten ein umfassendes erzieherisches Ziel angestrebt wird. Unterschieden wird zwischen öffentlichen Schulen, die vom gesetzlichen Schulerhalter errichtet und erhalten werden (Art 14 Abs 6 Satz 2 B-VG) und den nicht öffentlichen Schulen, also den Privatschulen, denen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen ist (Art 14 Abs 7 B-VG).

7.4. Der Begriff „Einrichtungen“ findet sich auch in § 2 Abs 1 Privatschulgesetz. Danach sind Privatschulen Einrichtungen, in denen eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird, wenn im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt wird. Wieser (Zum Privatschulunterricht in Österreich – Abgrenzungsfragen, ZfV 2010/3, [14] mwN) erblickt darin in Anlehnung an Organisationsformen der staatlichen Verwaltung das Postulat einer anstaltlichen Organisationsform. Diese zeichne sich im Kern durch die Existenz sowohl von sachlichen als auch von persönlichen Mitteln aus, die dauernd der Erfüllung bestimmter Zwecke gewidmet seien. Wesentlich sei eine äußerlich sichtbare Einrichtung, bestehend aus einem persönlichen und sachlichen Apparat, und die dauernde Widmung für definierte Zwecke (hier: schulische Zwecke) durch den Träger der Anstalt.

7.5. Das Lycée Fran?ais in Wien ist zwar weder eine öffentliche Schule noch eine Privatschule (vgl Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 227 ASVG Rz 32; ErlRV 324 BlgNR XVII. GP 38), aber zweifellos eine aus einem persönlichen und sachlichen Apparat bestehende, auf Dauer (vgl Art XIV des Regierungsübereinkommens) angelegte Einrichtung, in denen Schüler gemeinsam nach einem umfassenden, festen Lehrplan unterrichtet werden und im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten ein umfassendes erzieherisches Ziel angestrebt wird. Die Benutzung dieser Einrichtung ist auch nicht von vornherein auf einen bestimmten Schülerkreis beschränkt (vgl Art 2 Satz 1 des Kulturübereinkommens). Dass die Aufnahme in das Lycée Fran?ais in Wien durch einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Schüler und dem Schulerhalter erfolgt und vom Schüler ein Schulgeld zu entrichten ist, ändert am möglichen Zugang eines grundsätzlich unbeschränkten Personenkreises nichts.

8. Zusammengefasst ist das Lycée Fran?ais in Wien eine Ausbildungsstätte der Französischen Republik im Ausland, die im nationalen öffentlichen Interesse gelegen ist und die volle Rechtspersönlichkeit besitzt. Als selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts ist das Lycée Fran?ais in Wien damit eine juristische Person, die die den Vorschriften des 1. Hauptstücks des I. Teils des ArbVG unterliegt und für die bei ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse selbst kollektivvertragsfähig ist (§ 7 ArbVG). Damit ist der Mindestlohntarif für in privaten Bildungseinrichtungen beschäftigte Arbeitnehmer/innen auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht anzuwenden.

Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und das klagsabweisende Ersturteil in der durch das Berufungsgericht berichtigten Fassung wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der ERV-Zuschlag für eine Folgeeingabe beträgt gemäß § 23a RATG nur 2,10 EUR.

Textnummer

E129789

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00028.20P.0929.000

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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