Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Emek Calayan, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Goldsteiner Rechtsanwalts GmbH in Wiener Neustadt, wegen 18.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. April 2020, GZ 58 R 87/19w-76, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 16. Mai 2019, GZ 14 C 135/17w-56, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit 1.740,72 EUR (darin 290,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und deren mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 1999 Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH. Sie ist auf den Gebieten Buchhaltung, Lohnverrechnung und Bilanzwesen sachkundig. Sie arbeitete durchwegs Vollzeit für die GmbH, stellte im Jahr 2006 aber nur 300 EUR monatlich hiefür in Rechnung, für das Jahr 2009 war sie als geringfügig angestellte Geschäftsführerin bei der Gebietskrankenkasse gemeldet.
Die Beklagte ist die Tochter der Klägerin, sie hat den Beruf der Krankenschwester erlernt. Sie arbeitete ab dem Jahr 1999 unentgeltlich im Unternehmen ihrer Mutter mit. 2005 und 2006 stellten sie und ihr damaliger Mann dem Unternehmen oder der Klägerin für das Unternehmen immer wieder Geldbeträge zur Verfügung, die sie nicht zurückerhielten. Seit 2006 war die Beklagte mit 1.700 EUR monatlich im Unternehmen angestellt, ihre Aufgaben waren Kundenbetreuung, Akquisition, Lagerverwaltung und Personal. Eine kaufmännische Ausbildung hat sie nicht. Den Überblick über die finanzielle Lage des Unternehmens hatte nur die Klägerin, die die Beklagte in die Buchhaltung, Bilanzerstellung, Lohnverrechnung und andere finanzielle Belange kaum einbezog.
2008 wünschte die Beklagte, mehr Einfluss auf das Unternehmen zu bekommen, während die Klägerin nicht mehr selbständig erwerbstätig sein wollte. Ihr war es wichtig, ihren Arbeitsplatz als Geschäftsführerin zu behalten, weil sie das Unternehmen aufgebaut hatte und finanzielle Einbußen für sich befürchtete. Am 18. 12. 2008 wurden zwei Notariatsakte errichtet. Die Klägerin trat ihren Geschäftsanteil an der GmbH an die Beklagte um einen Euro ab. In einem weiteren Notariatsakt bot die Beklagte der Klägerin den ihr abgetretenen Geschäftsanteil zur (Rück-)Abtretung um einen Euro an, wobei die Annahme des Anbots bis zum 31. 12. 2023 befristet wurde. Mündlich war zwischen den Streitteilen besprochen, dass die Klägerin vom Anbot auf Rückabtretung nur dann Gebrauch machen werde, wenn die Beklagte nicht mehr in der Lage sein sollte, das Unternehmen zu führen. Im Notariatsakt fand dies keinen Niederschlag.
Anfang 2009 wurde die Beklagte daher Gesellschafterin und Prokuristin, während die Klägerin Geschäftsführerin blieb. Die Aufgabenverteilung zwischen den Streitteilen blieb unverändert.
In weiterer Folge verschlechterte sich die Beziehung der Streitteile, es kam zu Auseinandersetzungen über die Art der Unternehmensführung. Die Beklagte stellte die Klägerin im Herbst 2012 vor die Alternative, sich entweder aus dem Unternehmen zurückzuziehen oder aber sie werde das Unternehmen verlassen.
Die Klägerin erklärte daraufhin, vom Anbot auf Rückübertragung des Geschäftsanteils Gebrauch zu machen; wenn sie das Unternehmen verlasse, müsse die Beklagte einen Betrag in Höhe des bisherigen Geschäftsführergehalts, also monatlich 1.000 EUR, bezahlen.
Die Klägerin veranlasste die Einholung einer Unternehmensbewertung in Form eines Kurzchecks durch die Wirtschaftskammer im November 2012. Grundlage für diese Schätzung des Unternehmenswerts waren die Geschäftsjahre 2009 bis 2011. In Details des Rechnungswesens hatte der Ersteller der Schätzung keinen Einblick, er übernahm die ihm genannten Personalkosten ohne sie auf Angemessenheit zu überprüfen. Laut diesem Kurzcheck war das Unternehmen damals 92.448,10 EUR wert. Die Klägerin erhöhte der Beklagten gegenüber diesen Betrag auf 138.000 EUR mit der Begründung, sie habe Firmenautos privat nutzen können. Sie stellte der Beklagten gegenüber diesen Betrag als Firmenwert dar, obwohl sie wusste, dass das Unternehmen weder einen Wert von 138.000 EUR noch von 92.448,10 EUR hatte. Der Betrag von 138.000 EUR entspricht der Summe der von der Klägerin verlangten Zahlungen von monatlich 1.000 EUR bis zu ihrem 80. Lebensjahr, bis zu dem sie an sich als Geschäftsführerin tätig hatte sein wollen.
Tatsächlich hatte das Unternehmen weder im Jahr 2008 noch in den Folgejahren einen positiven Unternehmens- oder Liquidationswert. Beide Werte waren negativ. Wesentlicher Grund für die Unrichtigkeit des Kurzchecks sind zu hohe Umsatzerlöse und weit zu niedrig geschätzte Personalkosten, insbesondere des Geschäftsführergehalts der Klägerin.
Die Beklagte ging von dem Unternehmenswert aus, den ihr die Klägerin genannt hatte, wenn sie auch die Differenz zwischen dem Betrag im Kurzcheck und demjenigen von 138.000 EUR anzweifelte. Sie befürchtete, die mündliche Zusage der Klägerin, unter welchen Bedingungen sie vom Anbot der Rückabtretung der Geschäftsanteile Gebrauch machen würde, nicht beweisen zu können, sodass sie nicht nur das Unternehmen, sondern auch ihre Investitionen an Geld-
und Arbeitsleistungen verlieren würde. Außerdem war es nach der Darstellung der Klägerin der Beklagten leicht möglich, zusätzlich 1.000 EUR monatlich zu erwirtschaften, davon ging sie daher auch aus.
Da sich die Beklagte durch die Ankündigung der Klägerin vom Anbot der Rückabtretung Gebrauch zu machen, wenn sie auf ihre finanzielle Forderungen nicht eingehe, stark unter Druck gesetzt fühlte, wurden am 13. 3. 2013 neuerlich zwei Notariatsakte errichtet. In einem erklärte die Klägerin, das Anbot vom 18. 12. 2008 nicht anzunehmen und auf dessen Annahme auch in Zukunft zu verzichten. Der weitere Notariatsakt ist als Schenkungsvereinbarung bezeichnet. Die Beklagte erklärte, der Klägerin eine monatliche Unterstützung von 1.000 EUR, beginnend mit 1. 3. 2013 bis zum 1. 8. 2024 zu schenken. Die Verpflichtung sollte erlöschen, sobald die Klägerin eine Form des betreuten Wohnens in Anspruch nehme, im Fall der Sachwalterschaft über die Klägerin oder bei deren Tod.
Daraufhin schied die Klägerin als Geschäftsführerin aus dem Unternehmen aus, die Beklagte übernahm die Geschäftsführerposition. Rasch erkannte sie, dass die finanzielle Situation des Unternehmens nicht so war wie von der Klägerin dargestellt und die monatlichen Zahlungen an die Klägerin von 1.000 EUR – die sie aus ihrem eigenen Geschäftsführergehalt leistete – aus Unternehmenserträgnissen nicht gezahlt werden konnten. Wegen des Ausfalls der Arbeitskraft der Klägerin musste die Beklagte Personal einstellen und Nachzahlungen an die Sozialversicherung leisten. Seit 2016 war sie gezwungen, zusätzlich wieder im Krankenhaus zu arbeiten. Um wieder in ein Angestelltenverhältnis zu gelangen, trat sie ihren Geschäftsanteil 2017 an einen Bekannten ab und ist seitdem als angestellte Geschäftsführerin geringfügig im Unternehmen beschäftigt. Im Lauf des Verfahrens stellte die Beklagte die Zahlungen an die Klägerin ein, insgesamt sind bei Schluss der Verhandlung 18.000 EUR an monatlichen Zahlungen offen. In Summe hat die Beklagte an die Klägerin 50.000 EUR bezahlt.
Die Klägerin begehrte gestützt auf den Schenkungsvertrag vom 13. 3. 2013 zuletzt 18.000 EUR samt gestaffelter Zinsen. Die Beklagte habe die Unternehmensbewertung durch die Wirtschaftskammer gekannt. Auf dieser Basis habe die Klägerin vorgeschlagen, aus dem Unternehmen als Geschäftsführerin auszuscheiden, auf die Möglichkeit der Rückübertragung der Anteile zu verzichten und dafür bis zum 80. Lebensjahr weiterhin 1.000 EUR monatlich von der Beklagten zu erhalten.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Entgegen der Bezeichnung als Schenkungsvertrag habe es sich bei der Zahlungsverpflichtung von insgesamt 138.000 EUR um ein Entgelt für das Unternehmen gehandelt, weil die Klägerin als Gegenleistung auf ihr Rückabtretungsrecht verzichtet habe. Die Klägerin habe die Beklagte über den Unternehmenswert bewusst getäuscht, weshalb die Vertragsanpassung bzw hilfsweise -anfechtung wegen Irrtums und List erklärt werde. Überdies liege Wucher vor, weil die Klägerin die Vertrauensseligkeit, Unerfahrenheit und Zwangslage der Beklagten ausgenützt habe. Die Vertragsanfechtung wurde auch auf Drohung und laesio enormis gestützt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beiden am 13. 3. 2013 geschlossenen Notariatsakte seien ein einheitlicher entgeltlicher Verzichtsvertrag. Da der Verzicht auf die Annahme eines Rückabtretungsanbots für ein wertloses Unternehmen ohne Wert sei, sodass zu der von der Beklagten versprochenen Leistung von insgesamt 138.000 EUR ein Missverhältnis bestehe, liege im Hinblick auf die Zwangslage der Beklagten bei Vertragsabschluss Wucher im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und dem Klagebegehren statt. Es verneinte das Vorliegen des Wuchertatbestands. Die Beklagte habe sich nicht in einer Zwangslage befunden, zumal sie die Differenz zwischen dem Betrag im Kurzcheck (92.448,10 EUR) und dem von der Klägerin begehrten Betrag von maximal 138.000 EUR ohnedies angezweifelt habe. Ihr sei daher bewusst gewesen, einen möglichen Mehrpreis von (maximal) 45.000 EUR zahlen zu müssen, der im Verhältnis zu der von ihr befürchteterweise verlorenen Leistung von 17.000 EUR keine Zwangslage begründen könne. Die Verpflichtung aus der Schenkungsvereinbarung sei mehrfach bedingt und hänge von der Lebensdauer der Klägerin (sowie ihrer Handlungsfähigkeit und dem Verbleib außerhalb einer Form des betreuten Wohnens) ab, weshalb der Vertrag als Leibrente im Sinn des § 1284 ABGB und damit als Glücksvertrag zu qualifizieren sei. Eine nicht abgezinste Addition der monatlich zu leistenden Beträge über die Maximallaufzeit sei keine korrekte Ermittlung der Gegenleistung.
Die Anfechtung wegen Irrtums, laesio enormis oder Drohung erachtete das Berufungsgericht als verjährt. Den Arglisteinwand prüfte das Berufungsgericht inhaltlich, meinte aber, dieser wäre nur dann zu bejahen, wenn die Klägerin durch vorsätzliche Vorspiegelung falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen die Beklagte durch die Erwirkung eines falschen Unternehmensschätzwerts in Irrtum geführt habe. Eine arglistige Täuschung des den Kurzcheck über den Unternehmenswert errichtenden Zeugen habe die Beklagte aber nicht behauptet.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage einer Zwangslage bei einem Leibrentenvertrag in Verbindung mit einem Verzicht auf ein Rückabtretungsangebot fehle.
Dagegen richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten, in der sie die Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts beantragt. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist demgemäß auch berechtigt.
1. In der Revision macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ihre Zwangslage bei Unterfertigung der beiden Notariatsakte verneint. Die Beklagte habe auch den Verlust des Nominalwerts des Gesellschaftsanteils bzw des von der Klägerin behaupteten tatsächlichen Werts des Unternehmens von 92.448,10 EUR bzw 138.000 EUR befürchten müssen. Subjektiv sei die Beklagte davon ausgegangen, dass der Erhalt des Unternehmens für sie die finanziell bessere Möglichkeit sei.
Außerdem habe das Berufungsgericht unzutreffend das Vorliegen von Arglist verneint. Die Klägerin habe gewusst, dass das Unternehmen weder einen Wert von 138.000 EUR noch von 92.448,10 EUR gehabt habe. Wenn das Berufungsgericht zusätzliches Vorbringen dazu verlange, dass die Klägerin den den Kurzcheck für die Wirtschaftskammer erstellenden Zeugen arglistig getäuscht habe, gehe dies zu weit und sei überraschend.
Hiezu wurde erwogen:
2. Vorauszuschicken ist, dass die Parteien die von den Vorinstanzen übereinstimmend vertretene Auffassung, die beiden am 13. 3. 2013 geschlossenen Notariatsakte seien ein einheitliches entgeltliches Geschäft, wobei die von der Beklagten übernommene Verpflichtung zur Zahlung von monatlich 1.000 EUR bis zum Erreichen des 80. Lebensjahres der Klägerin die Gegenleistung für deren Verzicht auf die Annahme des Rückabtretungsanbots (und auf ihre Geschäftsführerposition) gebildet habe, zu Recht nicht in Zweifel ziehen, lässt doch der festgestellte Parteiwille der Streitteile keine andere Auslegung zu. Davon ist für die weitere rechtliche Beurteilung auszugehen.
3. Zutreffend hat das Berufungsgericht diesen einheitlichen Vertrag als einen Unternehmenskauf gegen Leibrente vergleichbar und damit als Glücksvertrag im Sinn des § 1269 ABGB angesehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0018825; 2 Ob 210/13s mwN) sind etwa Leibrenten-, Ausgedinge- und auf die Lebenszeit des Bezugsberechtigten abstellende Unterhaltsverträge, aber auch sonstige Übergabsverträge mit der Verpflichtung des Übernehmers zur Erbringung von Geld-
oder Naturalleistungen auf Lebenszeit des Übergebers oder eines Dritten als Glücksverträge zu qualifizieren. Insbesondere die Dauer der vereinbarten Ratenleistung begründet aufgrund des aleatorischen Elements ein Glücksgeschäft im Sinn des § 1269 ABGB (7 Ob 162/05g). Davon auch hier auszugehen liegt nahe – zwar war nicht das Unternehmen selbst, wohl aber der Verzicht auf die Rückabtretung sämtlicher Geschäftsanteile und die Geschäftsführerfunktion Gegenstand des Vertrags und die von der Beklagten zugesagte monatliche Leistung von 1.000 EUR von mehreren Bedingungen abhängig. Letztlich kommt der Beurteilung als Glücksvertrag aber keine wesentliche Bedeutung zu.
4. Bei Leibrentenverträgen findet zwar die Einrede der Verletzung über die Hälfte des wahren Werts gemäß § 1268 ABGB nicht statt (RS0018825); es sei denn, es wäre schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gewiss, dass der Leibrentenberechtigte bis zu jenem Zeitpunkt, der nach heutiger Sicht der Wissenschaft als absolute Obergrenze für die Dauer eines Menschenlebens anzusehen ist, bei Berücksichtigung aller jener in diesem Zeitraum ihm zukommenden Leistungen nicht mehr als die Hälfte des Werts seiner eigenen Leistung erhalten haben wird (RS0018825 [T5]). Auf die Anfechtung des Vertrags wegen laesio enormis, die das Berufungsgericht als verfristet angesehen hat, kommt die Revision allerdings ohnedies nicht mehr zurück, sodass dieser selbständige Streitpunkt aus dem Verfahren ausgeschieden und nicht mehr zu behandeln ist (vgl RS0043338). Dasselbe gilt für die vom Berufungsgericht ebenfalls als verfristet beurteilten Anfechtungsgründe des (einfachen) Irrtums und der Drohung.
5. Zu prüfen bleibt der von der Beklagten primär erhobene Einwand der arglistigen Irreführung, den das Berufungsgericht zutreffend als nicht verfristet angesehen hat, verjährt die Anfechtung wegen List doch gemäß § 1487 iVm § 1478 ABGB in 30 Jahren ab Vertragsabschluss (Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 870 ABGB Rz 8; 1 Ob 184/13k), dies gilt auch für die hier begehrte Vertragsanpassung bei dolosem Verhalten (Dehn in KBB6 § 1487 ABGB Rz 3 mwN; 1 Ob 184/13k) sowie allenfalls der – auch bei Glücksverträgen grundsätzlich zulässige (RS0018825 [T3]) – Einwand des Wuchers, den die Beklagte hilfsweise erhoben hat. Vorweg ist aber auf den Einwand der Beklagten einzugehen, sie sei beim Abschluss des Vertrags von der Klägerin arglistig getäuscht worden, den sie – zulässigerweise (vgl RS0014768) – zur Grundlage ihres Vertragsanpassungsbegehrens gemacht hat.
6.1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Vorbringen der Beklagten zur arglistigen Irreführung sei unzureichend gewesen, teilt der erkennende Senat nicht, sodass sich die Erörterung einer Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts erübrigt.
6.2. List im Sinn von § 870 ABGB ist bewusste Täuschung und setzt daher ein – für den Irrtum kausales – vorsätzliches Verhalten des Irreführenden voraus (RS0014821). Sie ist immer dann anzunehmen, wenn der Vertragspartner durch vorsätzliche Vorspiegelung falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen in Irrtum geführt oder in seinem Irrtum belassen oder sogar bestärkt und hiedurch zum Abschluss des angestrebten Vertrags veranlasst wurde (RS0014805, RS0014829). Der durch Arglist Getäuschte kann die Aufhebung des Vertrags selbst bei unwesentlichem Motivirrtum verlangen (RS0014807). Das Gestaltungsrecht auf Vertragsanpassung gemäß § 872 ABGB steht auch dem bei Vertragsabschluss Getäuschten zu (RS0014768 [T1]). Der listig Irreführende kann dem Begehren auf Vertragsanpassung die Einwendung, er hätte den Vertrag anders nicht geschlossen, nur dann entgegensetzen, wenn durch die begehrte Anpassung wesentliche Interessen auf seiner Seite beeinträchtigt würden (RS0014780). List erfordert, dass der andere den Irrenden bewusst in Irrtum führt oder den ihm bekannten Irrtum ausnützt, also positive Kenntnis davon hat, dass der andere Teil irrt, und dass der Irrtum einen Einfluss auf seinen Willensentschluss ausübt (RS0014765). Dafür genügt bedingter Vorsatz, der Täuschende muss den Irrtum des anderen Teils ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, grobe Fahrlässigkeit reicht nicht aus (RS0014837; 5 Ob 214/19k mwN).
6.3. Das bewusste Verschweigen von Tatsachen begründet dann List, wenn der Schweigende gegen eine ihm obliegende Aufklärungspflicht verstößt (RS0014817), die dann besteht, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0014811; RS0014790 [T4, T8]). Eine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seinen Entschluss einen Einfluss haben können, besteht zwar nicht; sie ist aber dann zu bejahen, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs Aufklärung erwarten durfte (RS0014811). Beim Kauf eines Unternehmens genügt zur Erfüllung der Offenlegungspflicht im Allgemeinen die Überlassung derjenigen Unterlagen, aus denen sich die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens wesentlichen Umstände ergeben (RS0014811 [T3]). Besondere Umstände, die zur Aufklärung verpflichten, liegen aber dann vor, wenn sich der andere zwar grundsätzlich selbst informieren könnte und müsste, seinem Gegenüber aber der Umstand, dessen Relevanz für die Entscheidungsfindung des anderen und dessen aktuelles Nichtwissen vom Umstand bekannt ist. In einem solchen Fall darf der Wissende den anderen nicht in Unkenntnis lassen (RS0014811 [T25]).
7. Auf Basis dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei der Nachweis arglistiger Täuschung durch die Klägerin nicht gelungen, nicht zu teilen.
7.1. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0014773) müsste die Einrede der Arglist gar nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden, es genügt, dass die sie begründenden Tatsachen vorgebracht werden. Das Anfechtungs- oder Anpassungsrecht muss der Irregeführte zwar gerichtlich geltend machen, dies kann aber auch in der Form geschehen, dass er gegen die Leistungsklage des anderen Teils die Einrede der Ungültigkeit erhebt (vgl RS0016253). Dies ist hier geschehen. Die Beklagte hat ausdrücklich die Vertragsanpassung wegen arglistiger Täuschung begehrt und sich zur Begründung – wie das Berufungsgericht selbst erkennt – zusammengefasst darauf berufen, die Klägerin, die sich um alle finanziellen Belange des Unternehmens gekümmert habe, habe gewusst, dass der von ihr genannte Unternehmenswert unrichtig sei. Damit habe sie die Beklagte bewusst und absichtlich in die Irre geführt (Schriftsatz vom 22. Jänner 2018, ON 24). Zusätzliches Vorbringen zu einer bewussten Täuschung des den Kurzcheck über die Unternehmensbewertung verfassenden Zeugen bedurfte es hingegen nicht.
7.2. Nach den Feststellungen des Erstgerichts wusste die Klägerin nämlich sowohl, dass das Unternehmen weder einen Wert von 138.000 EUR (der Summe der von der Beklagten zugesagten Leibrentenzahlungen bis zum 80. Lebensjahr der Klägerin) noch von 92.448,10 EUR (laut Kurzcheck der Wirtschaftskammer) hatte, stellte aber dessen ungeachtet den Betrag von 138.000 EUR der Beklagten gegenüber als Firmenwert dar. Außerdem stellte sie es der Beklagten gegenüber als leicht möglich dar, 1.000 EUR monatlich für die Klägerin zu erwirtschaften. Diese Feststellungen halten sich im Rahmen der geltend gemachten Einwendung der arglistigen Irreführung, sind daher nicht überschießend und bei der rechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen (RS0040318). Näherer Feststellungen, aus welchen Gründen der im Kurzcheck der Wirtschaftskammer ausgewiesene Unternehmenswert so hoch ausgefallen war, bedurfte es gar nicht, weil die Klägerin ohnedies Kenntnis von der Unrichtigkeit dieser Bewertung hatte, dessen ungeachtet aber der Beklagten gegenüber sogar einen deutlich darüber liegenden Wert (nämlich 138.000 EUR) vorgab und dies – unrichtig – mit der Privatnutzung eines Pkw durch die Beklagte in den Jahren zuvor zu begründen versuchte.
7.3. Dass der von der Klägerin hervorgerufene Irrtum der Beklagten über den Wert des Unternehmens maßgeblichen Einfluss auf deren Entscheidung hatte, der Beklagten die monatliche Leibrente zuzusagen, ergibt sich zwanglos aus dem Gesamtkontext der Feststellungen. Die Beklagte bezweifelte in ihrem E-Mail vom 26. 2. 2013 ja die Differenz zwischen der dem ihr bekanntgegebenen Betrag im Unternehmenscheck und dem von der Klägerin genannten von 138.000 EUR, woraus sich ergibt, dass der Unternehmenswert für sie wesentliches Entscheidungskriterium war. Außerdem war für sie wesentlich, dass sie den Betrag von 1.000 EUR – wie von der Klägerin dargestellt – monatlich ohne weiteres erwirtschaften würde können. An der Kausalität der – aktiven – Täuschungshandlungen der Klägerin gegenüber der Beklagten ist daher nicht zu zweifeln. Davon abgesehen wäre die Klägerin nach den besonderen Umständen des Falls ohnedies verpflichtet gewesen, ihre positive Kenntnis, dass das Unternehmen den im Kurzcheck der Wirtschaftskammer genannten Wert nicht hatte, mit der Beklagten zu teilen; sie hat aber im Gegenteil versucht, den Unternehmenswert noch höher darzustellen und die Beklagte in Sicherheit gewogen, was die mögliche Erwirtschaftung von monatlich 1.000 EUR betrifft. Nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs durfte die Beklagte hier eine entsprechende Aufklärung erwarten.
7.4. Damit ist die Einrede der Arglist berechtigt. Den Einwand, sie hätte den Vertrag nicht anders geschlossen, erhob die Klägerin nicht. Dass durch die begehrte Anpassung wesentliche Interessen auf Seite der Klägerin beeinträchtigt würden (vgl RS0014780), hat sie nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
8. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage betreffend Wucher bei Leibrentenverträgen, weil der Vertrag ohnedies aus dem Grund der Arglist anzupassen ist. In Stattgebung der Revision war das Ersturteil samt seiner Kostenentscheidung daher wiederherzustellen.
9. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E129794European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00144.20T.0930.000Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020