Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. A***** M*****, 2. V***** S*****, beide vertreten durch Mag. Linda Lojda, Verein Mieterfreunde Österreich, *****, gegen die Antragsgegnerin L***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Erich Kafka, Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG iVm § 16 Abs 2 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. März 2020, GZ 39 R 375/19i-43, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 3. Oktober 2019, GZ 35 Msch 15/17g-38, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Antragsgegnerin ist Vermieterin einer Wohnung in Wien. Die Antragsteller waren aufgrund eines am 25. 1. 2013 abgeschlossenen, auf vier Jahre befristeten Mietvertrags ab 1. 2. 2013 Mieter dieser Wohnung. Das Mietverhältnis endete einvernehmlich vorzeitig; jenes mit dem Zweitantragsteller am 29. 1. 2015 und jenes mit dem Erstantragsteller am 30. 4. 2016.
Aus Anlass der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Erstantragsteller fand in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin am 22. 4. 2016 ein Treffen zwischen dem Erstantragsteller, dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin und der Nachmieterin der Wohnung statt. Besprochen wurde (nur), dass zu diesem Zeitpunkt sämtliche vorgeschriebenen Mieten bezahlt waren und dass die Schlüssel direkt vom Erstantragsteller an die Nachmieterin übergeben werden. Sämtliche Anwesende unterfertigten folgenden vom Geschäftsführer der Antragsgegnerin vorbereiteten Text:
„Herr M***** Hauptmieter der Wohnung [...] kündigt das Mietverhältnis per 30. 4. 2016. Die Kündigung wird seitens der Hausinhabung angenommen. Es wird die obige Wohnung samt sämtliche Schlüssel bis am 30. 4. 2016 der Nachmieterin übergeben. Die Kaution in der Höhe von € 3.500,-- wurde rückerstattet, die Mieten sind bezahlt. Somit bestehen keine Forderungen des Mieters gegenüber dem Vermieter aus diesem Mietverhältnis.“
Gegenstand dieses – mit Antrag vom 17. 5. 2016 eingeleiteten – Verfahrens ist die Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses sowie die Überschreitung des jeweils gesetzlich zulässigen Höchstbetrags durch Vorschreibungen zu bestimmten Zinsterminen.
Das Erstgericht stellte die Höhe des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses zum relevanten Stichtag und die Tatsache und Höhe der Überschreitung dieses gesetzlich zulässigen Zinsausmaßes ziffernmäßig bestimmt fest; dies für den Zeitraum 02/2013 bis 01/2015 gegenüber beiden Antragstellern und für den Zeitraum 02/2015 bis 04/2016 gegenüber dem Erstantragsteller. Das Erstgericht schuf zudem entsprechende Rückzahlungstitel. Die – im Revisionsrekursverfahren strittigen – Fragen der Präklusion der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung und des Verzichts des Erstantragstellers verneinte das Erstgericht.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin nicht Folge. Das Erstgericht sei der Argumentation der Antragsgegnerin, bereits mit Ausscheiden des Zweitantragstellers habe die sechsmonatige Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG zu laufen begonnen, zu Recht nicht gefolgt. Das Mietverhältnis sei bei Mitmietern ein einheitliches und ungeteiltes, nicht aber ein aus mehreren konkurrierenden Mietverhältnissen bestehendes. Daraus ergebe sich, dass das Mietverhältnis so lange bestehe, bis es zum letzten Mitmieter beendet sei. Die Annahme, dass die Präklusivfrist bei Ausscheiden eines Mitmieters für ihn mit dessen Ausscheiden zu laufen beginne, verbiete sich daher. Beginne die Präklusivfrist für den ausscheidenden Mieter zu laufen und leite dieser ein Mietzinsüberprüfungsverfahren ein, so könnte dies für den verbleibenden Mieter eine Drucksituation eröffnen, die gerade durch die Regelung des § 16 Abs 8 MRG hintangehalten werden soll. Der Antrag sei daher nicht präkludiert. Die in der Vereinbarung vom 22. 4. 2016 abgegebene Verzichtserklärung des Erstantragstellers sei gemäß § 864a ABGB und § 6 Abs 3 KSchG unwirksam. Im Übrigen sei aus deren Formulierung gar nicht auf eine Willenserklärung in Richtung eines Generalverzichts zu schließen. Die zu prüfende Erklärung enthalte keinen derartig eindeutigen Inhalt, dass auf Forderungen verzichtet werde. Im Rahmen der Auslegung einer Erklärung sei das Verständnis zu Grunde zu legen, das ein redlicher Erklärungsempfänger von der Erklärung gewinnen durfte. Es müsse gefragt werden, ob der Erklärende eine bestimmte Rechtslage als gegeben ansehe und bloß (sei es auch irrtümlich) bestätige oder bekanntgebe, oder aber, ob er die entsprechende Rechtslage erst durch seine Erklärung schaffen wolle. Die Erklärung sei in diesem Sinn nach den Grundsätzen der Vertrauenstheorie zu beurteilen. Für das Verständnis der Erklärung sei der objektive Erklärungswert maßgeblich; es komme darauf an, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage zu verstehen gewesen sei, und nicht darauf, was der Erklärende subjektiv sagen habe wollen oder der Erklärungsempfänger nur subjektiv darunter verstanden habe. Die hier gewählte Formulierung bringe keinen Rechtsfolgewillen im Sinn einer endgültigen Bereinigung der Ansprüche des Mieters zum Ausdruck. Ein redlicher Erklärungsempfänger werde keinen Rechtsfolgewillen des Mieters erkennen, dass er durch seine Erklärung auf (weitere) Forderungen verzichten wolle. Vielmehr deute die Formulierung „Somit bestehen keine Forderungen des Mieters gegenüber dem Vermieter aus diesem Rechtsverhältnis“ darauf hin, dass der Erklärende bloß eine bestimmte Rechtslage als gegeben ansehe und diese bestätige, nämlich, dass im Zeitpunkt der Unterfertigung nach dem Wissensstand des Mieters keine Forderungen gegen den Vermieter bestehen. Aufgrund des objektiven Erklärungswerts habe die Antragsgegnerin daher nicht davon ausgehen dürfen, dass mit der Unterfertigung der Vereinbarung ein Wille des Erstantragstellers auf einen Verzicht auf Ansprüche auf Überprüfung des Mietzinses zum Ausdruck gebracht werden sollte.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil zur Frage, ob die Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG für einen Mitmieter mit seinem Ausscheiden aus dem Mietverhältnis oder erst mit Beendigung des Mietverhältnisses gegenüber dem letzten Mitmieter zu laufen beginnt, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss des Rekursgerichts abzuändern und den Antrag zurück- oder abzuweisen. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Antragsteller beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unbegründet abzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.
1. Gegenstand des Revisionsrekurses ist zum einen die Frage der Präklusion der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung nach § 16 Abs 8 MRG im Fall des früheren Ausscheidens eines Mitmieters und zum anderen die Frage der Auslegung und Wirksamkeit einer Erklärung des Erstantragstellers anlässlich der vorzeitigen Beendigung seines Mietverhältnisses.
2.1. Die Antragsgegnerin steht auf dem Standpunkt, dass mit dem einvernehmlichen Ausscheiden des Zweitantragstellers zum 25. 1. 2015 die Präklusivfrist für beide Mitmieter zu laufen begonnen habe. Ab diesem Zeitpunkt seien zwei Mietverhältnisse vorgelegen, nämlich bis 25. 1. 2015 das Mietverhältnis mit beiden Mitmietern und ab 26. 1. 2015 ein Mietverhältnis nur mit dem Erstantragsteller. Für den Zeitraum bis Jänner 2015 sei der Anspruch daher präkludiert.
2.2. Nach § 16 Abs 8 Satz 1 MRG sind Mietzinsvereinbarungen unwirksam, soweit sie den nach den Absätzen 1 bis 7 zulässigen Höchstbetrag überschreiten. Diese Unwirksamkeit muss nach § 16 Abs 8 Satz 2 MRG bei unbefristeten Mietverträgen binnen einer Frist von drei Jahren geltend gemacht werden. Bei befristeten Hauptmietverhältnissen endet diese Präklusivfrist nach § 16 Abs 8 Satz 3 MRG frühestens sechs Monate nach Auflösung des Mietverhältnisses oder nach seiner Umwandlung in ein unbefristetes Mietverhältnis. Die Verlängerung der Präklusivfrist bei befristeten Mietverhältnissen soll dem Mieter die Möglichkeit bieten, noch nach Mietende einen allfälligen Rückforderungsanspruch wegen Mietzinsüberschreitung gemäß § 37 Abs 1 Z 8 MRG geltend zu machen: Zu diesem Zeitpunkt steht er nicht mehr unter dem Druck, bei Geltendmachung seiner im MRG normierten Rechte eine Verlängerung des Bestandverhältnisses zu gefährden (5 Ob 152/17i mwN).
2.3. In diesem Verfahren strittig ist – entgegen der missverständlichen Formulierung im Zulassungsausspruch des Rekursgerichts – nicht die Frage, ab wann die Präklusivfrist des § 16 Abs 8 Satz 2 MRG zu laufen beginnt, wenn ein Mitmieter früher aus einem befristeten Mietverhältnis ausscheidet. Der Lauf der Präklusivfrist beginnt nach der eindeutigen Rechtslage schließlich in jedem Fall mit dem Abschluss der Vereinbarung (RS0112326). Zu beurteilen ist hier vielmehr die Frage, ob es auch in dieser Konstellation zu einer Verlängerung der Präklusivfrist iSd § 16 Abs 8 Satz 3 MRG kommt.
2.4. Ein mit mehr als einem Hauptmieter geschlossener Mietvertrag begründet ein einheitliches Mietverhältnis mit allen Mitmietern (RS0101118). Die Rechtsprechung lässt deshalb die Feststellung des zulässigen Mietzinses auch nur gegenüber allen Mitmietern zu (RS0013161 [T1]; RS0110736; RS0101118 [T9]). Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt sich die Frage nach der Konsequenz des früheren Ausscheidens eines Mitmieters schon anhand des insoweit eindeutigen Gesetzestextes ohne jeden Zweifel lösen (vgl RS0042656). Die Präklusivfrist endet bei befristeten Mietverhältnissen frühestens sechs Monate nach Auflösung „des Mietverhältnisses“. Das einvernehmliche Ausscheiden eines von mehreren Mitmietern führt grundsätzlich nicht zur Auflösung des gesamten einheitlichen Mietverhältnisses. Das Erstgericht stellte in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich fest, dass die Antragsgegnerin das Mietverhältnis mit dem Erstantragsteller fortsetzte. Das einheitliche Mietverhältnis wurde daher erst mit 30. 4. 2016 beendet und die 6-Monats-Frist in Lauf gesetzt. Der Vertragsaustritt eines Mitmieters verändert bei fortgesetztem Vertragsverhältnis den Fristenlauf des § 16 Abs 8 MRG nicht.
2.5. Der Fachsenat hat zudem in der – erst nach der Entscheidung des Rekursgerichts im RIS-Justiz veröffentlichten – Entscheidung 5 Ob 4/20d zu der mit dem vorzeitigen Ausscheiden eines Mitmieters vergleichbaren Konstellation der Fortsetzung des befristeten Mietverhältnisses nur durch einen Mitmieter Stellung genommen. § 16 Abs 8 MRG gilt demnach dem Schutz jedes Mieters und damit jedes einzelnen Mitmieters. Die Drucksituation des in der Wohnung verbleibenden Mitmieters wird nicht dadurch beseitigt, dass der andere das befristete Mietverhältnis nicht fortsetzt. Auch bei Vermietung an Mitmieter, von denen nur einer – allenfalls auch mit einem anderen Mitmieter – das Mietverhältnis verlängert/fortsetzt, läuft die Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG daher solange nicht ab, als nicht sechs Monate nach der zusammengerechnet vereinbarten Befristungszeit abgelaufen sind oder aber ein unbefristetes Mietverhältnis abgeschlossen wird (5 Ob 4/20d = RS0119647 [T1]). Der hier zu beurteilende Fall des vorzeitigen Austritts eines Mitmieters aus einem laufenden Vertragsverhältnis kann – im Größenschluss – nicht anders beurteilt werden. Die vom Rekursgericht und vom Rechtsmittelwerber als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG angesprochene Frage ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch bereits geklärt (vgl RS0112921, RS0112769).
3.1. Die Antragsgegnerin steht auf dem Standpunkt, die Erklärung des Erstantragstellers, es bestünden keine Forderungen des Mieters gegenüber dem Vermieter mehr, sei eine Willenserklärung, die im Hinblick darauf, dass diesem im Zeitpunkt der Erklärung die Möglichkeit einer Mietzinsüberprüfung bewusst gewesen sei, nur als Verzicht (auf den materiellen Anspruch) gewertet werden könne.
3.2. Eine Willenserklärung liegt dann vor, wenn die Äußerung auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet ist, also Rechte und Pflichten zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Bei einer Wissenserklärung geht es demgegenüber darum, dass die eine Partei der anderen oder beide Parteien übereinstimmend sich bloß ihre Vorstellungen über bestimmte Tatsachen mitteilen, jedoch keinen Willen dahin äußern, mit der Erklärung bestimmte Rechtsfolgen bewirken zu wollen (RS0014137 [T2], RS0014180 [T1], RS0028641 [T3], RS0120267). Eine Wissenserklärung kann für sich allein auch keine (Rechts-)Wirkungen hervorrufen (RS0028344 [T4]).
3.3. Die Frage, ob eine Wissens- oder eine Willenserklärung vorliegt, muss im Einzelfall an Hand des Wortlauts der Erklärung und allfälliger näherer Umstände beurteilt werden (vgl RS0028641 [T2], RS0032666 [T1]) und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Erklärung „Somit bestehen keine Forderungen des Mieters gegenüber dem Vermieter aus diesem Mietverhältnis“ keinen Rechtsfolgewillen zum Ausdruck bringt und nicht als Verzicht auf Ansprüche aus der allfälligen Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung zu werten ist, ist auch keine aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifende Fehlbeurteilung. Ausschlaggebend ist der objektive Erklärungswert (RS0014160 [T48]), weshalb etwaige subjektive, dem Erklärungsempfänger gar nicht zugegangene Erwägungen – wie das Bewusstsein über die Möglichkeit einer Mietzinsüberprüfung – unbeachtlich sind.
3.4. Mangelt es an einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung, erübrigt sich die Frage, ob diese Erklärung den Maßstäben des § 864a ABGB und/oder des § 6 Abs 3 KSchG gerecht wird.
4. Der Revisionsrekurs ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig und zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die Antragsteller haben auf die (generelle) Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nicht hingewiesen. Sie haben daher die Kosten für ihre – in diesem Sinn nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienende – Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen (vgl RS0112296; RS0035962; RS0035979).
Textnummer
E129781European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00149.20B.0930.000Im RIS seit
20.11.2020Zuletzt aktualisiert am
18.03.2021