Entscheidungsdatum
16.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W102 2205303-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 28.07.2018, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.10.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, reiste gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 10.02.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am 10.02.2016 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, in seiner Ortschaft hätten, seit er auf der Welt sei, die Taliban das Sagen. Sie hätten Vater und Onkel umgebracht und er habe immer Angst gehabt und nicht in die Schule gehen können. Sie hätten sogar die Schule angegriffen und Kinder umgebracht.
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.05.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, Vater und Onkel seien von den Taliban getötet worden, weil sie die Zusammenarbeit verweigert hätten. Der örtliche Mullah habe sie gezwungen, in die Moschee zu gehen und den Unterricht zu besuchen. Von ihm sei er geschlagen worden, wenn er etwas nicht gleich verstanden oder dem Unterricht nicht habe folgen können. Die Kutschis hätten oft ihr Dorf angegriffen, die Häuser in Brand gesetzt und den Einwohnern Hab und Gut gestohlen. Die Taliban seien öfter zu ihnen nachhause gekommen und hätten den Beschwerdeführer und seinen Bruder rekrutieren wollen, sie hätten vorgehabt, sie in ein Ausbildungscamp nach Pakistan zu schicken. Die Mutter habe sie bei den Schwestern versteckt und gesagt, sie seien nicht zuhause. Einmal seien die Taliban an einem Abend gekommen und als sie an die Tür geklopft hätten, hätte die Mutter gedacht, der ältere Bruder komme von der Arbeit heim. Sie habe ein Kopftuch aufgehabt und die Tür aufgemacht. Dort wären Talibankämpfer gestanden und angefangen, die Mutter zu schlagen, weil ihr Kopf nicht bedeckt gewesen sei. Seitdem habe sie Schulterschmerzen. Sie habe auf dem Boden gelegen und sei bewusstlos gewesen. Der Beschwerdeführer habe sie mit seiner Schwester ins Haus getragen. Er sei ein paar Mal von den Taliban geschlagen worden. Er sei wegen der Taliban geflüchtet, die ihn und seinen Bruder hätten rekrutieren wollen. Sie seien am Ende sehr oft gekommen. Der Beschwerdeführer bete auch nicht mehr und habe alle Gebete vergessen. Falls er zurückkehre, würde er deshalb von der Bevölkerung getötet.
Am 29.05.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dem Beschwerdeführer drohe asylrelevante Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden minderjährigen Afghanen. Die Herkunftsprovinz sei von Kabul aus nicht sicher erreichbar und verfüge der Beschwerdeführer über keinerlei Angehörige in Kabul. Im Fall der Rückkehr sei ihm jegliche Existenzgrundlage entzogen. Effektive Unterstützung sei nicht zu erwarten. Als „verwestlichter“ Rückkehrer würde dem Beschwerdeführer Zugang zu Arbeit, Wohnraum, medizinischer Grundversorgung sowie sauberem Wasser und ausreichender Nahrung weitgehend verwehrt. Das Stigma des Lebens im Westen begründe ein nicht unerhebliches Risiko sozialen Ausschlusses, sowie Verfolgung durch das nahe Umfeld oder extremistische Gruppierungen.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28.07.2018, zugestellt am 07.08.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei persönlich unglaubwürdig und habe offensichtlich sein familiäres Netzwerk in Afghanistan verschleiert. Zudem verfüge er über Ortskenntnisse in Kabul. Dass der Vater bereits verstorben sei, sei nicht glaubhaft, ebenso die Angaben zu Schulbildung und Berufserfahrung. Die Angaben zwischen Erstbefragung und Einvernahme würden hinsichtlich des Fluchtvorbringens divergieren, der Beschwerdeführer habe den Kern seines Vorbringens gesteigert, indem er eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban behauptet habe. Der Beschwerdeführer habe hinsichtlich Zeitpunkt, Zeiträumen und Intensität keinerlei konkrete Angaben machen können. Es sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer sich immer habe verstecken können und dass die Taliban ihn nicht gefunden hätten. Hätten diese tatsächlich Interesse gehabt, hätten sie das Haus gründlich durchsucht. Es sei auch ungewöhnlich, dass die Mutter des Beschwerdeführers von den Taliban geschlagen werde, weil sie kein Kopftuch getragen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sie unbekannten Personen die Tür öffne, ohne nachzufragen, wer sich draußen befinde. Die Mutter hätte an der Art des Klopfens erkennen können, um welche Personen es sich handle. Zudem sei widersprüchlich, dass die Taliban angeblich Frauen respektieren und daher nicht in das Haus eingedrungen wären, aber die Mutter von den Taliban geschlagen worden wäre, weil sie kein Kopftuch tragen würde. Die Ausführungen zu den Rekrutierungsversuchen stünden zudem nicht im Einklang mit den Länderberichten. Dem Amtswissen sei zu entnehmen, dass die Taliban vorwiegend Personen mit militärischem Hintergrund rekrutieren würden. Es sei unschlüssig, weshalb ausgerechnet der Beschwerdeführer und seine Familie in den Fokus der Taliban gelangen sollten. Dass die Taliban sich auf den „Paschtunwalli“ stützen würden, sei amtsbekannt. Dem stünde eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis entgegen. Ein signifikantes Interesse der Taliban am Beschwerdeführer könne nicht erkannt werden. Auch dass sich die Mitglieder der Kernfamilie nach wie vor im Heimatland aufhalten würden und ein unbehelligtes Leben möglich sei, sei ein Grund für die mangelnde Glaubwürdigkeit. Zudem sei der Beschwerdeführer in der zweiten Jahreshälfte 2015 nach Österreich gereist, diese zeichne sich durch eine massive Migrationswelle aus Afghanistan aus und sei durch politische Aussagen aus Europa verursacht worden, die den Eindruckt erweckt hätten, dass jeder, der aus Afghanistan ausreise, in Europa, insbesondere in Deutschland herzlich willkommen sei. Die Mutter sei nach Auffassung der Behörde der Verlockung auf ein wirtschaftlich besseres Leben erlegen und habe den Beschwerdeführer gezielt nach Österreich geschickt, damit später die restliche Familie einreisen könne. Zudem habe sich der Beschwerdeführer bereits in der Türkei in Sicherheit befunden. Es entspreche nicht der Lebenserfahrung, dass jemand nicht den erstbesten Schutz in Anspruch nehme, der ihm geboten werde. Dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr ins Heimatdorf zumutbar und könne alternativ in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Fuß fassen. Kabul sei vom Heimatdorf sicher erreichbar.
3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.07.2018 richtet sich die am 05.09.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Flucht sei durch die regelmäßige Gefahr der Zwangsrekrutierung verursacht. Der psychische Zustand des Beschwerdeführers sei beeinträchtigt. Die belangte Behörde stelle in den wesentlichen Punkten lediglich Mutmaßungen bzw. Behauptungen an, ohne ein ordentliches Ermittlungsverfahren geführt zu haben. Die Behörde lege ihr „Amtswissen“ in keiner Weise offen und wären den herangezogenen Länderberichten keinerlei Informationen zu entnehmen. Zudem wurde zum Beweis, dass der Beschwerdeführer über keine vorangegangene Schulbildung verfügte, die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Lehrerin beantragt. Beantragt wurde außerdem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Am 11.10.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein.
Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 14.10.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin, eine im Akt namentlich genannte Zeugin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen hinsichtlich Zwangsrekrutierung durch die Taliban im Wesentlichen aufrecht. Er ergänzte, er sei kein Moslem mehr und habe deshalb Probleme mit seinem Zimmergenossen gehabt. Außerdem wurde die Zeugin befragt.
Am 11.11.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei verwestlicht und drohe ihm deshalb und aufgrund seines geänderten Islamverständnisses asylrelevante Verfolgung. Die Weigerung, für die Taliban zu kämpfen, habe ernsthafte Konsequenzen. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz sei schlecht, die Taliban würden die Provinz kontrollieren. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Die Versorgungslage sei schlecht. Der Beschwerdeführer sei außerordentlich integriert.
Am 18.03.2020 und am 24.04.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Obsorgebeschluss
? Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote
? Schulunterlagen (Zeugnisse, Besuchsbestätigungen, Schülerausweis, etc.)
? Mehrere Empfehlungsschreiben
? Mitgliedschaftsvereinbarung für Sportverein
? Diverse medizinische Unterlagen
? Diverse Fotos
? E-Mail-Bestätigung
? Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs
? Integrationsprüfungszeugnis
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung und befindet sich deshalb in psychotherapeutischer Behandlung.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Maidan Shahr geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat im Haus der Familie mit seiner Mutter, einem älteren und einem jüngeren Bruder und vier Schwestern. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers arbeitete als Hilfsarbeiter und erwirtschaftete so den Lebensunterhalt der Familie.
Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat einige Monate die Koranschule besucht.
Der Vater des Beschwerdeführers und sein Onkel väterlicherseits wurden getötet, als der Beschwerdeführer etwa sechs Jahre alt war.
Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers ist im Bundesgebiet aufhältig, das Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz ist vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W138 2205300-1 anhängig.
Die Mutter, ein älterer Bruder und Schwestern des Beschwerdeführers leben weiterhin im Herkunftsdorf. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Angehörigen.
Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Deutschkurse und andere Kurse und Workshops besucht. Er hat im Schuljahr 2017/18 die Neue Mittelschule abgeschlossen. Seit dem Jahr 2019 besucht er die Abendschule einer HAK.
Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Gründe und Umstände um den Tod von Vater und Onkel des Beschwerdeführers können nicht festgestellt werden. Dass dem Beschwerdeführer deshalb im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch die Taliban drohen, ist nicht zu erwarten.
Dass der Beschwerdeführer zum Besuch einer Koranschule gezwungen wurde, wird nicht festgestellt. Es wird auch nicht festgestellt, dass die Taliban das Haus der Familie mehrmals aufgesucht haben, um den Beschwerdeführer und seinen jüngeren Bruder zu rekrutieren bzw. in ein Ausbildungscamp nach Pakistan zu schicken.
Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe von Seiten der Taliban. Dass er von Zwangsrekrutierung von Seiten der Taliban betroffen wäre, ist nicht zu erwarten.
Eine Abwendung des Beschwerdeführers vom Islam aus innerer Überzeugung wird nicht festgestellt. Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe durch Privatpersonen oder staatliche Behörden, weil er „verwestlich“ wäre oder ihm Apostasie unterstellt würde.
Aufgrund eines Übergriffes der Taliban gegen die Mutter des Beschwerdeführers, weil dieser mangelnde Verhüllung vorgeworfen wurde, drohen dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe durch die Taliban.
Dem Beschwerdeführer drohen von Seiten der Kutschi Nomaden keine Gefahr.
1.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
Maidan Wardak gehört zu den volatilen Provinzen des Herkunftsstaates, die Sicherheitslage hat sich zuletzt verschlechtert. Der Distrikt Maidan Shahr ist umkämpft, die Taliban sind stark präsent. Die zum Herkunftsdorf nächstgelegenen Flughäfen sind der internationale Flughafen Kabul, sowie der Lokalflughafen Bamyan. Der Flughafen Bamyan ist über eine Provinzstraße mit Maidan Shahr verbunden. Die Taliban sind entlang dieser Straße präsent, es kommt zu Erschießungen und Entführungen von Passagieren. Von Kabul aus führt die „Kabul-Kandahar“-Autobahn durch den Distrikt Maidan Shahr. Entlang dieser Straße errichten die Taliban Checkpoints.
Der Beschwerdeführer kann sein Herkunftsdorf nicht auf sicherem Weg erreichen, insbesondere droht ihm die Gefahr, auf dem Weg dorthin auf der Straße im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt zu werden bzw. zu Tode zu kommen. Auch im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz besteht die Gefahr, dass er im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt wird bzw. zu Tode zu kommt.
Kabul, Herat und Balkh zählen zu den am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Teilen Afghanistans. Die Krankheit breitet sich im ganzen Land aus. Zur Bekämpfung des Virus wurden im gesamten Land Ausganssperren verhängt, die zur Schließung ganzer Stadtteile geführt haben. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Davon betroffen sind insbesondere Tagelöhner, die über keine alternativen Einkommensquellen verfügen. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Zuletzt wurden die landesweiten Maßnahmen am 06.06.2020 um drei Monate verlängert. Geschlossen sind alle Schulen und Bildungszentren, Hotels, Parks, Sporteinrichtungen und andere öffentliche Orte. Der öffentliche Verkehr ist eingestellt, Restaurants und Cafes dürfen nur „Take-away“-Service anbieten.
Die Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan war bereits zuvor schlecht. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Armutsrate und Arbeitslosigkeit sind hoch. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptschlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt.
Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert in Afghanistan nicht. Sozialleistungen gibt es – abseits von Pensionen in sehr wenigen Fällen, kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung – nicht.
Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Mit ausreichender Unterstützung durch seine Angehörigen ist nicht zu rechnen. Ihm wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, Fuß zu fassen. Er liefe Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde legte diese Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde. Hinsichtlich der Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt, wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.
Die Feststellung zu Anpassungsstörung und psychotherapeutischer Behandlung beruht auf den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen und Bestätigungen.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.
Die Feststellungen zu Lebensverhältnissen und Lebenswandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen plausiblen Angaben. Auch die belangte Behörde legte die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Herkunft ihrer Entscheidung zugrunde.
Zum Besuch der Koranschule ist auszuführen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Zweifel der Behörde an den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Bildungsweg im Herkunftsstaat nicht teilt. So stellt die belangte Behörde selbst im angefochtenen Bescheid fest, dass Millionen schulpflichtiger Kinder unter anderem Aufgrund von Unsicherheit keinen Zugang zu Bildung hätten und in von den Taliban kontrollierten Gebieten gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder einen Hinderungsgrund beim Schulbesuch darstellen würden (AS 218). Dies steht im Einklang mit den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung. Zudem hält die Behörde dem Beschwerdeführer vor, es sei ungewöhnlich, dass er innerhalb so kurzer Zeit die deutsche Sprache, sowie Lesen und Schreiben habe erlernen können (AS 241). Dies sei mit dem behaupteten Analphabetentum nicht in Einklang zu bringen. Hierzu ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer bereits mit dreizehn Jahren und damit im schulpflichtigen Alter in das Bundesgebiet einreiste und kurz später eingeschult wurde. Die belangte Behörde scheint bei ihrer Beweiswürdigung jedoch einen Erwachsenen und kein Kind vor Augen zu haben. Weiter berichtete die Zeugin in der mündlichen Verhandlung lebendig von der Einschulung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und schilderte auch ihre Erfahrungen mit Schülern, die zuvor die Koranschule besucht hatten. Insgesamt vermittelte die Zeugin einen gewissenhaften Eindruck und geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass sie bedingt dadurch, dass sie den Beschwerdeführer unterrichtet hat, durchaus beurteilen kann, ob dieser zuvor wesentliche Schulbildung erhalten hat.
Dass Vater und Onkel getötet wurden, als der Beschwerdeführer sechs Jahre alt war, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben. So führt er bereits in der Erstbefragung hinsichtlich seiner Familienangehörigen an, der Vater sei acht Jahre zuvor getötet worden (AS 13) und führt auch zum Fluchtgrund aus, die Taliban hätten Vater und Onkel umgebracht (AS 19). Gleichbleibend gibt der Beschwerdeführer auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.05.2016 an, die Taliban hätten Vater und Onkel getötet und hätte ihm die Mutter nicht mehr gesagt, als dass diese die Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert hätten (AS 57). Dies gibt er auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019 im Wesentlichen gleichlautend an (OZ 12, S. 4), wobei er auch hier als Begründung anführt, die Taliban hätten sie zur Zusammenarbeit aufgefordert und die zeitliche Eingrenzung, indem er angibt, etwa sechs Jahre alt gewesen zu sein, in etwa gleichbleibend vornimmt. Das Bundesverwaltungsgericht teilt damit die Zweifel der Behörde am Tod des Vaters nicht. Dass der Beschwerdeführer keine näheren Angaben zum Tod des Vaters machen kann, wie die belangte Behörde ins Treffen führt (AS 240) ist angesichts dessen, dass er in diesem Zeitpunkt ein kleines Kind war, nicht weiter verwunderlich. Zudem führt die belangte Behörde ins Treffen, dass es insbesondere im Hinblick auf die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers als nicht unmöglich erscheine, dass der Vater des Beschwerdeführers noch am Leben sei (AS 240). Diese wiederum begründet sie damit, dass der Beschwerdeführer seine Schul- und Berufsausbildung, sowie sein familiäres Netzwerk zu verschleiern versucht habe und durch sichere europäische Länder gereist sei und nirgendwo einen Asylantrag gestellt habe. Hierzu ist anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Schulbildung – wie bereits ausgeführt – als glaubhaft erachtet. Zudem begründet die belangte Behörde nicht nachvollziehbar, inwiefern der Beschwerdeführer ein familiäres Netzwerk verschleiert haben soll. Diesbezügliche Anzeichen sieht das Bundesverwaltungsgericht – wie sogleich ausgeführt werden wird – erst im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Richtig ist, dass der Beschwerdeführer zum Nachweis des Todes des Vaters keine Sterbeurkunde und auch sonst keine Beweismittel vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang darf die belangte Behörde darauf hingewiesen werden, dass der Beschwerdeführer seine Angaben lediglich glaubhaft zu machen braucht, was der spezifischen Eigenart des Asylverfahrens geschuldet ist (Vgl. etwa VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314). Insoweit die Behörde sich allerdings auf die „persönliche Unglaubwürdigkeit“ des Beschwerdeführers bezieht, ist anzumerken, dass die belangte Behörde zirkulär argumentiert, wenn sie diese mit Verweis auf die Verschleierung eines familiären Netzwerkes und der Schul- und Berufsausbildung begründen möchte, während die vermeintliche „persönliche Unglaubwürdigkeit“ des Beschwerdeführers hinsichtlich dieser vermeintlichen Verschleierung ebenso ein tragendes Argument darstellt. Dass die belangte Behörde einem im Einreisezeitpunkt 13-Jährigen eine Verschleierung seiner Berufsausbildung vorwirft, erscheint angesichts dieses Alters zudem als nicht nachvollziehbar und deutet insbesondere ein mangelndes Bewusstsein der Behörde dafür an, dass sie den Antrag eines Kindes bearbeitet hat. Auch eine Durchreise durch andere sichere Länder ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts per se nicht geeignet, die „persönliche Unglaubwürdigkeit“ des Beschwerdeführers zu begründen. So zeugt dies zunächst lediglich von dem nachvollziehbaren Wunsch einer Neuansiedelung unter bestmöglichen Bedingungen nach Verlassen des Heimatstaates und lässt für sich genommen keine Rückschlüsse auf die persönliche Glaubwürdigkeit und die ursprünglichen Gründe für das Verlassen des Heimatstaates zu. Im Übrigen wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.
Die Feststellung zum anhängigen Verfahren des jüngeren Bruders des Beschwerdeführers beruht auf dem Akt zu dessen Verfahren, in den das Bundesverwaltungsgericht Einsicht genommen hat.
Zum Verbleib seiner Angehörigen gibt der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019 zwar an, seine Angehörigen hätten sich, als er vier Monate zuvor zuletzt Kontakt zu ihnen gehabt hätte, im Iran befunden. Allerdings hatte der Beschwerdeführer bis dahin angegeben, mit seiner Familie in Kontakt zu stehen (AS 52). Zudem gibt sich der Beschwerdeführer zwar sehr viel Mühe, von sich aus eine unplausible Erklärung dafür zu liefern, dass Kontakt mit der angeblich im Iran aufhältigen Familie nicht möglich ist. Über die Gründe für die Ausreise der Angehörigen verliert der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dagegen kein Wort (OZ 12, S. 3). Zur Erklärung, die Familie sei illegal aufhältig und dürfe deshalb keine SIM-Karte haben, ist anzumerken, dass dies angesichts von modernen Kommunikationstechnologien nicht nachvollziehbar ist. So ist es durchaus möglich, Kontakt über Kommunikationskanäle zu halten, für die es kein eigenes Mobiltelefon braucht. Folglich wurde festgestellt, dass die Angehörigen unverändert im Herkunftsdorf leben und der Beschwerdeführer in Kontakt zu ihnen steht.
Zu seinen Deutschkursen und anderen Kursen und Workshops hat der Beschwerdeführer zahlreiche Teilnahmebestätigungen vorgelegt. Mit Schreiben 21.04.2020 (OZ 21) brachte er zudem eine Kopie seines Jahres- und Abschlusszeugnisses der neuen Mittelschule sowie eine Schulbesuchsbestätigung für den Besuch der Abendschule einer HAK in Vorlage.
Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem mit Schreiben vom 21.04.2020 (OZ 21) in Vorlage gebrachten „Detailergebnis zur ÖSD Integrationsprüfung“ vom 06.12.2018 für das Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Zudem konnte das Bundesverwaltungsgericht sich auch im Zuge der mündlichen Verhandlung am 14.10.2019 ein Bild von den guten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers machen.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Die Gründe und Umstände um den Tod von Vater und Onkel des Beschwerdeführers können nicht festgestellt werden, weil der Beschwerdeführer hierzu im Wesentlichen keine Angaben machen kann. Allerdings spannt der Beschwerdeführer in der Erzählung seiner Fluchtgründe selbst keinen Bogen zwischen dem Tod des Vaters und Onkels und einer Bedrohung seiner Person und schildert auch keinerlei Ereignisse, die eine diesbezügliche Gefahr andeuten würden. Folglich wurde festgestellt, dass nicht zu erwarten ist, dass dem Beschwerdeführer deshalb im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch die Taliban drohen.
Zum im Wesentlichen auf Zwangsrekrutierung gerichteten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer zwar im Wesentlichen mit denen seines Bruders – in dessen Akt und Einvernahmeprotokoll das Bundesverwaltungsgericht wie mit Stellungnahme vom 28.02.2020 beantragt (OZ 18, S. 13) – übereinstimmende Angaben machen. Er erstattet sein Vorbringen jedoch nicht im Kern gleichbleibend und machen beide Brüder insbesondere nur vage und oberflächliche Angaben. Besonders die abweichende Schilderung des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers in Erstbefragung und Einvernahme – die im Übrigen auch die belangte Behörde ins Treffen führt – sticht ins Auge.
Zwar erhebt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung, weil sich diese Einvernahme gemäß § 19 Abs. 1 zweiter Satz AsylG nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Dennoch erachtet es der Verwaltungsgerichthof nicht als generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429).
So gibt der Beschwerdeführer in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.02.2016 an, er habe nicht in die Schule gehen können und hätten die Taliban Schulen angegriffen und Kinder umgebracht (AS 19). In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.05.2018 gibt der Beschwerdeführer demgegenüber an, er sei gezwungen worden, in die Moschee zu gehen und dort den Unterricht zu besuchen und schildert weiter, die Taliban seien mehrmals zu ihnen nachhause gekommen, um den Beschwerdeführer und seinen Bruder in ein Ausbildungscamp nach Pakistan zu schicken. Die Mutter habe sie verstecken können (AS 57). Damit gibt der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde völlig andere Fluchtgründe an, als er sie in der Erstbefragung vorgezeichnet hat. Zudem fällt an den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme auf, dass der der Beschwerdeführer sich lediglich sehr allgemeiner und vager Beschreibungen bedient und keinen konkreten Handlungsablauf darstellt. Einen solchen schildert der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019 nicht.
Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung in einem Fall, in dem das fluchtauslösende Ereignis im Alter von zwölf oder 13 Jahren erlebt wurde und diesem Ereignis eine mehrjährige Flucht nachfolgte, einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen bedarf und dass die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden darf. Es müsse sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgt (etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150).
Es ergibt sich aus derselben Einvernahme der Behörde allerdings, dass der Beschwerdeführer – trotz seines jungen Alters im Ereigniszeitpunkt sowie im Zeitpunkt der Einvernahme – dazu in der Lage ist, ein Ereignis konkret zu schildern. So beschreibt er detailliert und Handlungsschritt für Handlungsschritt, wie die Taliban seine Mutter wegen der mangelnden Bedeckung ihres Kopfes attackiert haben (AS 57). Auch die Schilderungen des Beschwerdeführers von Ereignissen auf der Flucht sind konkret, detailreich und lebendig (AS 49). Eine vergleichbare Dichte erreicht das Vorbringen des Beschwerdeführers, als die Taliban ihn gesucht haben sollen, nicht annähernd, sondern zieht sich der Beschwerdeführer lediglich auf vage Gemeinplätze zurück und schildert keinen Ereignisablauf.
Den Grund, warum der ältere Bruder des Beschwerdeführers nicht aufgefordert worden sei, schildert der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019 abweichend von seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.05.2018. So gibt er in der Verhandlung an, die Taliban hätten seinen Bruder nicht haben wollen, weil eines von dessen Beinen etwas kürzer sei, als das andere (OZ 12, S. 5). Vor der Behörde hatte er jedoch noch angegeben, dass der Bruder sich um Mutter und Schwestern gekümmert habe (AS 58). Anzumerken ist allerdings, dass der Beschwerdeführer diese Begründung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zusätzlich ins Treffen führt.
In der mündlichen Verhandlung gibt der Beschwerdeführer zudem an, die Taliban seien erstmals gekommen, als er elf Jahre alt gewesen sei und später, als er zwölf bis 13 Jahre alt gewesen sei, sowie, dass sie etwa drei bis vier Mal im Monat gekommen seien (OZ 12, S. 4). Sie hätten verlangt, dass die Mutter den Beschwerdeführer übergebe, damit sie ihn nach Pakistan mitnehmen könnten. Demnach haben die Taliban den Beschwerdeführer über drei Jahre wiederholt rekrutieren wollen und die jeweiligen Weigerungen jeweils ohne Konsequenz hingenommen.
Dieser Aspekt erweist sich jedoch vor dem Hintergrund der Länderberichte als unplausibel. So ergibt sich aus dem vom Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 11.10.2019 (OZ 10) in das Verfahren eingebrachten EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance), dass die Konsequenzen, wenn den Taliban nicht gehorcht werde, schwer seien. Die Familien der betroffenen Rekruten müssten mit Gefährdungen rechnen, so mit Körperverletzung oder Tötung (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 6. Individuals at risk of forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 53-54). Nichts von alle dem schildert allerdings der Beschwerdeführer, sondern beschreibt für die behauptete jahrelange Verweigerung der Rekrutierung im Wesentlichen keine Konsequenzen. Zudem lässt sich der EASO Country Guidance ebenso entnehmen, dass die Taliban nicht an einem Mangel an freiwilligen Rekruten leiden und nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch machen. So würden sie versuchen, Personen zu rekrutieren, die militärischen Hintergrund hätten oder in Situationen akuter Anspannung (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 6. Individuals at risk of forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 53-54). Der Beschwerdeführer jedoch verfügt über keinen militärischen Hintergrund. Zudem deutete die – wie bereits dargelegt an sich unplausible – Schilderung des Beschwerdeführers, dass die Taliban über drei Jahre verteilt wiederholt den Beschwerdeführer rekrutieren hätten wollen, auf eine Drucksituation nicht hin. Auch dem ebenso vom Beschwerdeführer mit Schreiben vom 11.10.2019 in das Verfahren eingebrachten Landinfo-Bericht: Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban lässt sich entnehmen, dass die Rekrutierung durch die Taliban nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet ist und dass Fälle von Zwangsrekrutierung die Ausnahme bilden (S. 3). Bestätigt wird zwar von beiden Berichten, dass die Taliban auch Minderjährige rekrutieren. Dennoch erweist sich die Schilderung des Beschwerdeführers – wie bereits dargelegt – vor dem Hintergrund der Länderberichte als unplausibel. Folglich wurde das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt und zudem festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe von Seiten der Taliban drohen, weil er sich der Rekrutierung entzogen hat sowie, dass auch in Zukunft eine Betroffenheit von Zwangsrekrutierung von Seiten der Taliban nicht zu erwarten ist.
Zur vom Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019 in den Raum gestellten Abwendung vom islamischen Glauben ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer diese nicht überzeugend darzulegen vermochte. So schildert er seine Abwendung lediglich oberflächlich anhand von Konflikten mit einem Zimmergenossen, begründet jedoch etwa den Umstand, dass er nicht bete, lediglich damit, dass er das Gebet vergessen habe (OZ 12, S. 5). Auch, dass er sein Verhalten, was Essen und Trinken betreffe, geändert habe, stellt der Beschwerdeführer nicht als Ausfluss einer gewonnenen religiösen Überzeugung dar und hatte der Beschwerdeführer ansonsten zu seiner religiösen Überzeugung nichts zu sagen. Insgesamt konnte der erkennende Einzelrichter im Zuge der mündlichen Verhandlung aus diesen vagen Schilderungen des Beschwerdeführers nicht den Eindruck gewinnen, dass dieser nach religiösen Reflexionen zu der ernsthaften Überzeugung gelangt ist, sich vom Islam abzuwenden bzw. nunmehr eine neue Auslegung des Islam zu pflegen. Insbesondere die mit Stellungnahme vom 11.11.2019 (OZ 14) dargelegten neuen Auslegung des Islams und die dort behaupteten damit zusammenhängenden Rückkehrbefürchtungen finden sich nicht im Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wieder und lässt sich den Schilderungen des Beschwerdeführers selbst auch gar nicht entnehmen, ob er nun nicht mehr dem Islam angehört oder nur eine andere Auslegung des Islam pflegt, als bisher. So verneinte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht befragt dazu, ob er ein richtiger Moslem sei (OZ 12, S. 5). In der Stellungnahme vom 11.11.2019 wird dagegen ausgeführt, der Beschwerdeführer bekenne sich nach wie vor zum Islam (OZ 14, S. 4), um dann ablehnende oder auch neue religiöse Überzeugung des Beschwerdeführers darzulegen. Die Stellungnahme stilisiert nun die vagen Äußerungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung zu einem Fluchtgrund, der in den Angaben des Beschwerdeführers selbst nicht wirklich angelegt ist. Nicht im Einklang damit gibt der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 28.02.2020 in einem Schreiben wiederum an, er sei nicht mehr religiös und glaube nicht mehr an Gott. Insgesamt wird offenkundig, dass in Zusammenschau der Angaben des Beschwerdeführers in Stellungnahmen, Schreiben und mündlicher Verhandlung nicht klar ist, ob der Beschwerdeführer sich nun überhaupt vom islamischen Glauben abgewandt hat oder eine neue Auslegung des Islam pflegt. Damit legt der Beschwerdeführer nicht erkennbar da, ob und wenn ja welcher Glaubensüberzeugung er nun anhängt und war eine entsprechende Glaubensüberzeugung aus diesen widersprüchlichen Angaben nicht erkennbar.
Im Übrigen verknüpft der Beschwerdeführer sein Vorbringen zu seiner neuen Glaubensüberzeugung insbesondere mit einer behaupteten Gefährdung wegen „Verwestlichung“. Hierzu ist auszuführen, dass etwa die vom Beschwerdeführer bereits mit seiner Beschwerde in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) zwar Vorfälle erwähnen, dass Rückkehrer aus westlichen Ländern von regierungsfeindlichen Gruppierungen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen Gemächt hätten und „Ausländer“ geworden seien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53). UNHCR stellt dies jedoch nicht als „Massenphänomen“ dar. Die EASO Country Guidance berichten ebenso davon, dass Personen, die aus westlichen Staaten zurückkehren, Ziel von Aufständischen werden können, weil sie als unislamisch wahrgenommen werden könnten. Für Männer wird allerdings berichtet, dieses Risiko sei minimal und von den spezifischen Umständen abhängig (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). Aus der vom Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 11.11.2019 (OZ 14) eingebrachten „Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen“ von Friederike Stahlmann, dass diese ihre Erkenntnisse aus einem wenig repräsentativen Sample von 31 befragten Personen gewinnt und selbst schreibt, dass lediglich 26 % dieser Personen Gewalt aufgrund „westlicher Merkmale“ erfahren haben soll (S. 279). Damit ist auch diesem Bericht lediglich zu entnehmen, dass es derartige Fälle gibt. Für die konkrete Situation des Beschwerdeführers lässt sich eine konkrete Betroffenheit jedoch nicht ableiten. Insbesondere wird ein konkreter Bezug zum Beschwerdeführer nicht hergestellt, sondern lediglich pauschalisierend vorgebracht, allen Rückkehrer aus Europa würden Übergriffe etc. drohen, weil sie verwestlicht wären und ihren Apostasie unterstellt würde. Dies findet allerdings keine Deckung in den Länderberichten.
Zudem ist anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zwar zugesteht, dass sich sein „Lebensstil“ bedingt dadurch, dass er sich nunmehr seit dem Jahr 2016 im Bundesgebiet aufhält, von demjenigen eines im Herkunftsstaat verbliebenen jungen Mannes unterscheidet. Jedoch ist dem vorliegenden Länderberichtsmaterial nicht zu entnehmen, dass für Männer – im Unterschied zu Frauen, die einen am „westlichen Gesellschaftsbild“ orientierten selbstbestimmten Lebensstil pflegen wollen – ein am „westlichen“ Gesellschaftsbild orientierter Lebensstil bzw. eine „westliche“ Geisteshaltung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Übergriffe gegen die betroffene Person auslösen. Den Länderinformationen lässt sich etwa entnehmen, dass Frauen in Afghanistan aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, mit allgegenwärtiger sozialer, politischer und ökonomischer Diskriminierung konfrontiert sind. Frauen, die vermeintliche soziale Normen und Sitten verletzen – dies sind zum Beispiel Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch die Forderung nach männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit oder Beschränkungen der Erwerbsmöglichkeiten – werden stigmatisiert, diskriminiert und ihre Sicherheit ist gefährdet. Besonders gefährdet und kaum in der Lage, zu überleben, sind Frauen ohne männlichen Schutz. (siehe dazu UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe h) Frauen im öffentlichen Leben, S. 51 und Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52). Vergleichbare Einschränkungen in der Lebensführung für Männer ergeben sich aus den vorliegenden Länderinformationen nicht und hat der Beschwerdeführer eine damit vergleichbare Situation für Männer auch nicht behauptet. In der Stellungnahme vom 11.11.2019 wird zum Lebensstil viel mehr ausgeführt, der Beschwerdeführer halte Körperkontakt zu Frauen und habe bereits eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt. Zu den übrigen Schilderungen hinsichtlich religiöser Verhaltenspflichten, die in den Zusammenhang der „Verwestlichung“ eingebettet vorgetragen werden, ist nochmals anzumerken, dass all diese Rückkehrbefürchtungen im Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers keinerlei Erwähnung finden und im Wesentlichen auf die Schriftsätze des Rechtsvertreters beschränkt sind. Auch konkretisiert der Beschwerdeführer selbst keinerlei Herkunftsstaatbezogenen Befürchtungen hinsichtlich einer ihm allenfalls unterstellten Apostasie.
Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme geschilderten Übergriffes der Taliban auf die Mutter, weil diese nicht verschleiert war, ist auszuführen, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern dem Beschwerdeführer hieraus eine Gefahr droht. So hat er nicht angegeben, die Nichteinhaltung von Bekleidungsvorschriften durch die Mutter haben zu Übergriffen auch gegen seine Person geführt und auch keine auf die Zukunft gerichtete diesbezügliche Befürchtung geäußert. Das Bundesverwaltungsgericht ist sich der Belastung, die eine derartige Misshandlung der Mutter für den Beschwerdeführer darstellen muss, dabei durchaus bewusst. Diese richtet sich jedoch dennoch nicht gegen den Beschwerdeführer selbst und begründet daher auch keine Gefahr für diesen.
Eine allfällige von den Kutschis ausgehende Gefahr führt der Beschwerdeführer lediglich ein Mal im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.05.2018 ins Treffen, wobei er hierzu lediglich angibt, die Kutschis hätten oft das Dorf angegriffen, Häuser in Brand gesetzt und den Einwohnern Hab und Gut gestohlen (AS 57). Hieraus lässt sich jedoch eine dem Beschwerdeführer für die Zukunft drohen Gefahr nicht ableiten und äußert der Beschwerdeführer insbesondere auch keine diesbezügliche Rückkehrbefürchtung. So stellt dies allenfalls ein allgemeines Problem hinsichtlich der Sicherheitslage im Herkunftsdorf dar, jedoch keine sich konkret und individuell auf den Beschwerdeführer beziehende Gefahr. Insbesondere berichtet der Beschwerdeführer auch von keinerlei persönlicher Verwicklung in einen Konflikt mit Kutschis und von keinen Ereignissen im Rahmen des Konfliktes, die seine persönliche künftige Verwicklung wahrscheinlich erscheinen lässt.
Im Ergebnis ist zwar dem Beschwerdeführer insofern Recht zu geben, als die belangte Behörde das Fluchtvorbringen lediglich anhand von Spekulationen ohne Berücksichtigung der Länderberichte beurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht kommt jedoch dennoch zu dem Schluss, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist.
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan basiert auf den UNHCR-Richtlinien (siehe insbesondere Kapitel II. Überblick, Unterkapitel A. Die wichtigsten Entwicklungen in Afghanistan, S. 13 f. und Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel B. Flüchtlingsstatus nach den weitergehenden Kriterien gemäß dem UNHCR-Mandat oder nach regionalen Instrumenten und Schutz nach ergänzenden Schutzformen, Unterkapitel 2. Subsidiärer Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie der EU [Richtlinie 2011/95/EU], S. 117 f.) und findet Bestätigung im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt) Kapitel 2. Sicherheitslage. Insbesondere die UNHCR-Richtlinien betonen die uneinheitliche Betroffenheit der unterschiedlichen Gebiete vom innerstaatlichen Konflikt. Diese lässt sich auch aus den Erläuterungen des Länderinformationsblattes zu den einzelnen Provinzen gut nachvollziehen.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.33. (Maidan) Wardak, sowie auf dem EASO COI Report Afghanistan, Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.34 Wardak, S. 275 ff. Vor allem aus letzterem Bericht ergibt sich, dass der Herkunftsdistrikt zuletzt umkämpft war und die Taliban stark präsent sind (insbesondere Tabelle, S. 277).
Die Feststellungen zu den nächstgelegenen Flughäfen beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.35. Erreichbarkeit, insbesondere Flughafenkarte Abschnitt Flugverbindungen). Die Feststellungen zur Erreichbarkeit und Sicherheit entlang der Straßen beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitlage, Unterkapitel 2.33. (Maidan) Wardak, sowie auf dem EASO COI Report Afghanistan, Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.34 Wardak, insbesondere 2.34.1 General description of the province, S. 275-276 der die Sicherheitslage entlang der Autobahn Kabul-Kandahar darstellt.
Aus den eben dargestellten Berichten hinsichtlich der Sicherheitslage entlang der Straßen, über die der Beschwerdeführer sein Herkunftsdorf allenfalls erreichen könnte, wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsdorf nicht auf sicherem Weg erreichen kann und ihm die Gefahr droht, auf dem Weg dorthin auf der Straße im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt zu werden bzw. zu Tode zu kommen. Die Feststellung zu den zu erwartenden Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in das Herkunftsdorf beruhen ebenso auf den eben zitierten Berichten zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz.
Die Feststellungen zur COVID-19-Situation im Herkunftsstaat beruhen auf dem OCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report von 10.06.2020, der die Lage im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Länderinformationsblatt schildert (Abschnitt Länderspezifische Anmerkungen, Unterabschnitt COVID-19). Auch die Briefing Notes der Gruppe 62 – Informationszentrum für Asyl und Migration des BAMF vom 08.06.2020 bestätigt zudem die jüngste Verlängerung der Maßnahmen durch die der afghanischen Regierung.
Die Feststellungen zur Wirtschafts- und Versorgungslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung. Dort wird auch berichtet, dass es finanzielle oder sonstige Unterstützung in Afghanistan nicht existiert.
Die Feststellung zu den Folgen einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ergibt sich insbesondere aus einer Zusammenschau der individuellen Umstände und Merkmale, die der Beschwerdeführer in seiner Person vereint.
Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).
Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig, spricht mit Dari eine im Herkunftsstaat verbreitete Sprache, gehört als Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zur im Herkunftsstaat mit 80 bis 89,7 % der Gesamtbevölkerung mehrheitlich vertretenen Religionsgemeinschaft (Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit) und als Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken zur zweitgrößten Volksgruppe des Herkunftsstaates (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante Ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.2. Tadschiken). Insbesondere wird hinsichtlich dieser Volksgruppe nicht von spezifischen Diskriminierungen oder Gefahren berichtet und stellen diese Bevölkerungsanteile in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif. An körperlichen Vorerkrankungen leidet der Beschwerdeführer nicht, weswegen er hinsichtlich COVID-19 nicht zur Risikogruppe gehört. Der Beschwerdeführer konnte zudem im Bundesgebiet schulische Erfolge erzielen.
Der Beschwerdeführer verfügt jedoch in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über Familienangehörige oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte. Damit verfügt der Beschwerdeführer nicht über ein soziales Netzwerk, dass dem Länderinformationsblatt zufolge für das Überleben in Afghanistan wichtig und für Rückkehrer bei der Anpassung an das Leben in Afghanistan besonders ausschlaggebend ist. Insbesondere stelle ein Mangel an Netzwerken eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar (Kapitel 22. Rückkehr). Auch EASO schätzt ein Unterstützungsnetzwerk per se als essentiell für die Ansiedelung ein (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individual circumstances, S. 136). Aktuell ist das wirtschaftliche Leben in den drei Städten zudem bedingt durch Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt, insbesondere Tagelöhner sind hiervon betroffen, wobei es auch zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise gekommen ist und etwa Hotels geschlossen wurden. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in der Lage ist, Arbeit zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, erscheint unter diesen Bedingungen – insbesondere nachdem Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten, als formelle Qualifikation (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt) – als nicht wahrscheinlich. Zudem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 zu entnehmen, dass insbesondere Rückkehrer stigmatisiert werden, weil sie primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht werden. Das Stigma, Seuchenüberträger zu sein, treffe auch aus Europa Eingereiste (S. 2). Dadurch würde die Niederlassung des Beschwerdeführers zusätzlich erschwert. Hierdurch würde eine Suche des Beschwerdeführers nach Arbeit und Unterkunft zweifellos weiter behindert.
Außerdem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 auch zu entnehmen, dass die Teehäuser ebenso als Gegenmaßnahme geschlossen wurden (S. 3). Der Beschwerdeführer wäre daher mangels Verfügbarkeit von Unterkünften von Obdachlosigkeit bedroht. Insbesondere gibt es auch keine staatliche Unterbringung von Rückkehrern (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr). Nachdem der Beschwerdeführer in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über soziale Anknüpfungspunkte verfügt, durch die ihm allenfalls Unterkunft gewährt werden könnte, wäre er im Fall der Rückkehr unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht.
Hinsichtlich einer allfälligen Unterstützung durch die in der Herkunftsprovinz aufhältige Familie ist anzumerken, dass diese vom Einkommen des älteren Bruders des Beschwerdeführers lebt, aus dem damit bereits sechs Personen versorgt werden müssen. Dem Länderinformationsblatt zufolge resultiert aus der bereits schlechten wirtschaftlichen Lage im – wobei sich diese Informationen auf einen Zeitpunkt vor Ausbrechen der Pandemie beziehen – und individuellen Faktoren, dass Unterstützung durch die Familie nur temporär und nicht immer gesichert erfolgt (Kapitel 22. Rückkehr). Zudem arbeitet der ältere Bruder des Beschwerdeführers selbst als Hilfsarbeiter (AS 54), weswegen auch dessen Einkommensquelle aktuell nicht gesichert erscheint. Von ausreichender Unterstützung durch die Familie ist damit nicht auszugehen. Staatliche Unterstützung existiert dagegen nicht und wird hinsichtlich Rückkehrunterstützung berichtet, dass ein koordinierter Mechanismus nicht existiert. Insbesondere wird Rückkehrhilfe nur temporär und kurzfristig gewährt und funktioniert eine allfällige Anschlussunterstützung nicht lückenlos (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr).
Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften, dass er mit ausreichender Unterstützung seiner Familie nicht zu rechnen hat und insbesondere, dass es ihm nicht möglich wäre, Fuß zu fassen und er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Zudem zählt auch (UN)OCHA als Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten und „einschlägige internationale Menschenrechtsorganisationen“ iSd Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU zu den besonders bedeutsamen Quellen hinsichtlich der Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Parteiengehör bezüglich der in dieser Entscheidung hinsichtlich Punkt 2.3. der Beweiswürdigung verwendeten Länderberichte konnte entfallen. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten Kenntnisse über ebendiese Länderberichte; weiter wurden diese ausschließlich zugunsten des Beschwerdeführers verwendet, weshalb auch diesbezüglich eine Notwendigkeit zur Gewährung von Parteiengehör nicht gegeben war. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingsko