Entscheidungsdatum
22.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I405 2231455-1/4E
I405 2231454-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließ durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von
1.) XXXX, geb. XXXX, StA. Mosambik, vertreten durch den Verein Menschenrecht Österreich, Alser Str. 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2020, Zl. 1003152307-190786189,
2.) XXXX, geb. XXXX, StA. Mosambik, vertreten durch XXXX, diese wiederum vertreten durch den Verein Menschenrecht Österreich, Alser Str. 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2020, Zl. 1250321303-191115533:
A) Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF. aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Verfahrensgang vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) ergibt sich aus den Verwaltungsakten des BFA.
2. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (im Folgenden: BF2).
3. Die BF1 reiste legal mit einem Studentenvisum im Oktober 2011 in Österreich ein, welcher ihr zuletzt bis 31.03.2019 verlängert wurde. Mangels Nachweises eines weiteren Studienerfolges wurde ihr Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels „Studierende“ gem. §§ 11 Abs. 2 Z 4 iVm 21a NAG mit Bescheid der Stadt XXXX, Amt für Öffentliche Ordnung vom 28.05.2019 abgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht XXXX rechtskräftig abgewiesen.
4. Mit Schriftsatz vom 12.09.2019 wurde die BF1 von der belangten Behörde von der beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Kenntnis gesetzt und ihr die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme dazu abzugeben.
5. Am 17.10.2019 lange die entsprechende Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung der BF1 bei der belangten Behörde ein. Des Weiteren wurden am 12.11.2019 sowie 5.11.2019 Unterlagen zum Privatleben der BF eingebracht.
6. Der BF2 wurde am XXXX in Österreich geboren. Zum Vater des BF2 gab die BF1 an, dass es sich bei diesem um einen spanischen Staatsbürger handle, zu dem sie jedoch keinen Kontakt mehr habe. Beim Jugendamt der Stadt S. ist ein Verfahren zur Klärung der Vaterschaft des BF2 und seines Unterhaltes anhängig bzw. wurde beim Bezirksgericht S. ein Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft des BF2 anhängig gemacht.
7. Mit angefochtenen Bescheiden wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie zugleich festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Mosambik zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FGP wurde als Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt III.). In der Begründung des Bescheides betreffend den BF2 wurden keinen eigenen Ausführungen getroffen, es wurde hierzu auf die Begründung des Bescheides der BF1 verwiesen. Im Bescheid der BF1 wurde zum BF2 lediglich ausgeführt, dass dessen Vater ein spanischer Staatsbürger sei. Hinsichtlich der Rückkehrsituation der BF nach Mosambik wurde ausgeführt, dass sich weder aus den Feststellungen noch aus dem Vorbringen der BF1 eine Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 ERMK ergeben würde.
8. Dagegen erhob die bevollmächtigte Vertretung fristgerecht am 27.05.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
9. Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten am 28.05.2020 zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen, Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Dieser ergibt sich bedenkenlos aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
2.2. Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2.3. Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11).
2.4. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
2.5. Der Verwaltungsgerichthof hat dazu ausgesprochen (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die
nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt.
Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.
Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
2.6. Unter Zugrundelegung der vom VwGH in seinem Erkenntnis vom 21.10.2010, Zl. 2008/01/0245-11, dargelegten Rechtsansicht liegt zur Beurteilung der gegenständlichen Entscheidung ein mangelhafter Sachverhalt vor, dies aus folgenden Erwägungen in der Gesamtschau:
2.7. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Zunächst hat die belangte Behörde im Bescheid des minderjährigen BF2 keine Begründung vorgenommen. So hat sie weder konkrete Feststellungen getroffen, noch eine Beweiswürdigung oder rechtliche Beurteilung vorgenommen, sondern pauschal auf die Begründung der Mutter des BF2, nämlich der BF1 verwiesen. Im Bescheid der BF1 findet sich jedoch zum BF2 lediglich in der Beweiswürdigung die Ausführung, dass der Vater des BF2 ein spanischer Staatsbürger sei, ohne dass jedoch ersichtlich wäre, worauf sich dies stützt. Wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich wurde zwar ein Verfahren zur Klärung der Vaterschaft des BF2 eingeleitet, jedoch geht aus dem Akteninhalt nicht hervor, ob diese nun endgültig geklärt wurde. Somit hat die belangte Behörde aktenwidrig konstatiert, dass der BF2 Sohn eines spanischen Staatsbürgers ist. Vielmehr hätte sie weitere Erhebungen zur Vaterschaft des BF2 durchführen müssen, um so zu einer abschließenden Beurteilung gelangen zu können, zumal eine möglich Unionsbürgerschaft des BF2 zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würde.
So hat gemäß Art. 21 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (ex-Artikel 18 EGV) jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
Das weitere Aufenthaltsrecht des BF2 würde sich nach der beschriebenen EU-Bestimmung richten. Die belangte Behörde hat jedoch trotz hinreichender Hinweise auf die vorliegende spanische Staatsangehörigkeit des BF2 es unterlassen, hierzu geeignete Ermittlungen durchzuführen, den Bescheid des BF2 zu begründen, um so zu einer abschließenden tragenden Beurteilung zu gelangen. Im fortgesetzten Verfahren hat sich die belangte Behörde daher mit der möglichen spanischen Staatsbürgerschaft des BF2 ausreichend auseinanderzusetzen und seine Entscheidung entsprechend zu begründen.
Hinsichtlich der BF1 hat die belangte Behörde es unterlassen, diese einzuvernehmen. Sie hat sie zwar mit "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" vom 23.02.2017 aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben, jedoch hätte eine mündliche Einvernahme der BF1 erfolgen müssen, nicht nur um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, sondern auch geeignete Feststellungen zur Zulässigkeit der Abschiebung der BF nach Mosambik zu treffen. So geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor, welche konkrete Umstände die BF im Falle ihrer Rückkehr nach Mosambik erwarten, insbesondere ob ein tragfähiges soziales Netz gegeben wäre, auf welches die BF zurückgreifen könnten, zumal es sich bei der BF1 um eine Frau mit einem Kleinkind handelt. Die Feststellung im Bescheid der BF1, dass sie keine Rückkehrhindernisse vorgebracht habe, erweist sich angesichts des zuvor Ausgeführten sohin als nicht tragfähig und würde zudem in Bezug auf die Bewertung der Rückkehrsituation der BF allein nicht hinreichen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem weil das BFA als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, sowie aufgrund des Umstandes, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor.
Zu B)
Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Abschiebung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Begründungsmangel Begründungspflicht Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe Ermittlungspflicht Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrentscheidung ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I405.2231455.1.01Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020