Entscheidungsdatum
24.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W273 2215875-1/15E
Schriftliche Ausfertigung des am 22.05.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabel FUNK-LEISCH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BFA, RD Salzburg, vom 25.01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I.) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II.) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III.) Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.
IV.) Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (in Folge: BF1), geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren W273 XXXX , stellte am 08.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der minderjährige XXXX (in Folge: BF5), geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren W273 XXXX , stellte am 26.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. XXXX (in Folge: BF2), geboren am XXXX , Beschwerdeführerin im hg. Verfahren XXXX , ist mit XXXX (in Folge: BF1), geboren am XXXX , verheiratet und die Mutter der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren XXXX , und XXXX , geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren XXXX , (in Folge: BF3 und BF4) sowie des minderjährigen XXXX (in Folge: BF5), geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren XXXX
Die BF2, BF3 und BF4 stellten am 23.11.2016 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung der BF2 fand am selben Tag statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) fand am 15.02.2018 statt.
3. Mit Bescheiden vom 12.03.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der BF2, BF3 und BF4 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) Den Beschwerdeführern BF2, BF3 und BF4 wurde jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.03.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Die Beschwerdeführer BF2, BF3 und BF4 erhoben gegen die Bescheide fristgerecht Beschwerde gegen die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF1 auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
5. Die BF2 stellte am 26.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz für den minderjährigen BF5. Der Antrag auf internationalen Schutz des minderjährigen BF5 wurden vom Bundesamt zur Gänze abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen.
6. Mit Bescheid vom 25.01.2019 erkannte das Bundesamt den mit Bescheid vom 12.03.2018 zuerkannten Status der subsidiär Schutzberechtigten der BF2, BF3 und BF4 von Amts wegen ab und entzog den BF2, BF3 und BF4 die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Behörde erließ Rückkehrentscheidungen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.05.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer und ihr Vertreter teilnahmen. Das Bundesamt nahm entschuldigt nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 22.05.2020 erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 22.05.2020 wurde dem Bundesamt samt Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG zugestellt.
8. Mit Schreiben vom 27.05.2020 ersuchte das Bundesamt um Ausfolgung der schriftlichen Erkenntnisse gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Erstbeschwerdeführers
Der BF1 führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, bekennt sich zum sunnitischen Glauben und spricht Paschtu als Muttersprache. Er wurde in der Provinz Nangarhar geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Europa im Jahr 2009. Im Jahr 2015 kehrte er nach Afghanistan zurück, wo er in der Provinz Nangarhar bis zu seiner Ausreise nach Österreich lebte.
Die BF2 führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist afghanische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, bekennt sich zum sunnitischen Glauben und spricht Paschtu als Muttersprache. Die BF2 wurde in der Provinz Nangarhar geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise nach Österreich.
BF1 und BF2 sind verheiratet. Die BF haben insgesamt vier minderjährige Kinder. BF3, BF4 und BF5 sind in Österreich aufhältig.
Der minderjährige BF5 trägt den Namen XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde am XXXX in Linz, Österreich, geboren. Der BF5 gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der BF1 ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer
Der BF1 wurden in Afghanistan von den Taliban/DAESH weder bedroht noch verfolgt. Der Vorfall, wonach der Bruder des BF1 aufgrund seiner Tätigkeit für die afghanische Regierung sowie dessen Eltern bei einem Angriff auf das Haus der BF getötet und der BF1 von den Taliban/DAESH entführt und festgehalten wurde, hat sich nicht ereignet.
Den Beschwerdeführern droht in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, weder vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch aus Gründen ihrer (auch nur unterstellten) politischen Gesinnung oder aus anderen Gründen. Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.
Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer BF1 und BF5 aufgrund ihres in Österreich ausgeübten Lebensstils oder ihrem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wären.
Mit hg Erkenntnis vom 22.05.2020 zu den Zahlen XXXX wurde die Beschwerde der BF1, BF2, BF3 und BF4 gegen die jeweilige Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten jeweils als unbegründet abgewiesen.
Die Ehefrau des BF1 (BF2) und zwei seiner minderjährigen Kinder (BF3 und BF4) verfügen im Entscheidungszeitpunkt über den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Österreich. Mit hg. Erkenntnis vom 22.05.2020, Zl. XXXX , wurde dem minderjährigen Sohn des BF1 (BF5) der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019
- Kurzinformation der Staatendokumentation COVID-19 Afghanistan; Stand: 9.4.2020
- UNHCR - Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit von AsylwerberInnen aus Afghanistan (Entwicklungen in Afghanistan; Sicherheitslage; Auswirkungen des Konflikts auf ZivilistInnen; Menschenrechtslage; humanitäre Lage; Risikoprofile; interne Fluchtalternative; Ausschlussgründe; etc.) vom 30.08.2018;
- Leitfaden zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan, UNHCR Österreich, November 2018;
- EASO-Leitlinien zu Afghanistan (EASO Country Guidance: Afghanistan Guidance Note and Common Analysis) vom Juni 2019;
- EASO-Länderinformationen zu den sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in Afghanistan, Schwerpunkt Kabul City, Mazar-e Sharif und Herat City (EASO Country of Origin Report: Afghanistan Key socio-economic indicators, focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City) vom April 2019 (nur auf Englisch verfügbar).
- Update zur humanitären Lage und Auswirkungen von COVID-19 (Stand: 13. Mai 2020) vom UN OCHA (nur auf Englisch verfügbar)
- ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017: AFGHANISTAN: Frauen in urbanen Zentren
- ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 13.10.2017: Existenzmöglichkeiten alleinstehender Frauen und Mädchen
Zu Regierungsfeindlichen Gruppen:
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).
Taliban:
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militäres, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)
Haqani-Netzwerk:
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).
Islamischer Staat (IS/DaesH) – Islamischer Staat Khorasan Provinz:
Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).
Heimatprovinz Nangarhar
Nangarhar liegt im Osten Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken. Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft leben in der Provinz Nangarhar. Die Provinz hat 1.668.481 Einwohner (LIB, Kapitel 3.22).
Nangarhar ist eine volatile Provinz, in der die Taliban und der ISKP aktiv sind. Diese kontrollieren manche Gebiete der Provinz. Durch staatliche Sicherheitskräfte werden Luft- und Bodenoperationen durchgeführt, bei denen Talibanaufständische und ISKP-Mitglieder getötet wurden. Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP. Im Jahr 2018 gab es 1.815 zivile Opfer. Dies entspricht einer Steigerung von 111% gegenüber 2017. Die Hauptursachen dafür waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von IEDs und Bodengefechten. Die Zahl der zivilen Opfer durch IEDs vervierfachte sich (LIB, Kapitel 3.22). Die Provinz Nangarhar – mit Ausnahme der Stadt Jalalabad – zählt zu jenen Provinzen, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass ein in diese Provinz zurückgekehrter Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit auf dem Gebiet dieser Provinz einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
Die Hauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad. Diese Stadt zählt zu jenen Landesteilen Afghanistans, in denen eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen.
Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
Mazar-e Sharif/ Herat
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 „minimal“ (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 „stressed“ eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020, Kapitel 3.1)
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Sie hat 556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 3.13).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch „stressed“ genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).
Zu den aktuellen Auswirkungen der COVID 19 Pandemie:
COVID-19-Pandemie Die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle steigt weiterhin an. Positiv getestete Personen werden aus allen 34 Provinzen gemeldet. Die höchste Anzahl an Fällen weist Kabul auf, gefolgt von Herat, Kandahar und Balkh.
Der landesweite Lockdown gilt in unterschiedlichem Maße weiterhin bis zum 24.05.20. Die Provinzen Kandahar, Helmand und Ghazni haben inzwischen aber einige Lockerungen zugelassen. So wurden Bewegungsbeschränkungen aufgehoben und Geschäfte dürfen zu bestimmten Tageszeiten öffnen.
Auch die Provinzregierung von Balkh kündigte Lockerungen an, während sich in Herat aufgrund mangelhaft durchgeführter Vorsichtsmaßnahmen das Virus schnell weiter ausbreitet. Insbesondere in öffentlichen Diensten beschäftigte Personen sind hier betroffen. Zwischen 26.04. und 02.05.20 kehrten aus Iran 5.801 Personen zurück, 42 % weniger als in der Vorwoche. 3.526 Personen waren freiwillige Rückkehrer, 2.275 Personen wurden abgeschoben. Die Mehrheit der freiwilligen Rückkehrer, von denen zunächst viele nach Herat gehen, gab an, ihre Arbeitsstelle in Iran verloren zu haben.
Die Lockdown Maßnahmen treffen insbesondere Familien, die auf Taglöhnertätigkeiten angewiesen sind und keine anderen Einkommensmöglichkeiten haben. Die Nahrungsmittelunsicherheit ist besonders bei Familien gestiegen. Ca. 13,4 Mio. Menschen sind bezüglich der Nahrungsmittelversorgung entweder in Phase 3 (Krise) oder Phase 4 (Notfall) der IPC Klassifizierung. Binnenvertriebene und vulnerable Personengruppen, sowie Kinder sind davon besonders betroffen. In Kabul, Nangahar, Herat und Mazar-e Sharif ist eine Zunahme von Kinderarbeit zu beobachten, die von Familien eingesetzt wird, um mit die notwendigste Versorgung in der Covid 19 Krise sicherzustellen. (Update zur humanitären Lage und Auswirkungen von COVID-19 (Stand: 13. Mai 2020) vom UN OCHA)
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakten sowie in die Gerichtsakten zu den Zahlen XXXX , und durch Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Erstbeschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des BF1 ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zu dem Namen und dem Geburtsdatum des BF1 gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF1 im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF1, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan, der Schul- und Berufsausbildung bzw. der Berufserfahrung des BF1 gründen sich auf den diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben der BF. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF1 gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22.05.2020 (in Folge: VHS) S. 6, S. 24) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Der BF1 ist derzeit gesund, er wurde vor längerer Zeit mit Hepatitis-C infiziert (vgl. Endbefund XXXX , S. 2, vom 23.05.2019).
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsicht in das Strafregister.
2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Soweit die Beschwerdeführer vorbrachten, ihnen drohe Lebensgefahr bzw. Verfolgung durch die Daesh/Taliban, weil der Bruder des BF1 für die afghanische Polizei tätig gewesen sei, weshalb dieser sowie die Eltern des BF1 getötet worden seien, ist festzuhalten:
BF1 uns BF2 schilderten den Angriff, bei dem der Bruder und die Eltern des BF1 ums Leben gekommen und der BF1 entführt worden sein sollte, in der mündlichen Verhandlung vollkommen vage und oberflächlich sowie in wesentlichen Punkten widersprüchlich. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die BF2 in ihrer Erstbefragung angab, dass ihr Ehemann von Taliban entführt worden sei (BFA-Akt der BF2, AS 9). In ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt führte sie hingegen aus, dass die Taliban und Mitglieder des DAESH gemeinsam das Haus der Familie des BF1 angegriffen hätten (BFA-Akt, AS 49). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nannte sie als Angreifer lediglich Mitglieder des DAESH (VHS, S. 13). Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht. Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind – einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN). Es ist davon auszugehen, dass jemand, der ein derartig einschneidendes Erlebnis wie die Tötung seiner Familienmitglieder und Entführung des Ehemannes erlebt, gleichbleibende Angaben zu der Identität der Angreifer machen kann oder stringent ausführt, dass man die Identität der Angreifer nicht kenne. Die BF2 änderte ihre ursprüngliche Angabe, dass die Taliban ihre Schwiegerfamilie getötet hätten und ihren Ehemann entführt hätten, in der mündlichen Verhandlung so ab, dass sie mit der Angabe des BF1, der die DAESH als Angreifer nannte (BFA-Akt des BF1, AS 11 und AS 116), im Einklang stand. Anzumerken ist zudem, dass eine Kooperation zwischen Taliban und DAESH vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht glaubhaft ist. Vor diesem Hintergrund bestehen für das erkennende Gericht bereits massive Zweifel an dem von BF1 und BF2 vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignis.
Widersprüchlich schilderten BF1 und BF2 auch das Versteck der BF2 und der minderjährigen BF3 und BF4 während des Angriffs auf das Haus. So gab die BF2 in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt an, dass sie sich mit ihren Kindern in einer Scheune versteckt habe (BFA-Akt der BF2, AS 49). In der mündlichen Verhandlung führte sie hingegen aus, dass sie sich in einem Raum, in dem gekocht werde, mit ihren Kindern versteckt habe (VHS, S. 14). Der BF1 gab hingegen an, dass er seine Frau und Kinder in einem Raum versteckt habe (BFA-Akt des BF1, AS 116) bzw. in einer Art Küche (VHS, S. 19). Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die geschilderten Ereignisse einige Jahre zurückliegen. Dennoch wäre hier nach Ansicht des erkennenden Gerichts zu erwarten gewesen, dass die Beschwerdeführer den Raum, in dem sie sich während eines Angriffs geflüchtet haben und sich nach eigenen Angaben stundenlang dort aufgehalten haben, gleichbleibend angeben können. Die diesbezüglichen Angaben der BF sind folglich nicht glaubhaft.
Hinsichtlich des Zeitpunkts des Angriffs machte die BF2 divergierende Angaben. So gab sie vor dem Bundesamt an, dass ihr Schwager alle zwei Wochen freitags nach Hause gekommen sei und dass der Angriff an einem Freitag zwischen 00:00 und 01:00 Uhr stattgefunden habe (BFA-Akt der BF2, AS. 49). In der mündlichen Verhandlung schilderte sie hingegen, dass ihr Schwager an einem Donnerstag nach Hause gekommen sei und sich der Angriff zwischen 00:00 und 01:00 Uhr ereignet habe (VHS, S. 13). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sind Abweichungen bei Datums- und Uhrzeitangaben nach einigen Jahren grundsätzlich verständlich und nachvollziehbar. Hinsichtlich eines derartig einschneidenden Erlebnisses ist jedoch anzunehmen, dass man sich auch noch nach vielen Jahren daran erinnern kann, an welchem Tag der Angriff auf das eigene Haus und die Entführung des Ehemannes stattgefunden hat. Auch die Tatsache, dass die BF2 jahrelang mit ihren Schwiegereltern gelebt hat und nicht gleichbleibend angab, wann ihr Schwager stets nach Hause gekommen sei, lässt das erkennende Gericht an der Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Angaben der BF2 massiv zweifeln.
Herauszugreifen ist weiters, dass die BF2 schilderte, dass ihr Mann von den Angreifern weggezogen worden sei (VHS, S. 14). Der BF1 schilderte hingegen, er sei von den Angreifern niedergeschlagen und in bewusstlosem Zustand mitgenommen worden (BFA-Akt des BF1, AS 116 und VHS, S. 19). In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die BF2 ausführte, dass die Angreifer die Mitnahme des BF1 damit begründet hätten, dass ihr Schwager seine Tätigkeit nicht aufgegeben habe (VHS, S. 14). Der BF1 gab hingegen an, dass sie ihn mitgenommen hätten, um ihn öffentlich zu töten, damit es eine Lehre für andere sei (VHS, S. 19). Die widersprüchlichen Angaben der BF2 und des BF1 im Zusammenhang mit der Mitnahme des BF1 durch die Taliban bzw. DAESH erweckt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes den Eindruck, dass die BF eine konstruierte Rahmengeschichte für die Zwecke des Asylverfahrens konstruiert haben. So wäre hier anzunehmen gewesen, dass die BF übereinstimmend und gleichbleibend die Entführung des BF1, die sie beide miterlebt haben, angeben können. Anzumerken ist zudem, dass beide BF keine Angaben zu dem direkten Kontakt mit den Entführern machten, obwohl die BF2 hier nach eigenen Angaben direkt mitverfolgt habe, wie ihr Mann mitgenommen worden sei.
Zudem antworteten BF1 und BF2 auf die mehrmalige Frage, wie der Bruder und die Eltern des BF1 genau gestorben seien, vollkommen ausweichend und widersprüchlich und konnten nicht darlegen, wie sich diese einschneidenden Ereignisse zugetragen haben sollen. So gab die BF2 in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt noch an, dass ihre Schwiegereltern und ihr Schwager erschossen worden seien (BFA-Akt der BF2, AS 49). In der mündlichen Verhandlung schilderte sie hingegen, dass die Angreifer Bomben auf das Haus geworfen hätten, wodurch die Familie ihres Mannes getötet worden sei (VHS, S. 13). Auch auf mehrmalige Nachfrage, wie genau ihre Schwiegereltern und ihr Schwager verstorben seien, konnte die BF2 keine genauen Angaben machen (VHS, S. 13: R: „Wie sind sie gestorben?“ BF2: „Sie warfen Bomben auf unser Haus und es wurde auch geschossen. Genau weiß ich das nicht. Sie waren verletzt und sind dann gestorben.“). Auch der BF1 blieb auf mehrmalige Nachfrage, wie sich der Kampf und die Tötung seiner Angehörigen genau zugetragen habe, stets oberflächlich und vage (R: „Was ist davor passiert? Wie sind Ihr Bruder und Ihre Eltern gestorben?“ BF1: „Mein Bruder hat gegen sie gekämpft, er ist bei diesem Kampf ums Leben gekommen, dann warfen sie Handgranaten auf das Haus. (…)“). Der BF1 schilderte zudem sowohl den Angriff, als auch die weitere Entführung vollkommen emotionslos, in Bezug auf das in Afghanistan verbliebene Kind weinte er hingegen.
Auch bezüglich der Entführung und Flucht machte der BF1 in der mündlichen Verhandlung oberflächliche und zum Teil mit den Angaben beim BFA in Widerspruch stehende Angaben. So gab der BF1 in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt an, dass er sich eine Woche in Gefangenschaft bei den DAESH aufgehalten hätte, ehe zwei XXXX ihm während ihres Nachtdienstes zur Flucht verholfen hätten (BFA-Akt des BF1, AS 117). In der mündlichen Verhandlung führte er hingegen aus, dass er zwei Wochen von den DAESH festgehalten worden sei, ehe in der Nacht flüchten habe können (VHS, S. 19).
Nicht nachvollziehbar ist zudem die Angabe des BF1, dass die beiden XXXX Männer ihn mit zwei Kalaschnikows zu einem unbekannten Mann mit einem Motorrad geschickt hätten, welcher ihn zu einem Haus gebracht habe, wo er die folgenden 20 Monate festgehalten worden sei (BFA-Akt des BF1, AS 117; VHS, S. 20). In diesem Zusammenhang ist es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht glaubhaft, dass Angehörige der DAESH einen Gefangenen mit zwei Waffen losschicken würden, mit denen dieser eine potentielle Gefahr für sie selbst und auch den Mann auf dem Motorrad darstellen könnte.
Bezüglich der Zeit in Gefangenschaft ist anzumerken, dass der BF1 bei diesem Fragenkomplex stets oberflächliche und vage Angaben machte und keine Details erwähnte (VHS, S. 20). Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass die beiden XXXX den BF1 über den langen Zeitraum von 20 Monaten gefangen gehalten hätten, obwohl sie nie die geforderte Summe von 20.000,-- US-Dollar erhalten haben. Vor dem Hintergrund und aufgrund der Unplausibilitäten und Widersprüche ist die Entführung und Gefangenhaltung des BF1 durch zwei XXXX nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes als nicht glaubhaft zu erachten. Weiters gab die BF2 einerseits an, dass sie am Tag nach dem Angriff von Nachbarn zu ihrem Bruder gebracht worden sei (BFA-Akt der BF2, AS 49) und andererseits, dass ihr Bruder sie am nächsten Tag abgeholt hätte (VHS, S. 13). Die widersprüchlichen Angaben der BF2 sind folglich nicht glaubhaft. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist anzunehmen, dass die BF2, hätte sie derartige Ereignisse tatsächlich erlebt, auch nach den vergangenen Jahren gleichbleibend angeben kann, was sich am Tag nach dem Angriff ereignet hat.
Es entstand nicht der Eindruck, dass BF1 und BF2 von Ereignissen sprachen, die sich tatsächlich selbst erlebt haben. Die BF erweckten bezüglich dieser fluchtauslösenden Ereignisse keinen persönlich glaubwürdigen Eindruck.
Das Gericht geht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks von den Darstellungen des BF1 und der BF2 davon aus, dass sich der Angriff auf das Haus, die Ermordung des Bruders und der Eltern und die Gefangennahme des BF1 nicht ereignet haben.
Das Gericht geht aus diesem Grund und mangels glaubhafter Angaben der BF davon aus, dass den BF aufgrund der Tätigkeit des Bruders des BF1 in Afghanistan, keine Verfolgung droht. Andere Gründe für eine asylrelevante Verfolgung als die Ereignisse um Angriff durch die Daesh/Taliban auf seine Familie wurden vom BF1 nicht vorgebracht. Bei den Beschwerdeführern liegt somit keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur wegen ihrer Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen in Verbindung der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, vor. Ebenso konnte keine Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban, den IS oder andere (staatliche und/oder nichtstaatliche) Akteure oder aus anderen konventionsrelevanten Gründen festgestellt werden.
Die Feststellungen, dass die Ehefrau des BF1 (BF2) und zwei seiner minderjährigen Kinder (BF3 und BF4) im Entscheidungszeitpunkt über den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Österreich verfügen sowie, dass mit hg. Erkenntnis vom 22.05.2020, Zl. XXXX , dem minderjährigen Sohn des BF1 (BF5) der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, beruhen auf dem Inhalt und dem Verfahrensstand der diesbezüglichen Akten der BF2 und BF3 bis BF5 zu den hg Geschäftszahlen XXXX . Dies gilt auch für die Feststellung, dass mit hg Erkenntnis vom 22.05.2020 zu den Zahlen XXXX die Beschwerde der BF1, BF2, BF3 und BF4 gegen die jeweilige Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten jeweils als unbegründet abgewiesen wurde.
Das Bundesamt trat den Beweisergebnissen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht entgegen, zumal es an dieser entschuldigt nicht teilnahm.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) I.) – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Die von den Beschwerdeführern dargelegte Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban/IS sowie die Ermordung des Bruders und der Eltern des BF1 sowie seine Entführung hat sich nicht ereignet. Es konnte keine vorangegangene oder drohende Verfolgung durch die Taliban oder den IS festgestellt werden. Es ist daher keine Verfolgung des Erstbeschwerdeführers oder seiner gesamten Familie und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund gegeben.
3.1.4. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage der Heimatprovinz des BF1, Nangarhar, ist auch sonst nicht darauf zu schließen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Gründe nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen.
3.1.5. Im Ergebnis droht dem BF1 aus den ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.
3.1.6. Die Beschwerde des BF1 gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu A) II.) - IV.) – Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
3.2.1. § 8 AsylG 2005 lautet auszugsweise:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
…“
3.2.2. Gemäß Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
3.2.3. Die Herkunftsregion des BF1 ist auf Grund der dort herrschenden allgemeinen Sicherheitslage volatil. Aus diesem Grund könnte eine Rückführung des BF1 im Familienverband mit dem BF5 in diese Region für ihn mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden sein, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin nicht möglich ist.
3.2.4. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht.
3.2.5. § 11 AsylG lautet:
„Innerstaatliche Fluchtalternative
§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.“
Gemäß § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist, gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
Mit hg. Erkenntnis vom 22.05.2020 zur Zl. XXXX , wurde dem minderjährigen Sohn des BF1 (BF5) gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 liegen nicht vor.
Der BF1 ist nicht straffällig geworden, es ist kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig und ihm ist nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. Die Fortsetzung des Familienlebens ist zudem in einem anderen Staat nicht möglich.
3.2.6. Der Beschwerde des BF1 war daher hinsichtlich Spruchpunkt II. stattzugeben und ihm der Status des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zuzuerkennen.
3.2.7. Zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung:
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem BF1 mit Erkenntnis den Status dessubsidiär Schutzberechtigten zu, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr zu erteilen war.
3.2.8. Aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung einschließlich Fristsetzung für die freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat gemäß § 10 Abs. 1 AsylG nicht mehr vor.
Die Spruchpunkte III. bis VI. der angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG aufzuheben.
Zu B) - Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung Familienverfahren Glaubwürdigkeit mangelnde Asylrelevanz soziale Gruppe subsidiärer Schutz VerfolgungsgefahrEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W273.2215875.1.00Im RIS seit
18.11.2020Zuletzt aktualisiert am
18.11.2020