TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/25 L514 2213788-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.06.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch

L514 2213788-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX 7, StA Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019,

Zl.

1185913500/180310322 RD Wien, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 24.06.2020, zu Recht erkannt:

A)

I.       In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides behoben. Die Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig.

II.      Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 2 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       

Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, reiste unter Zuhilfenahme eines Visums im Jahr 2017 legal nach Österreich ein, wo sie am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Hierzu wurde die Beschwerdeführerin am 29.03.2018 erstbefragt. Im Rahmen dieser Antragstellung gab sich die Beschwerdeführerin als XXXX , geb. XXXX , StA Syrien aus. Auch nach Vorhalt des Visums, das auf einen anderen Namen lautete, beharrte die Beschwerdeführerin auf dieser Identität. Die niederschriftliche Einvernahme scheiterte jedoch an der angegebenen Sprache. Auf weitere Befragung stellte sich auch heraus, dass die Beschwerdeführerin bereits seit XXXX 2017 in Österreich, an der Adresse XXXX wohne und aus Angst vor einer Abschiebung nunmehr einen Antrag auf internationalen Schutz stelle.

Am 30.03.2018 wurde die Beschwerdeführerin neuerlich von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Im Rahmen dieser Erstbefragung führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie am XXXX 2017 die Türkei legal mit einem Visum (gültig von XXXX 2017 bis XXXX 2017) per Flugzeug verlassen habe.

Als Grund für ihre Ausreise führte die Beschwerdeführerin an, dass ihre kurdische Heimat von den Türkei bombardiert worden sei, weshalb die ganze Familie nach XXXX gezogen sei. Es würde sich dabei um eine sehr große Familie handeln und sei es ihnen wirtschaftlich nicht gut gegangen. Als Kurden seien sie auch in XXXX diskriminiert worden. So hätten sie beispielsweise keine Arbeit finden können und hätten auch keine Rechte. Die Beschwerdeführerin habe aufgrund der Unterdrückung der Kurden mehrmals an Demonstrationen teilgenommen. Der Mann der Beschwerdeführerin würde in Österreich leben und habe die Familie der Beschwerdeführerin diese nicht mehr ernähren wollen. Weiters wurde von der Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie an ihrer Arbeitsstelle 14 Stunden täglich hätte arbeiten müssen und nur 1300 TL verdient habe. Das habe für ihren Lebensunterhalt nicht gereicht. Darüber hinaus sei sie von den türkischen Arbeitern sexuelle belästigt worden.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen befragt, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie kurdischer Abstammung sei und dem sunnitischen Glauben angehöre. Sie sei in XXXX aufgewachsen und habe acht Jahre lang die Schule besucht. In der Türkei habe die Beschwerdeführerin als Näherin gearbeitet. Die Mutter, zwei Brüder und sechs Schwestern sowie weitere 13 Halbgeschwister der Beschwerdeführerin seien nach wie vor in der Türkei aufhältig. Ein Halbbruder würde in Finnland und ein weiterer Halbbruder der Beschwerdeführerin in Schweden leben. In Österreich wohne der Mann der Beschwerdeführerin, mit welchem sie traditionell verheiratet sei.

Am 06.09.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) niederschriftlich einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab ergänzend an, dass sie in Österreich bei ihren Schwiegereltern wohnen würde. Ihr Verlobter XXXX wohne bei einem Freund. Für eine gemeinsame Wohnung würde ihnen das Geld fehlen. Ihren Verlobten habe die Beschwerdeführerin vor etwa zwei Jahren in XXXX kennen gelernt, als sie dort bei ihrem Bruder auf Besuch gewesen sei. Vor etwa einem Jahr hätten sie traditionell geheiratet. Standesamtlich hätten sie noch nicht geheiratet, da sie dafür ihren Reisepass, den sie bei der Polizei abgegeben habe, benötigen würde. In der Türkei würden nach wie vor ihre Mutter und ihre Geschwister leben und würden es ihnen finanziell nicht so gut gehen. Sie müssten für wenig Geld viel arbeiten. Zu ihren Ausreisegründen führte die Beschwerdeführerin wiederholend aus, dass ihre Brüder in der Türkei ihr gesagt hätten, dass sie sie nicht mehr finanziell unterstützen könnten. Darüber hinaus würde ihr Mann in Österreich leben. Die Beschwerdeführerin selbst könne ihr Leben in der Türkei nicht finanzieren. Sie habe drei Monate lang in XXXX gearbeitet, sei jedoch von türkischen Jungen sexuell belästigt worden, weshalb sie wieder gekündigt habe. Aus diesem Grund, weil sie für sie nicht mehr sorgen könnten, hätten ihre Brüder gesagt, dass sie zu ihrem Manne nach Österreich fahren solle.

2.       Mit Bescheid des BFA vom 10.01.2019, Zl. 1185913500/180310322 RD Wien, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG (Spruchpunkt VI.) wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin könne aus näher dargestellten Erwägungen und vor dem Hintergrund des Fehlens maßgeblicher asylrelevanter Verfolgungshandlungen kein Glauben geschenkt werden. Auch eine Gefährdung im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat könne nicht wahrgenommen werden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das BFA sodann, die Angaben der Beschwerdeführerin zu den behaupteten Fluchtgründen würden für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht ausreichen (§ 3 AsylG). Der Beschwerdeführerin drohe kein ernsthafter Schaden bzw. keine Maßnahme in ihrem Herkunftsstaat im Sinne einer Verletzung der von der EMRK gewährleisteten Rechte und sei die Beschwerdeführerin in der Lage, sich erneut eine Existenz aufzubauen (§ 8 AsylG). Der Beschwerdeführerin sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen (§ 57 AsylG) und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 10.01.2019 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3.       Gegen diesen am 15.01.2019 der Beschwerdeführerin ordnungsgemäß zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben des Vertreters vom 23.01.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben.

In der Beschwerde wurde eingangs ausgeführt, dass nur gegen Spruchpunkt III. bis VI. des bekämpften Bescheides Beschwerde erhoben werde. Weiters wurde moniert, dass im Falle der Beschwerdeführerin die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig sei, da ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet vorliege. Die Beschwerdeführerin sei mit einem Syrer, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, traditionell verheiratet und hätten sie ein gemeinsames Kind, welches am XXXX in Österreich zur Welt gekommen sei. Eine Fortsetzung des Familienlebens in der Türkei sei nicht möglich, da der Mann der Beschwerdeführerin als syrischer Staatsbürger nicht visumsfrei in die Türkei reisen könne und die Erlangung eines Visums nicht gesichert sei.

4.       Am 24.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch. In dieser wurde der Beschwerdeführerin neuerlich die Möglichkeit eingeräumt, ihre Gründe, die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würden, darzulegen und zu den vorab übermittelten Länderfeststellungen eine Stellungnahme abzugeben.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       

Sachverhalt:

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin der Türkei, gehört der Volksgruppe der Kurden an und ist Sunnitin. Sie wurde in XXXX geboren, wo sie auch aufwuchs und eine Schulausbildung absolvierte. Etwa im Jahr 2014 ist die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie von XXXX nach XXXX übersiedelt.

Die Mutter und Geschwister der Beschwerdeführerin leben nach wie vor in der Türkei. Die Brüder der Beschwerdeführerin arbeiten in der Textilbranche und erhält die Mutter der Beschwerdeführerin eine staatliche Witwenpension. Die Beschwerdeführerin steht mit ihrer Mutter in Kontakt. Der Kontakt zu den in der Türkei lebenden Brüdern ist abgebrochen.

Die Beschwerdeführerin heiratete am XXXX 2017 den syrischen Staatsbürger XXXX , dem mit Bescheid des BFA vom 21.04.2016 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde. Dieser Verbindungen entstammen zwei gemeinsame Kinder: XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX .

Die Beschwerdeführerin lebt von der Grundversorgung und wohnt mit ihrem Mann, den gemeinsamen Kindern und den Schwiegereltern in einer Wohnung. Sie bewegt sich überwiegend im familiären Kreis. Die Beschwerdeführerin hat bisher noch keinen Deutschkurs besucht und spricht die deutsche Sprache kaum. Die Beschwerdeführerin ist unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin ihr Familienleben in der Türkei fortführen kann.

1.2.    Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf internationalen Schutz unter einer falschen Nationale, nämlich XXXX , geb. XXXX , StA Syrien, gestellt.

Der Beschwerdeführerin wurde vom griechischen Konsulat in der Türkei ein vom XXXX 2017 bis XXXX 2017 gültiges Visum ausgestellt, welches von der Beschwerdeführerin auch benutzt wurde.

1.3.    Der Tochter der Beschwerdeführerin, XXXX , wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung der Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG zuerkannt. Das Asylverfahren vor dem BFA den Sohn der Beschwerdeführerin betreffend, XXXX , ist zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen.

1.4.    

Zur aktuellen Lage in der Türkei wird auf folgende Feststellungen verwiesen:

Sicherheitslage

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis XXXX 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019). Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, XXXX und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und Ar? (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein ? hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, XXXX , Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019). Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019

?        AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/ tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 8.10.2019

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 8.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 7.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and southeastern-anatolia/, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/ 2019/05/2018-SUMMARY -TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN TURKEY.pdf, Zugriff 4.10.2019

Grundversorgung/ Wirtschaft

Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019). Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind - den Sektoren, in denen der größte Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019). Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region XXXX mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a). Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).

Quellen:

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a): Länderinformationsportal: Türkei: Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/tuerkei/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 11.10.2019

?        OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, https://www.oecd ilibrary.org/docserver/soc_glance-2019-en.pdf? expires=1573813322&id=id&accname=guest&checksum=2EE74228759055A97295E D4460FC22E0, Zugriff 15.11.2019

?        WB – World Bank (2.11.2019): Turkey Economic Monitor, October 2019: Charting A New Course, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32634/Turkey Economic-Monitor-Charting-a-New-Course.pdf? cid=ECA_EM_Turkey_EN_EXT&deliveryName=DM48511, Zugriff 15.11.2019

Sozialbeihilfen/-versicherung

Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität, und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yard?mla?ma ve Dayani?ma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben. Auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, haben einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 14.6.2019). Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.); Kindergeld (eine einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und Lira 300 für das erste, Lira 400 für das zweite und Lira 600 für das dritte Kind beträgt); finanzielle Unterstützung für Schwangere in einmaliger Höhe von Lira 149 unter bestimmten Bedingungen, wie geleistete Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst; Wohnprogramme; Einkommen für Behinderte und Altersschwache (dreimonatlich zwischen Lira 1.527 und 2.589 je nach Grad der Behinderung). All diese Hilfeleistungen des Staates sind an bestimmte Bedingungen gekoppelt, die von den Einzelnen nicht immer erfüllt werden können. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von „Witwenunterstützung“. Jede Witwe (ohne Einkommen) hat im Jahr 2019 den Anspruch auf Lira 550 (alle zwei Monate). Diese Leistung wird vom Familienministerium bereitgestellt. Dann gibt es zum zweiten die Witwenrente, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (max. 75% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch max. Lira 4.263) (ÖB 10.2019). Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2%; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9% und der Arbeitgeberanteil auf 11%. Der Beitrag zur allgemeinen Krankheitsversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5% und für die Arbeitgeber 7,5% (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1% vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2%, ergänzt um einen Betrag des Staates in der Höhe von 1% des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SGK 2016b; SSA 9.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl _und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 10.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 10.10.2019

?        SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016a): Das Türkische Soziale Sicherheitssystem, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/de/detail/das_turkische, Zugriff 10.10.2019

?        SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016b): Financing of Social Security, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/social_security_system/ social_security_system, Zugriff 10.10.2019

?        SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html, Zugriff 10.10.2019

Arbeitslosenunterstützung

Im Falle von Arbeitslosigkeit gibt es für alle ArbeiterInnen in der Türkei Unterstützung, auch für diejenigen, die in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, in staatlichen und in privaten Sektoren tätig sind (IOM 2019). Im Jahr 2017 sah eine Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf Selbständige zum 1. Januar 2020 vor. Der Betroffene muss in den letzten 120 Arbeitstagen Beiträge gezahlt haben und in den drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens für 600 Arbeitstage eingezahlt haben. Der Anspruch auf das Arbeitslosengeld muss innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des Arbeitsvertrages geltend gemacht werden oder er erlischt. Der Arbeitslose muss registriert sein und für eine geeignete Beschäftigung zur Verfügung stehen (SSA 9.2018). Bei 600 Tagen Beitragszahlung erhält man 180 Tage Arbeitslosenhilfe, bei 900 Tagen Beitragszahlung erhält man 240 Tage Arbeitslosenhilfe, und bei 1080 Tagen Beitragszahlung erhält man 300 Tage Arbeitslosenunterstützung (IOM 2019; vgl. SSA 9.2018, ÖB 10.2019). Das minimale Taggeld beträgt 40% des durchschnittlichen Tagesverdienstes des Versicherten in den letzten vier Monaten. Das maximale monatliche Arbeitslosengeld beträgt 80% des gesetzlichen monatlichen Bruttomindestentgelts (SSA 9.2018; vgl. ÖB 10.2019). Nach der Erhöhung des Mindestlohnes (Jänner 2019) hat sich auch die Höhe des Arbeitslosengeldes geändert. Der Mindestarbeitslosenbetrag liegt nun bei Lira 1.015 (rund € 159), der Maximalbetrag bei Lira 2.030 (rund € 317) (ÖB 10.2019).

Quellen:

?        IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Turkey_DE.pdf, Zugriff 10.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 10.10.2019

?        SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html, Zugriff 10.10.2019

Medizinische Versorgung

Die vorhandenen Systeme sind nicht ausreichend, um eine medizinische Versorgung auf angemessenem Niveau für alle Bürger zu gewährleisten. Derzeit wird um eine Reform der Krankenversicherung gerungen, das heißt die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung auf einer beitragsfinanzierten Grundlage. Dies erscheint angesichts der großen Anzahl der in der Schattenwirtschaft tätigen Arbeiter zumindest herausfordernd. Das staatliche Gesundheitswesen besteht aus Krankenhäusern (Träger: SSK, Gesundheitsministerium, Universitäten), Polikliniken, Gesundheitsstationen (Variante 1: mit Pflegekraft, Variante 2: mit Arzt), niedergelassenen Ärzten und weiteren ambulanten Einrichtungen. Für die Versicherten ist die Behandlung kostenlos. Allerdings sind materielle und personelle Ausstattung oft mangelhaft, sodass mehr als eine ausreichende Basisversorgung nicht möglich ist. Selbst in Krankenhäusern sind die Patienten auf die Pflege durch Verwandte angewiesen. Medikamentenengpässe sind nicht selten. Auf 1.100 Einwohner kommt ein Arzt. Das liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt (350 Einwohner pro Arzt). Nicht-Sozialversicherte haben keinen Anspruch auf Leistungen. Für sie und Kinder unter 18 Jahren gibt es die Grüne Karte (ye?il kart), mit der ärztliche Hilfe von den Ärmsten beansprucht werden kann. Daneben gibt es ein privates ärztliches Versorgungssystem, das gehobenen internationalen Standards genügt. Auch die Krisenmedizin ist auf einem guten Stand (GIZ 12.2019). Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften sanitären Zustände und Hygienestandards in den staatlichen Spitälern, vor allem in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2019). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit wächst die Zahl der Krankenhäuser (2017: 1.518), davon ca. 60% in staatlicher Hand mit einer Kapazität von knapp 226.000 Betten. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ gratis (AA 14.6.2019). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, und die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, und die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist. Die Welt-Bank warnt jedoch vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient (ÖB 10.2019). Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 14.6.2019). Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach hat das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sa?l?k Oca??) abgelöst und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung geführt. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 14.6.2019). NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2019). Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Versicherte der SGK erhalten folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig und fangen bei Lira 76,75 an (IOM 2019). Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner/-in automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SKG-Behörde registrieren (IOM 2019). Der freiwillige Mindestbetrag für die Grundversorgung – sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht – beträgt zwischen 6 bis 12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 13 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2019). Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2017 elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Insgesamt 36 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in 33 Provinzen. Zusätzlich werden in 50 ambulanten und 44 stationären Gesundheitszentren Behandlungsmöglichkeiten angeboten. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologie-Krankenhäuser (Ankara, Bursa) unter der Verwaltung des Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologie-Stationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. 166 Untersuchungszentren (sog. KETEM) bieten u. a. eine Früherkennung von Krebs an. Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Provinzen mit 765 Gesundheitsbussen mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Diese Betreuung wird vom Gesundheitsministerium gebührenfrei angeboten. Etwa 15% der Bevölkerung profitieren von diesen Angeboten. Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit staatlichen (93 Krankenhäusern) wie auch Universitätskrankenhäusern (68 Krankenhäuser) durchgeführt werden. In XXXX stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 14.6.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl _und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 11.10.2019

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2019): Länderinformationsportal: Türkei: Gesundheitswesen, https://www.liportal.de/tuerkei/gesellschaft/#c26139, Zugriff 2.3.2020

?        IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files /CFS_2019_Turkey_DE.pdf , Zugriff 11.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 11.10.2019

Flüchtlinge

Nach offiziellen Angaben beherbergt die Türkei gegenwärtig mehr als vier Mio. registrierte Flüchtlinge. Von den registrierten Flüchtlingen sind ca. 3,7 Mio. syrische Staatsbürger. Die übrigen Migranten stammen vor allem aus dem Irak und Afghanistan. Syrische Flüchtlinge genießen in der Türkei temporären Schutz. Nicht-syrische Flüchtlinge stellen überwiegend einen Antrag auf internationalen Schutz. Mittlerweile leben nur noch etwa 219.000 Menschen in den 19, von der türkischen Migrationsbehörde (DGMM) geführten, staatlichen Lagern. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge und Migranten lebt außerhalb der Lager, vor allem in den großen Städten, insbesondere in XXXX , sowie in den Provinzen an der türkisch syrischen Grenze (Gaziantep, ?anl?urfa und Hatay). Registrierte Flüchtlinge erhalten in der Türkei Ausweispapiere und am registrierten Aufenthaltsort kostenlosen Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung in staatlichen Krankenhäusern. Rechtlich steht ihnen auch der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt offen, wobei in der Praxis vielfach noch Umsetzungsschwierigkeiten bestehen. Der ganz überwiegende Teil der Flüchtlinge und Migranten besitzt weiterhin keine Arbeitserlaubnis und findet nur im informellen Sektor Beschäftigung (AA 14.6.2019). Viele Flüchtlinge und Asylwerber werden in der Schattenwirtschaft ausgebeutet. Ihre Armut behindert den Zugang zu Schutz (EC 29.5.2019). Die Konkurrenz zwischen bestimmten Gruppen der einheimischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen um Arbeit und staatliche Dienstleitungen führt teilweise zu sozialen Spannungen (AA 14.6.2019). In der Türkei gibt es derzeit 62 "Satellitenstädte", in denen sich Asylwerber und anerkannte bedingte Flüchtlinge aufhalten müssen. Syrer können sich in jeder der 81 Provinzen der Türkei registrieren, müssen sich aber dann in dieser Provinz aufhalten. In einigen Provinzen wurde die Registrierung im Jahr 2018 vorübergehend ausgesetzt (EC 29.5.2019). Festnahmen von Flüchtlingen, die „temporäres Asyl“ beantragen, ergehen regelmäßig ohne schriftliche Begründung; ein Rechtsschutz ist nicht vorgesehen (AA 14.6.2019). In der Türkei bestehen mehrere gesetzliche Bestimmungen, die den Flüchtlingsstatus regeln. Das 2013 verabschiedete Ausländer- und internationale Schutzgesetz definiert drei Kategorien von Flüchtlingen: Jene Flüchtlinge, die unter die Genfer Konvention von 1951 fallen. Hierzu zählen ausschließlich Staatsbürger von Staaten, die Mitglieder des Europarates sind. Ihnen steht nebst den Rechten auf der Basis der Genfer Konvention auch die Aussicht auf eine dauerhafte legale Integration in der Türkei zu. Außereuropäischen Flüchtlingen kann der Status eines sog. „bedingten Flüchtlings“ gewährt werden. Ihnen wird eine kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung zuteil. Allerdings ist der Wohnort nicht frei wählbar, ein Familiennachzug nicht möglich und eine dauerhafte Integration nicht vorgesehen. Die dritte Kategorie sind subsidiär Schutzsuchende. Sie erhalten weniger Vergünstigungen. Eine dauerhafte Integration ist ebenfalls ausgeschlossen. Allerdings ist ein Familiennachzug möglich. Die Bestimmungen für subsidiär Schutzsuchende entsprechen den EU-Regulativen (ECRE 3.2018). Am 22.10.2014 wurde eine gesonderte Flüchtlingskategorie, nämlich jene der „temporär Schutzbedürftigen“ eingeführte. Der Status wird auf Ausländer angewendet, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen; nicht in das Land zurückkehren können, das sie verlassen haben; massenhaft oder einzeln an der türkischen Grenze angekommen sind oder diese überschritten haben; und deren internationales Schutzbedürfnis nicht im Rahmen eines individuellen Verfahrens entschieden wird. Der „temporäre Schutz“ betrifft syrische Staatsangehörige sowie Flüchtlinge und Staatenlose aus Syrien. Sie erhalten einen vorübergehenden Schutzstatus. Jedoch umfasst die "Verordnung über den vorübergehenden Schutz" nicht nur syrische Staatsangehörige, sondern auch andere Flüchtlinge, darunter Palästinenser. Die am 7.4.2016 eingeführte Änderung der "Verordnung über den vorübergehenden Schutz" sieht zudem vor, dass auch syrische Staatsangehörige, die unrechtmäßig auf die Ägäischen Inseln eingereist sind und anschließend wieder in der Türkei aufgenommen wurden, einen vorübergehenden Schutzstatus erhalten können (RRT 3.2017). Nebst den (vier) angeführten Flüchtlingskategorien besteht noch eine Form des humanitären Bleiberechts, die sog. „humanitarian residence permits“. Dabei handelt es sich nicht um einen Schutzstatus, sondern um eine von sechs Kategorien der Aufenthaltserlaubnis für Ausländer. Die Kategorie gewährt das Aufenthaltsrecht in der Türkei. Allerdings ist der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen beschränkt. Zwar ist die Gesundheitsversorgung für Menschen, denen diese Form des Bleiberechts zugesprochen wird, gratis, aber nicht die Kosten für Medikamente. Im Unterschied zu Personen, die unter internationalen Schutz fallen, dürfen jene mit einem humanitären Aufenthaltsrecht frei ihren Wohnort wählen. In der Vergangenheit wurde das humanitäre Bleiberecht insbesondere Irakern zugesprochen, anstatt des internationalen Schutzes. Neuerdings können sie in ihrem Ansuchen zwischen den Optionen wählen (CoE-CommDH 10.8.2016). Wenn festgestellt wird (Art.73 des Ausländer- und internationalen Schutzgesetzes), dass ein Asylwerber aus einem Land kommt, in dem er zuvor als Flüchtling anerkannt war und dort immer noch die Möglichkeit hat, diesen Schutz zu genießen, einschließlich des Rechts auf Non-Refoulements, wird sein Antrag als unzulässig bewertet und das Verfahren zur Rückführung in den ersten Zufluchtsstaat eingeleitet. Wenn festgestellt wird (Art.74), dass der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat kommt, in dem er möglicherweise einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der dem Schutz nach dem Abkommen [Genfer Konvention] entspricht, oder in dem er die Möglichkeit hat, solch einen Antrag zu stellen, wird der Antrag als unzulässig bewertet und die Verfahren zur Rückführung in den sicheren Drittstaat eingeleitet (ZAR 5.2013). Wenn Asylsuchende unrechtmäßig aus der Türkei ausgereist sind, kann grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückkehr in die Türkei dadurch ausgeschlossen sein. In diesem Fall werden diese Personen durch die türkischen Behörden mit einem fünfjährigen Einreiseverbot belegt und ihr Asylantrag gilt als zurückgezogen (UNHCR 13.3.2018). Migranten und Flüchtlinge haben es Berichten zufolge sehr schwer, eine formelle Registrierung zu erhalten, was ihren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Arbeitsplätzen erschwert und ihr Abschieberisiko erhöht (ACAPS 5.2019). Die im Oktober 2016 durch Notverordnung eingeführte Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und des Terrorismus wurde im Februar 2018 per Gesetz konsolidiert. Aus diesen Gründen wurden im Jahr 2018 zunehmend Rückführungsentscheidungen getroffen. Allerdings hat das Verfassungsgericht aufgrund von Einsprüchen in den meisten Fällen einstweilige Verfügungen zur Verhinderung der Abschiebung von Personen in Fällen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erlassen, gleichwohl diese oft nur für einige Tage gültig waren (ECRE 3.2019). Der Zugang zum internationalen Schutzverfahren hat sich 2018 erheblich verändert, da der UNHCR am 10.9.2018 die Einstellung seiner Registrierungsaktivitäten in der Türkei bekannt gab. Die Anträge auf internationalen Schutz sollen nun von den regionalen Büros der Migrationsbehörde (PDMM) in einer der 81 Provinzen formell registriert werden. In der Praxis hat die Übernahme des Verfahrens durch die DGMM im XXXX 2018 jedoch zu erheblichen Hindernissen für den Zugang zum internationalen Schutzverfahren geführt. Der Antragsteller erhält erst nach der Registrierung des Antrags in der zuständigen Provinz eine „International Protection Applicant Identification Card“. Dies bedeutet, dass Asylwerber verpflichtet sind, in die zugewiesene Provinz zu reisen, ohne dass sie Unterlagen besitzen, aus denen hervorgeht, dass sie beabsichtigen, um internationalen Schutz anzusuchen, was mit der Gefahr der Verhaftung und Inhaftierung oder dem Entzug von Grundrechten wie der Gesundheitsversorgung verbunden ist (ECRE 3.2019). Der Justizminister hat erklärt, dass 315.000 syrische Staatsangehörige die Türkei verlassen haben, um in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und dass mit der Einrichtung von Sicherheitszonen in Syrien weitere Rückkehrer erwartet werden. Es wurden jedoch Bedenken hinsichtlich der Freiwilligkeit bei einigen Rückkehrern geäußert (ECRE 3.2019; vgl. ZO 17.8.2019). Presseberichte über angebliche Abschiebungen und Rückführungen syrischer Staatsangehöriger, die gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non Refoulement) verstoßen, hielten an (EC 29.5.2019). Augenzeugenberichte von syrischen Flüchtlingen, die festgenommen und zwangsweise, mitunter unter Gewaltanwendung, nach Syrien abgeschoben wurden, sind häufiger geworden (ZO 17.8.2019, TS 25.8.2019, DW 30.9.2019, AI 27.9.2019, WP 10.8.2019, SfTJ 6.8.2019). Auch syrische Journalisten im türkischen Exil wurden nach Syrien abgeschoben (RSF 20.8.2019). In manchen Fällen waren die Betroffenen nicht registriert oder hielten sich außerhalb der Provinz auf, in der sie registriert waren. Syrische Flüchtlinge in der Türkei, deren Ausweispapiere abgelaufen oder nicht mehr gültig sind, können diese offenbar nur sehr schwer erneuern. Die Gründe hierfür sind unklar (AI 27.9.2019). Laut anderen Quellen sollen syrische Flüchtlinge, ungeachtet, ob sie eine Registrierungsnummer (Kimlik) besitzen oder nicht, von den türkischen Behörden zwangsweise nach Syrien deportiert worden sein (SfTJ 6.8.2019; vgl. SOHR 7.8.2019). Die türkischen Behörden verhaften und zwingen Syrer, auch unter Gewaltanwendung, zur Unterzeichnung von Formularen, in denen diese bekunden, freiwillig nach Syrien zurückkehren zu wollen. Sodann erfolgt die zwangsweise Rückführung (HRW 26.7.2019; vgl. AI 2.10.2019, TM 31.7.2019, Daily Star 31.7.2019, DW 24.10.2019). Syrische Flüchtlinge werden auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen seitens der türkischen Behörden zur Unterschrift des Formulars für die freiwillige Rückkehr gedrängt, etwa unter dem Vorwand, dass es sich um eine Vollmacht oder eine Entlassungsbestätigung der Polizei oder eine Willensbekundung zum Verbleib in der Türkei oder dergleichen handle (AI 25.10.2019; vgl. DW 24.10.2019). Mehrere Flüchtlinge schilderten unabhängig voneinander, wie sie bei der versuchten Flucht bzw. bei der versuchten Rückkehr nach vormaliger Abschiebung in die Türkei von türkischen Soldaten beschossen wurden (SO 29.3.2018; vgl. WP 10.8.2019). In einigen Fällen schlugen türkische Grenzschutzbeamte Asylwerber, die sie festnahmen, und verweigerten ihnen medizinische Hilfe (HRW 3.8.2018). Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, starben seit Kriegsbeginn in Syrien 429 Flüchtlinge bei dem Versuch, in die Türkei zu gelangen (SOHR 7.8.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl _und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 25.10.2019

?        AI – Amnesty International (27.9.2019): Rechtswidrige Abschiebungen nach Syrien stoppen! UA-Nr: UA-128/2019 [EUR 44/1117/2019], https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-09/128_2019_DE_T%C3%Bcrkei.pdf, Zugriff 16.10.2019

?        AI - Amnesty International (2.10.2019): Urgent action: Rechtswidrige Abschiebungen stoppen! https://www.amnesty.at/%C3%Bcber-amnesty/aktivist-innen/netzwerk-flucht migration/news-events/urgent-action-rechtswidrige-abschiebungen-stoppen/, Zugriff 16.10.2019

?        AI - Amnesty International (25.10.2019): Sent To A War Zone - Turkey’s Illegal Deportations of Syrian Refugees, https://www.amnesty.org/download/Documents/EUR4411022019ENGLISH.pdf, Zugriff 25.10.2019

?        ACAPS (5.2019) Crisis Insight Humanitarian Access Overview, https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20190502_acaps_humanitarian _access_overview_may_2019_0.pdf, Zugriff 15.10.2019

?        CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.8.2016): Report of the fact-finding mission to Turkey by Ambassador Tomáš Bo?ek, Special Representative of the Secretary General on migration and refugees, 30 May – 4 June 2016 [SG/Inf(2016)29], http://www.ecoi.net/local_link/328551/469354_de.html, Zugriff 15.10.2019

?        Daily Star (31.7.2019): Deported from Turkey, Syrians return to unfamiliar country, https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2019/Jul-31/488709-deported-from turkey-syrians-return-to-unfamiliar-country.ashx, Zugriff 16.10.2019

?        DW – Deutsche Welle (30.9.2019): Abgeschoben aus der Türkei: Zurück in den Krieg? https://www.dw.com/de/abgeschoben-aus-der-t%C3%Bcrkei-zur%C3%Bcck in-den-krieg/av-50651022, Zugriff 16.10.2019

?        DW – Deutsche Welle (24.10.2019): Türkei: Illegale Abschiebungen nach Syrien, https://www.dw.com/de/t%C3%Bcrkei-illegale-abschiebungen-nach-syrien/a 50972358, Zugriff 25.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 15.10.2019

?        ECRE - European Council on Refugees and Exiles (3.2018): Country Report: Turkey, 2017 Update, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/ aida_tr_2017update.pdf, Zugriff 15.10.2019

?        ECRE - European Council on Refugees and Exiles (3.2019): Country Report: Turkey, 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/ aida_tr_2018update.pdf, Zugriff 15.10.2019

?        HRW – Human Rights Watch (3.8.2018): Turkey/Syria: Border Guards Shoot, Block Fleeing Syrians, 3. Februar 2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1423559.html, Zugriff 16.10.2019

?        HRW – Human Rights Watch (26.7.2019): Turkey Forcibly Returning Syrians to Danger, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013376.html, Zugriff 16.10.2019

?        RRT - Refugee Rights Turkey (3.2017): Registration And Status for Syrian Refugees and other Persons under Temporary Protection, http://www.mhd.org.tr/images/yayinlar/MHM-2.pdf, Zugriff 15.10.2019

?        RSF – Reporters Sans Frontières (20.8.2019): RSF urges Turkey not to send Syrian refugee journalists back to Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2014624.html, Zugriff 16.10.2019

?        SfTJ – Syrians for Truth and Justice (6.8.2019): Turkey: Thousands of Syrians Forcibly Returned to Peril, https://stj-sy.org/en/turkey-thousands-of-syrians-forcibly returned-to-peril/, Zugriff 16.10.2019

?        SO – Spiegel Online (29.3.2018): Die EU und die Schüsse auf Flüchtlinge - Erdogans Komplizen, https://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-schuesse-auf-fluechtlinge und-die-eu-schaut-zu-kommentar-a-1200346.html, Zugriff 16.10.2019

?        SOHR – The Syrian Observatory for Human Rights (7.8.2019): More than 6,000 Syrian refugees deported by Turkish authorities within weeks, 429 civilians killed by border guards also they tried to flee the horror of military operations, http://www.syriahr.com/en/?p=136847, Zugriff 16.10.2019

?        TM – Turkish Minute (31.7.2019): Turkey denies reports alleging deportation of Syrian refugees, https://www.turkishminute.com/2019/07/31/turkey-denies-reports alleging-deportation-of-syrian-refugees/, Zugriff 16.10.2019

?        TS – tagesschau.de (25.8.2019): Abgeschoben in den Krieg, https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-tuerkei-121.html, Zugriff 16.10.2019

?        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (13.3.2018): Antwort des UNHCR-Büros Österreich, per Email

?        WP – Washington Post (10.8.2019): Refugee deported from Turkey was shot and killed in Syria, family says, https://www.washingtonpost.com/world/refugee-deported from-turkey-was-shot-and-killed-in-syria-family-says/2019/08/09/0750d240-bab8- 11e9-8e83-4e6687e99814_story.html, Zugriff 16.10.2019

?        ZAR - Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (5.2013): Ausländer- und internationales Schutzgesetz (Ausländergesetz – AuISG) Gesetz Nr. 6458, http://www.zar.nomos.de/filea 9 min/zar/doc/ZAR_13_Online.pdf, [inoffizielle Übersetzung], Zugriff 15.10.2018

?        ZO – Zeit Online (17.8.2019): Mit dem Bus zurück in den Krieg, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/tuerkei-syrien-fluechtlinge-abschiebung XXXX , Zugriff 16.10.2019

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, insbesondere unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Einvernahmen vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.03.2018 und 30.03.2018 bzw vor dem BFA am 06.09.2018, durch Einsichtnahme in den bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 10.01.2019 sowie in den Beschwerdeschriftsatz vom 15.01.2019 und die am 24.06.2020 durchgeführte mündliche Beschwerdeverhandlung.

2.2.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Abstammung, zur Konfession und zu den familiären und privaten Verhältnissen der Beschwerdeführerin gründen sich auf in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren und den diesbezüglich in Vorlage gebrachten Unterlagen.

Die Feststellungen zum griechischen Visum ergeben sich aus den diesbezüglichen Unterlagen.

Die festgestellten Sprachkenntnisse beruhen auf den Wahrnehmungen in der Beschwerdeverhandlung.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin durch die Grundversorgung betreut wird, ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug.

Die festgestellte traditionelle Heirat beruht auf der in Vorlage gebrachten Heiratsurkunde.

Die Geburten der Kinder XXXX im Bundesgebiet ergeben sich aus den vorgelegten Geburtsurkunden, ausgestellt am XXXX 2018 und am XXXX 2020 durch das Standesamt XXXX .

Dass dem Mann der Beschwerdeführerin, XXXX , der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus dem diesbezüglich angeforderten Bescheid des BFA vom 21.04.2016, Zl. XXXX . Die Gewährung des Status einer Asylberechtigten die Tochter der Beschwerdeführerin betreffen, beruht auf der diesbezüglichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgereichtes. Das laufende Asylantragsverfahren den Sohn der Beschwerdeführerin betreffend ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin.

2.3.    Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin:

2.3.1.  Die Beschwerdeführerin brachte zur Begründung ihrer Beschwerde vor, dass es ihr nicht möglich sei, mit ihrem Mann, ein syrischer Staatsbürger, in die Türkei zurückzukehren, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Ebenso wenig sei es ihr möglich, alleine mit den beiden gemeinsamen Kindern in der Türkei (wieder) Fuß zu fassen, zumal der Kontakt mit ihrer Familie so gut wie abgebrochen sei, seit sie sich in Österreich aufhalte. Auch bestehe keine Möglichkeit nach Syrien, der Heimat ihres Mannes, zu gehen, da diesem aufgrund asylrelevanter Fluchtgründe der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Das BFA befasste sich mit diesen Umständen in seiner Begründung nicht und vermeinte vielmehr lapidar, dass die Beschwerdeführerin wieder bei ihrer Familie eine Aufnahme finden werde und ihr Mann sie besuchen könne bzw mit technischen Hilfsmitteln der Kontakt aufrechterhalten werden könne.

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass entsprechend der Länderberichte Asylwerbern, die aus einem Land kommen, in welchem sie zuvor als Flüchtling anerkannt wurden und dort immer noch die Möglichkeit haben, diesen Schutz zu genießen, einschließlich des Rechts auf Non-Refoulements, ein etwaiger Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig bewertet und das Verfahren zur Rückführung in den ersten Zufluchtsstaat eingeleitet wird. Somit besteht für den Mann des Beschwerdeführers keine Möglichkeit, einen Asylstatus in der Türkei zu erlangen. Grundsätzlich wurden Bedenken dahingehend geäußert, was den Umgang mit Syrern in der Türkei betrifft. So habe etwa der Justizminister erklärt, dass 315.000 syrische Staatsangehörige die Türkei verlassen hätten, um in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und dass mit der Einrichtung von Sicherheitszonen in Syrien weitere Rückkehrer erwartet werden würden. Es wurden jedoch Bedenken hinsichtlich der Freiwilligkeit bei einigen Rückkehrern geäußert (ECRE 3.2019; vgl. ZO 17.8.2019). Presseberichte über angebliche Abschiebungen und Rückführungen syrischer Staatsangehöriger, die gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non Refoulement) verstoßen, hielten an (EC 29.5.2019). Augenzeugenberichte von syrischen Flüchtlingen, die festgenommen und zwangsweise, mitunter unter Gewaltanwendung, nach Syrien abgeschoben wurden, sind häufiger geworden (ZO 17.8.2019, TS 25.8.2019, DW 30.9.2019, AI 27.9.2019, WP 10.8.2019, SfTJ 6.8.2019). Auch syrische Journalisten im türkischen Exil wurden nach Syrien abgeschoben (

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten