TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/26 W105 2224267-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2020
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Entscheidungsdatum

26.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch

W105 2224267-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BENDA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2019, Zl: 1124722102/190861474, zu Recht:

A)       

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., V., VI. und VIII. wird als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes VII. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben, als das Einreiseverbot auf 1 Jahr herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste spätestens am 31.07.2016 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag seinen 1. Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, zu welchem der Beschwerdeführer am selben Tag von der Landespolizeidirektion Kärnten erstbefragt wurde. Nach der Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 07.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , im Beisein einer für den Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetscherin für die Sprache SOMALI niederschriftlich einvernommen.

2. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, dass im Jahr 2015 sein Bruder von der Terrormiliz Al Shabaab erschossen worden sei. Er selbst sei im Juli 2015 von Al Shabaab entführt und ins Gefängnis gebracht worden, wo er misshandelt worden wäre. Das sei der Grund, weshalb er sein Heimatland verlassen habe.

3. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 07.02.2018 machte der BF geltend, dass sein Bruder XXXX für die Hilfsorganisation XXXX . Gearbeitet habe. Al Shabaab wäre jedoch gegen die Leute gewesen, die für die Hilfsorganisation gearbeitet hätten. Eines Abends sei sein Bruder von Al Shabaab entführt und zum Bakaara Markt gebracht worden, wo er dann von Al Shabaab erschossen worden sei. Ungefähr einen Monat nach dem Tod seines Bruders sei auch er verdächtigt worden, für die Hilfsorganisation zu arbeiten. Darum sei Al Shabaab auch zu ihm gekommen, hätte ihn mitgenommen und am linken Unterarm mit einem Messer verletzt. Sie hätten ihm gesagt, dass er die Wahrheit sagen solle, andernfalls sie ihm den Arm abschneiden würden. Er habe gesagt, dass er für keine Hilfsorganisation arbeiten würde. Die Al Shabaab hätte auch Recherchen angestellt und erkannt, dass er nicht für eine Hilfsorganisation arbeite und so sei er wieder freigelassen worden. Weil er Angst gehabt hätte, dass so etwas wieder passieren könnte oder Al Shabaab ihn töten könnte, habe er Somalia verlassen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 03.03.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt III., IV., V) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der BF in Somalia einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliegen würde. Es habe eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne des GFK in keinster Weise glaubhaft machen können. Auch sei eine ethnische Verfolgung nicht feststellbar. Es konnte insgesamt keine GFK-relevante Verfolgung des BF festgestellt werden, noch drohe dem BF bei Rückkehr eine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Die von ihm vorgebrachten Gründe für das Verlassen Somalias seien nicht glaubhaft.

Dieser Bescheid erwuchs mit 05.04.2018 in Rechtskraft.

5. Der BF verließ in der Folge zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt das österreichische Bundesgebiet und reiste nach Deutschland weiter, von wo aus er sodann am 21.08.2019 nach Österreich rücküberstellt wurde.

6. Am 21.08.2019 stellte der BF sodann seinen nunmehr 2. Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am folgenden Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.

Im Rahmen der Erstbefragung gab er auf die Frage, warum er neuerlich einen Asylantrag stelle, an, dass die österreichische Behörde ihn nach Österreich zurückgeholt habe. Er habe in der linken Hand eine Operation gehabt und habe noch etwas in dieser Hand unter der Haut. Das erste Mal sei er sehr schlecht operiert worden. Er habe am 20.09.2019 in Deutschland einen OP-Termin. Er brauche dringend eine Operation bei der Hand, da diese schon taub werde. Er benötige auch dringend eine Operation am Ohr. Er bemerke, dass sich sein Gehör verschlechtere.

Befragt, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte, gab er an, dass er noch immer die gleichen Fluchtgründe wie bei seinem ersten Antrag habe. Er habe Angst vor der Terrorgruppe Al Shabaab, dass diese ihn umbringen würden. 2015 sei sein Bruder getötet worden, weil er in einer Hilfsorganisation gearbeitet habe. Sie würden ihn auch töten wollen. Er sei von der Gruppe verfolgt worden und an seiner Hand verletzt worden, weil sie herausfinden hätten wollen, wo sein Bruder sei. Er habe das aber nicht verraten. Nach diesem Vorfall habe seine Mutter ihr Grundstück verkauft, damit sie ihm helfen könne. Sie habe ihm bei der Flucht geholfen. Er könne in seiner Heimat nicht beschützt werden.

Auf die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe drohe oder er mit Sanktionen zu rechnen hätte, gab er an, dass es keine konkreten Hinweise gebe, er jedoch sagen könne, dass die Terrorgruppe ganz genau sein Gesicht kenne und er, wenn er dorthin zurückgebracht würde, getötet würde.

7. Am 27.08.2019 wurde der BF vor dem BFA einvernommen. Hierbei gab er auf die Frage nach den Gründen für seine neuerliche Asylantragstellung an, dass sich viel verändert habe. Inzwischen sei sein Vater aufgrund eines Attentats gestorben sei, welches am 14.10.2017 in Mogadischu stattgefunden hätte. Seine Mutter lebe inzwischen bei seiner Tante. Sie habe niemanden, der ihr helfe. Seine Kinder seien auch bei seiner Mutter. Sein Vater habe früher seine Mutter unterstützt, aber jetzt sei er bei einem Attentat getötet worden. Die Angaben im ersten Asylantrag zu seinem Fluchtgrund halte er aufrecht.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 04.09.2019 gab der BF auf die Frage, ob sich an der allgemeinen Lage im Heimatland seit Rechtskraft des Vorverfahrens etwas geändert habe an, dass sich nichts geändert habe, es aber schlimmer geworden sei. Es habe vorgestern bei seinem Haus einen Anschlag gegeben.

Weiters gab er an, dass er krank sei Probleme am Ohr habe und jetzt keine medizinische Versorgung in Österreich bekommen habe, weswegen er in ein anderes Land gehen habe müssen, um eine bessere medizinische Versorgung zu bekommen.

8. Mit dem oben angeführten Bescheid vom 24.09.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 22.08.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Ab. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 FPG wurde jeweils nur gegen den BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) Weiters wurde dem BF gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, ab 22.08.2019 in einem namentlich genannten Quartier Unterkunft zu nehmen Spruchpunkt (VIII.).

Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass sich aus den Feststellungen und der Beweiswürdigung ergebe, dass der BF keinen neuen Sachverhalt glaubwürdig vorgebracht habe. Es hätte daher im Vergleich zu den Feststellungen des Erstverfahrens kein neuer Sachverhalt festgestellt werden können. Es könne ausgeschlossen werden, dass ihm im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen werde. Es seien sowohl die Grundversorgung als auch die medizinische Versorgung in Somalia gewährleistet. Sonstige Abschiebungshindernisse wie etwa das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung habe der BF nicht behauptet und würden keine Anhaltspunkte dafür vorliegen. Er wäre ein arbeitsfähiger und voll handlungsfähiger junger Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es bestünden keine anderen Hinweise darauf, die die Abschiebung unzulässig machen würden. In Somalia bestünde nicht eine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung ausgesetzt wäre. Dass er nicht in der Lage sei, die Mittel für seinen Unterhalt nachzuweisen, ergebe sich aus dem Akteninhalt und dem Umstand, dass er seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich aus staatlichen Unterstützungsleistungen bestreiten würde bzw. bestritten habe.

9. Mit Schriftsatz vom 08.10.2019 erhob der BF durch seinen Rechtsberater Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.09.2019 in vollem Umfang. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei und das Verfahren deshalb mit einem schwerwiegenden Mangel belastet sei. Es liege ein schwerwiegender Verfahrensfehler insofern vor, als die Behörde in dem gegenständlichen Verfahren den BF zu keinem Rechtsberater verwiesen habe und zu der Einvernahme kein Rechtsberater geladen worden sei. Der BF sei am 21.08.2019 von Deutschland nach Österreich rücküberstellt worden und habe er am 22.08.2019 seinen 2. Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er habe seinen Antrag damit begründet dass er nicht nach Somalia zurückkehren könne, da seine Probleme mit Al Shabaab immer noch bestehen würden. Weiters habe er in der Einvernahme am 04.10.2019 angeführt, dass die Sicherheitslage in seinem Heimatland noch schlimmer geworden sei und habe es vor kurzem einen Anschlag bei seinem Haus in Mogadischu gegeben. Es würden überdies auch veraltete Länderfeststellungen verwendet und sei die Situation einem (unter einem zitierten) Bericht der US Agency for International Development zu Somalia vom März 2019 noch immer sehr kritisch. So wäre die Al Shabaab weiterhin die Hauptbedrohung im Land und habe es etwa im März 2019 landesweit 77 Anschläge mittels improvisierter Sprengsätze gegeben. Der Großteil der Zwischenfälle habe sich u. a. in Mogadischu ereignet. Das BFA hätte das Verfahren zulassen, den Asylantrag inhaltlich bearbeiten und ihm zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilen müssen. Weiters hätte seitens der belangten Behörde beachtet werden müssen, dass es sich bei seinem Verhalten nur um eine sehr geringe Gefährdung öffentlicher Interessen handle, sodass die Höhe des verhängten Einreiseverbotes als unverhältnismäßig und daher unzulässig anzusehen sei.

9. Mit Verfügung vom 08.10.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 10.10.2019, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

10. Mit Beschluss vom 15.10.2019, Zl. W105 2224267-1/3Z, erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.

11. Mit Beschluss vom 25.11.2019, Zl. W105 2224267-1/9E, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid in den Spruchpunkten I. bis VII. behoben.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem BF im gesamten Verlauf des Zulassungsverfahrens kein Rechtsberater beigestellt worden sei. Zudem habe es das BFA abweichend von § 29 Abs. 4 AsylG 2005 unterlassen, den BF und den Rechtsberater innerhalb einer 24 Stunden nicht unterschreitenden Frist zu einer Einvernahme zur Wahrung seines Parteiengehörs zu laden, sodass auch dadurch keine Sanierung der Verletzung der Anwesenheitspflicht des Rechtsberaters im Zulassungsverfahren eintreten habe können. Die Behörde habe dem BF auch keine Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 ausgefolgt. Da nicht auszuschließen sei, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahren möglich gewesen wäre, sei der angefochtene Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG aufzuheben.

12. In einer seitens des BFA gegen dieses Erkenntnis fristgerecht erhobenen Amtsrevision wurde zusammenfassend geltend gemacht, dass eine Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG schon deshalb unzulässig gewesen sei, weil diese Norm nur bis zur Zulassung des Verfahrens Anwendung finde. Im gegenständlichen Fall sei das Verfahren aber schon mit Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 an den BF am 27.08.2019 zugelassen worden. Das Bundesverwaltungsgericht hätte eine Zurückverweisung an das BFA daher nur auf § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG stützen können.

13. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.03.2020, Zl. Ra 2020/18/0001-7, wurde der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründend wurde Folgendes ausgeführt:

„[…] Im vorliegenden Fall wurden die Verfahren über den Folgeantrag des Mitbeteiligten nach Aktenlage am 27.08.2019 (also vor Erlassung des verwaltungsbehördlichen Bescheides) durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 im Sinne des § 28 As. 1 AsylG 2005 zugelassen. Der Bescheid des BFA vom 24. September 2019 erging daher nicht (mehr) im Zulassungsverfahren und es lag daher fallbezogen auch keine Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren vor. Indem das BVwG ungeachtet dessen die Bestimmung des § 21 Abs. 3 BFA-VG zur Anwendung brachte, hat es die Rechtslage verkannt und die angefochtene Entscheidung schon aus diesem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Zu Recht verweist die Amtsrevision überdies auf das hg. Erkenntnis vom 25. April 2017, Ra 2016/18/0234, in dem mit näherer Begründung erkannt wurde dass der Mangel der unterlassenen Beigebung eines Rechtsberaters im Zulassungsverfahren in einem vor dem BFA – nach Aufhebung gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG – fortzusetzenden Verfahren gar nicht saniert werden könnte weshalb das Vorliegen des Verfahrensmangels die Stattgebung der Beschwerde und Aufhebung des Bescheides gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG auch aus diesem Grund nicht rechtfertigte. Eine Sanierung des Verstoßes war vielmehr dadurch möglich, dass dem Mitbeteiligten im Beschwerdeverfahren Unterstützung durch einen Rechtsberater beigestellt wurde (vgl. insbesondere Rn. 15 u. 16 im zitierten Erkenntnis). Nichts anderes gilt, wie die Amtsrevision zutreffend ausführt, für eine unterbliebene Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005, die das Gesetz (nur) im Zulassungsverfahren vorsieht.[…]“

14. Mit Verfügung vom 30.04.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF die aktuellen Länderfeststellungen zur Situation in Somalia, Gesamtaktualisierung vom 17.09.2019. Unter einem wurde dem BF die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Eine Stellungnahme langte hg. fristgerecht nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführer und seinen Fluchtgründen:

Der BF ist Staatsangehöriger von Somalia, stammt aus Mogadischu und gehört dem Clan der Bade Ate sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er reiste am 31.07.2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am selben Tag seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Dieser erste Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 03.03.2018 abgewiesen und erwuchs dieser Bescheid am 05.04.2018 in Rechtskraft.

Am 21.08.2019 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab er an, dass er immer noch die gleichen Fluchtgründe wie schon bei seinem ersten Antrag hätte. Er habe Angst vor Al Shabaab, die bereits seinen Bruder getötet hätte, da er für eine Hilfsorganisation gearbeitet habe. Er sei von Al Shabaab verfolgt und an der Hand verletzt worden, weil sie herausfinden hätten wollen, wo sein Bruder wäre. Er könne in seiner Heimat nicht beschützt werden. Außerdem benötige er dringend eine Operation an der Hand sowie am Ohr.

Der gegenständliche Antrag wurde in der Folge mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24.09.2019 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Festgestellt wird, dass der BF seit der Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun konnte. Er bezieht sich in seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz auf Umstände, die bereits zum oben genannten Zeitpunkt bestanden haben. Soweit der BF in der weiteren Einvernahme vor dem BFA am 27.08.2019 vorbringt, dass sich „viel verändert“ hätte und er dies weiters damit begründet, dass sein Vater aufgrund eines Attentats im Oktober 2017 gestorben sei, hat er damit schon deshalb keinen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt dargetan, da er sich hier erkennbar auf einen Sachverhalt stützt, der verwirklicht wurde, bevor das Verfahren über den ersten (früheren) Antrag beendet wurde, sodass diesem Vorbringen die Rechtskraft des Vorbescheides entgegensteht.

Zum Vorbringen in der Einvernahme, dass es vor kurzem einen Anschlag bei seinem Haus gegeben habe, ist anzumerken, dass diesem Vorbringen nicht zu entnehmen ist, dass es sich hierbei um einen gezielten, gegen die Familie des BF gerichteten Anschlag gehandelt hat und erweist sich dieses Vorbringen letztlich auch als viel zu unkonkret, als dass daraus eine entscheidungsrelevante Änderung der Sachlage ableitbar wäre.

Der BF hat nach einem Jahr Schulbildung in einer Koranschule als Verkäufer für Kleinwaren gearbeitet. In Mogadischu leben noch die Mutter sowie die geschiedene Ehegattin des BF und die gemeinsamen drei Kinder. Die drei minderjährigen Kinder des BF leben bei seiner Mutter und betreibt die Mutter des BF ein Lebensmittelgeschäft. Der BF steht mit seiner Mutter im aufrechten Kontakt. Weiters lebt noch die Familie des verstorbenen Vaters in Mogadischu.

Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat in Österreich keine nennenswerten Kontakte zu Einheimischen. Der BF hat Deutschkurse auf dem Niveau A1 besucht. Er hat in Österreich weiters einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Er ist strafrechtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass beim BF eine lebensbedrohliche Erkrankung (im Endstadium) besteht. Der BF ist arbeitsfähig.

Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach dem BF in Somalia aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Somalia die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat wäre es dem BF möglich, sich in Mogadischu eine Existenz aufzubauen. Seine Existenz könnte der BF dort – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Hinzu kommt, dass in Mogadischu noch die Mutter des BF lebt, die ihn zumindest in der Anfangsphase unterstützen könnte. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr nach Mogadischu ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Mogadischu Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:
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2.         Politische Lage

Die Republik Somaliland hat sich im Mai 1991 für unabhängig erklärt, wurde aber bis dato international nicht anerkannt (BS 2018, S.4; vgl. AA 4.3.2019, S.5f). Die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten bemühen sich in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit (AA 4.3.2019, S.5f).

Obwohl Somaliland kaum internationale Unterstützung erhielt, gilt das Land heute als Vorbildstaat am Horn von Afrika (SZ 13.2.2017; vgl. ECO 13.11.2017). Somaliland hat schrittweise staatliche Strukturen wieder aufgebaut und war auch bei demokratischen Reformen erfolgreich (BS 2018, S.4/23/33; vgl. UNDP 10.12.2017). Das Land verfügt über zahlreiche Zeichen der Eigenständigkeit: Es gibt eine Zivilverwaltung, Streitkräfte, eine eigene Währung (ICG 12.7.2019, S.1), eine Regierung, eine Verfassung und seit Jahren ökonomische Stabilität (DW 30.11.2018). Mit internationaler Hilfe konnten Bezirksverwaltungen und Bezirksräte etabliert werden (BFA 8.2017, S.94).

Seit 1997 herrschen Frieden und politische Stabilität (BS 2018, S.32). Die Regierung bekennt sich zu Demokratie und Marktwirtschaft (BS 2018, S.37). Die Bindung bzw. das Commitment Somalilands zum demokratischen System ist groß (BS 2018, S.21f), denn letzteres hat sich aus einer Reihe großer Clankonferenzen entwickelt und ist damit mit einem hohen Maß an Legitimität versehen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt zwischen Regierung und Bürgern ist ungewöhnlich stark (ECO 13.11.2017). Die demokratischen Institutionen Somalilands sind relativ stabil, es mangelt aber an Ressourcen und Expertise (BS 2018, S.21f).

Trotzdem kämpft das Land mit massiven strukturellen Restriktionen. Der Staatsapparat bleibt schwach und unterfinanziert und das Land ist von einem inakzeptablen Maß an Armut geprägt (BS 2018, S.33). Der Staat ist von Wirtschaftstreibenden abhängig, auf allen Ebenen der Verwaltung kommt es zu Korruption und Clan-Patronage (BS 2018, S.6/21f). Zudem sind staatliche Institutionen bei ihren Entscheidungen an das Einverständnis einflussreicher Clanältester gebunden, wenn sie Spannungen und – in Einzelfällen – Gewalt vorbeugen wollen (BS 2018, S.15). Dabei hat Somaliland aber im Wesentlichen mit Verhandlungen zwischen und mit unterschiedlichen Akteuren gute Erfahrungen gemacht (BS 2018, S.36).

Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit mehrere allgemeine Wahlen durchgeführt (AA 4.3.2019, S.5f; vgl. ICG 12.7.2019, S.1). Diese wurden durch internationale Beobachter regelmäßig als frei und fair beurteilt (BS 2018, S.4f).

Es gibt ein Zwei-Kammern-Parlament. Das Ober- bzw. Ältestenhaus (Guurti) besteht aus 86 ernannten, das Unter- bzw. Repräsentantenhaus aus 82 gewählten Mitgliedern (USDOS 13.3.2019, S.24; vgl. FH 5.6.2019a, A2). Parlamentswahlen wurden zuletzt 2005 abgehalten und sind seit Jahren überfällig. Zuletzt wurden die Parlamentswahlen im März 2017 auf April 2019 verschoben (USDOS 13.3.2019, S.24) bzw. sind diese nunmehr für Ende 2019 vorgesehen (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AMISOM 15.1.2019b; AA 5.3.2019b). Eine weitere Verschiebung kann nicht ausgeschlossen werden (UNSC 15.5.2019, Abs.9). Die neuerliche Verschiebung der Parlamentswahlen wirft einen Schatten auf das vergleichsweise demokratische Somaliland (AA 4.3.2019, S.4).

Das Guurti sollte eigentlich alle sechs Jahre neu mit Ältesten besetzt werden (FH 5.6.2019a, A2), geht aber nunmehr in das dreizehnte Amtsjahr, ohne wiedergewählt worden zu sein (AA 4.3.2019, S.6). Es gibt Vorwürfe, wonach im Oberhaus politische Korruption herrscht (USDOS 13.3.2019, S.24; vgl. BS 2018, S.21).

Auch die Präsidentschaftswahl hatte sich mehrfach verzögert, bevor sie Mitte November 2017 stattfand (AA 4.3.2019, S.6; vgl. FH 5.6.2019a, A1). Zum Präsidenten gewählt wurde der Kandidat der regierenden Kulmiye-Partei, Muse Bihi Abdi. Seine Angelobung erfolgte im Dezember 2017 (USDOS 13.3.2019, S.24; vgl. AA 4.3.2019, S.6). Die Wahl wurde als weitgehend frei und fair eingeschätzt (AA 5.3.2019b), auch wenn es einige Unregelmäßigkeiten gab; letztere haben den Ausgang der Wahl nicht signifikant beeinflusst (FH 5.6.2019a, A1; vgl. ISS 10.1.2018).

Mit der Beschränkung auf drei Parteien soll eine Zersplitterung der Parteienlandschaft entlang von Clans verhindert werden. Lokalwahlen entscheiden darüber, welche drei Parteien für die nächsten Wahlen auf nationaler Ebene zugelassen werden (BS 2018, S.16/22f; vgl. AA 4.3.2019, S.6). Bei den Gemeindewahlen im November 2012 entschied sich die Bevölkerung bei einer Auswahl von sieben Parteien für Kulmiye, Ucid und Waddani als nationale Parteien (BS 2018, S.16/22f), die Udub verlor die Zulassung. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Gegebenenfalls werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 4.3.2019, S.6).

Eine Clan-bezogene Organisation politischer Parteien ist also in der Verfassung verboten. Trotzdem dominiert die Clanzugehörigkeit Politik und Entscheidungsprozesse. Traditionelle Normen und Institutionen arbeiten simultan zu demokratischen Institutionen (BS 2018, S.22).

Das Innenministerium hat 2.700 Sultane registriert. Diese erhalten für ihre Beteiligung an den Lokalverwaltungen auch ein Gehalt (UNHRC 6.9.2017, Abs.74).

Somaliland definiert seine Grenzen gemäß der kolonialen Grenzziehung; Puntland hingegen definiert seine Grenzen genealogisch entlang der Siedlungsgebiete des Clans der Darod. Insgesamt ist die Ostgrenze Somalilands zu Puntland nicht demarkiert, und die Grenze bleibt umstritten (EASO 2.2016, S.72). Das Verhältnis zwischen dem im Nordwesten gelegenen Somaliland und dem Rest des Landes ist problematisch (AA 5.3.2019b). Vor allem in West- und Zentral-Somaliland wurde die somalische Identität zunehmend von einer somaliländischen Identität abgelöst (BS 2018, S.11).

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3.         Sicherheitslage

Der in Somaliland etablierten de facto-Regierung ist es gelungen, ein für die Region durchaus bemerkenswertes Maß an Stabilität und Ordnung herzustellen (AA 5.3.2019b; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.45). Friede und politische Stabilität wurden 1997 erlangt (BS 2018, S.32), und es ist dort auch nach wie vor vergleichsweise friedlich (BS 2018, S.9; vgl. DW 30.11.2018). Die Regierung übt über das ihr unterstehende Gebiet Kontrolle aus (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. LIFOS 9.4.2019, S.6), nur das Randgebiet zu Puntland ist umstritten (LIFOS 9.4.2019, S.6), bzw. hat die Regierung dort nicht die volle Kontrolle (FH 5.6.2019a, C1).

Die Sicherheitskräfte können in einem vergleichsweise befriedeten Umfeld ein höheres Maß an Sicherheit im Hinblick auf terroristische Aktivitäten und allgemeine Kriminalität herstellen als in anderen Landesteilen. Dies gilt insbesondere für die Regionen Awdal und Woqooyi Galbeed mit den Städten Hargeysa und Berbera (AA 17.9.2019). Somaliland ist damit das sicherste Gebiet Somalias, die Sicherheitslage ist dort deutlich stabiler (UNHRC 6.9.2017, Abs.52/71ff; AA 4.3.2019, S.4; ÖB 9.2016, S.23). Mehrere Quellen bezeichnen Somaliland als sicher. Die Einwohner bewegen sich frei und gewiss, nicht angegriffen zu werden. In Hargeysa und auch in den ländlichen Gebieten – mit Ausnahme der umstrittenen Teile – sind lebensbedrohliche Zwischenfälle eine Seltenheit (BFA 8.2017, S.94f).

Somaliland war in der Lage, die Bedrohung durch al Shabaab einzudämmen (UNHRC 6.9.2017, Abs.73). Die Terrorgruppe kontrolliert einerseits keine Gebiete in Somaliland (AA 4.3.2019, S.5/7/13), andererseits gibt es so gut wie keine Angriffe durch al Shabaab bzw. wurden Versuche erkannt und Anschläge verhindert (NLMBZ 3.2019, S.15). Es gibt keine signifikanten Aktivitäten der al Shabaab in Somaliland (LIFOS 3.7.2019, S.37f), und seit 2008 hat es keine terroristischen Aktivitäten mehr gegeben (BFA 8.2017, S.105). Al Shabaab kann in Somaliland auch keine Steuern einheben (LIFOS 3.7.2019, S.37f). Die relativ homogene Bevölkerung resultiert in einer starken sozialen Kontrolle, eine Art Nachbarschaftswache findet Anwendung (NLMBZ 3.2019, S.15). Aufgrund der Mitwirkung der Bevölkerung wurden zahlreiche Mitglieder der al Shabaab verhaftet. Immer wieder hört man auch von Verhaftungen an Straßensperren (BFA 8.2017, S.110).

Trotzdem bleibt die Gruppe für Somaliland eine Bedrohung. Es ist davon auszugehen, dass sie in Hargeysa über eine Präsenz verfügt, deren Kapazitäten aber gering sind. Eine (temporäre) Präsenz und sporadische Aktivitäten von al Shabaab werden aus den umstrittenen Gebieten in Ost-Somaliland und aus Burco gemeldet (BFA 8.2017, S.105f).

Deserteure der al Shabaab scheinen in Somaliland kaum gefährdet zu sein. Es gibt keine Berichte, wonach in Hargeysa schon einmal ein Deserteur der al Shabaab exekutiert worden wäre (BFA 8.2017, S.107f).

Clankonflikte bestehen wie überall in Somalia auch in Somaliland, und es kann zu Auseinandersetzungen und Racheakten kommen, die zivile Opfern fordern. Clankonflikte stellen aber kein Sicherheitsproblem dar, das die politische Stabilität der Region gefährdet. Somaliland hat Regierungsstrukturen aufgebaut, die das Machtstreben der verschiedenen Clans ausbalancieren. Das ganze politische System beruht auf Kompromissen zwischen den Clans (ÖB 9.2016, S.20f). Außerdem konnten mit internationaler Hilfe Bezirksverwaltungen und Bezirksräte etabliert werden (BFA 8.2017, S.94f). Den Behörden ist es gelungen, einen relativ wirksamen Schutz gegen Banden und Milizen zu gewährleisten (AA 4.3.2019, S.16). Hinsichtlich Hargeysa gibt es keine Sicherheitsprobleme. Die Kriminalitätsrate ist relativ niedrig. Wenn es zu einem Mord kommt, dann handelt es sich üblicherweise um einen gezielten Rachemord auf der Basis eines Clan-Konflikts. Hargeysa und Burco sind relativ ruhig (BFA 8.2017, S.95). Clan-Konflikte werden v.a. im umstrittenen Grenzgebiet zu Puntland gewaltsam ausgetragen. Die Dürre und damit verbundene Ressourcenkonflikte haben die Gefahr dort noch größer werden lassen (LIFOS 3.7.2019, S.38).

In der Region Sanaag hat sich ein seit langem laufender Konflikt zwischen den Isaaq-Clans der Habr Jeclo und Habr Yunis weiter intensiviert. Dies hat soweit geführt, dass Präsident Bihi im Mai 2019 über drei Bezirke in Sanaag den Ausnahmezustand verhängen wollte, um die Möglichkeiten der Armee auszuweiten. Dieser Plan traf im Parlament auf Widerstand (ICG 12.7.2019, S.10). Ende Juni wurde der Ausnahmezustand auch wieder aufgehoben. Im Juli 2019 brachen die Clankämpfe erneut aus, dabei wurden 18 Zivilisten getötet (UNSC 15.8.2019, Abs.10).

Eigentlich steht der Osten der Region Sanaag nicht unter Kontrolle der somaliländischen Regierung. Teile dieser Gebiete werden von den dort lebenden Warsangeli de facto selbst verwaltet (BFA 8.2017, S.25/102). Teile der Warsangeli haben sich im Mai 2019 gänzlich auf die Seite Puntlands geschlagen (UNSC 15.8.2019, Abs.9).

Die Grenze zu Puntland ist umstritten (AA 4.3.2019, S.5). Sowohl Somaliland als auch Puntland beanspruchen Sool, Sanaag und Cayn (BS 2018, S.6). Normalerweise kommt es dort nur zu kleineren Scharmützeln mit ansässigen Milizen (AA 5.3.2019b). In den gewaltsamen Konflikt involviert sind Somaliland, Puntland, Kräfte des selbsternannten Khatumo-Staates und lokale Clanmilizen (BS 2018, S.34). Die Grenzfrage ist das größte Sicherheitsproblem Somalilands (LIFOS 3.7.2019, S.37). Im Jahr 2018 gab es jedoch teils heftigere militärische Auseinandersetzungen zwischen somaliländischen und puntländischen Truppen, v.a. im Bereich der Ortschaft Tuko Raq (auch: Tukaraq) (AA 4.3.2019, S.5; vgl. AA 5.3.2019b; USDOS 13.3.2019, S.16; BS 2018, S.34). Bei Kampfhandlungen im Jänner 2018 gab es auf beiden Seiten dutzende Verluste, und ca. 2.500 (SEMG 9.11.2018, S.5/35) – nach anderen Angaben 12.500 – Zivilisten wurden dabei vertrieben (HRW 17.1.2019). Im Mai und Juni 2018 kam es zu weiteren Gefechten. Im Juli 2018 folgten die ersten internationalen Vermittlungsversuche (SEMG 9.11.2018, S.36). UN, IGAD [regionale Staatenorganisation] und andere haben diplomatisch vermittelt (SRSG 13.9.2018, S.1; vgl. SRSG 3.1.2019, S.4). Danach wurde der Konflikt eingedämmt und zwischen beiden Seiten eine ca. zwei Kilometer breite Pufferzone eingerichtet. Seither stehen sich somaliländische und puntländische Kräfte im Abstand von zwei Kilometern in konsolidierten militärischen Positionen gegenüber (SEMG 9.11.2018, S.5/35; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.39). Der de-facto-Waffenstillstand hält (SRSG 3.1.2019, S.4) weitgehend, auch wenn die Situation in und um Tuko Raq weiterhin angespannt ist und es sporadisch zu Gefechten zwischen beiden Seiten kommt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. ICG 12.7.2019, S.3) – etwa im November 2018 (ICG 12.7.2019, S.3). Im April (UNSC 15.5.2019, Abs.18) und im Juni 2019 kam es zu einer Kampfhandlung zwischen der somaliländischen Armee und einer lokalen Miliz, die möglicherweise von Puntland unterstützt wird. Im Bereich Tuko Raq ist die Lage nach wie vor volatil (SLS 12.6.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.18; LIFOS 3.7.2019, S.39).

Der Begriff „Khatumo“ findet in keiner der verwendeten Quellen eine relevante Verwendung.

Vorfallzahlen: In den somaliländischen Regionen Awdal, Sanaag, Sool, Togdheer und Woqooyi Galbeed lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 3,5 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31ff). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 24 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „Violence against Civilians“). Bei 17 dieser 24 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 22 derartige Vorfälle (davon 21 mit je einem Toten). Laut ACLED Datenbank entwickelte sich die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in Somaliland folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):

SOMALILAND

Vorfälle (mit Todesopfern) - gesamt

2013

2014

2015

2016

2017

2018

Anzahl Vorfälle / Opferzahl (1/>1)

OPFERZAHL

1

>1

1

>1

1

>1

1

>1

1

>1

1

>1

VORFALLSZAHL

Awdal

4

-

-

-

2

1

2

-

2

2

-

-

Sanaag

6

1

4

1

6

-

11

7

1

1

13

11

Sool

6

5

19

4

16

6

6

5

17

17

11

3

Togdheer

9

2

10

4

12

3

12

6

4

4

4

4

Woq. Galbeed

11

1

3

1

8

3

2

-

5

5

2

-

 

36

9

36

10

44

13

33

18

29

20

30

18

 

45

46

57

51

49

48

 

 

80%

20%

78%

22%

77%

23%

65%

35%

59%

41%

63%

37%

(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians“ (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED zahlreiche Unschärfen aufweist; auch „normale“ Morde sind inkludiert):

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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