TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/30 96/01/1224

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Veröffentlicht am 30.09.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10;
StbG 1985 §11;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Berger, Dr. Christine Kolbitsch, Dr. Heinrich Vana und Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Wien II, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 18. Oktober 1996, Zl. MA 61/IV-B 331/93, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 18. Oktober 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines tunesischen Staatsangehörigen, vom 5. Dezember 1991 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10 Abs. 1 und 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen. Der Beschwerdeführer sei seit 30. November 1981 im Bundesgebiet aufhältig und aufrecht gemeldet. Er lebe mit seiner Lebensgefährtin, einer tunesischen Staatsangehörigen, im gleichen Haushalt und sei mit ihr nach dem islamischen Gesetz verheiratet. Beide Ehegatten seien islamische Religionslehrer bei der islamischen Religionsgemeinschaft und unterrichteten an diversen Wiener Schulen. Der Beschwerdeführer habe nach seiner Einreise an der Universität Wien vorerst Deutschkurse besucht und später als ordentlicher Hörer an der Technischen Universität Wien Elektrotechnik inskribiert, das Studium sei jedoch nach einigen Monaten abgebrochen worden. Daneben sei der Beschwerdeführer zwischen 16. Juli 1988 bis 8. Mai 1992 - mit monatelangen Unterbrechungen, wie aus einer Bestätigung der Wiener Gebietskrankenkasse hervorgehe - als Portier bzw. Rezeptionist in einem Hotel beschäftigt gewesen. Sein Studium sei zusätzlich durch ein Stipendium der Vereinigten Arabischen Emirate finanziert worden. Der Beschwerdeführer sei mit Ausnahme vom 1. November 1987 bis 29. Dezember 1987 (für diesen Zeitraum sei gemäß § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz im Jahr 1988 eine Bestrafung in Höhe von S 600,--, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Stunden verhängt worden) durchgehend im Besitz von gültigen Sichtvermerken gewesen. Der letzte Sichtvermerk habe bis 20. Oktober 1996 gegolten. Am 6. Oktober 1986 sei er vom Landesgericht für Strafsachen wegen einer Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. b Devisengesetz zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen a S 50,--, im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt worden. Die Strafe sei auf drei Jahre bedingt ausgesprochen worden und am 10. Oktober 1986 in Rechtskraft erwachsen. Im Zeitraum von Juli 1992 bis Anfang Oktober 1992 sei der Beschwerdeführer wegen Verdachtes der gewerbsmäßigen Schleppertätigkeit beamtshandelt worden. Die belangte Behörde widmet den zum letztgenannten Punkt erfolgten Erhebungen, Mitteilungen, der Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien sowie den darauf beruhenden Vorhaltungen an den Beschwerdeführer breiten Raum. Die belangte Behörde führt des weiteren aus, daß das Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft Wien eingestellt worden sei. Aus dem Akt der Staatsanwaltschaft Wien habe sich kein Hinweis über den Grund der Verfahrenseinstellung ergeben. Die belangte Behörde habe jedoch das Aktenmaterial zur Einsicht eingeholt und komme "bei eigener Betrachtung und Wertung" zum Schluß, daß der Beschwerdeführer "im Dunstkreis der stattgehabten Schleppertätigkeit sicherlich eine Rolle gespielt" habe.

Der Beschwerdeführer sei von August 1992 bis Juni 1993 arbeitslos gemeldet gewesen, er habe einen Vorbereitungskurs für Metall-/Elektrofacharbeiter- Intensivausbildung der Arbeiterkammer Wien besucht, den er nach einiger Zeit wiederum abgebrochen habe. Für den Kursbesuch habe er eine Beihilfe aus Mitteln der Arbeitsmarktserwaltung bezogen. Von September 1993 bis 1994 sei er als Kundenbetreuer, vom 30. Mai 1994 bis 1. Juli 1994 bei der Gemeinde Wien beschäftigt gewesen. "Darüber hinaus" seien es "auch staatspolizeiliche Bedenken, deren Hintergründe der Verleihungsbehörde bekannt" seien, "die jedoch unter Bedachtnahme auf § 17 Abs. 3 AVG 1991 von der Akteneinsicht auszunehmen" seien, "welche die ablehnende Haltung der Behörde" mitbestimmten.

Dieses festgestellte Gesamtverhalten des Beschwerdeführers beurteilte die belangte Behörde in rechtlicher Sicht dahingehend, daß es kein Einbürgerungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 StbG darstelle, es sei jedoch im konkreten Fall bei der Ausübung des der Behörde eingeräumten freien Ermessens im konkreten Fall - ohne daß auf eine daraus erkennbare Gefährdung oder schädliche Gesinnung abgestellt werden müßte - nicht geeignet, daß die belangte Behörde das Ermessen positiv ausübe.

In der dagegen erhobenen Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, "daß die Behörde sich lediglich auf die von sicherheitsbehördlicher Seite vorliegenden Verdachtsmomente stützt, und - zu Recht - die einmalige Verurteilung zu einer bedingten und schließlich nachgesehenen Geldstrafe nach dem Devisengesetz im Rahmen ihrer Erwägungen nicht weiter erwähnt". Ausgehend von diesem Vorbringen wendet sich der Beschwerdeführer ausschließlich gegen die Heranziehung von "Verdachtsmomenten", die seit dem Jahr 1992 vorlägen, damals zur Erstattung einer Anzeige einer Staatsanwaltschaft geführt hätten, jedoch niemals zur Einleitung eines ordentlichen Strafverfahrens hingereicht hätten und auch niemals erhärtet worden seien, sowie gegen jene "staatspolizeilichen Bedenken", die von der Akteneinsicht auszunehmen gewesen seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Behörde hat sich bei der Ausübung des ihr in § 10 StbG eingeräumten freien Ermessens gemäß § 11 StbG von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen. Sie hat ihre Entscheidung so zu begründen, daß eine Überprüfung, ob sie von dem eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, möglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. April 1997, Zl. 95/01/0392).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde nicht festgestellt, daß die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG beim Beschwerdeführer nicht gegeben wären. Sie hat vielmehr die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers ausschließlich auf die Übung des freien Ermessens gestützt. Damit hat die Behörde stillschweigend auch die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG bejaht, daß nämlich der Beschwerdeführer nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, er sei zur Republik Österreich bejahend eingestellt und bilde keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit. Dies schließt zwar, wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Februar 1987, Zl. 87/01/0013, ausgesprochen hat, nicht aus, die festgestellte strafgerichtliche Verurteilung und die Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes als so schwerwiegend zu werten, daß die Ausübung des Ermessens zum Nachteil des Beschwerdeführers ausfällt. Jedoch verstößt die Begründung des angefochtenen Bescheides gegen die Erfordernisse des § 60 AVG 1950, wonach die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. Die belangte Behörde hat sich nämlich bei der Beurteilung der Rechtsfrage auf das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers als entscheidend für die Ermessensübung berufen und ohne Rechtsirrtum unter anderem auch getilgte, jedoch mehrere Jahre zurückliegende Verurteilungen erwähnt, doch bedarf es dazu weiterer Erwägungen über das Verhalten des Beschwerdeführers, um eine materielle Prüfung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers vornehmen zu können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verlangt schon die Feststellung des Verleihungshindernisses gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG eine materielle Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers darauf, ob er nach seinem bisherigen Verhalten für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bedenklich erscheint, wobei nicht auf formale Gesichtspunkte abzustellen ist (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 20. Oktober 1970, Slg. N.F. Nr. 7889/A, und vom 18. Mai 1988, Zl. 86/01/0182).

Die gleichen Grundsätze müssen aber auch für die Ermessensübung gemäß § 11 StbG maßgebend sein, weil nach dieser Bestimmung ausdrücklich das Gesamtverhalten der Person des Einbürgerungswerbers für die Ermessensübung bestimmend ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 1990, Zl. 89/01/0073).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde zwar das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers wiedergegeben, sie hat jedoch nicht dargetan, wie sie die darin enthaltenen Umstände beurteilt und im Rahmen einer Gesamtbeurteilung zueinander in Beziehung gesetzt hat. Sie hat somit die erforderliche Würdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers und seines gesamten bisherigen Verhaltens nicht ausdrücklich vorgenommen.

Des weiteren läßt sich aus der Bescheidbegründung nicht ersehen, aus welchen Teilen des "zur Einsicht eingeholten Aktenmaterials" die belangte Behörde zu erkennen vermeint, daß der Beschwerdeführer "im Dunstkreis der stattgehabten Schleppertätigkeit sicherlich eine Rolle gespielt" habe.

Letztlich kommt noch hinzu, daß nach der hg. Judikatur (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. Oktober 1986, Zl. 85/01/0329, und vom 4. April 1990, Zl. 89/01/0060) eine Bescheidbegründung, die lediglich staatspolizeiliche Bedenken wiedergibt, "deren Hintergründe der Verleihungsbehörde bekannt" seien, die "jedoch unter Bedachtnahme auf § 17 Abs. 3 AVG 1991 von der Akteneinsicht auszunehmen" seien, unzureichend ist. Erforderlich sind vielmehr eigene Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde betreffend diejenigen Umstände, die nach Ansicht der Behörde für die Ausübung des Ermessens wesentlich sind. Der angefochtene Bescheid enthält somit in diesem Punkt keine für die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ausreichenden Ausführungen über die Grundlagen der Entscheidung. Der im angefochtenen Bescheid enthaltene Hinweis auf die Erklärungen der Sicherheitsbehörden kann Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde, die sich auf ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren stützen, nicht ersetzen.

Da sohin Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996011224.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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