TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/29 W255 2193089-1

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Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W255 2193089-1/50E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkte II., III., IV., V. und VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2018, Zl. 1101618006-160056251/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.07.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

„Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Wegfall der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Ausreisebeschränkungen“.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1.        Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2.    Am 12.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger, Mitglied der Volksgruppe der Hazara, Muslim und in XXXX , Provinz XXXX , geboren zu sein. Seit seinem zehnten Lebensjahr bis vor ca. 20 Tagen habe er im Iran gelebt. Die Eltern sowie die Geschwister des BF würden nunmehr in der Türkei leben. Der BF habe Afghanistan gemeinsam mit seiner Familie verlassen, weil sein Vater familiäre Probleme gehabt habe. Den Iran habe die Familie schließlich verlassen, weil sie dort unterdrückt und schlecht behandelt worden sei. Aufgrund des familiären Problems könne der BF nicht nach Afghanistan zurückkehren.

1.3.    Am 28.01.2016 wurde der BF zur vorläufigen Altersfeststellung einem Handwurzelröntgen unterzogen.

1.4.    Am 08.04.2016 leistete der BF einer Ladung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.03.2016 zur multifaktoriellen Altersfeststellung keine Folge.

1.5.    Am 13.05.2016 wurde das Geburtsdatum des BF per Verfahrensanordnung mit dem vom BF in Griechenland angegebenen Datum XXXX und damit die Volljährigkeit des BF festgestellt.

1.6.    Am 05.09.2017 wurde der BF vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme wurde der BF zu seinem Geburtsdatum befragt.

1.7.    Am 22.02.2018 wurde der BF erneut vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, einvernommen. Dabei gab er an, dass er im Stadtteil XXXX in der Stadt XXXX geboren sei. Im Alter von sechs Jahren habe er Afghanistan mit seiner Familie verlassen und sei in den Iran gezogen. Er habe den Iran schließlich gemeinsam mit seiner Familie verlassen. Seine Eltern und Geschwister würden nunmehr in der Türkei leben.

Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, dass sich sein Vater in Afghanistan einst eine zweite Frau genommen habe, deren Brüder Terroristen gewesen seien. Die Brüder der Frau hätten den Vater des BF aufgefordert, für sie als Terrorist zu arbeiten. Aus diesem Grund habe sich der Vater des BF von seiner zweiten Frau wieder getrennt. Die Brüder der Frau hätten den Vater des BF deshalb bedroht und ihm gedroht, seine Kinder zu töten und zu entführen. Aus diesem Grund habe der Vater des BF entschieden, Afghanistan zu verlassen.

1.8.    Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 16.03.2018, Zl. 1101618006-160056251/BMI-BFA_STM_RD, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).

1.9. Gegen den unter Punkt 1.8. genannten Bescheid richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wurde auf die bisherigen Angaben des BF im Verfahren verwiesen und wurde ausgeführt, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung aufgrund einer ihm von Extremisten, welche schon seinen Vater verfolgt hätten, unterstellten oppositionellen Gesinnung drohe. Der BF habe glaubhaft vorgebracht, dass seine Familie aus Afghanistan fliehen habe müssen, weil sie von den Brüdern der zweiten Frau des Vaters des BF, welche einer terroristischen Gruppierung angehört hätten, verfolgt worden seien. Nachdem diese Personen bereits damals gedroht hätten, den BF zu entführen und zu ermorden, bestehe damit auch ein starkes Indiz für eine zukünftige Verfolgungsgefahr. Nachdem der BF nahezu sein gesamtes Leben im Iran bzw. in Europa verbrachte habe, würde ihm zusätzlich eine westliche Gesinnung unterstellt werden und würde ihm aus diesem Grund ebenfalls Verfolgung drohen. Zudem drohe ihm Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft. Zur Nichtgewährung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF aufgrund der derzeitigen Lage in Afghanistan seine existentiellen Grundbedürfnisse nicht sichern könnte. Er habe nie eine Schule besucht, verfüge über keine Berufserfahrung und würde daher im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine aussichtslose Lage geraten.

1.10.   Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 20.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.11.   Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 25.09.2018, Zl. W255 2193089-1/16E, das gegenständliche Beschwerdeverfahren gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 24 Abs. 2 AsylG 2005 ein; dies weil der BF mangels aufrechter Adresse im österreichischen Bundesgebiet nicht auffindbar war.

1.12.   Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.07.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari/Farsi sowie im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF an, dass er in XXXX , XXXX , geboren sei. Sein Geburtsdatum kenne er nicht. In Griechenland habe er gesagt, dass er 22 Jahre alt sei. Als er nach Österreich gekommen sei, sei er in Wahrheit aber erst 16 Jahre alt gewesen; nunmehr sei er 19 Jahre alt. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei Schiite. Er könne sich nicht an Afghanistan erinnern, aber er vermute, dass er sechs oder sieben Jahre alt gewesen sei, als er mit seiner Familie in den Iran gefahren sei. Sein Vater habe damals zwei Frauen gehabt. Die zweite Frau habe den Vater des BF bedroht, dass er mit ihrer Gruppe zusammenarbeite. Bei dieser Gruppe habe es sich um Terroristen gehandelt, die Waffen verkauft hätten. Da der Vater des BF dies nicht gewollt habe, habe er entschieden, mit seiner Familie Afghanistan zu verlassen. Der BF habe in weiterer Folge mit seinen Eltern und Geschwistern im Iran gelebt. Er habe dort keine Schule besuchen können. Der BF und seine Familie hätten den Iran schließlich gemeinsam verlassen, weil sie illegal dort gelebt hätten. In der Türkei hätten sich ihre Wege getrennt. Seit einem Jahr habe der BF keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern und Geschwistern. Nachgefragt, warum er seit einem Jahr keinen Kontakt mehr habe, gab er an, dass ihm sein Handy ins Wasser gefallen sei und er die Nummer nicht mehr finden habe können. Der BF führte weiters aus, das vier Tanten väterlicherseits und zwei Onkel väterlicherseits, sowie vier Tanten mütterlicherseits und vier Onkel mütterlicherseits im Iran leben würden.

Zu seinem Alltag in Österreich führte der BF aus, dass er Fußball spielen und schwimmen gehe. Er besuche keinen Deutschkurs und habe bisher keine Deutschprüfung bestanden.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre sein Leben in Gefahr; er hätte Angst vor den Brüdern der zweiten Frau seines Vaters. Sein Vater habe dem BF gesagt, dass ihnen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan etwas Schlimmes passieren würde.

1.13.   Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.07.2019, GZ W255 2193089-1/34, wurde die unter Punkt 1.9. genannte Beschwerde des BF als unbegründet abgewiesen. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhob der BF fristgerecht Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

1.14.   Am 10.12.2019 wurde BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgeschoben.

1.15.   Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24.02.2020, E 3451/2019-12, wurde

das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.08.2019, GZ W255 2210082-1/12E, im Hinblick auf die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan, aufgehoben. Im Übrigen – betreffend die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten – wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

1.16.   Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.04.2020 wurden dem BF aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt und dem BF die Möglichkeit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

1.17.   Mit Schreiben vom 15.05.2020 nahm der rechtsfreundliche Vertreter des BF Stellung zu den mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.04.2020 in das Verfahren eingeführten Länderfeststellungen.

1.18.   Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.05.2020 wurden dem BF aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt und dem BF die Möglichkeit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

1.19.   Mit Schreiben vom 08.06.2020 nahm der rechtsfreundliche Vertreter des BF Stellung zu den mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.05.2020 in das Verfahren eingeführten Länderfeststellungen.

2.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 08.07.2019, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1.    Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und ist am XXXX in XXXX , Provinz XXXX , geboren. Im Kindesalter hat der BF gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern Afghanistan verlassen und hat fortan mit seiner Familie im Iran gelebt.

2.1.2.    Der BF hat keine offizielle Schule besucht. Er kann Lesen und Schreiben. Der BF ist im Iran keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er hat seinen Vater, der im Iran als Automechaniker tätig war, regelmäßig zur Arbeit begleitet und dort Zeit mit ihm verbracht. Der BF hat den Iran gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern Ende des Jahres 2015 verlassen.

2.1.3.  Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari.

2.1.4.  Der BF ist gesund, ledig, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Er hat keine Kinder.

2.1.5.  Vier Tanten väterlicherseits, zwei Onkel väterlicherseits, vier Tanten mütterlicherseits und vier Onkel mütterlicherseits des BF leben im Iran. Der BF steht mit seinen im Iran lebenden Verwandten in Kontakt. Die Verwandten wären in der Lage, den BF zumindest vorübergehend vom Iran aus finanziell zu unterstützen. Die Eltern und Geschwister des BF leben nunmehr in der Türkei. Dem BF steht die Möglichkeit offen, mit seiner Kernfamilie Kontakt aufzunehmen.

2.1.6.   Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 12.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2.1.7.  Am 10.12.2019 wurde BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgeschoben.

2.2.    Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1.  Der BF besucht keinen Deutschkurs und hat seit seiner Einreise in Österreich keine Deutschprüfung abgelegt.

2.2.2.  Der BF ist bisher keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er verfügt nicht über den eigenen Lebensbedarf deckende finanzielle Mittel.

2.2.3.  Der BF hat seit seiner Einreise in Österreich zehnmal die Anordnung zur Unterkunftsnahme missachtet; er war immer wieder unerlaubt von seiner Unterkunft abwesend, ohne Meldung und nicht auffindbar. Der BF hat während seines Aufenthaltes in Österreich – abgesehen von den Zeiten, in denen er in Haft oder unauffindbar war – durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung bezogen.

2.2.4.  Der BF verfügt über keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keinen österreichischen Freundeskreis. Er verfügt über keine sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.5. Der BF wurde am XXXX zu Zl. XXXX vom Landesgericht für Strafsachen XXXX wegen §§ 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG, § 27 (1) Z 1 2. Fall SMG, § 27 (2a) 2. Fall SMG zu einer Freiheitstrafe von sechs Monaten, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, rechtkräftig verurteilt.

Der BF wurde am XXXX zu Zl. XXXX vom Landesgericht für Strafsachen XXXX wegen § 27 (2a) 2. Fall SMG § 15 StGB, §§ 27 (1) Z 1 2. Fall. 27 (2) SMG zu einer Freiheitstrafe von neun Monaten, davon acht Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, rechtkräftig verurteilt.

2.3.    Zu einer Rückkehr des BF nach Afghanistan:

2.3.1.  Im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX würde dem BF ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

2.3.2.  Der BF wäre im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.3.3.  Der BF ist gesund, volljährig, anpassungsfähig, mobil, arbeitsfähig und hat keine Kinder. Er hat keine Schule besucht und auch nicht gearbeitet. Er wurde in XXXX geboren, verließ Afghanistan im Kindesalter gemeinsam mit seiner Kernfamilie und hat in weiterer Folge mit seinen Eltern und Geschwistern gemeinsam im Iran gelebt. Der BF wuchs sohin in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Angesichts seiner Sprachkenntnisse und seiner Arbeitsfähigkeit könnte er sich in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in der Stadt Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF steht mit seinen im Iran lebenden Tanten und Onkeln in Kontakt. In einer Gesamtbetrachtung ist Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, eine vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.3.4.  Im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.4.1.  Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 18.05.2020:

1.       COVID-19:

1.1.    COVID-19 allgemein:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

1.2.    COVID-19 in Afghanistan:

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

2.1.    Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

2.2.    Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

2.3.    High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

3.       Sicherheitslage in der Provinz Kandahar

Die Provinz Kandahar liegt im Süden Afghanistans und grenzt im Norden an Uruzgan und Zabul, im Westen an Helmand (UNOCHA 4.2014) und im gesamten Süden und Osten teilt sich Kandahar eine lange Grenze mit Pakistan (AAN 12.8.2019; vgl. UNOCHA 4.2014). Kandahar ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Arghandab, Arghistan, Daman, Ghorak, die Provinzhauptstadt Kandahar, Khakrez, Maruf, Maiwand, Miyanishin, Nesh, Panjwayee, Reg (Shiga), Shah Wali Kot, Shorabak, Spin Boldak und Zhire (CSO 2019; vgl. IEC 2018) sowie die „temporären“ Distrikte Dand und Takhta Pul (CSO 2019; vgl. IEC 2018; AAN 16.8.2018). Temporäre Distrikte sind Verwaltungseinheiten, die nach Inkrafttreten der Verfassung 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber noch nicht vom Parlament beschlossen wurden (AAN 16.8.2018).

Nach Schätzungen der afghanischen zentralen Statistikorganisation (CSO) beträgt die Bevölkerung von Kandahar für den Zeitraum 2019-20 1.368.036, davon 614.254 Personen in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Paschtunen sind die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe Kandahars. Zudem gibt es kleinere Gruppen von Belutschen, Hazara und Tadschiken sowie anderen Ethnien, die normalerweise als Farsiwan, d.h. Farsi/Dari-Sprecher bezeichnet werden (AAN 12.8.2019; vgl. NPS o.D.).

Die Ring Road verbindet die Provinzhauptstadt Kandahar mit den großen Ballungszentren Herat und Kabul. Eine nordwärts führende Straße in Richtung Uruzgan teilt sich in Kandahar-Stadt. Auf dem Weg nach Süden verbindet eine Straße die Stadt Kandahar mit dem afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Spin Boldak-Chaman (iMMAP 19.9.2017; vgl. TD 5.12.2017), einem der bedeutsamsten Grenzübergänge Afghanistans (AAN 12.8.2019). Spin Boldak und Chaman sollen wichtige Schmugglerzentren sein (AAN 12.8.2019). In der Vergangenheit wurde von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf der Autobahn zwischen Sheberghan und Mazar-e Sharif berichtet. Reisende gerieten demnach ins Kreuzfeuer, als Sicherheitskräfte und Taliban-Aufständische auf der Autobahn in den Distrikten Aqchah in Jawzjan und Char Buluk in Balkh zusammenstießen (PAJ 18.11.2018). In Kandahar-Stadt gibt es einen Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Im Jahr 2016 wurde das Pipeline-Projekt Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien (TAPI) eingeweiht (TN 24.2.2018), das darauf abzielt, Gas von Turkmenistan nach Indien zu transportieren (TN 17.6.2019; vgl. MENAFN 13.4.2019; TN 24.2.2018). Die Pipeline soll durch Afghanistan entlang der Ring Road von Herat nach Kandahar führen (TN 24.2.2018) und auch Afghanistan mit turkmenischem Gas versorgen. Zudem wurde von der afghanischen und turkmenischen Regierung unter anderem eine Absichtserklärung zu Stromlieferungen an Afghanistan unterzeichnet. Neben Herat und Farah soll dabei auch in Kandahar ein Umspannwerk entstehen (TN 17.6.2019; vgl. MENAFN 13.4.2019).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Kandahar nach dem benachbarten Helmand im Jahr 2018 das zweitgrößte Schlafmohnanbaugebiet Afghanistans. Im Vergleich zu 2017 ist die Größe der Anbaufläche in Kandahar 2018 um 16% gesunken. Die wichtigsten Anbaugebiete von Schlafmohn sind Berichten zufolge die Distrikte Maiwand, Zhire, Nesh, Spin Boldak und Panjwayee (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Kandahar ist angeblich der „Geburtsort“ der Taliban und hat daher symbolische Bedeutung für die Gruppe (ISW o.D.; vgl. AAN 12.8.2019; EC 18.5.2019). Während der Talibanherrschaft 1996-2001 lag der Sitz der Taliban in Kandahar (AAN 12.8.2019; vgl. AJ 18.7.2019) und nach ihrem Sturz im Jahr 2001 war Kandahar jener Ort, in dem sich die Taliban neu gruppierten und begannen, die NATO-Truppen zu bekämpfen (EC 18.5.2019; vgl. AJ 18.7.2019). Darüber hinaus kommt Kandahar aufgrund seiner geographischen Lage an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan, die als sicherer Hafen der Taliban gilt und als wichtiges Rekrutierungszentrum dient sowie der Rolle des Schlafmohnanbaus in der Provinz strategische Bedeutung zu (LWJ 19.10.2017; vgl. REU 22.5.2018).

Der einflussreiche Polizeichef General Abdul Razeq, der die Taliban ab 2011 aus Kandahar-Stadt sowie Zentral- und Westkandahar vertrieben und für relative Stabilität im Süden Afghanistans gesorgt hat, wurde im Oktober 2018 ermordet (AAN 12.8.2019). Die Parlamentswahl, die kurze Zeit später stattfinden hätte sollen, wurde in Kandahar daher um eine Woche verschoben (AAN 26.10.2018; vgl. UNGASC 28.2.2019). Befürchtungen, dass das von Razeq errichtete Sicherheitsregime nach seinem Tod zugunsten der Taliban zusammenbrechen würde, bewahrheiteten sich bislang nicht – jedoch soll es zu vermehrten Kämpfen gekommen sein (AAN 12.8.2019). Unter Razeqs Nachfolger (und Bruder) Tadin Khan kontrollieren die Regierungskräfte mit Stand August 2019 Zentralkandahar, während die Taliban in entlegeneren Distrikten Zugewinne gemacht haben (AAN 14.8.2019).

Führer und Mentoren von Al-Qaida sind unter anderem in Kandahar aktiv, wobei ihre Gesamtanzahl in Afghanistan auf rund 240 Personen geschätzt wird, wovon sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul aufhalten (UNSC 13.6.2019).

Aufseiten der Regierungskräfte untersteht Kandahar der Verantwortung des 205. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. NATO 16.7.2018) das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 467 zivile Opfer (121 Tote und 346 Verletzte) in der Provinz Kandahar. Dies entspricht einem Rückgang von 13% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Selbstmordangriffen und Suchoperationen (UNAMA 2.2020).

Die Sicherheitslage in der Provinz Kandahar hat sich, Informationen im August 2019 zufolge, in den letzten Monaten verschlechtert (KP 17.8.2019; vgl. AAN 12.8.2019). Die Taliban sind in manchen Distrikten aktiv und führten oft terroristische Aktivitäten durch, während die Regierungskräfte regelmäßig Operationen gegen die bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen vornehmen (KP 17.8.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte führen mit Unterstützung ausländischer Streitkräfte 2018 und 2019 regelmäßig Operationen in Kandahar durch (z.B. KP 17.6.2019; vgl. BAMF 17.6.2019; KP 6.7.2019; KP 20.5.2019; KP 28.1.2019; KP 22.1.2019; PAJ 19.1.2019; PAJ 4.1.2019; RFE/RL 5.10.2018). Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen der Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften (KP 18.7.2019; vgl. KP 16.6.2019, PAJ 5.1.2019) sowie Angriffe auf Kontrollposten der afghanischen Sicherheitskräfte (RFE/RL 9.4.2019; PAJ 30.3.2019, AN 2.1.2019, ARN 17.7.2018).

4.       Sicherheitslage in der Provinz Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

4.1.    Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

4.2.    Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (UNAMA 2.2020).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

5.       Erreichbarkeit

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 5.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TN 18.6.2018; SIGAR 15.7.2018, TET 13.12.2018, TD 26.1.2018, TD 8.1.2019, TN 25.5.2019, CWO 26.8.2019).

Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Autobahnen im ganzen Land – vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und Unachtsamkeit (KT 17.2.2017; vgl. GIZ 7.2019, IWPR 26.3.2018). Die Präsenz von Aufständischen, Zusammenstöße zwischen diesen und den afghanischen Sicherheitskräften, sowie die Gefahr von Straßenraub und Entführungen entlang einiger Straßenabschnitte beeinflussen die Sicherheit auf den afghanischen Straßen. Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kabul-Kandahar (TN 15.8.2018; vgl. ST 24.4.2019), Herat-Kandahar (PAJ News 5.1.2019), Kunduz-Takhhar (KP 20.8.2018; vgl. CBS News 20.8.2019) und Ghazni-Paktika (AAN 30.12.2019).

Flugverbindungen

Internationale Flughäfen in Afghanistan

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul – Herat und Kabul – Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen (TN 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.).

Folgende internationale Airlines fliegen nach Kabul: Turkish Airlines aus Istanbul, Silk Way Airlines aus Baku, Emirates und Flydubai aus Dubai, Air Arabia aus Sharjah, Mahan Air aus Teheran und Emirates aus Hong Kong (Flightradar 24 4.11.2019).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Kabul international aus Istanbul, Ankara, Medina, Dubai, Urumqi, Dushambe an (Flightradar 24 4.11.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Farah, Herat, Mazar-e Sharif, Maimana, Bamian, Faizabad, Chighcheran und Tarinkot (Flightradar 24 4.11.2019).

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (PAJ 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif: Turkish Airlines aus Istanbul (Flightradar 4.11.10.2019).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Mazar-e Sharif international aus Moskau, Jeddah und Medina an (Flightradar 4.11.10.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (Flightradar 4.11.10.2019).

6.       Folter und unmenschliche Behandlung durch den afghanischen Staat

Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004). Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) (UNAMA 4.2019). Wenngleich Afghanistan die UN-Konvention gegen Folter ratifiziert hat, Gesetze zur Kriminalisierung von Folter erlassen hat und eine Regierungskommission zur Folter einsetzte, hat die Folter seit Regierungsantritt im Jahr 2014 nicht wesentlich abgenommen – auch werden keine hochrangigen Beamten, denen Folter vorgeworfen wird, strafrechtlich verfolgt (HRW 17.1.2019).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten. Berichten von NGOs zufolge, wenden die Sicherheitskräfte auch weiterhin übermäßige Gewalt an; dazu zählen unter anderem auch Folter und Misshandlung von Zivilisten (USDOS 11.3.2020). Obwohl es Fortschritte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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