Entscheidungsdatum
06.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W105 2211717-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BENDA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.11.2019, Zl: 1106747703/191056375/BMI-EAST_WEST, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., V., VI. und VIII. wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes VII. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben, als das Einreiseverbot auf 1 Jahr herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste spätestens am 26.02.2016 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag seinen 1. Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, zu welchem er am folgenden Tag von der Landespolizeidirektion Burgenland erstbefragt wurde. Nach der Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 08.06.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Außenstelle XXXX , im Beisein eines für den BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache Somali niederschriftlich einvernommen.
2. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, dass Somalia nicht sicher sei. Al Shabaab würde das Land nicht sicher machen und wolle junge Männer rekrutieren. Daher habe er das Land verlassen. Sonst habe er keine Fluchtgründe.
3. Der BF wurde in der Folge am 08.06.2018 und am 13.11.2018 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen, wobei er zu seinen Fluchtgründen im Rahmen der zweiten Einvernahme angab, dass es mehrere Gründe für seine Ausreise gebe. Es wäre die Ungerechtigkeit gewesen, dass Leute zu Unrecht inhaftiert und beschuldigt würden für etwas, dass sie nicht gemacht hätten oder dass man gezwungen würde, etwas zu tun, z. B. eine Zwangsrekrutierung. Die Probleme bestünden immer noch. Nach Vorhalt, dass hier der persönliche Bezug fehle, gab er an, dass er bedroht worden sei und ihm seine Rechte genommen worden wären. Er sei in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden, mitgenommen und verhört worden. Manchmal würde einer geschlagen, obwohl er krank sei, weil er verdächtigt würde, das sei ihm auch passiert. Anfang Jänner 2014 habe er in einem Dorf eine Schule eröffnen wollen. Al Shabaab habe das nicht zugelassen und wären sie dagegen gewesen. Sie hätten ihn geschlagen und ihm die Augen verbunden. Er sei gegen eine Bürgschaft freigelassen worden. Als sie im Jahr 2015 von seiner Ausreise erfahren hätten, hätten sie ihn telefonisch bedroht und hätten sie ihm gesagt, dass er mit ihnen zusammenarbeiten solle. Das sei sein Fluchtgrund.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 23.11.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt III., IV., V) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der BF in Somalia einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliegen würde. Es habe eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne des GFK in keinster Weise glaubhaft machen können. Auch sei eine ethnische Verfolgung nicht feststellbar. Es konnte insgesamt keine GFK-relevante Verfolgung des BF festgestellt werden, noch drohe dem BF bei Rückkehr eine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Die von ihm vorgebrachten Gründe für das Verlassen Somalias seien nicht glaubhaft.
5. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde sodann mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2019, Zl. W234 2211717-1/11E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs am selben Tag in Rechtskraft.
6. Der BF verließ in der Folge zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt das österreichische Bundesgebiet und reiste nach Deutschland weiter, von wo aus er sodann am 16.10.2019 nach Österreich rücküberstellt wurde.
7. Am 16.10.2019 stellte der BF sodann seinen nunmehr 2. Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am folgenden Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.
Im Rahmen der Erstbefragung gab er auf die Frage, warum er neuerlich einen Asylantrag stelle, an, dass er bereits in Österreich einen Asylantrag gestellt habe und alle seine Fluchtgründe angegeben habe. Er halte seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht. Nach Ablehnung seines Asylantrages habe er Österreich verlassen und wäre er nach Deutschland weitergereist. In Deutschland habe er in Bayern einen Asylantrag gestellt. Dieser sei abgelehnt worden. Es sei ihm erklärt worden, dass Österreich für sein Asylverfahren zuständig sei. Er habe eine Hautkrankheit und leide an starken Schmerzen an Händen, der Lippe und den Füßen. Österreich habe nichts für ihn gemacht. Er habe in Österreich keine medizinische Behandlung bekommen. In Deutschland sei es ihm gutgegangen, dort habe er eine medizinische Behandlung bekommen. Er habe dort Medikamente bekommen und sei es ihm nach Einnahme der Medikamente bessergegangen. Er leide nun an einer psychischen Erkrankung, konkret an einer schweren Depression.
Befragt, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte, gab er an, dass er im Falle einer Rückkehr nach Somalia befürchte, dass er getötet würde oder an mangelnder medizinischer Behandlung sterbe.
Die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe drohe oder er mit Sanktionen zu rechnen hätte, verneinte er.
8. Am 24.10.2019 wurde der BF vor dem BFA einvernommen. Hierbei gab er auf die Frage nach den Gründen für seine neuerliche Asylantragstellung an, dass er knapp vier Jahre in Österreich gewesen sei. In dieser Zeit habe er weder Asyl bekommen, noch gesundheitliche Fortschritte gemacht. Er habe auch zwei negative Entscheidungen bekommen. Da er dann die Grundversorgung und keine Hilfe mehr bekommen habe, habe er sich entschlossen, nach Deutschland weiterzureisen, wo er einen Asylantrag gestellt und auch Unterkunft bekommen habe sowie medizinisch versorgt worden sei. Dann habe ihn Österreich zurückgeholt. Es gehe ihm derzeit psychisch auch nicht gut. Außerdem verschlechtere sich der Zustand seiner Haut. Man verlange immer Papiere, wenn er zum Arzt gehen wolle.
Befragt, ob sich bezüglich seiner Ausreisegründe etwas geändert habe, gab er an, dass die Probleme, die er im ersten Verfahren geschildert habe, immer noch bestehen würden. Zusätzlich habe er diese gesundheitlichen Probleme, die in Somalia nicht behandelbar seien. Nachdem die Probleme mit seiner Haut nicht besser geworden seien, habe er auch psychische Probleme bekommen, er sei sogar kurz davor gewesen, sich etwas anzutun.
9. Mit dem oben angeführten Bescheid vom 04.11.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 16.10.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Ab. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 FPG wurde jeweils nur gegen den BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) Weiters wurde dem BF gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, ab 17.10.2019 in einem namentlich genannten Quartier Unterkunft zu nehmen Spruchpunkt (VIII.).
Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass sich aus den Feststellungen und der Beweiswürdigung ergebe, dass der BF keinen neuen Sachverhalt glaubwürdig vorgebracht habe. Es hätte daher im Vergleich zu den Feststellungen des Erstverfahrens kein neuer Sachverhalt festgestellt werden können. Es könne ausgeschlossen werden, dass ihm im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen werde. Es seien sowohl die Grundversorgung als auch die medizinische Versorgung in Somalia gewährleistet. Sonstige Abschiebungshindernisse wie etwa das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung habe der BF nicht behauptet und würden keine Anhaltspunkte dafür vorliegen. Bezüglich seiner Angaben, dass er Probleme mit der Haut und „psychische Probleme“ hätte, werde angeführt, dass aus der Aktenlage nicht ersichtlich sei, dass diese Probleme von lebensbedrohlichem Charakter seien und wäre nicht erkennbar, dass eine dringend notwendige Operation etwa unmittelbar bevorstünde. Er wäre ein arbeitsfähiger und voll handlungsfähiger junger Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es bestünden keine anderen Hinweise darauf, die die Abschiebung unzulässig machen würden. In Somalia bestünde nicht eine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung ausgesetzt wäre. Dass er nicht in der Lage sei, die Mittel für seinen Unterhalt nachzuweisen, ergebe sich aus dem Akteninhalt und dem Umstand, dass er seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich aus staatlichen Unterstützungsleistungen bestreiten würde bzw. bestritten habe.
10. Mit Schriftsatz vom 13.11.2019 erhob der BF durch seinen Rechtsberater Beschwerde gegen den Bescheid vom 04.11.2019 in vollem Umfang. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei und das Verfahren deshalb mit einem schwerwiegenden Mangel belastet sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Erkrankung des BF in Somalia nicht behandelbar sei. Obwohl Al Shabaab 2011 aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu vertrieben worden sei, werde Mogadischu immer wieder von Anschlägen und Explosionen erschüttert, da Al Shabaab rund um die Stadt über eine starke Präsenz verfüge. Im Bericht der US Agency for International Development zu Somalia vom 20.03.2019 werde festgehalten, dass anhaltende Ernährungsunsicherheit, weit verbreitete Gewalt und wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen den komplexen Notfall Somalia kennzeichnen würden. Da sich die Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia monatlich ändere, es Anzeichen für eine neue Dürre gebe und der BF gesundheitliche Probleme vorgebracht habe, die noch nicht geklärt seien, liege keine entschiedene Sache vor. In Bezug auf das verhängte Einreiseverbot sei auszuführen, dass der BF keinerlei Verurteilungen habe und von ihm keine Gefährdung ausgehe, sodass die erlassene Dauer von 2 Jahren keineswegs verhältnismäßig wäre.
11. Mit Verfügung vom 15.11.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 18.11.2019, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführer und seinen Fluchtgründen:
Der BF ist Staatsangehöriger von Somalia, stammt aus Mogadischu und gehört dem Clan der Hawiye, dessen Sub-Clan Gugugundhabe, dessen Sub-Sub-Clan Jajelle, dessen Sub-Sub-Sub-Clan Faranjecle, dessen Sub-Sub-Sub-Sub-Clan Sabdi und dessen Sub-Sub-Sub-Sub-Sub-Clan Xaramage sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er reiste am 26.02.2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am selben Tag seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Dieser erste Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2019, Zl. W234 2211717-1/11E abgewiesen und erwuchs dieses Erkenntnis am 10.07.2019 in Rechtskraft.
Am 16.10.2019 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab er an, dass er bereits all seine Fluchtgründe angegeben habe und seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht halte. Im Falle einer Rückkehr nach Somalia befürchte er, dass er getötet würde oder an mangelnder medizinischer Versorgung sterbe.
Der gegenständliche Antrag wurde in der Folge mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 04.11.2019 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
Festgestellt wird, dass der BF seit der Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun konnte. Er bezieht sich in seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz auf die Fluchtgründe, die er bereits im ersten, rechtskräftig negativ entschiedenen Asylverfahren geltend gemacht hat. So hat der BF ausdrücklich angegeben, dass die Probleme, die er im ersten Verfahren geschildert habe, immer noch bestünden (Aktenseite 33 u. 63). Soweit der BF vorbringt, dass er eine Hautkrankheit sowie psychische Probleme, konkret eine Depression habe, wurden auch diese Umstände bereits im Erstverfahren berücksichtigt und stellen diese daher keine Sachverhaltsänderung dar. Hinweise dafür, dass sich seine gesundheitlichen Probleme seit dem ersten rechtskräftig negativ entschiedenen Asylverfahren relevant verschlechtert hätten, sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und hat der BF auch keine diesbezüglichen ärztlichen Befunde in Vorlage gebracht.
Der BF hat in XXXX für 3 Jahre die Grundschule besucht. Er war von 2012 bis 2015 als Lehrer für das Fach Englisch tätig. Die Eltern des BF leben getrennt. Der Vater des BF lebt in XXXX . Die Mutter des BF betreibt mit Unterstützung seiner beiden Schwestern ein Teelokal in XXXX . Der BF lebte bis zu seiner Ausreise mit seiner Mutter und seinen Schwestern in XXXX . Der BF steht mit seiner Mutter in telefonischem Kontakt. Ein Onkel und eine Tante des BF sind in der Nähe von XXXX aufhältig.
Er ist ledig, alleinstehend und hat keine Kinder.
Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat in Österreich keine nennenswerten Kontakte zu Einheimischen. Der BF hat Deutschkurse auf dem Niveau A1 besucht. Er ist strafrechtlich unbescholten. Er hat überdies freiwillige Hilfsarbeit in seiner Wohnsitzgemeinde sowie Küchendienst in seiner Unterkunft verrichtet.
Es kann nicht festgestellt werden, dass beim BF eine lebensbedrohliche Erkrankung (im Endstadium) besteht. Der BF leidet seit über 10 Jahren an einer Hauterkrankung, konkret an verschiedenen Formen der Psoriasis sowie Caro luxurians an der Großzehe rechts. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF bezüglich dieser Erkrankungen aktuell in Behandlung steht. Der BF litt überdies an einer Depression, die medikamentös behandelt wurde. Auch im Hinblick auf diese Erkrankung kann nicht festgestellt werden, dass der BF diesbezüglich in ärztlicher Behandlung steht bzw. sich sein Leidenszustand gegenüber dem Vorverfahren aggraviert hätte.
Der BF ist – von schwerer körperlicher Arbeit abgesehen - arbeitsfähig.
Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach dem BF in Somalia aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Somalia die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat wäre es dem BF möglich, sich in Mogadischu eine Existenz aufzubauen. Seine Existenz könnte der BF dort – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Hinzu kommt, dass in Somalia noch die Eltern sowie Geschwister wie auch ein Onkel und eine Tante leben, die ihn zumindest in der Anfangsphase unterstützen könnten. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr nach Mogadischu ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Mogadischu Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:
Diesbezüglich verweist das BVwG auf die Feststellungen der belangten Behörde im verfahrensgegenständlich Bescheid (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.09.2019).
Politische Lage
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. ClanStrukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).
Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).
Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
Benadir / Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).
Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).
Sprengstoffanschläge: Im September und Oktober 2018 ging die Anzahl an Anschlägen vorübergehend zurück; dahingegen nahm in diesem Zeitraum die allgemeine Kriminalität zu (UNSC 21.12.2018, S.3f). Danach hat die Zahl an größeren Anschlägen in und um Mogadischu zugenommen (UNSC 15.8.2019, Abs.16). Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber zu gezielten Tötungen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Offizielle, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und –Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Betroffen sind Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden (BS 2018, S.9; UNSC 15.5.2019, Abs.12). Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg der Aktivitäten, fast täglich war ein Anschlag mit einem improvisierten Sprengsatz zu verzeichnen (UNSC 15.5.2019, Abs.12). Vereinzelt kommt es zu großangelegten komplexen Angriffen durch al Shabaab, so etwa am 9.11.2018 auf das Sahafi Hotel (50 Tote, darunter sieben Angreifer) (UNSC 21.12.2018, S.3f). Bei einem Selbstmordanschlag im Juli 2019 kamen u.a. der Bürgermeister von Mogadischu und drei District Commissioners ums Leben (Mohamed 17.8.2019; vgl. AJ 25.7.2019).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21).
Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017, S.35).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 3.9.2019). Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24). Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (BMLV 3.9.2019).
Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.25f).
2018 waren die Bezirke Dayniile, Dharkenley, Hawl Wadaag und Hodan, in geringerem Ausmaß die Bezirke Heliwaa und Yaqshiid von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2018 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile, Heliwaa, Waaberi und Yaqshiid von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).
Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) hat in Mogadischu Anschläge und Attentate verübt, die eigene Präsenz ausgebaut (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Vorfälle: In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 217 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 186 dieser 217 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 207 derartige Vorfälle (davon 177 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):
Vorfälle (mit Todesopfern) - gesamt
BENADIR/MOGADISCHU
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Anzahl Vorfälle / Opferzahl (1/>1)
1
>1
1
>1
1
>1
1
>1
1
>1
1
>1
Boondheere
-
-
7
2
-
1
5
3
3
2
8
2
Cabdulcasiis
-
-
1
1
2
-
1
6
1
-
4
-
Dayniile
20
15
13
2
8
3
9
3
25
11
29
23
Dharkenley
20
4
19
4
25
5
25
7
41
6
43
7
Hawl Wadaag
35
18
19
6
26
4
9
4
15
5
52
20