TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/7 W105 2207561-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.07.2020
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Entscheidungsdatum

07.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W105 2152789-1/43E

W105 2152987-1/33E

W105 2152985-1/29E

W105 2207561-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , XXXX geb., 2.) XXXX , XXXX geb., 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , 4.) mj. XXXX , XXXX geb., StA: Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 20.03.2017 bzw. 21.03.2017 bzw. 27.09.2018, Zahlen: 1.) 109138310-151891801/BMI-BFA_NOE_RD, 2.) 1124064605-161038103/BMI-BFA_NOE_RD, 3.) 1124064409-161038111/ BMI-BFA_NOE_RD und 4.) 1188907801-180399862/ BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.11.2018, zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben und 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) mj. XXXX und 4.) mj. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) mj. XXXX und 4.) mj. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, beide Staatsangehörige von Afghanistan, sind verheiratet und die Eltern der weiteren Beschwerdeführer. Der Erstbeschwerde beantragte am 28.11.2015, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerinnen am 26.07.2016 die Gewährung internationalen Schutzes; für die am XXXX im Bundesgebiet geborene Viertbeschwerdeführerin, die am 25.04.2018 ihr Antrag auf internationale Schutzgewährung eingebracht.

2. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 29.11.2015 gab der Erstbeschwerdeführer zentral zu Protokoll am 19.02.1993 in Paktia/Afghanistan geboren zu sein, sowie sei er Angehöriger der Volksgruppe der Sadat und schiitischen Glaubens. Er habe zwölf Jahre die Grundschule besucht, sowie eine EDV-Ausbildung und einen Englisch-Kurs genossen. Die Eltern, sowie seine Ehefrau und eine Tochter, sowie weitere Schwestern würden sich nach wie vor in Afghanistan aufhalten. Zwei Brüder seien in Deutschland und einer in Schweden wohnhaft. Zu seinen Ausreisegründen gab der Antragsteller wörtlich zu Protokoll: „Mein Vater hat am Stützpunkt der Amerikaner in XXXX gearbeitet. Er arbeitete von 2009 bis 2013 dort. Im Jahr 2013 wurde auf ihn, als er im Auto saß, ein Anschlag verübt. Durch diesen Anschlag, der durch die Taliban ausgelöst wurde, wurden wir bekannt – alle wussten danach, dass mein Vater für die Amerikaner tätig war. Wir wurden bedroht. Meine Brüder mussten schon fliehen. Ich wurde auch bedroht und hatte Angst um mein Leben. Deshalb musste ich aus meinem Heimatland fliehen. Sonst habe ich keine Fluchtgründe.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2017 bekräftigte der Erstbeschwerdeführer im Distrikt XXXX , in der Provinz Paktia geboren zu sein. Er sei gesund und stehe nicht in ärztlicher Behandlung. Im Weiteren bestätigte er seine bisherigen Angaben zu seiner Schulbildung. Weiterhin gab der Antragsteller an, er habe selbst nicht arbeiten müssen, da sein Vater auf dem Stützpunkt in Logar gearbeitet habe und sei es ihnen finanziell gut gegangen. Mittlerweile seien seine Eltern und vier Schwestern in Österreich, zwei Brüder seien in Deutschland und hätten einen positiven Bescheid bekommen, sowie ein weiterer Bruder sei in Schweden aufhältig. Auf Befragen gab der Antragsteller namentlich einen Onkel bekannt, der sich nach wie vor im Herkunftsstaat aufhalte. Ein weiterer Schwager sei in Österreich aufhältig. Zu seinen Ausreisemotiven gab der Antragsteller im folgenden Detail an, wie folgt:

„LA: Warum sind die Brüder ausgereist?

VP: Wir wurden bedroht. Es war schwierig, in unserer Provinz zu leben. Wir haben meine Brüder nach Kabul geschickt und von dort sind sie ausgereist.

LA: Wie wurden Sie bedroht?

VP: Weil mein Vater mit den Amerikanern gearbeitet hat. Ende 2014, haben sich die Amerikaner zurückgezogen und die Taliban haben sich verbreitet. Es wurde schwieriger.

Frage wird wiederholt.

VP: Mein Vater hat am Stützpunkt gearbeitet. 2011 wurde er erstmals brieflich bedroht. Er hat diese Bedrohung nicht ernst genommen.

LA: Wegen eines Briefes im Jahr 2011 sind Sie im Jahr 2015 ausgereist?

VP: 2011 wurden wir bedroht, diese Bedrohung hat mein Vater nicht ernst genommen. Mein Vater hat am Stützpunkt gearbeitet. Am 30.11.2012 hat er vom Stützpunkt in XXXX Waren transportiert. Er war in Richtung Paktia unterwegs. In der Region XXXX wurde er angegriffen. Er war zu diesem Zeitpunkt mit einer Eskorte unterwegs. Der Fahrer des ersten Fahrzeuges, es war ein Mazda, wurde getötet. Die Eskorte ist geflüchtet. Auf das Fahrzeug meines Vaters wurde geschossen. Sein Reifen wurde getroffen, deshalb konnte er nicht weiterfahren. Mit meinem Vater waren noch weitere zwei Fahrer unterwegs. Diese beiden sind dann zu einer Polizeistation geflüchtet. Die Polizeistation war etwa 100m entfernt. Auch mein Vater ist dorthin geflüchtet und konnte sich retten, obwohl mehrmals auf ihn geschossen wurde.

LA: Wer hat auf Ihren Vater geschossen?

VP: Die Taliban.

LA: Woher wissen Sie das?

VP: Von den Erzählungen meines Vaters.

LA: Woher weiß Ihr Vater, dass das Taliban waren?

VP: Die Taliban haben sich dort versteckt und auf den Konvoi gewartet.

LA: Wie konnte Ihr Vater flüchten, wenn sein Auto einen kaputten Reifen hatte?

VP: Die Taliban haben zuerst den Mazda beschossen, dann den LKW meines Vaters. Mein Vater ist aus dem LKW gesprungen und ist zum Polizeistützpunkt gelaufen. Glücklicherweise konnte er sich retten.

LA: Wo und wann genau war das?

VP: Im Jahr 2012 in der Region XXXX .

LA: Wie weit von Ihrem Heimatort liegt das entfernt?

VP: Das ist in der Provinz Paktia, das ist eine Nachbarprovinz von Paktia. Ich selbst war noch nie in Paktia.

Frage wird wiederholt.

VP: Das weiß ich nicht. Dort war ich nicht, ich war nur in Kabul. Ich weiß, dass Kabul 120km von Gardez entfernt ist.

LA: Haben Sie Freunde in Kabul?

VP: Ich war gelegentlich in Kabul…

Frage wird wiederholt.

VP: Ich habe keine Freunde.

LA: Auf den Fotos, die Sie vorgelegt haben, sieht man da den LKW Ihres Vaters vor und nach dem Ausbrennen?

VP: Ja.

LA: Ist der rote LKW der, der danach ausgebrannt ist?

VP: Ja.

LA: Und der weiße LKW ist der andere LKW Ihres Vaters?

VP: Ja.

VP legt eine Kopie einer Tazkira seines Vaters vor. Er wird aufgefordert, die Tazkira des Vaters, der sich in Gmünd in Österreich befindet, nachzubringen innerhalb einer Woche.

VP: Am 16.02. kommt jemand von der DIAKONIE und ich werde sie ihnen nachschicken.

LA: Womit beschäftigen Sie sich in Österreich? Mit wem haben Sie Kontakt?

VP: Mit XXXX . Ich mache einen Deutschkurs, dreimal pro Woche.

LA: Wovon leben Sie jetzt?

VP: Vom Staat. Alle fünf Tage bekommen wir von XXXX 30 Euro. Wir sind insgesamt sieben Personen.

LA: Wie lange haben Sie an der genannten Adresse im Herkunftsland gelebt?

VP: Ich wurde dort geboren und lebte bis Ende 2014 dort.

LA: Haben Sie an dieser Adresse auch die letzten Tage vor der Ausreise verbracht?

VP: Ja.

LA: War Ihre Flucht schlepperunterstützt?

VP: Ja.

LA: Wie hoch waren die Kosten?

VP: 5000 USD.

LA: Woher hatten Sie das Geld?

VP: Von meinem Vater.

LA: Woher hatte dieser das Geld?

VP: Mein Vater hat für die Amerikaner gearbeitet und hat 2000 USD im Monat verdient.

LA: Hat Ihr Vater seine Autos verkauft, um die Flucht zu finanzieren?

VP: Als wir ausgereist sind, hatte er noch seine Autos, er hat von seinen Ersparnissen die Kosten für die Reise bezahlt.

LA: Was hat Ihr Zwillingsbruder beruflich gemacht?

VP: Er hat nicht gearbeitet.

LA: Haben Sie jemals selbst Geld verdient?

VP: Nein.

Fragen zur Flucht:

LA: Aus welchen Gründen verließen Sie das Heimatland? Bitte antworten Sie detailliert!

VP: Sechs Jahre hat mein Vater am Stützpunkt in Logar gearbeitet. 2011 wurde mein Vater brieflich bedroht.

LA: Können Sie mir den Brief vorlegen?

VP: Mein Vater hat diesen Brief zerrissen.

LA: Was geschah dann?

VP: Am 30.11.2012 war mein Vater vom Stützpunkt in Logar in Richtung Paktika unterwegs. Er hatte Waren geladen, in der Region XXXX wurden sie von den Taliban angegriffen.

VP wird darauf hingewiesen, dass er sich nicht ständig wiederholen soll.

VP: Nach dem Angriff ist mein Vater zu einem Polizeistützpunkt, der 100 Meter entfernt war, gelaufen. Die Taliban haben das Auto meines Vaters angezündet und die zwei anderen Fahrzeuge mitgenommen. Dann ist die Nationalarmee eingetroffen und die Taliban sind geflüchtet. Mein Vater blieb eine Nacht im Distrikt XXXX und ist am nächsten Tag zu der Sicherheitskommandantur nach Ghazni gefahren. Dort hat mein Vater dem Kommandanten berichtet, was passiert ist.

LA: Wie konnten Ihr Vater und die zwei Männer entkommen zu einer 100 Meter entfernten Polizeistation, wenn Sie währenddessen beschossen wurden?

VP: Die Polizeistation war in der Nähe.

LA: Sie sagten, es waren 100 Meter und die Männer wurden beschossen?

VP: Ich selbst war nicht dort, ich weiß es nur von den Erzählungen meines Vaters.

LA: Wann genau war das?

VP: Am 30.11.2012 um 15:00 Uhr.

LA: Was war der auslösende Moment für das Verlassen Ihrer Heimat?

VP: Ende 2014 wurde gesagt, dass die Amerikaner aus Afghanistan sich zurückziehen. Dann wurde der Stützpunkt geschlossen und die Arbeit meines Vaters war beendet.

LA: Das bedeutet, dass Ihr Vater seit diesem Zeitpunkt kein Einkommen mehr hatte?

VP: Ja, er hatte keine Einkommen mehr.

LA: Wovon lebten Sie ab diesem Zeitpunkt?

VP: Mein Vater hatte Ersparnisse in der Höhe von 40.000 USD.

LA: Wo befindet sich dieses Geld?

VP: Wir haben es ausgegeben.

LA: Wofür haben Sie es ausgegeben?

VP: Für die Ausreise meiner Brüder und meiner Familie, sowie für meine Mutter, meinen Schwestern und meiner Schwägerin.

LA: Das bedeutet, dass Ihre gesamte Familie ab 2014 kein Einkommen und keine Ersparnisse mehr hatte, von denen Sie hätten leben können?

VP: Ja, mein Vater hat auch die Fahrzeuge verkauft, wir hatten gar keine Ersparnisse mehr.

LA: Haben Sie alle Fluchtgründe vorgebracht?

VP: Der erste Grund sind die Probleme meines Vaters und es gibt noch einen Grund, nämlich, dass wir Schiiten sind.

LA: Hatten Sie damals die Möglichkeit gehabt, sich im Heimatland woanders hinzubegeben, wie zum Beispiel nach Kabul, das Sie kennen, um sich den angegebenen Schwierigkeiten zu entziehen?

VP: Die Taliban sind keine Einzelpersonen, sondern eine große Gruppierung. Diese kämpfen sogar gegen die Armee. Die Tötung einer Einzelperson fällt ihnen sehr leicht.

LA: Haben Sie jemals die Taliban gesehen?

VP: Nein.

LA: Was würden Sie theoretisch im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?

VP: Wenn wir zurückkehren, werden wir getötet.

LA: Auf die Vertraulichkeit der von Ihnen angegebenen Daten wird nochmals hingewiesen. Sind Sie damit einverstanden, dass Erhebungen zum Sachverhalt in Ihrem Heimatland durchgeführt werden? Es werden keine persönlichen Daten an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.

VP: OK.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die vom Bundesamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden, von Behörden von EU-Ländern, aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat, wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

LA: Möchten Sie dazu etwas sagen?

VP: Nein.

LA: Ich beende jetzt Ihre Befragung. Hatten Sie ausreichend Gelegenheit, alles zum Verfahren vorzubringen oder haben Sie noch etwas hinzuzufügen?

VP: Ich habe eine Frage: Von 2012 bis 2014 hat mein Vater auch für die Amerikaner gearbeitet, er arbeitete mit seinem neuen LKW für die Amerikaner.

LA: Ist das der weiße LKW am Foto?

VP: Ja.

LA: Woher haben Sie diese Fotos?

VP: Als mein Vater das Auto verkauft hat, hat er sich mit dem LKW fotografieren lassen.

Frage wird wiederholt.

VP: Mein Vater hatte die Fotos auf seinem Handy und ich habe sie ausgedruckt im DM.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Ja.

Ergänzungen:

VP: Mein Vater hätte Arbeit finden können, aber er wurde von den Taliban bedroht und ich lebte von Ende 2014 bis Oktober 2015 in Kabul.

LA: Unter welchen Umständen lebten Sie in Kabul?

VP: In einem angemieteten Haus im Stadtteil XXXX . Wir haben 10.000 Afghani Miete bezahlt.

LA: Woher hatten Sie das Geld?

VP: Mein Vater hat die Miete bezahlt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Erstbefragung am 26.07.2016 auf Befragen an, dass sich, abgesehen von ihrem Ehegatten auch noch einer ihrer Brüder in Österreich aufhalte. Inhaltlich führte sie an, dass ihr Leben in Gefahr gewesen sei und habe ihr Schwiegervater fünf Jahre für die Amerikaner gearbeitet und sei er von den Taliban bedroht worden. Deswegen seien auch ihr Ehemann und seine Brüder geflohen und seien auch sie deshalb geflüchtet. Sie habe auch Angst um das Leben ihrer Tochter.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2017 gab die Antragstellerin an, einerseits in der Provinz Paktia gelebt zu haben. Hier habe sie zuletzt ein Jahr in Kabul gelebt. Ihr Onkel sei bedroht worden, da er für die Amerikaner gearbeitet habe und gab die Antragstellerin hierzu klärend zu Protokoll, dass ihr Onkel der Vater ihres Ehegatten sei und sei sohin ihr Ehegatte ihr Cousin. Sie seien bedroht worden und deshalb nach Kabul gegangen und habe der Onkel zuerst seine Söhne weggeschickt und dann seien auch sie weggegangen. Sie sind deshalb nicht länger in Kabul geblieben, da ihr Onkel gesagt habe, dass er für die Amerikaner gearbeitet hätte und auch bedroht würde. In Kabul sei ihr Onkel jedoch nicht bedroht worden, jedoch gebe es in Kabul keine Sicherheit, weshalb sie dort nicht länger geblieben seien. Im Weiteren verwies die Antragstellerin auf Befragen darauf, gesund zu sein und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen. Zu ihrem Werdegang führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, sie habe zwölf Jahre die Grundschule absolviert und zwei Jahre eine Hochschule für Lehramt, sowie habe sie in der Folge drei Jahre als Lehrerin von Grundschülerinnen gearbeitet. Im Herkunftsland habe sie noch familiäre Bindungen in Form ihrer Mutter, sowie eines weiteren Bruders mit dessen Familie. Auf Aufforderung sich im Detail zu den Fluchtmotiven zu erklären, gab die Antragstellerin an wie folgt:

„VP: Mein Schwiegervater hat sechs Jahre für die Amerikaner gearbeitet. Die gesamte Familie wurde mit dem Tode bedroht. Unsere Probleme sind jene, dass erstens mein Schwiegervater für die Amerikaner gearbeitet hat und dass wir zweitens Schiiten sind.

LA: Wie wurden Sie bedroht?

VP: Mein Onkel wurde bedroht, warum er für die Amerikaner arbeitet und weil er Schiit ist.

LA: Wie wurden Sie persönlich bedroht?

VP: Ich habe 1389 (2011/2011) die Schule beendet. Ich war drei Jahre Lehrerin von 1390 – 1392 (2011/2012 bis 2013/2014). Ich habe unter schweren Bedingungen die Schule besucht. Ich hatte immer Angst. Ich musste eine Burka tragen, um die Schule besuchen zu können. In Afghanistan haben Frauen keine Rechte. Es gibt keine Gleichberechtigung. Die Rechte der Frauen werden missachtet. Eine Frau kann nicht studieren in Afghanistan. Die Frauen sind immer den Befehlen ausgesetzt. Mädchen werden in jungen Jahren verheiratet.

LA: Haben Sie persönlich einmal einen Talib gesehen?

VP: Nein.

LA: Was war der auslösende Moment für das Verlassen Ihrer Heimat?

VP: Mein Onkel hat den Entschluss gefasst, das Land zu verlassen, er wurde 2012 zweimal brieflich bedroht und auch sein Auto wurde in Brand gesetzt.

VP: Haben Sie die Drohbriefe gesehen?

VP: Nein. Damals war ich mit meinem Cousin noch nicht verheiratet. Das weiß ich von den Erzählungen meines Onkels, als ich ihn fragte, warum wir ins Ausland gehen. Er sagte auch, dass sein Auto in Brand gesetzt wurde.

LA: Haben Sie alle Fluchtgründe vorgebracht?

VP: Ich hatte auch eigene Probleme. Das Leben in Afghanistan ist sehr schwer.

LA: Ist das Leben in Österreich leichter?

VP: Ja.

LA: Hätten Sie damals die Möglichkeit gehabt, sich im Heimatland woanders hinzubegeben, um sich den angegebenen Schwierigkeiten zu entziehen, wie zum Beispiel in Kabul zu bleiben?

VP: Nein, welche Provinz in Afghanistan ist sicher? Es ist nirgends sicher. Es herrscht Krieg.

LA: Was würden Sie theoretisch im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?

VP: Es herrscht Krieg. Mein Ehemann wurde bedroht.

LA: Wie wurde Ihr Ehemann bedroht?

VP: Ich meine die gesamte Familie wurde bedroht, sogar meine kleine Tochter, es wurde uns allen vorgeworfen, dass wir für die Amerikaner arbeiten.

Fragen zu den mj. Kindern:

XXXX (IFA: 1124064409):

LA: Ist Ihr Kind gesund?

VP: Ja.

LA: Steht Ihr Kind in ärztlicher Behandlung?

VP: Nein.

LA: Muss Ihr Kind regelmäßig Medikamente nehmen?

VP: Nein.

LA: Wo ist Ihr Kind geboren?

VP: In Kabul, aber wir stammen aus Paktia.

LA: Was machte Ihr Kindd im Herkunftsstaat?

VP: Sie war zwei Monate, als wir das Land verließen.

LA: Was macht Ihr Kind hier in Österreich?

VP: Sie ist mit mir zu Hause.

LA: Welche Fluchtgründe machen Sie für Ihr Kind geltend?

VP: Dieselben Fluchtgründe.

LA: Auf die Vertraulichkeit der von Ihnen angegebenen Daten wird nochmals hingewiesen. Sind Sie damit einverstanden, dass Erhebungen zum Sachverhalt in Ihrem Heimatland durchgeführt werden? Es werden keine persönlichen Daten an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.

VP: OK.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die vom Bundesamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden, von Behörden von EU-Ländern, aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat, wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

LA: Möchten Sie dazu etwas sagen?

VP: Nein.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend Gelegenheit, alles zum Verfahren vorzubringen oder haben Sie noch etwas hinzuzufügen?

VP: Ich habe vieles in Afghanistan durchgemacht, ich war ein Jahr alt, als mein Vater gestorben ist“.

Der Erstbeschwerdeführer legte unter anderem Personenstandsdokumente, sowie Farbfotos vor, die unter anderem einen ausgebrannten bzw. zerstörten LKW zeigen; im Weiteren eine an die Sicherheitsbehörde gerichtete Anzeige betreffend einen Vorfall eines Anschlages auf einen LKW. Weiters vorgelegt wurden mehrere Unterlagen, zum Beweis der Transporttätigkeit des Vaters des Erstbeschwerdeführers für amerikanische Truppen oder sonstige Einheiten.

3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den Beschwerdeführern wurden gemäß §§ 57 AsylG Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen jeweils gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig seien. Weiters wurde innerhalb der Sprüche ausgeführt, dass die Fristen für die freiwilligen Ausreisen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG jeweils zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betragen.

Die Viertbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und wurde am 25.04.2018 für sie ein Antrag auf internationale Schutzgewährung eingebracht. Deren Antrag wurde analog mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018 abgewiesen.

4. Auf Grund aufgetretener Widersprüchlichkeiten zwischen dem Vorbringen des Antragstellers und den von ihm vorgelegten Dokumenten betreffend den zentral wichtigen Vorfall des Anschlages auf einen LKW des Vaters, sowie der dazu beigebrachten Unterlagen wurde dem Vorbringen des Antragstellers zu diesem Vorbringen die Glaubhaftigkeit nicht zuerkannt.

Gegen die genannten Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Zum Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin wird angeführt, dass sie auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen in Afghanistan jedenfalls einer höchst asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei und sei diesbezüglich das Ermittlungsverfahren grob mangelhaft durchgeführt worden. So seien überhaupt keine Feststellungen zur westlichen Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin getroffen worden. Die Beschwerdeführerin trage zwar ein loses Kopftuch, wobei einige Haare hervorschauen würden; ansonsten sei sie aber in ihrer Lebensgestaltung am westlichen Frauenbild orientiert. Schon in Afghanistan habe sie als Lehrerin in einer Grundschule drei Jahre lang Kinder unterrichtet und auch in Österreich würde sie, nachdem sie die deutsche Sprache ausreichend beherrsche, gerne wieder diesem Beruf nachgehen. Sie sei insgesamt um ihre Integration sehr bemüht, gehe alleine einkaufen und lerne mit österreichischen Bekannten Deutsch. Schon in der Einvernahme habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie die Situation der Frauen in Afghanistan als unerträglich empfunden habe und Frauenrechte systematisch missachtet würden. In Afghanistan hatte sie auf dem Weg zur Schule immer eine Burka tragen müssen. Auch für ihre minderjährige Tochter wünsche sie sich eine bessere Zukunft, ohne derartige Restriktionen, sowie ein selbstbestimmtes Leben.

Zum Fluchtvorbringen des Ehegatten (Erstbeschwerdeführer) wurde ausgeführt, dass dessen Vater auf einem amerikanischen Stützpunkt in Logar gearbeitet habe und daher auch dem Ehegatten der Beschwerdeführerin auf Grund der in Afghanistan üblichen Sippenhaftung ebenfalls von den Taliban eine widersprechende Gesinnung unterstellt werde. Da der Beschwerdeführer beim Anschlag im Jahr 2012 auf seinen Vater nicht dabei gewesen sei und er die Geschehnisse nur durch die Erzählungen des Vaters kenne, seien ihm nicht alle Details zu den Vorfällen bekannt. Er sei jedoch seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren weitgehend nachgekommen. Zu den seitens der Erstbehörde angeführten Widersprüchen zwischen dem Vorbringen und dem vorgelegten Schreiben wurde ausgeführt, dass diese Schreiben von der örtlichen Polizeiinspektion ausgestellt worden seien, wobei das erste Schreiben das Protokoll einer Funkdurchsage darstelle. Da bei einer Funkübertragung naturgemäß es zu Fehlern kommen könne, war auch hier davon auszugehen, dass das erste Schreiben inhaltlich nicht ganz korrekt sei. Das zweite Schreiben habe der Polizeikommandant persönlich verfasst und habe der Vater diese Anzeige bei der Polizei gemacht, als Beweis für das amerikanische Militär, dass die Ware nicht einfach gestohlen worden sei, sondern, dass es sich dabei um einen Überfall der Taliban gehandelt habe. Von der Bedrohungssituation der gesamten Familie seien zuerst die jüngeren Brüder nach Europa geschickt worden, da die Familie große Angst gehabt hätte, dass diese auf Grund der Bekanntheit des Vaters von den Taliban entführt werden könnten. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Provinz Kabul trotz derzeitiger Kontrolle der afghanischen Regierung in der Lage sei, die Sicherheitssituation so weit zu normalisieren, dass von einer menschenwürdigen Versorgung der dort lebenden Menschen zu sprechen ist. Die Macht der Taliban und des dort erstarkenden IS sei vermehrt zu spüren. Die Annahme der Behörde, dass Kabul als relativ sicher einzustufen sei und eine Rückkehr möglich wäre, sei nicht nachvollziehbar; so seien im Zeitraum von Jänner bis August 2015 etwa 352 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und dokumentiert worden.

Im Rahmen der anberaumten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.11.2018 wurde gezielt versucht, die familiäre und soziale Situation der Beschwerdeführer in Afghanistan abzuklären, sowie die Hintergründe für eine allenfalls vorliegende Bedrohungssituation zu erforschen. Im Weiteren wurde auf die Allgemeinsituation, wie ein mögliches sonstiges Bedrohungspotential, eingegangen. Bereits im Vorfeld wurden die Beschwerdeführer auf den entscheidungsrelevanten Inhalt des aktuellen Länderinformationsblattes zur Situation in Afghanistan hingewiesen.

Das Beschwerderechtsgespräch vom 14.11.2018 stellte sich wie nachstehend dar:

Beginn der Befragung mit BF 1:

R: Zu welcher Volksgruppe gehören Sie und was ist Ihre Muttersprache?

BF: Ich gehöre zu den XXXX und meine Muttersprache ist Dari.

R: Über welche Schulbildung verfügen Sie?

BF: 12 Jahre Grundschule.

R: Über welche Sprachkenntnisse verfügen Sie?

BF: Dari, Englisch und Deutsch.

R: Bei der Ersteinvernahme haben Sie angegeben, gut Pashtu zu sprechen, warum nennen Sie das heute nicht?

BF: Ja, Pashtu kann ich auch.

R: Welche weitergehende Ausbildung haben Sie noch genossen?

BF: Ich habe Englischkurse besucht und auch Informatikkurse.

R: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: In der Provinz Paktia im Dorf XXXX . Früher hat es XXXX geheißen.

R: Wo haben Sie zuletzt gewohnt, bevor Sie Afghanistan verlassen haben?

BF: Im Dorf XXXX in XXXX . Von dort habe ich auch die Ausreise begonnen.

R: Warum haben Sie bei der Ersteinvernahme zu Ihrem Wohnsitz XXXX Paktia, Afghanistan angegeben?

BF: Dieser Name existiert auch, das Dorf hat drei Namen, es heißt auch XXXX .

R: Was ist XXXX ?

BF: Das ist der Distrikt.

R: Haben Sie in Afghanistan noch verwandtschaftliche Bindungen?

BF: Mein Onkel XXXX . Er wohnt in diesem Dorf.

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

BF: Gut.

R: Sind auch Ihre Kinder und Ihre Gattin gesund?

BF: Ja, wir sind alle gesund.

R: Können Sie angeben, wie viel Sie für Ihre Reise nach Österreich bezahlt haben?

BF: Wir haben 40.000 US Dollar ausgegeben.

R: Woher kam das Geld?

BF: Ich habe es von meinem Vater.

R: Ihren Erstangaben folgend befindet sich eine Reihe Ihrer Familienangehören außerhalb Afghanistans, in Deutschland, Schweden und Österreich. Können Sie angeben, wie viel Ihre Verwandten für ihre Flucht ausgegeben haben?

BF: Das weiß ich nicht genau, das hat alles mein Vater bezahlt. Ich vermute, dass die 40.000 US-Dollar für die gesamte Familie war. Mein Vater organisierte die Reise und ich habe das Geld nie gesehen. Meine drei Brüder sind vor mir nach Deutschland gegangen.

R: Warum und wann haben Ihre Brüder das Land verlassen?

BF: Wir hatten Probleme und sind immer bedroht worden. Mein Vater hat meine drei Brüder vorausgeschickt, damit ihnen nichts passiert. Das war im Mai 2015.

R: Wann haben Sie geheiratet?

BF: 2013.

R: Wann haben Sie selbst mit Ihrer Familie das Land verlassen?

BF: Ich bin alleine weggegangen, das war im Oktober 2015, im November war ich in Österreich.

R: Welcher beruflichen Tätigkeit sind Sie nachgegangen?

BF: Ich hatte keine Arbeit.

R: Welcher beruflichen Tätigkeit sind Ihre drei Brüder im Herkunftsland nachgegangen?

BF: Sie haben auch nicht gearbeitet.

R: Was hat Ihr Vater gemacht?

BF: Er hat in einem Camp in einem amerikanischen Lager in Logar gearbeitet.

R: War allenfalls die herrschende Arbeitslosigkeit für Sie der Grund das Land zu verlassen?

BF: Nein, ich sage die Wahrheit. Die Arbeitslosigkeit war nicht der Grund.

R: Abgesehen von den Gründen, die Sie mir noch erzählen werden, was war der unmittelbare Anlass dafür, dass Sie selbst beschlossen haben Ihr Land zu verlassen?

BF: Ich bin mit dem Tod bedroht worden, das war der Grund dafür, dass ich weggegangen bin.

R: Erzählen Sie mir davon.

BF: Meine Familie und ich sind bedroht worden, weil mein Vater in Logar in einem amerikanischen Camp gearbeitet hat und zwar für die Dauer von 6 Jahren.

R: Wie und auf welche Weise genau wurden Sie selbst bedroht?

BF: Ich persönlich bin nicht bedroht worden. Miene Familie und ich sind deshalb bedroht worden, weil mein Vater mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat. Weil mein Vater bedroht worden ist, wurde die ganze Familie mit dem Tod bedroht.

R: Sie haben aber selbst angegeben, dass Ihr Onkel, der Bruder Ihres Vaters, noch dort unbehelligt lebt.

BF: Nein, er hat nicht mit den Amerikanern zusammengearbeitet, deshalb wurde er auch nicht bedroht.

R: Können Sie angeben, in welchem Zeitraum Ihr Vater für die Amerikaner gearbeitet hat?

BF: Er hat im Jahre 2009 begonnen und hat bis Ende 2014 für diese gearbeitet. Dabei möchte ich aber angeben, dass bei meiner Einvernahme das falsch protokolliert worden ist.

R: Sie haben vor der Erstbehörde, gefragt nach den Kosten ihrer persönlichen Schleppung nach Österreich, eine Summe angegeben. Wissen Sie diese noch?

BF: Ja, 5.000 US Dollar.

R: Welcher genauen Tätigkeit ist Ihr Vater nachgegangen, dass er 2.000 US-Dollar monatlich verdient hat?

BF: Genau weiß ich das nicht. Ich weiß, dass er Chauffeur war und in diesem Camp gearbeitet hat.

R: Hatte er selbst einen Lkw?

BF: Ja.

R: Wie ist es Ihnen und Ihrer Familie nach Beendung der Tätigkeit Ihres Vaters im Jahr 2014 ergangen?

BF: Finanziell ist es uns gut gegangen. Wir haben wie in einem Gefängnis gelebt, weil wir Angst hatten und sind immer wieder bedroht worden.

R: Waren Sie persönlich, während Ihres Aufenthaltes in Afghanistan, bis zu Ihrer Ausreise, irgendeiner persönlichen Bedrohung ausgesetzt?

BF: Nein, persönlich nicht, aber durch meinen Vater sind wir alle bedroht worden.

R: Hat es Sie oder Ihre Brüder betreffend einen besonderen Vorfall oder Zwischenfall gegeben?

BF: Nein, wir haben immer versteckt und eingesperrt gelebt. Wir sind zwar schon aus dem Haus gegangen, aber versteckt.

R: Wie geht man versteckt außer Haus?

BF: Ich meine damit, dass niemand mitbekommt, dass wir rausgehen.

R: Auf Grund einer Unzahl von Berichten und auch aus einer Vielzahl von Einvernahmen mit afghanischen Bürgern weiß ich, dass Angehörige der bewaffneten Taliban oder auch andere bewaffnete Gruppierungen, gerade auch in Ihrer Herkunftsregion, nicht gerade zurückhaltend sind, wenn sie einer Person habhaft werden wollen oder insbesondere, wenn sie jemanden verfolgen oder töten möchten. Ich möchte damit sagen, dass es mir nicht per se logisch erscheint, dass Sie ein Jahr unbehelligt waren oder auch schon die Jahre vorher, wo doch den Taliban Ihr Aufenthaltsort oder Wohnort des Vaters bekannt sein musste.

BF: Das stimmt. In diesem kleinen Dorf hätten sie uns vielleicht finden können, aber sie haben uns Gott sei Dank nicht gefunden. Wir haben immer versteckt und in Angst gelebt.

R: Das scheint völlig absurd zu sein. Ihr Vater hat 6 Jahre für das Militär gearbeitet und die Taliban sollen nicht gewusst haben wo er wohnt?

BF: Mein Vater ist immer alle ein bis zwei Monate nach Hause gekommen und immer in Begleitung der Amerikaner. Er ist auch in Begleitung wieder ins Camp zurückgegangen und hat das Camp nur dann verlassen, wenn er uns besucht.

R: Dann ist doch eindeutig, dass jeder Mann in der Umgebung, der es wissen wollte, darunter natürlich die Taliban, wissen musste, wo Sie wohnen. Sie sind ein Jahr nach Beendigung der Tätigkeit des Vaters noch am Wohnort und bleiben gänzlich unbehelligt?

BF: Mein Vater ist ja nicht nur zu uns nach Hause gekommen. Da er als Chauffeur gearbeitet hat, hat er auch andere Provinzen auch befahren, wie z.B. Mazar, Ghazni und Partika.

R: Habe ich das richtig im Kopf, Sie haben auch innerhalb Afghanistans einen Ortswechsel vollzogen? Erzählen Sie mir davon.

BF: Ja, ich bin nach Kabul gegangen. Ich war zwei- oder dreimal in Kabul.

R: Haben Sie nicht Ihren Wohnsitz dorthin verlegt?

BF: Ich war ein paarmal in Kabul, in Begleitung meines Vaters. Letztendlich ist die ganze Familie Ende 2014 von Paktia nach Kabul gegangen.

R: Wie lange haben Sie dort gewohnt?

BF: Von Ende 2014 bis Oktober 2015 in Kabul gelebt.

R: Erzählen Sie über Ihr Leben in dieser Zeitspanne in Kabul.

BF: Das Leben war dort schlecht. Wir haben uns ein Miethaus genommen, es war nicht unser Haus. Es war in Kabul in Kartise, das ist im Zentrum, ein Teil von Kabul.

R: Berichten Sie über Ihr Leben in diesem Jahr in Kabul.

BF: Wir haben in diesem Mietshaus gelebt. Wir waren immer zu Hause und haben nichts Besonderes unternommen.

R: Hat es irgendwelche besonderen Vorfälle gegeben?

BF: Nein. Mein Vater hat uns nicht immer alles erzählt, damit wir keine Angst bekommen.

R: Haben Sie in Kabul versucht zu arbeiten?

BF: Nein. Mein Vater hat alles bezahlt, er hat viel Geld gehabt und außerdem sind wir bedroht worden.

R: Kann ich davon ausgehen, dass Sie in einem Zeitraum von einem dreiviertel Jahr mit Ihrer Familie gänzlich unbehelligt in Kabul gelebt haben?

BF: Nein. Ich persönlich habe nichts gesehen und es gab keine persönliche Bedrohung meinerseits, aber wenn mein Vater etwas gesehen hat oder ihm etwas passiert sein sollte, hat er uns nichts erzählt.

R: Was befürchten Sie konkret für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan?

BF: Wenn ich jetzt zurückkehren sollte, werde ich als erstes bedroht und auch getötet. Wenn Sie mich abschieben sollten, wohin soll ich mit meiner Frau und meinen kleinen Kindern?

Ich möchte noch sagen, dass wir eine große Familie mit ca. 13 Mitgliedern sind. Meine Frau war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Wir haben deswegen in Kabul gelebt, weil es uns nicht möglich war mit 13 Personen das Land zu verlassen. Es war schwierig und auch gefährlich. Unterwegs hätte viel passieren können, sogar, dass wir getötet werden. Deshalb mussten wir eine Zeit in Kabul verbringen, dass wir gruppenweise ausreisen können, weil man hat immer wieder gehört, dass die Schlepper Familien in Wäldern zurückgelassen haben.

R: Hat es während der Tätigkeit Ihres Vaters oder auch nach deren Beendigung irgendeinen besonderen Vorfall betreffend andere Familienangehörige gegeben? Gibt es irgendetwas Erwähnenswertes?

BF: Nein. Das war auch der Grund, warum mein Vater uns beschützt hat, dass wir nicht getötet werden. Deswegen haben wir auch das Land verlassen und ist die ganze Familie weggegangen, dass wir nicht getötet werden.

R: Über welche Schulbildung verfügt Ihre Ehefrau?

BF: Sie hat 12 Jahre die Schule besucht und war als Lehrerin tätig.

R: Sie haben zwei kleine Kinder; kümmert sich in erster Linie Ihre Ehegattin um die Kinder?

BF: Ja.

R: Was können Sie mir über Ihr Leben hier in Österreich berichten?

BF: Außer den Sprachkursen gehe ich manchmal raus und betreibe Sport. Manchmal gehe ich mit meiner Frau, manchmal geht sie alleine. Wir gehen deswegen nicht gemeinsam trainieren, weil ja einer von uns bei den Kindern bleiben muss.

Der BF 1 verlässt den Saal und die Befragung wird mit BF2 fortgesetzt:

R: Sie haben Afghanistan nicht gemeinsam mit Ihrem Mann verlassen?

BF: Ja, das stimmt.

R: Erzählen Sie mir darüber.

BF: Weil mein Schwiegervater 6 Jahre mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat ist die ganze Familie mit dem Tod bedroht worden. Deshalb hat mein Schwiegervater zuerst die Kinder weggeschickt und ich bin nachgekommen.

R: Wie lange haben Sie in Kabul gelebt?

BF: Ein Jahr.

R: Erzählen Sie mir über diese Zeit.

BF: Wir haben uns ein Miethaus genommen und haben dort gelebt. Wir hatten immer Angst und waren immer zu Hause, wie im Gefängnis.

R: Wer hat in dem Haus gewohnt?

BF: Mein Mann und ich, mein Schwiegervater, der auch gleichzeitig mein Onkel ist, die Schwiegermutter, drei Schwager und zwei Schwägerinnen. In Kabul habe ich dann meine Tochter zur Welt gebracht.

R: Wer hat sich um die Versorgung gekümmert?

BF: Mein Schwiegervater.

R: Alle anderen waren im Haus, nur er ist rausgegangen?

BF: Ja.

R: Hat es während der Zeit der Tätigkeit Ihres Schwiegervaters oder danach oder in der Zeit in Kabul irgendwelche konkreten Zwischenfälle, besondere Vorfälle oder Bedrohungen gegeben?

BF: 2011, da war ich noch nicht verheiratet, hat mein Schwiegervater gesagt, dass er zwei Drohbriefe bekommen hat. 2012 wurde sein Auto angezündet. Ich weiß von keinen Vorfällen in Kabul, ich habe nichts gesehen und mein Schwiegervater hat nichts erzählt.

R: Hat es im letzten Jahr vor Ihrer Ausreise einen besonderen, Sie persönlich betreffenden Zwischenfall gegeben?

BF: Nein. Weil mein Schwiegervater mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat, ist somit die ganze Familie bedroht worden.

R: Können Sie mir ein wenig Einblick in Ihren Werdegang geben?

BF: Ich bin in Paktia geboren und aufgewachsen. Ich habe 12 Jahre die Grundschule gemacht, dass weitere zwei Jahre Lehrpädagogik und habe drei Jahre als Lehrerin gearbeitet.

R: Sie stammen aus Paktia. Mir wird immer wieder berichtet, dass gerade dort die Situation mit den Taliban besonders schwierig ist. War es für Sie etwas ganz Normales in die Schule zu gehen und sogar noch eine Berufsausbildung zu machen und sogar noch als Lehrerin zu arbeiten?

BF: Die Frauen werden in Afghanistan unterdrückt, aber es war ein Wunsch von mir und ich habe alles auf mich genommen und habe es auch fertig gemacht. Es ist aber auch nie was vorgefallen.

R: Wurden Sie während Ihrer Jugendzeit und auch später, als Sie schon den Beruf als Lehrerin ausübten, nie von irgendwelchen Personen angesprochen, dass es für eine Frau nicht angemessen sei, so einen Beruf auszuüben?

BF: Die Leute in meinem Dorf haben schon darüber gesprochen und haben gesagt, dass sich das für eine Frau nicht gehört. Ich habe aber nicht zugehört und habe meine Arbeit weitergemacht.

R: Kann ich davon ausgehen, dass sich Ihr Leben hier in Österreich daher nicht besonders drastisch verändert hat? Sie konnten eine Ausbildung machen und sich persönlich entfalten und sogar den Beruf als Lehrerin ausüben.

BF: Naja, es gibt schon einen Unterschied. Ich trage hier kein Kopftuch, das konnte ich in Afghanistan nicht.

R: Was können Sie mir über Ihr Leben hier in Österreich berichten?

BF: Ich stehe in der Früh auf, gebe meiner Tochter das Frühstück, bringe sie in den Kindergarten. Wenn ich Lebensmittel brauche gehe ich gleich einkaufen. Ich habe auch österreichische Freunde mit denen ich in den Park oder Kaffeetrinken gehe. Ich fahre auch mit dem Fahrrad und gehe auch joggen. Ich kann auch Kleider für mich und meine Kinder und keiner kann mir etwas sagen. Hier fühle ich mich wohl, weil ich frei bin.

R: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?

BF: Ich möchte Deutsch lernen und hier als Lehrerin arbeiten.

R: Was würden Sie unterrichten?

BF: Ich möchte in Volksschulen unterrichten, dafür muss ich aber noch die Sprache lernen.

R: Können Sie sich theoretisch vorstellen mit Ihrer Familie nach Mazar-e-Sharif oder Herat zu ziehen und dort wieder als Lehrerin zu arbeiten?

BF: Nein. Wir haben dort kein Haus mehr, wir haben nichts mehr. Was soll ich mit zwei Mädchen dort machen? Es gibt in Afghanistan keine Provinz wo ich sicher bin. Eigentlich ist die ganze Familie nur deshalb bedroht, weil mein Schwiegervater mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat.

R: Während all der Jahre ist keinem einzigen Ihrer Familienmitgliedern irgendetwas passiert. Wo soll da eine Bedrohung vorliegen?

BF: Ich habe 2013 meinen Mann geheiratet und habe zwei Jahre mit ihnen zusammengelebt. Ich weiß nicht was zuvor war. In dieser Zeit ist zwar nichts passiert, aber wir haben immer in Angst gelebt und konnten nicht raus.

R: Wo genau haben Sie als Lehrerin gearbeitet?

BF: In Paktia, in der Nähe der Stadt Paktia.

R: Als Lehrerin kennen Sie sich in Afghanistan gut aus und kennen die Verhältnisse.

BF: Ja, natürlich.

R: Wie ist es nach Ihrer Kenntnis? Gehen die Kinder in den Großstädten Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif ebenso zur Schule wie in Paktia?

BF: Ja, Kinder besuchen schon die Schule, aber viele tun es auch nicht.

R: Ist zwischen den Städten und dem Land ein Unterschied?

BF: Ich habe Kinder selbst unterrichtet, aber wie es in anderen Provinzen war, weiß ich nicht.

R: Haben Sie auch Mädchen unterrichtet?

BF: Ich habe nur Mädchen unterrichtet, weil die beiden Geschlechter getrennt unterrichtet werden.

R: Können Sie ungefähr angeben, wie viele weibliche Lehrerinnen in Ihrem Jahrgang waren?

BF: Wir waren 20 bis 25 Lehrerinnen in der Schule.

R: Wie viele Mädchen waren in einer Klasse?

BF: In meiner Klasse waren 30 Mädchen.

BFV: Befürchten Sie Probleme wegen Ihres Aufenthaltes in Europa und weil Sie hier ein Kind geboren haben?

BF: Wir würden getötet, weil wir bedroht worden sind. Ich als Mutter mit zwei Kindern weiß nicht, wohin ich soll. Wir haben kein Haus mehr. Es kommt noch dazu, dass ich auch deswegen bedroht werde, weil ich aus Europa zurückkehre.

BFV: Warum das? Was hat man für ein Problem mit Europa?

BF: Es wird uns vielleicht gesagt, dass wir in Europa frei gelebt haben, warum sind wir dorthin gegangen? Ich möchte Sie anflehen Mitleid mit meinen zwei Kindern zu haben. Was soll ich in Afghanistan machen, dort habe ich nichts mehr.

BFV: Während dieses Jahres in Kabul, hat man über irgendwelche Ereignisse oder Bedrohungen gesprochen?

BF: Nein, es ist nie etwas passiert und mein Schwiegervater hat auch nie etwas erzählt.

BFV: Wie soll ich mir das vorstellen, wie war es, wenn Sie sich miteinander unterhalten haben?

BF: Wir haben schon miteinander gesprochen, aber mein Schwiegervater hat über diese Probleme nie etwas erzählt.

R: Haben Sie gemeinsam mit den Männern gegessen?

BF: Ja, wir haben beieinandergesessen und haben auch gemeinsam gegessen.

Der BF1 wird in den Verhandlungssaal gebeten.

BFV: Ich habe keine weiteren Fragen.

5. Mit schriftlicher Stellungnahme brachten die Beschwerdeführer in Bezug auf die Schutzbedürftigkeit der Zweitbeschwerdeführerin vor, dass die Lage von Frauen von weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung geprägt sei. Sie habe bereits erstinstanzlich zu Protokoll gegeben, dass sie unter Missachtungen, Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen gelitten habe, insbesondere in Bezug auf ihre Schulbildung. Die relevanten Entscheidungen über sie und ihre Tochter seien von ihrem Onkel getroffen worden. Auch im Rahmen der Beschwerdeverhandlung habe sie wiederholt, dass es sie Bemühungen gekostet habe, ihre Ausbildung als Lehrerin abzuschließen. Sie habe betont, dass sie in Österreich selbstbestimmt ihren Alltag organisiere und weder Kopftuch trage noch auf die Begleitung ihres Mannes angewiesen wäre. Ihre Ausrichtung und die dadurch ersichtlichen Werte würden einen klaren Bruch mit den traditionell in Afghanistan vorherrschenden Normen und Sitten bedeuten und könnten als „westliche Orientierung“ beschrieben werden. Personen, die als „verwestlicht“ wahrgenommen würden, wären potentielle Opfer rebellischer Gruppen. Frauen würden als „verwestlicht“ wahrgenommen, wenn sie bspw. außer Haus arbeiten oder über eine höhere Bildung verfügen würden, was bei der Zweitbeschwerdeführerin zutreffen würde. Ihr drohe daher nunmehr asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer (zumindest unterstellten) politischen wie auch religiösen Gesinnung im Hinblick auf ihren „verwestlichen“ Lebensstil. Auch ergebe sich in Bezug auf die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen allein aus dem Umstand, dass diese weibliche minderjähige Kleinkinder wären, deren besondere Vulnerabilität.

6. Mit Erkenntnis vom 24.01.2019, Zlen. W105 2152789-1/23E (ad 1.), W105 2152987-1/14E (ad 2.), W105 2152985-1/10E (ad 3.), W105 2207561-1/2E (ad 4.) wurden die Beschwerden gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsisdiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 24.01.2020 erteilt.

7. Gegen jeweils Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses brachten die Beschwerdeführer durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht eine Revision ein, in welcher sie zusammenfassend vorbrachten, dass das BVwG in seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur westlichen Orientierung abgewichen sei. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zum Lebensstil und zur Einstellung der Erstrevisionswerberin (dh. der Zweitbeschwerdeführerin) hätte das BVwG im Zusammenhang mit den aktuellen Länderberichten zur Entscheidung kommen müssen, dass ihr aufgund ihrer westlichen Orientierung asylrelevante Verfolgung drohe. Das BVwG habe auch nicht nachvollziehbar begründet, wie es trotz des Vorbringens der Erstrevisionswerberin eine westliche Orientierung verneine. Ebenso wenig habe das BVwG begründet, wieso der Erstrevisionswerberin in Afghanistan keine Verfolgung drohe, zumal sie einer Berufstätigkeit als Lehrerin nachgegangen sei. Da die gegenständlichen Asylverfahren als Familienverfahren im Sinne des § 34 Asylgesetz 2005 geführt worden seien, wäre auch den Zweit- bis Viertrevisionswerbern der gleiche Status wie der Erstrevisionswerberin zuzuerkennen gewesen.

8. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 07.05.2020, Zlen. Ra 2019/18/0395-9 und Ra 2019/180386 bis 388-8, wurde das angefochtene Erkenntnis im Anfechtungsumfang (Spruchpunkt A.I.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt wie folgt:

„[…] Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frau Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückker in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ihr diesbezügliches Vorbringen ist einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388, mwN). Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994 bis 1000).

Wenn das BVwG im angefochtenen Erkenntnis augenscheinlich vorrangig lediglich prüft, inwieweit sich die Lebenseinstellung der Erstrevisionswerberin in Österreich verändert habe, geht es von einem falschen Prüfansatz aus. Entscheidend ist nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob die Erstrevisionswerberin im Falle einer Rückkehr ihre grundlegende Lebenseinstellung weiterhin leben könne. Das BVwG hätte sich somit vielmehr – wie es die Revision der Erstrevisionswerberin auch zutreffend aufzeigt – damit auseinandersetzen müssen, wie es der Erstsrevisionswerberin erginge, wenn sie bei der Rückkehr ihren bisherigen Lebensstil weiterführen würde (vgl. erneut VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388, mwN). Dies hat das BVwG jedoch gegenständlich gerade nicht untersucht. Da das BVwG im Revisionsfall im Hinblick auf die Vulnerabilität der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnnen auch die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative (etwa in Herat oder Mazar-e Sharif) zu Recht ausgeschlossen hat, kann sich diese Prüfung zudem nur auf die Herkunftsregion der Erstrevisionswerberin Paktia beziehen, wo das BVwG selbst von einer „erhöhten Aktivität der Taliban-Rebellengruppen“ spricht, und der Erstrevisionswerberin folglich auch subsidiären Schutz zuerkannt hat. Dass die Erstrevisionswerberin angesichs dieser Feststellungen zu Paktia ihre bisherig in ihrem Herkunftsstaat schon unkonventionelle Lebensweise als berufstätige selbstbewusste Frau und Lehrerin im Falle einer Rückkehr aufrechterhalten könnte, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Dass sie ihren Beruf aufgrund der Geburt ihres ersten Kindes unterbrochen hat und derzeit aufgrund der Geburt eines weiteren Kindes nicht berufstätig ist, ändert daran nichts. Im Übrigen fehlt es dem BVwG für die oben dargestellte Prognoseentscheidung auch an der gebotenen Auseinandersetzung mit dem gesamten Vorbringen der Erstrevisionswerberin zu ihren zusätztlich in Österreich erworbenen Freiheiten. (…)

Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (…). Eine etwaige asylrelevante Verfolgung der Erstrevisionswerberin würde im Familienverfahren somit auch zu einer Gewährung des Status von Asylberechtigten an die zweit- bis viertrevisionswerbenden Parteien führen. […]“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, wobei der Erstbeschwerdeführer zur Volksgruppe der Sadat gehört, wohingegen die Zweitbeschwerdeführerin Tadschikin ist. Beide Beschwerdeführer verfügen über eine zwölfjährige Schulbildung; der Erstbeschwerdeführer hat eine weiterführende dreijährige Computer- und Englischausbildung genossen, die Zweitbeschwerdeführerin einen mehrjährigen Hochschullehrgang zur Ausübung einer Grundschullehrerin. Die Zweitbeschwerdeführerin war auch mehrere Jahre als Lehrerin beruflich tätig. Die Beschwerdeführer stammen ursprünglich aus der afghanischen Provinz Paktia, wo sie gewöhnlich lebten und haben sie sich zuletzt vor der Ausreise in Kabul - gemeinsam mit der gesamten Familie – aufgehalten; die Familie verzog zuletzt Ende 2014 nach Kabul, wobei der Erstbeschwerdeführer dort sich bis Oktober 2015 aufgehalten hat, wonach er das Land verließ. Die Zweitbeschwerdeführerin war noch länger in Kabul aufhältig, nämlich bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2016.

Die Beschwerdeführer sind schiitischen Bekenntnisses.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan geboren; die Viertbeschwerdeführerin bereits am XXXX im Bundesgebiet.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat bereits im Herkunftsland unter Missachtungen und Diskriminierungen gelitten, insbesondere in Bezug auf ihre Schulbildung. Wichtige Entscheidungen wurden nicht von ihr, sondern von ihrem Onkel getroffen, sodass es ihr nicht möglich war, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist eine junge selbstständige Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, trägt in Österreich kein Kopftuch, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die Zweitbeschwerdeführerin ist bestrebt, auch in Österreich in Zukunft als Lehrerin zu arbeiten und eine wirtschaftliche Selbständigkeit zu erlangen. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen. Die Zweitbeschwerdeführerin würde im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund ihrer nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung, die sich vorrangig in ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit äußert, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sein. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um eine moderne und aufgeklärte Frau, die mit ihrer Flucht nach Österreich zudem ihre Vorstellungen über die einer Frau zustehenden Rechte verwirklichen und nach diesen Maßstäben ihr weiteres Leben gestalten will. Die Zweitbeschwerdeführerin ist bemüht die deutsche Sprache noch besser zu erlernen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist wie auch der Erstbesch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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