TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/14 W246 2185122-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.07.2020
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Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W246 2185122-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2017, Zl. 1111028607-160506303, betreffend eine Asylangelegenheit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der – zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige – Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 09.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

3. Am 07.12.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des – zu diesem Zeitpunkt nach wie vor minderjährigen – Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass unbekannte Leute seinen Vater entführt und geschlagen hätten. Seitdem sei sein Vater behindert und könne nicht mehr arbeiten. Nach der Rückkehr seines Vaters zur Familie habe die Mutter des Beschwerdeführers ihm mitgeteilt, dass sein Leben in Gefahr sei und er das Land verlassen müsse. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer schließlich Afghanistan verlassen und sei nach Europa gereist. Als der Beschwerdeführer bereits in Österreich gewesen sei, hätten seine Eltern einen Brief mit dem Inhalt bekommen, dass unbekannte Leute nach ihm suchen würden.

Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme folgende Unterlagen vor:

?        Foto seines Bruders,

?        Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs,

?        Schulbesuchsbestätigung,

?        Schulzeugnis des Schuljahres 2016/2017,

?        Teilnahmebestätigung an der Bildungsmaßnahme „ XXXX “,

?        Bestätigung der Kinderfreunde XXXX , wonach der Beschwerdeführer bei der Veranstaltung XXXX unterstützend mitgearbeitet habe und

?        zwei Empfehlungsschreiben.

4. In der im Wege seiner damaligen Rechtsvertreterin eingebrachten Stellungnahme vom 21.12.2017 hielt der Beschwerdeführer unter Zitierung von Judikatur und Länderberichten u.a. fest, dass ihm der Status eines Asylberechtigten zu gewähren sei, weil er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters in Afghanistan Verfolgungshandlungen ausgesetzt sei.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides fristgerecht Beschwerde.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.06.2020 u.a. in Anwesenheit der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er ausführlich zu seinen Fluchtgründen und seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu seiner Ausreise aus Afghanistan:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim.

Er ist in einem Dorf in der Provinz XXXX in Afghanistan geboren und aufgewachsen, wo er drei Jahre lang die Schule besuchte und ca. vier bis fünf Jahre lang als Verkäufer von Töpfen arbeitete. Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Jahr 2016 und reiste nach Österreich, wo er am 09.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht die Gefahr, aufgrund der Eigenschaft als Sohn seines Vaters physischer und/oder psychischer Gewalt v.a. seitens der Taliban ausgesetzt zu sein oder zwangsrekrutiert zu werden.

Weiters ist weder der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich mehrere Jahre in Europa aufgehalten und hier eine „westliche Wertehaltung“ erfahren hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 18.05.2020 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Nangarhar

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Laghman und Kunar, im Osten und Süden an Pakistan (Tribal Distrikts Kurram, Khyber und Mohmand der Provinz Khyber Pakhtunkhwa) und im Westen an Logar und Kabul (NPS o.D.na; vgl. UNOCHA 16.4.2010, UNOCHA 4.2018na). Die Provinzhauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad (NPS o.D.na; vgl. OPr 1.2.2017na). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena (AB19.9.2016; VOA 28.6.2019)), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar und Surkh Rud (CSO 2019; vgl. IEC 2018na, UNOCHA 4.2014na, NPS o.D.na) sowie dem temporären Distrikt Spin Ghar (CSO 2019; vgl. IEC 2018na).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Nangarhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.668.481 Personen – davon 263.312 Einwohner in der Hauptstadt Jalalabad (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken (NPS o.D.na). Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft lebten in der Provinz Nangarhar, insbesondere in und um Jalalabad (AAN 23.9.2013). Viele von ihnen haben Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen wie z.B. Unsicherheit verlassen. Mit Stand September 2018 lebten noch 60 Familien in der Gemeinde in Nangarhar (SW 23.9.2018).

Die asiatische Autobahn AH-1 führt durch die Distrikte Surkhrod, Jalalabad, Behsud, Rodat, Batikot, Shinwar, Muhmand Dara zum afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Torkham (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014na). Die Provinz, die an die ehemaligen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) Pakistans grenzt, dient als inoffizieller Korridor für in- und ausländische Aufständische (AAN 27.9.2016; vgl. VOA 28.6.2019; PF 15.5.2019; NA 25.1.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Nangarhar in der östlichen Region die führende Provinz beim Schlafmohnanbau, obwohl die Anbaufläche 2018 im Vergleich zu 2017 um 9% gesunken ist. Der Rückgang betraf die Distrikte Khogyani, Chaparhar und Lalpoor, während in Kot, Shinwar und Achin ein Anstieg verzeichnet wurde. Die meisten staatlich durchgeführten Mohnvernichtungsaktionen fanden in der Provinz Nangarhar statt (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

In Nangarhar, die als strategische Provinz gilt (RY 27.4.2019), war seit 2011 eine Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten (AAN 27.9.2016; vgl. TBIJ 30.7.2018, NA 25.1.2018). Korruption, lokale Machtkämpfe und das Versagen, effektive Dienstleistungen zu erbringen, untergruben das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung, die die Bevölkerung ungeschützt gegen Aufständische zurückließ, aber auch der Rückzug der internationalen Streitkräfte in der Provinz ab dem Jahr 2013 trug dazu bei (AAN 27.9.2016). Nichtsdestotrotz sind Bemühungen der Regierung auf dem Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, Landraub und Korruption vorzubeugen sowie die Koordinierung zwischen den Sicherheits- und Rechtsorganen zu verbessern (PAJ 20.1.2019). So arbeitet die UNAMA auch weiterhin auf lokaler Ebene mit ansässigen Gemeinschaften und Behörden, um Frieden und Konfliktlösungsbemühungen umzusetzen und voranzutreiben; so auch in der Provinz Nangarhar, wo UNAMA eine Friedensjirga zwischen zwei Stämmen im Distrikt Sher Zad einberief – an der zum ersten Mal auch Frauen eine aktive Rolle einnahmen. Diese Jirga führte zu einem Beschluss über die Verteilung von Wasser, der auch angenommen wurde (UNGASC 14.6.2019).

Auch ebnete ein politisches und militärisches Vakuum, das die Provinz seit Jahren heimgesucht hatte, rund um das Jahr 2016 den Weg für den Aufstieg des afghanischen Zweiges des Islamischen Staates, dem Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP) (AAN 27.9.2016). So erleichterten beispielsweise Stammesrivalitäten innerhalb des Distriktes Shinwar den Aufstieg des ISKP in der Provinz (AAN 27.9.2016). Verschiedene militante Gruppen – afghanische, ausländische, sowie salafistische Kämpfer innerhalb der Taliban – trugen dazu bei, die Taliban in Nangarhar zu destabilisieren – viele von ihnen schlossen sich dem ISKP an (AAN 27.9.2016).

Im Februar 2019 galt Nangarhar als eine der ISKP-Hochburgen Afghanistans (UNSC 1.2.2019). Die Schätzungen über die Stärke des ISKP gehen auseinander: so geht eine Quelle von rund 3.000 Kämpfern im Osten Afghanistans (Provinzen Nangarhar und Kunar) aus (UNAMA 24.2.2019), während die ISKP-Stärke von einer anderen Quelle in ganz Afghanistan – jedoch insbesondere in Nangarhar und den angrenzenden östlichen Provinzen – im Juni 2019 auf 2.500-4.000 Kämpfer geschätzt wurde (UNSC 13.6.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelang konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

Die Taliban sind in Nangahar aktiv und kontrollieren manche Gebiete (NAT 31.7.2019; vgl. BB 31.7.2019; KP 6.7.2019); wie z.B. in den Distrikten Khugyani und Sher Zad (REU 24.4.2019).

Militärische Spezialeinheiten, auch als counter-terrorism pursuit teams bezeichnet, sind in den Provinzen Nangarhar und Khost tätig. Diese Kräfte, die inoffiziell von der US Central Intelligence Agency (CIA) ausgebildet und beaufsichtigt werden und für die Bekämpfung des Aufstands zuständig sind; diesen werden außergerichtliche Tötungen und Folter vorgeworfen (NYT 31.12.2018; vgl. DP 28.1.2018). Die in Nangarhar aktive Miliz wird 02-Einheit genannt. Sie wird vom afghanischen Geheimdienst NDS befehligt und von der CIA unterstützt und ausgebildet (TP 5.5.2019; vgl. TBIJ 8.2.2019). NDS-Operationen stehen außerhalb der Befehlskette der ANDSF (UNAMA 30.7.2019), weswegen Quellen eine mangelnde Rechenschaftspflicht für die Handlungen der NDS-Einheiten kritisieren (TBIJ 8.2.2019; vgl. TIN 21.8.2019; UNAMA 30.7.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit regulärer staatlicher Sicherheitskräfte liegt die Provinz Nangarhar unter der Verantwortung des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 9.6.2019), das unter die NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) fällt, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.070 zivile Opfer (356 Tote und 714 Verletzte) in der Provinz Nangarhar. Dies entspricht einem Rückgang von 41% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Kämpfen am Boden und Selbstmordangriffen (UNAMA 2.2020).

Seit dem Jahr 2018 intensivierten die staatlichen Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen den ISKP. Bei rund 300 Luft- und Bodenoperationen in ganz Afghanistan seit April 2018, jedoch vorwiegend in den Distrikten Khugyani, Pachiragam und Kot der Provinz Nangarhar, wurden ca. 1.200 IS-Kämpfer getötet (UNSC 13.6.2019). Bei regelmäßigen Operationen in der Provinz werden neben ISKP-Kämpfern (z.B. AfTAG 28.6.2019; KP 27.1.2019; PAJ 4.11.2018; TN 26.3.2018; UNGASC 7.12.2018; NAT 31.7.2019), deren hochrangige ISKP-Vertreter (z.B. KP 29.7.2019; KP 31.12.2018; AN 27.12.2018; NAT 26.8.2018; News 27.8.2018) auch Talibanaufständische getötet (NYT 10.3.2019; KP 18.1.2019; RY 10.6.2019). Auch wurde im April 2019 die Sicherheitsoperation Khalid durch die afghanische Regierung gestartet, die sich auf die südlichen Regionen, Nangarhar im Osten, Farah im Westen, sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nordosten, Ghazni im Südosten und Balkh im Norden konzentrierte (UNGASC 14.6.2019).

Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP (REU 24.4.2019; vgl. VOA 28.6.2019; VOA 25.4.2019; TBIJ 30.7.2018; UNGASC 7.12.2018).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 11.3.2020).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 11.3.2020).

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime (MRG o.D.a). Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 11.3.2020). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden (BFA 7.2016; vgl. NYT 10.6.2019) und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA 7.2016).

Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung (BBC 26.5.2016; vgl. RFE/RL 13.11.2018, EASO 9.2016, AAN 4.2011), werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen (EASO 9.2016). Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen (RFE/RL 13.11.2018; vgl. AAN 4.2011, EASO 9.2016). Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (EASO 9.2016).

Dokumente

Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan weist gravierende Mängel auf und stellt aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden werden oft erst viele Jahre nachträglich, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor (AA 2.9.2019). Sämtliche Urkunden in Afghanistan können problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden (ÖB 28.11.2018).

Des Weiteren kommen verfahrensangepasste Dokumente häufig vor. Im Visumverfahren werden teilweise gefälschte Einladungen oder Arbeitsbescheinigungen vorgelegt. Medienberichten zufolge sollen insbesondere seit den Parlamentswahlen 2018 zahlreiche gefälschte Tazkiras im Rahmen der Wählerregistrierung in Umlauf sein (AA 2.9.2019).

Die Beschaffung verschiedener Dokumente erfolgt dezentral auf Provinzebene und die Dokumentation weist in der Regel keine zuverlässigen Sicherheitsmerkmale auf (DFAT 18.9.2017). Personenstands- und weitere von Gerichten ausgestellte Urkunden werden zentral vom Afghan State Printing House (SUKUK) ausgestellt (ÖB 28.11.2018).

Auf Grundlage bestimmter Informationen können echte Dokumente ausgestellt werden. Dafür notwendige unterstützende Formen der Dokumentation wie etwa Schul-, Studien- oder Bankunterlagen können leicht gefälscht werden. Dieser Faktor stellt sich besonders problematisch dar, wenn es sich bei dem primären Dokument um eine Tazkira handelt, welches zur Erlangung anderer Formen der Identifizierung verwendet wird. Es besteht ein Risiko, dass echte, aber betrügerisch erworbene Tazkiras zur Erlangung von Reisepässen verwendet werden (DFAT 18.9.2017).

Die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland hat das Legalisationsverfahren von öffentlichen Urkunden aus Afghanistan wegen der fehlenden Urkundensicherheit eingestellt (DV 8.1.2019).

1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 zu Afghanistan (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

„3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung

Berichten zufolge werden Fälle der Zwangsrekrutierung von Kindern zu einem großen Teil unzureichend erfasst.[…] Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.[…]

a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang.[…] Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.[…]

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, so wird berichtet, weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde[…] oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung.[…]

b) Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte

Trotz der Bemühungen der Regierung, die Rekrutierung Minderjähriger zu unterbinden, werden Kinder Berichten zufolge weiterhin durch die ANDSF, vor allem die ANP und die ALP, sowie durch regierungsnahe Milizen für militärische Zwecke angeworben.[…] Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung der Rekrutierung Minderjähriger.[…] Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Umsetzung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem von Parlament und Senat 2014 beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) unter Strafe stellt.[…] Das neue Strafgesetzbuch, das am 15. Februar 2018 in Kraft trat, enthält Bestimmungen, die die Rekrutierung und die Verwendung von Kindern durch die Streitkräfte verbietet und unter Strafe stellt.[…] Doch trotz der Bemühungen der Regierung, die Rekrutierung von Minderjährigen auszumerzen, bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, etwa nichtstandardisierte Anwerbungsprozesse, ineffiziente Altersüberprüfung und mangelnde Rechenschaftspflicht für die Anwerbung von Minderjährigen.[…] Im August 2017 stellte der Generalsekretär der Vereinten Nationen fest, dass es zwar Fortschritte im Hinblick auf eine Stärkung der Verfahren zur Altersbestimmung gegeben habe, doch bereiteten das Fehlen entsprechender Verfahren für die Rekrutierung in die ALP sowie die fortgesetzte Inanspruchnahme von regierungsnahen Milizen, bei denen weiterhin keine Aufsichtsmechanismen für die Rekrutierung erkennbar seien, weiterhin Sorge.[…]

Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Familien zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.[…]

c) Zusammenfassung

Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte befinden oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit dem Islamischen Staat verbundene bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen, – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser von AGEs ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann.

Abhängig von den besonderen Umständen des Falles können Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die in Gebieten leben, in denen ALP-Kommandeure eine so mächtige Position innehaben, dass sie Mitglieder der Gemeinschaft in die ALP zwangsrekrutieren können, ebenfalls internationalen Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen benötigen.

Auch für Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung entweder durch einen staatlichen oder einen nichtstaatlichen Akteur widersetzen, kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz gegeben sein.

Abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles können Angehörige von Männern oder Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung mit gefährdeten Personen internationalen Schutz benötigen.

Asylanträge von Kindern sollten – einschließlich der Prüfung von Ausschlussgründen bei ehemaligen Kindersoldaten – sorgfältig und gemäß den UNHCR-Richtlinien für Asylanträge von Kindern geprüft werden.[…] Wenn Kinder, die mit bewaffneten Gruppen in Verbindung standen, einer Straftat bezichtigt werden, sollte berücksichtigt werden, dass diese Kinder Opfer von Verstößen gegen internationales Recht und nicht nur Täter sein können.[…]

[…]

14. In Blutfehden verwickelte Personen

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie.[…] In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor.[…] Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum.[…] Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen.[…] Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt,[…] doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen.[…] Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen.[…] Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat.[…]

Im Licht der oben beschriebenen Überlegungen ist UNHCR der Ansicht, dass – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – für Personen, die in Blutfehden verwickelt sind, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit einer allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann.[…] Bei Anträgen von in Blutfehden verwickelten Personen können sich jedoch mögliche Ausschlusserwägungen ergeben. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch für Familienangehörige, Partner oder von an Blutfehden Beteiligten abhängige Personen ebenfalls aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person ein Bedarf an internationalem Schutz bestehen.“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu seiner Ausreise aus Afghanistan (Pkt. II.1.1.):

Die Feststellung zum Namen des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden und daher glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie dem Bundesverwaltungsgericht, die Feststellung zu seinem Geburtsdatum folgt v.a. aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. S. 6 des Verhandlungsprotokolls; vgl. hierzu auch Aktenseiten [in der Folge: AS] 99 und 299 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes); die zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffenen Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Verfahren. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zu seinem Geburtsort, seinem schulischen sowie beruflichen Werdegang und seiner Ausreise aus Afghanistan ergeben sich aus seinen im Laufe des Verfahrens hierzu getätigten, im Wesentlichen gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

2.2. Soweit das vom Beschwerdeführer behauptete Fluchtvorbringen nicht festgestellt werden konnte (Pkt. II.1.2.), ist Folgendes festzuhalten:

2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 29/2020, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs. 1 letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt (mit Hilfe so genannter „parater“ Bescheinigungsmittel) zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.05.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht.

Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

In diesem Zusammenhang ist Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, 9, (Statusrichtlinie), maßgeblich:

„Artikel 4

Prüfung der Tatsachen und Umstände

(1) – (4) […]

(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

2.2.2. Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist v.a. auf folgende Kriterien abzustellen: Zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

2.2.3. Es wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwar nicht verkannt, dass die vom Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Ausreise aus Afghanistan geschilderten Ereignisse mittlerweile schon mehrere Jahre zurückliegen und er zum Zeitpunkt dieser Ereignisse sowie bei seiner Erstbefragung und Einvernahme noch minderjährig war, was bei der Beurteilung seiner Angaben entsprechend zu berücksichtigen ist (s. hierzu z.B. VwGH 06.09.2018, 2018/18/0150). Dennoch geht der zur Entscheidung berufene Richter des Bundesverwaltungsgerichtes aufgrund seines in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer erhaltenen persönlichen Eindrucks sowie der im erstinstanzlichen Verwaltungsakt einliegenden niederschriftlichen Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens (betreffend die Gefahr, in Afghanistan aufgrund der Eigenschaft als Sohn seines Vaters physischer und/oder psychischer Gewalt v.a. seitens der Taliban ausgesetzt zu sein oder zwangsrekrutiert zu werden) keine Glaubwürdigkeit zukommt:

2.2.3.1. Zunächst ist festzuhalten, dass sich bereits in den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort und zum Aufenthaltsort seiner Familie in Afghanistan Ungereimtheiten bzw. Widersprüche finden: So gab der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch an, im Dorf XXXX im Distrikt XXXX geboren worden zu sein (AS 99; s. hierzu auch AS 1), und führte weiters aus, dass seine Familie – zum Zeitpunkt der Einvernahme am 07.12.2017 – im Dorf XXXX aufhältig sei (AS 101: „LA: Wo genau haben Sie in Afghanistan gelebt? VP: Ich bin geboren und aufgewachsen im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX , Afghanistan. Dort habe ich bis zu meiner Ausreise gelebt. […] LA: Wo genau lebt Ihre Familie jetzt? VP: Meine gesamte Familie lebt nach wie vor im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX , Afghanistan.“). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer im Widerspruch hierzu hingegen aus, dass er im Dorf XXXX geboren und aufgewachsen sei, welches ca. eine Autostunde entfernt vom Dorf XXXX liege; seit seiner Flucht – somit seit dem Jahr 2016 – lebe seine Familie im Dorf XXXX (s. S. 6 f. des Verhandlungsprotokolls: „R: Wo genau sind Sie geboren und aufgewachsen in Afghanistan [Dorf/Distrikt/Provinz]? BF: Ich bin in der Provinz XXXX im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und aufgewachsen. […] R: Wo sind diese Familienangehörigen aufhältig? BF: Früher lebte die Familie im Dorf XXXX und jetzt lebt sie in XXXX bei meinem Onkel mütterlicherseits. R: Seit wann lebt Ihre Familie bei Ihrem Onkel mütterlicherseits? BF: Seit meiner Flucht lebt sie dort. R: Haben Sie zu diesen Familienangehörigen noch Kontakt? Wenn ja: Mit wem genau haben Sie Kontakt, wie oft haben Sie Kontakt und wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu diesen? BF: Ich habe zuletzt vor ca. zwei Monaten mit meiner Mutter telefoniert. Seit ich in Österreich bin, habe ich in diesen Abständen Kontakt mit meiner Familie. R: Wie weit ist das Dorf XXXX ungefähr von Ihrem Heimatdorf XXXX entfernt? Befindet sich XXXX im selben Distrikt wie Ihr Heimatdorf? BF: XXXX liegt in einem anderen Distrikt und zwar in der Nähe von XXXX [Provinz XXXX ]. Von meinem Heimatdorf XXXX beträgt die Entfernung ca. eine Stunde mit dem Auto.“).

2.2.3.2. Weiters ist das in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigte Vorbringen des Beschwerdeführers allgemein als zu vage und zu unsubstantiiert zu bezeichnen, um daraus eine konkrete und aktuelle Bedrohung seiner Person im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan abzuleiten. Dem Beschwerdeführer gelang es gerade in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht trotz Aufforderung zur Tätigung möglichst präziser und genauer Angaben (s. S. 3 f. und 8 des Verhandlungsprotokolls) und in der Folge getätigtem Nachfragen durch den erkennenden Richter zu einzelnen Fragestellungen nicht, die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer konkreten und aktuellen Bedrohung seiner Person in Afghanistan glaubhaft darzulegen:

So konnte der Beschwerdeführer Fragen zu seinem konkreten Fluchtvorbringen teilweise gar nicht oder nur unzureichend beantworten. Er konnte beispielsweise nicht einmal ungefähr angeben, wie lange sich die Entführer seines Vaters im Zuge der Entführung im Haus der Familie des Beschwerdeführers aufgehalten haben (s. S. 9 des Verhandlungsprotokolls) oder wie viel Zeit zwischen der Rückkehr seines Vaters von seiner Entführung bis zur Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan vergangen ist, was er nach entsprechendem Vorhalt durch den erkennenden Richter nicht zur Gänze zu erklären vermochte (vgl. S. 10 des Verhandlungsprotokolls: „R: Wie viel Zeit ist vergangen von der Rückkehr Ihres Vaters von seiner Entführung bis zu Ihrer Ausreise aus Afghanistan? BF: Ich kann nicht genau angeben, wie viel Zeit dazwischen vergangen ist, aber ich war dann noch lange bei meiner Familie. Ich habe die Schule verlassen, habe aber zu Hause gearbeitet. R: Können Sie das auch nicht ungefähr sagen? War das eher ein Zeitraum von einem Jahr oder vielleicht nur von wenigen Monaten? BF: Ich kann das nicht angeben. Ich habe mich auch in Afghanistan mit Daten nicht ausgekannt. Ich habe erst hier den Umgang mit Daten bzw. der Zeit gelernt.“). Weiters fällt auf, dass der Beschwerdeführer zu möglichen Gründen für die behauptete Entführung seines Vaters überhaupt keine Angaben tätigen konnte (s. S. 9 des Verhandlungsprotokolls). Schließlich stellte der Beschwerdeführer zu den – angeblich bei seinen Eltern eingelangten – Drohbriefen lediglich nicht näher ausgeführte Vermutungen an (vgl. S. 9 f. des Verhandlungsprotokolls: „R: Wer sind die Verfasser dieser Briefe? BF: Das weiß ich nicht so genau. Die Briefe sind von einem Kommandanten. Ich weiß aber nicht, ob dieser ein Kommandant der Taliban ist.“) und legte diese (oder Kopien von diesen) in seinem Verfahren trotz konkreter Nachfrage durch den Einvernahmeleiter vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (vgl. u.a. AS 111) auch nicht vor (hierzu ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass nach den o.a. Länderberichten sämtliche Dokumente in Afghanistan problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden können – s. Pkt. II.1.3.1.).

Die vom Beschwerdeführer getätigten Angaben zur Entführung seines Vaters und zur daraus resultierenden Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan erscheinen dem Bundesverwaltungsgericht daher – auch vor dem Hintergrund des mittlerweile vergangenen Zeitraums sowie des damaligen jungen Alters des Beschwerdeführers – zu allgemein gehalten und zu wenig detailreich, um daraus eine aktuelle individuelle Gefährdung seiner Person in Afghanistan für glaubhaft zu erachten, und sind diese vielmehr als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.

2.2.3.3. Schließlich erweist sich das Vorbringen des Beschwerdeführers nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch teilweise als nicht plausibel:

Bei – hypothetischer – Annahme der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zu einer Gefährdung seiner Familie und daraus resultierend auch seiner Person im Falle einer nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan ist es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht lebensnah, dass der Beschwerdeführer seine Familie bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan – oder spätestens danach, als er schon älter war, in den mit ihr geführten Telefonaten – nie konkret danach gefragt haben soll, aus welchen konkreten Gründen sein Vater damals entführt worden sei. Bei Annahme der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine gegen seine Person aktuell vorliegende Gefährdung sollte nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ein bestimmtes Interesse des Beschwerdeführers an den konkreten Gründen für seine Ausreise bestanden haben. Der Beschwerdeführer vermochte diese Unplausibilität in seinen Angaben nach Vorhalt durch den erkennenden Richter nur zum Teil zu entkräften (s. S. 9 des Verhandlungsprotokolls: „R: Haben Sie Ihre Mutter bzw. Ihren Vater unmittelbar nach der Entführung bis zu Ihrer Ausreise aus Afghanistan oder auch danach, als Sie schon älter waren, in den mit Ihrer Familie geführten Telefonaten nach Ihrer Ausreise je danach gefragt, was die konkreten Gründe für die Entführung des Vaters und für die Ihnen drohende Gefahr sei? […] BF: Ich weiß nur, dass mein Vater Briefe bekommen hat, in denen er aufgefordert wurde, mich diesen Leuten zu übergeben. Ich kann mit meiner Familie keine ausführlichen Gespräche führen. Ich telefoniere alle drei bis vier Monate einmal mit meiner Familie und diese Gespräche dauern nicht länger als ein paar Minuten. Die Handys im Dorf funktionieren nicht, weil die Telefonmasten immer wieder zerstört werden.“), womit diese ebenfalls als Indiz für ein nicht glaubhaftes Vorbringen zu werten ist.

Weiters erscheint es dem Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Annahme einer aktuellen Gefährdung seiner Person nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer – seinen eigenen Angaben zufolge – nach der Rückkehr seines Vaters „noch lange bei“ seiner Familie aufhältig gewesen sein soll, ohne dass es dabei zu irgendwelchen weiteren Vorfällen gegenüber der Familie (und gegenüber ihm) gekommen sein soll (vgl. S. 10 des Verhandlungsprotokolls).

2.2.3.4. Es kommt dem Beschwerdeführer daher nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes aus den oben dargelegten Gründen hinsichtlich seines Fluchtvorbringens (betreffend die Gefahr, in Afghanistan aufgrund der Eigenschaft als Sohn seines Vaters physischer und/oder psychischer Gewalt v.a. seitens der Taliban ausgesetzt zu sein oder zwangsrekrutiert zu werden) unter Berücksichtigung der auch zum Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch vorliegenden Minderjährigkeit und entgegen den Ausführungen in der Beschwerde keine Glaubwürdigkeit zu. Aufgrund des aufgezeigten widersprüchlichen, vagen und unplausiblen Vorbringens vermochte der Beschwerdeführer das Bundesverwaltungsgericht nicht von der Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu überzeugen.

2.2.4. Die Feststellungen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthalts in Europa und somit im „westlichen“ Ausland keine konkret gegen ihn gerichtete physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht, ergeben sich aus seinem diesbezüglichen Vorbringen, mit dem er keine konkrete individuelle Bedrohung seiner Person im Falle einer Rückkehr aus diesen Gründen aufzuzeigen vermochte (vgl. hierzu S. 12 des Verhandlungsprotokolls).

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.3.):

2.3.1. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (s. v.a. die Aktualisierung vom 29.06.2020 zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, welche die aktuelle Lage in Afghanistan hinsichtlich der COVID-19-Pandemie betrifft) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht führte gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung den unter Pkt. II.1.3.2 auszugsweise wiedergegebenen Länderbericht in das Verfahren ein und gab den Parteien dahingehend die Möglichkeit zur Stellungnahme. Das unter Pkt. II.1.3.1. auszugsweise wiedergegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 18.05.2020 wurde – neben weiteren Länderberichten – mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 08.06.2020 in das Verfahren eingeführt und den Parteien dahingehend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beschwerdeführer trat den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten und nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unbedenklichen Länderberichten nicht substantiiert entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 29/2020, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Nach § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 44/2019, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, (in der Folge: VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Abweisung der – zulässigen – Beschwerde:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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