TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/20 W183 2232434-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2020
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Entscheidungsdatum

20.07.2020

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W183 2232434-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensgang und Feststellungen:

1.       Dem zum Antragszeitpunkt minderjährigen, nunmehr volljährigen Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 19.04.2016, Zl. XXXX , der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2.       Der Beschwerdeführer wurde wegen folgender Handlungen zu folgenden Strafen verurteilt:

?        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 17.01.2018, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des teilweise durch Einbruch begangenen Diebstahls zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten;

?        mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 20.06.2018, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des (versuchten) Raubes sowie der Vergehen des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch und der Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten, wovon 13 Monate bedingt nachgesehen wurden;

?        mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 27.02.2019, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des (versuchten) Raubes und des Vergehens der gefährlichen Drohung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wovon 12 Monate bedingt nachgesehen wurden;

?        mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 01.10.2019, Zl. XXXX , wegen der Vergehen der Körperverletzung, der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, der Urkundenunterdrückung und des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten;

?        mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 18.12.2019, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von 4 Monaten;

?        mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 22.06.2020, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des (versuchten) Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten.

Bei allen Taten handelte es sich um Jugendstraftaten.

Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer wegen keiner anderen gerichtlich strafbaren Handlung, insbesondere nicht wegen eines besonders schweren Verbrechens, verurteilt.

3.       Der zuletzt erfolgten Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht XXXX am 22.06.2020, wegen des Vergehens des (versuchten) Widerstands gegen die Staatsgewalt liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 18.12.2019 in XXXX versucht hat, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, insbesondere seiner Eskortierung aus dem Verhandlungssaal XXXX des Landesgerichts für Strafsachen XXXX zurück in die Justizanstalt XXXX zu hindern versucht hat, indem er Insp XXXX sowie weiteren Beamten der Justizwache unter dem wiederholten Bekunden, er werde ihn bzw. sie „fertig machen“, einen Ellbogenstoß sowie Schläge und Tritte zu versetzen trachtete. Mildernd wurden das teilweise Geständnis gewertet sowie dass es beim Versuch geblieben ist, erschwerend zwei einschlägige Vorstrafen sowie die Begehung innerhalb offener Probezeit und während offenem Strafvollzug.

4.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2020, Zl. XXXX , zugestellt am 30.03.2020, wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.), der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie festgestellt dass seine Abschiebung nach Syrien unzulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde bestimmt (Spruchpunkt VI.) und gegen ihn ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Der angefochtene Bescheid stützte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten im Spruch auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, zu den Gründen für die Aberkennung wurde festgestellt, der Beschwerdeführer sei mehrmals von einem österreichischen Landesgericht wegen Verbrechen und Vergehen rechtskräftig verurteilt worden. In der Beweiswürdigung wurde ausgeführt, dass der Behörde „ausdrücklich klar“ sei, dass der Beschwerdeführer kein besonders schweres Verbrechen verübt habe, aufgrund des jungen Lebensalters und der stetigen Tatwiederholung sie sich jedoch veranlasst sehe, spruchgemäß zu handeln. In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei wegen des Verbrechens des Raubes und mehrmals wegen eines Eigentumsdelikts rechtskräftig verurteilt worden. Aufgrund dieser Straftaten und weiterer Verurteilungen werde eine Gefahr für die „Sicherheit der öffentlichen Ordnung“ eindeutig festgestellt. Aufgrund der wiederholten Straffälligkeit könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Beschwerdeführer der österreichischen Rechtsordnung anpassen könne.

Mit Schriftsatz vom 27.05.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde.

Mit Schriftsatz vom 18.06.2020 (eingelangt am 26.06.2020) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5.       Der Beschwerdeführer erhält derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der vereinten Nationen für Flüchtlinge keinen Schutz oder keine Hilfe.

Es bestehen keine ernsthaften Gründe für den Verdacht, dass der Beschwerdeführer ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen) begangen hat oder dass dieser bevor er als Flüchtling in Österreich anerkannt wurde, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen hat oder sich Handlungen schuldig gemacht hat, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten.

Es finden sich keine stichhaltigen Gründe, die die Annahme rechtfertigen, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, insbesondere sind keine Umstände ersichtlich, die sich gegen den Staat richten und dessen Bestand gefährden und hat die belangte Behörde in keinster Weise begründet, wieso vom Beschwerdeführer eine solche Gefahr ausgehen sollte. Vielmehr hat sie sich lediglich auf die Verurteilungen gestützt.

Der Beschwerdeführer hat sich nicht freiwillig wieder unter den Schutz Syriens gestellt, hat weiterhin nur die syrische Staatsangehörigkeit inne und hat sich nicht wieder freiwillig in Syrien niedergelassen. Der Beschwerdeführer hat seinen Lebensmittelpunkt in Österreich. Seit der dem Beschwerdeführer Asyl zuerkennenden Bescheiderlassung ist es zu keiner Änderung der asylrelevanten Umstände in Syrien gekommen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Die Feststellungen zu den Verurteilungen ergeben sich aus den genannten Urteilen des jeweiligen Landesgerichts.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten eines Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn (1.) ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliegt, (2.) einer der in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder (3.) der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

2. Hinsichtlich des Aberkennungstatbestands des § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist auszuführen, dass gemäß § 6 Abs. 1 AsylG 2005 ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen ist, wenn (1.) und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D GFK genießt, (2.) einer der in Art. 1 Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt, (3.) aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder (4.) er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

Gemäß Art. 1 Abschnitt D GFK findet die leg.cit. auf Personen keine Anwendung, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. Das trifft auf den Beschwerdeführer nicht zu.

Gemäß Art. 1 Abschnitt F GFK sind die Bestimmungen dieses Abkommens auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie (a.) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und zwar im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen, (b) bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben, (c) sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten. Solche Gründe finden sich in Bezug auf den Beschwerdeführer nicht, wurden nicht vorgebracht und sind im Verfahren auch nicht hervorgekommen.

3. Ebensowenig wurde der Beschwerdeführer von einem inländischen oder ausländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt – der Beschwerdeführer wurde lediglich zweimal wegen versuchten, „einfachen“ Raubs verurteilt, es liegt aber nicht einmal ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt vor (vgl. VwGH 15.04.2020, Ra 2020/19/0003); die belangte Behörde unterstellt dem angefochtenen Bescheid sogar ausdrücklich, dass der Beschwerdeführer nicht wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt wurde.

4. Aus einer Zusammenschau der Umstände, dass der angefochtene Bescheid die Aberkennung des Status des Asylberechtigten im Spruch auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stützte, und zu den Gründen für die Aberkennung festgestellt wurde, der Beschwerdeführer sei mehrmals von einem österreichischen Landesgericht wegen Verbrechen und Vergehen rechtskräftig verurteilt worden; weiters, dass in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, dass der Behörde ausdrücklich klar sei, dass der Beschwerdeführer kein besonders schweres Verbrechen verübt habe, aufgrund seines jungen Lebensalters und der stetigen Tatwiederholung sich jedoch veranlasst sehe, spruchgemäß zu handeln; in der rechtlichen Beurteilung ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer sei wegen des Verbrechens des Raubes und mehrmals wegen eines Eigentumsdelikts rechtskräftig verurteilt worden, aufgrund dieser Straftaten und weiterer Verurteilungen werde eine Gefahr für die „Sicherheit der öffentlichen Ordnung“ eindeutig festgestellt, aufgrund der wiederholten Straffälligkeit könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer sich der österreichischen Rechtsordnung anpassen könne, ergibt sich, dass die Behörde die Aberkennung implizit auf § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu stützen scheint.

Verfahrensgegenständlich ist daher die Frage, ob aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ro 2018/01/0014, zur Auslegung des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und der Umstände, die eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen, Folgendes ausgeführt:

„Das Vorliegen stichhaltiger Gründe gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 setzt weder eine - im Gegensatz zum Asylaberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 - rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Fremden, noch sonst die Verwirklichung eines gerichtlichen Straftatbestandes voraus (vgl. die Erläuterungen zum Initiativantrag, 2285/A BlgNR 25. GP, 75, zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 - FrÄG 2017, BGBl. I Nr. 145/2017, wonach in den Fällen gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 die Aberkennung des Status des Asylberechtigten eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung nicht voraussetze und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher das Vorliegen von Aberkennungsgründen in diesen Fällen unabhängig vom Gang eines allfälligen parallel laufenden Strafverfahrens zu beurteilen habe, weshalb es sachgerecht sei, ein Aberkennungsverfahren bereits vor einer rechtskräftigen Verurteilung einzuleiten, sofern gleichwohl Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Asylberechtigte eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle und der Status des Asylberechtigten daher gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen sein könnte). (…) Bei der Auslegung des Art 33 Abs 2 FlKonv muß berücksichtigt werden, daß die Bestimmung NEBEN dem Tatbestand einer Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltslandes aus gewichtigen Gründen durch den Flüchtling auch den Tatbestand enthält, daß der Flüchtling wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet. Aus dem Nebeneinander dieser beiden Tatbestände ist abzuleiten, daß nur dann eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltslandes aus gewichtigen Gründen angenommen werden kann, wenn ganz spezifische Umstände vorliegen, die eine Gefahr FÜR DIE SICHERHEIT DES AUFENTHALTSLANDES darstellen können. Jene Gefahren, die sich für die Gemeinschaft aus der Begehung eines besonders schweren Verbrechens, dessentwegen ein Flüchtling rechtskräftig verurteilt worden ist, ergeben, sind demgegenüber vom zweiten Tatbestand erfaßt. Gefahren für die Gemeinschaft, die sich im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung wegen anderer Verbrechen ergeben, finden offensichtlich in dieser Bestimmung keine Berücksichtigung, es sei denn, sie stellten spezifische Gründe dar, die die Sicherheit des Aufenthaltslandes gefährden und damit den ersten Tatbestand verwirklichen können. Dies gilt auch für den Fall, daß ein Strafverfahren im Aufenthaltsland ANHÄNGIG ist. Unter einer Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltslandes iSd ersten Tatbestandes des Art 33 Z 2 FlKonv sind daher Umstände zu verstehen, die sich gegen den Staat richten und dessen Bestand gefährden. (…) Bei dieser Einzelfallprüfung ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155, Rn. 18, sowie VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0246, Rn. 26, jeweils in Bezug auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005). (…) Der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 erfordert nicht eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des asylberechtigten Fremden bzw. die Verwirklichung eines gerichtlichen Straftatbestandes durch ihn, sondern unabhängig davon stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.“

6. Im gegenständlichen Fall sind keine Umstände hervorgekommen, die zur Annahme gereichen, irgendein Verhalten des Beschwerdeführers habe sich gegen die Republik Österreich selbst gerichtet oder deren Bestand gefährdet. Keinesfalls liegen „ganz spezifische Umstände“ vor, die eine Gefahr für die Sicherheit Österreichs darstellen. Die belangte Behörde hat nicht einmal ansatzweise in diese Richtung gehende Gründe ermittelt oder dargelegt. Sofern sie die Aberkennung des Status des Asylberechtigten auf das Alter des Beschwerdeführers, der mehrmaligen Verurteilung wegen (einfacher) Verbrechen und Vergehen, sowie vage auf eine „Gefahr für die Sicherheit der öffentlichen Ordnung“ stützt – die sie nicht näher ausführt – so hat sie durch die wiederholte Straffälligkeit des Beschwerdeführers keine Umstände dargelegt, die aufzeigen, dass sich die Handlungen des Beschwerdeführers gegen den Staat selbst richten oder dessen Bestand gefährden. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Frage im o.a. Erkenntnis ausgeführt, dass Gefahren für die Gemeinschaft, die sich im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung wegen anderer [nicht schwerer] Verbrechen ergeben, in § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 offensichtlich keine Berücksichtigung finden, es sei denn, sie stellten spezifische Gründe dar, die die Sicherheit des Aufenthaltslandes gefährden.

Der dem unter 5. angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Sachverhalt betraf radikal-salafistische Ideologie, die Stellung der Scharia über die österreichische Rechtsordnung, die Verbreitung einer staatsfeindlichen Grundhaltung sowie staatsfeindlicher Propaganda, die Legitimierung militärischen Jihads und Radikalisierung sowie Anwerbung von Kämpfern in einer Moschee für den „Islamischen Staat“ in Syrien bzw. Nordirak, sowie die Förderung von terroristischen Aktivitäten. Das einzige Verhalten des Beschwerdeführers, welches vor Erlass des angefochtenen Bescheides gesetzt wurde, und deswegen er nach Erlass des Bescheides verurteilt wurde, und das theoretisch auch nur irgendeinen denkmöglichen Hinweis auf die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 liefern könnte (von der belangten Behörde selbst jedoch nicht herangezogen wurde), betrifft den versuchten Widerstand des Beschwerdeführers gegen die Staatsgewalt. Die näheren Umstände der versuchten Handlung – versuchte Tritte und wiederholtes Bekunden, er werde sie „fertig machen“, gegen ihn überstellende Justizwachebeamte – sind jedoch nicht einmal ansatzweise mit fortgesetzter staatsfeindlicher Propaganda, der Verbreitung radikal-salafistischer Ideologie und dem Anwerben von islamistischen Kämpfern für den militärischen Jihad zu vergleichen. Dies zeigt deutlich, dass das Verhalten des Beschwerdeführers nicht zur Subsumtion unter § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 3005 gereicht.

Es sind somit keinerlei spezifische Gründe im Verfahren hervorgekommen, die die Sicherheit des Aufenthaltslandes gefährden, noch wurden solche von der belangten Behörde erwähnt oder näher begründet; daher ist davon auszugehen, dass keine stichhaltigen Gründe vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

Ein Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 liegt daher nicht vor.

7. Hinsichtlich des Aberkennungstatbestands des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist auszuführen, dass gemäß Art. 1 Abschnitt C GFK die GFK auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Art. 1 Abschnittes A GFK fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie (1.) sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat, (2.) die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat, (3.) eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz ihres neuen Heimatlandes genießt, (4.) sich freiwillig in dem Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat, (5.) wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen oder (6.) staatenlos ist und die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.

Die Behörde hat sich ausdrücklich auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt, Umstände, die das Vorliegen der in Z 2 leg. cit. genannten Aberkennungsgründe annehmen lassen, sind aber in keinster Weise hervorgekommen oder vorgebracht worden.

8. Da im gegenständlichen Fall kein Grund vorliegt, dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten abzuerkennen, insbesondere nicht deswegen, da aus stichhaltigen Gründen angenommen werden könnte, dass er eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle, ist Spruchpunkt I. des im Spruch genannten Bescheides ersatzlos zu beheben, da dieser vollkommen ohne Rechtsgrundlage ergangen ist.

9. Da die Spruchpunkte II. bis VII. des im Spruch bezeichneten Bescheides denklogisch eine Aberkennung des Status des Asylberechtigen voraussetzen, sind diese ebenso zu beheben. Weiters ist die belangte Behörde darauf hinzuweisen, dass ihre Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens auch deswegen fehlgeht, da es sich dabei um eine Jugendstraftat gehandelt hat und nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Aberkennung (bzw. im gegenständlichen Fall: Nichtzuerkennung) des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht auf eine Verurteilung wegen eines Verbrechens nach § 17 StGB gestützt werden kann, die wegen einer Jugendstraftat erfolgt ist (vgl. VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0246).

10. Gemäß § § 24 Abs. 4 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung u.a. dann entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Das ist hier der Fall, da die belangte Behörde die Aberkennung auf die wiederholte Straffälligkeit des Beschwerdeführers stützt, was jedoch weder ein Aberkennungsgrund nach § 7 AsylG 2005, noch ein Ausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 ist, und die Aberkennung somit ohne bestehende Rechtsgrundlage erfolgt ist.

Insgesamt war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungsverfahren Behebung der Entscheidung besonders schweres Verbrechen Diebstahl ersatzlose Behebung Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose gefährliche Drohung Gesamtbetrachtung Gesamtbeurteilung Gewerbsmäßigkeit Haft Haftstrafe Jugendstraftat Kassation Körperverletzung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Raub Rückkehrentscheidung behoben Sachbeschädigung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Urkundenunterdrückung Verbrechen Vergehen Wiederholungstaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W183.2232434.1.00

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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