TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/21 W187 2190382-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2020
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Entscheidungsdatum

21.07.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2190382-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Mag. Martin SAUSENG, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 und 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Er sei am XXXX in Afghanistan in der Provinz XXXX geboren und sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer habe Afghanistan bereits im Jahr XXXX verlassen und sei im Iran aufgewachsen. Seine Familie lebe nach wie vor im Iran. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, seine Eltern hätten Afghanistan damals aufgrund eines Grundstücksstreites verlassen. Im Iran habe der Beschwerdeführer illegal leben müssen. Es sei dort auch sehr teuer gewesen. In Österreich wolle sich der Beschwerdeführer eine bessere Zukunft und ein besseres Leben aufbauen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er um sein Leben.

3. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Zulassungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein seiner Rechtsberaterin und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich insbesondere zu seiner Reiseroute und seinem Aufenthalt in Ungarn einvernommen. Hier führte er zunächst aus, dass seine Staatsangehörigkeit und sein Geburtsdatum im Protokoll der Erstbefragung falsch erfasst worden seien. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und am XXXX geboren. Zu seinem Aufenthalt in Ungarn gab er an, dass er drei oder vier Tage in Ungarn gewesen und dort geschlagen worden sei. Den Asylantrag in Ungarn habe er nicht freiwillig gestellt. Sein Zielland sei von Anfang an Österreich gewesen.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn für die Prüfung des Antrages gemäß Art 18 Abs 1 lit b Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben (Spruchpunkt A). Die ordentliche Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zugelassen (Spruchpunkt B).

Die belangte Behörde erhob gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX weder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof noch eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Das Erkenntnis vom XXXX ist daher rechtkräftig.

7. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer zunächst an, er sei im Iran in der Provinz XXXX in der Stadt XXXX geboren. In Afghanistan sei er noch nie gewesen. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, im Iran sei er als Kind immer beschimpft worden. Die Nachbarn hätten ihren Kindern nicht erlaubt, mit ihm zu spielen. Auch in der Schule sei er sehr schlecht behandelt worden und habe diese nicht abschließen dürfen. Der Beschwerdeführer habe im Iran keine Rechte gehabt. Das größte Problem habe der Beschwerdeführer mit seiner Familie gehabt, da er den Islam nicht akzeptiere. Er sei gegen diese Religion. Seine Mutter und ihre Brüder hätten ihn jedoch gezwungen, zu beten und zu fasten, obwohl er das nicht wollte. Der Islam sei eine Religion, die er nicht akzeptieren könne. Er sei eine Religion der Gewalt. Viele Dinge, wie etwa Feiern und Musik hören, seien im Islam verboten. Männer und Frauen seien einander nicht gleichgestellt. Sogar Tiere würden in dieser Religion schlecht behandelt werden. Das Leben sei für den Beschwerdeführer unerträglich gewesen, weshalb er geflüchtet sei. In Afghanistan sei der Beschwerdeführer noch nie gewesen. Er wolle auch nie nach Afghanistan, da es sich um ein islamisches Land handle. In Österreich besuche der Beschwerdeführer einen Taufvorbereitungskurs und habe die Absicht, sich taufen zu lassen.

8. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt VI. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

10. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Entscheidung vorgelegt. Unter einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

11. Mit Schriftsatz vom XXXX legte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers einen Taufschein vor, aus dem ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer am XXXX durch die römisch-katholische Kirche, Erzdiözese XXXX in der Pfarre XXXX in XXXX getauft und gefirmt wurde.

12. Mit Schriftsatz vom XXXX langte eine Vertretungsbekanntgabe von Mag. Martin SAUSENG, Rechtsanwalt, beim Bundesverwaltungsgericht ein. In einem wurde ersucht, ehestmöglich eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen und durchzuführen.

13. Die bisherige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, legte die erteilte Vollmacht mit Schreiben vom XXXX zurück.

14. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.

15. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, Mag. Martin SAUSENG, Rechtsanwalt, gab mit Schriftsatz vom XXXX bekannt, dass der Beschwerdeführer die mündliche Beschwerdeverhandlung ohne sein Beisein verrichten werde.

16. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsvertreters der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja, ich rede Farsi/Dari. Ich möchte in Dari reden.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Mir geht es gut.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin im Iran geboren. Ich bin im Iran geboren und aufgewachsen. Geboren bin ich im Jahr XXXX . Ich bin in der Stadt XXXX geboren. Ich bin am XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Farsi/Dari und auch Deutsch. Meine Muttersprache ist Dari, aber da ich im Iran aufgewachsen bin, kann ich auch gut Farsi.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Tadschike. Religion: Christ. Familienstand: Ledig.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich im Iran aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Innerhalb von XXXX wohnte ich an verschiedenen Adressen.

Richter: Wie haben Sie im Iran gewohnt?

Beschwerdeführer: In verschiedenen Miethäusern.

Richter: Was haben Sie im Iran gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe dort die Schule besucht und habe auch meinem Vater bei seiner Arbeit geholfen. Ein Jahr lang habe ich auch als Friseurgehilfe gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: 9 Jahre Schulbildung habe ich.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Familie lebt immer noch in XXXX in einem Miethaus.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Schon, aber nicht häufig. Alle drei oder vier Monaten telefoniere ich mit ihnen. Unser Verhältnis ist schlechter geworden.

Richter: Haben Sie in Afghanistan weitere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich weiß nichts darüber, aber ich habe gehört, dass wir dort Verwandte haben.

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Sie wollen schon den Iran verlassen und hier im Ausland leben, aber sie können das nicht, weil ihnen das finanziell nicht möglich ist.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe Deutschkurse besucht. Ich lerne auch per YouTube Deutsch. Ich habe gearbeitet und habe auch freiwillig gearbeitet.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Ich gehe nur ins Fitnessstudio.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Gar nicht.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich bin in einem islamischen Land aufgewachsen. Im Iran muss man nur an den Islam glauben. Andere Religionen lehnen sie ab und möchten die Angehörigen von anderen Religionen töten. Das mag ich aber nicht. Als ich erwachsen wurde, hat sich mein Glaube verändert. Im Islam ist es so, ein Mann kann vier Frauen haben und auch eine uneheliche Beziehung haben, das ist kein Problem. Aber, wenn eine Frau eine uneheliche Beziehung hat, wird sie gesteinigt. Ich hatte Probleme damit. Ich bin für Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Ich bin im Iran geboren, aber habe dennoch keine Dokumente oder eine Aufenthaltsberechtigung bekommen und wie die Situation von afghanischen Flüchtlingen im Iran ist, wissen Sie vielleicht besser, sie werden umgebracht oder verbrannt. Meine Eltern wohnen seit ca. 40 Jahren dort und haben dennoch keine Aufenthaltsberechtigung. Ich habe Zuflucht hier in Österreich gesucht und möchte mir hier ein Leben aufbauen. Im Iran konnte ich nicht einmal auf meinen Namen eine SIM-Karte kaufen. Die Afghanen werden dort schlecht behandelt.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Die Iraner haben mich schlecht behandelt und belästigt, also beschimpft, beleidigt oder erniedrigt. Manchmal haben sie mich auch geschlagen. Sie sagten, wir Afghanen hätten ihr Land besetzt.

Richter: Wodurch sind Sie im Iran bedroht?

Beschwerdeführer: Die Iraner beschimpfen uns Afghanen und bedrohen uns mit dem Tod.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Mein Vater bezahlte meine Ausreise.

Richter: Welcher Richtung des Islam gehört ihre Familie an (Sunniten oder Schiiten)?

Beschwerdeführer: Sunniten.

Richter: Wie sind Sie mit der Katholischen Kirche in Kontakt gekommen?

Beschwerdeführer: Über einen Freund.

Richter: Wie sind Sie davon überzeugt worden, sich taufen zu lassen?

Beschwerdeführer: Mein Freund hat mit mir über das Christentum gesprochen. Das hat mir gut gefallen. Ich bin dann in die Kirche gegangen und habe dort gesehen, dass Frauen und Männer gemeinsam beten. Sie beten für alle Propheten. Sie wollen für andere den Tod nicht. Sie sind für Gleichberechtigung und treten die Rechte von anderen nicht mit Füßen. Die Muslime helfen nur Muslimen und Leute von anderen Religionen werden von ihnen nicht geholfen, aber das ist bei Christen anders. Sie helfen sogar den Muslimen und auch Mitgliedern von anderen Religionen.

Richter: Wie oft sind Sie in einer Kirche?

Beschwerdeführer: Sonntags gehe ich zum Gottesdienst und an anderen Tagen, wenn es ein Fest gibt, gehe ich auch in die Kirche.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig an katholischen Messen Teil?

Beschwerdeführer: Ja, schon.

Richter: Haben Sie eine bestimmte Pfarrgemeinde, bei der Sie regelmäßig sind? Wenn ja, welche ist das?

Beschwerdeführer: XXXX . Sie befindet sich in XXXX in der XXXX .

Richter: Was sind die wichtigsten Grundlagen des katholischen Christentums?

Beschwerdeführer: Ich verstehe die Frage nicht. Was meinen Sie damit?

Richter: Woran glauben Sie?

Beschwerdeführer: An Jesus.

Richter: Wer ist Gott?

Beschwerdeführer: Ist Jesus, der Messias. Der Gott hat drei Persönlichkeiten, der Heilige Geist, Vater und Sohn.

Richter: Was sind die Sakramente?

Beschwerdeführer: Ja, das weiß ich. Es gibt sieben Sakramente. Die Taufe, Blut und Leib Jesus, Reue zeigen und Frieden schließen mit Gott (Beichte), Firmung, Heirat, Glaube an Gott und „Taqlis“.

Richter: Welche sind die wichtigsten Gebete?

Beschwerdeführer: Vater Unser und das Glaubensbekenntnis und auch das Gebet Mariam.

Richter: Welcher ist höchste katholische Feiertag?

Beschwerdeführer: Das wichtigste Fest ist Ostern und die Geburt Jesus und Pfingsten.

Richter: Wer ist das Oberhaupt der katholischen Kirche?

Beschwerdeführer: Papst Franziskus.

Richter: Was ist die Grundlage des katholischen Glaubens?

Beschwerdeführer: Die Bibel.

Richter: Aus welchen Teilen besteht die Bibel?

Beschwerdeführer: Es besteht aus 66 Büchern, also das Alte und das Neue Testament.

Richter: Besteht Ihrer Ansicht nach wirklich Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Kirche, obwohl nur Männer Priester werden können?

Beschwerdeführer: Können die Frauen das nicht?

Richter: Nein.

Beschwerdeführer: Im Christentum ist das so, mein Lehrer hat mir erzählt, dass nur Männer Priester werden können.

Richter: Wodurch unterscheidet sich das Christentum in Ihren Augen vom Islam so sehr, dass Sie sich haben taufen lassen?

Beschwerdeführer: Im Islam ist es so, dass Gott der Herr ist und wir die Knechte. Man hat Angst vor Gott. Im Christentum ist der Gott der Vater und wir die Kinder.

Richter: Gehen Sie regelmäßig zur Beichte?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Habe Sie Ihrer Familie von der Taufe erzählt?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Was haben diese gesagt?

Beschwerdeführer: Sie sind dagegen. Unser Verhältnis ist dadurch schlechter geworden.

Richter: Nehmen Sie am Leben Ihrer Pfarrgemeinde teil, zB an Veranstaltungen und Festen?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich lebe seit fünf Jahren hier und hatte weder mit der österreichischen Bevölkerung, noch mit Behörden Probleme. Ich habe die Sprache hier gelernt. Ich bin jetzt auch mit der österreichischen Kultur vertraut. Ich kenne hier die Gesetze. Ich bin Christ geworden und somit ist für mich eine Rückkehr unmöglich. Als Christ würde ich dort Probleme haben, sogar auch mit meiner eigenen Familie.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich möchte nicht nach Afghanistan zurückkehren. Ich habe meine Religion gewechselt und in Afghanistan würden mich die Leute dort als Abtrünniger bezeichnen und als solcher wird man mit dem Tod bestraft.

[…]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja.“

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Bestätigungsschreiben der römisch-katholischen Pfarre XXXX vor, das zum Akt genommen wurde. Seine Rechtsvertretung erstattete ergänzendes Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer sein Leben lang nicht in Afghanistan gewesen sei und dort weder Familienangehörige noch sonstige soziale Kontakte habe. Er sei dort völlig auf sich alleine gestellt. Die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum stelle eine besondere Gefahr dar. Christen würden in Afghanistan systematisch verfolgt und könnten ihren Glauben nicht öffentlich ausleben, ohne der Gefahr der Gewaltandrohung ausgesetzt zu sein oder Opfer von Gewalt zu werden. Laut Christenverfolgungsindex der NGO Open Doors sei Afghanistan nach Nordkorea das gefährlichste Land für Christen. Die Hinwendung zum Christentum werde stark abgelehnt, sei verboten und werde auch bestraft.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben im Iran

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich seit dem Jahr XXXX zum christlichen Glauben. Seine Muttersprache ist Dari. Weiters spricht er ein wenig Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Die Familie des Beschwerdeführers stammt ursprünglich aus der afghanischen Provinz Laghman und verließ Afghanistan noch vor der Geburt des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer wurde im Iran in der Provinz XXXX in der Stadt XXXX geboren und verbrachte dort sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise Richtung Europa. Der Beschwerdeführer wuchs im Iran im afghanischen Familienverband in diversen Mietwohnungen mit seinen Eltern, drei Schwestern und drei Brüdern auf. Er besuchte im Iran neun Jahre die Schule. Nebenbei half er seinem Vater bei seiner Arbeit als Tagelöhner. Weiter arbeitete der Beschwerdeführer ein Jahr lang als Friseurgehilfe.

Die Eltern des Beschwerdeführers, seine Schwestern und seine Brüder leben nach wie vor im Iran in der Stadt XXXX in einem Miethaus. Die finanzielle Situation der Familie des Beschwerdeführers ist eher schlecht. Weiter lebt ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers im Iran. Das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Familie hat sich aufgrund seiner Konversion zum Christentum verschlechtert. Der Beschwerdeführer hat alle drei oder vier Monate telefonisch Kontakt mit seiner Familie im Iran. In Afghanistan leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers oder sonstige Bezugspersonen.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste im XXXX in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er nahm seit seiner Einreise an mehreren Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskursen teil, legte bislang jedoch noch keine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen ab. Es kann daher nicht festgestellt werden, auf welchem Niveau der Beschwerdeführer Deutsch spricht. Im XXXX nahm der Beschwerdeführer am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil. Im XXXX wurde der Beschwerdeführer in der römisch-katholischen Pfarre XXXX getauft und gefirmt. Der Beschwerdeführer arbeitet ehrenamtlich für die Pfarre, trägt das Pfarrblatt aus und hilft beim Pfarrcafé sowie den Pfarrfesten. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein, hat jedoch in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. In seiner Freizeit lernt der Beschwerdeführer Deutsch über YouTube, geht ins Fitnessstudio oder in die Kirche.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit Verfolgung aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben, mit Verfolgung als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, mit Verfolgung wegen eines Grundstücksstreits seiner Eltern in Afghanistan sowie mit der allgemeinen Sicherheitslage.

Der Beschwerdeführer war ursprünglich sunnitischer Moslem und ist als solcher im Iran aufgewachsen. Bereits im Iran übte der Beschwerdeführer Kritik am islamischen Glauben. Seine Familie zwang ihn jedoch, zu beten und zu fasten und die Moschee zu besuchen. In Österreich kam der Beschwerdeführer über Gespräche mit Freunden mit dem Christentum in Berührung und besuchte daraufhin regelmäßig den Gottesdienst der römisch-katholischen Pfarre XXXX und nahm an einem Glaubens- und Taufvorbereitungskurs teil.

Der Beschwerdeführer hat sich von seinem islamischen Glauben aus ideeller Überzeugung abgewandt und wurde am XXXX in der römisch-katholischen Pfarre XXXX getauft und gefirmt. Er ist praktizierendes Gemeindemitglied der römisch-katholischen Pfarre XXXX besucht regelmäßig den Gottesdienst, trägt das Pfarrblatt aus und hilft bei den Pfarrcafés oder bei Pfarrfesten.

Der Beschwerdeführer ist aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert; der christliche Glaube ist wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer seinem Interesse für den christlichen Glauben weiter nachgehen. Die Familie des Beschwerdeführers weiß über seine Konversion Bescheid.

Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung aus Gründen der Religion wegen seiner Zuwendung zum Christentum und seines Glaubensabfalls vom Islam. Er würde in Gefahr laufen, aufgrund seines christlichen Glaubens Opfer von Übergriffen, psychischer oder physischer Gewalt bis hin zum Tod zu werden. Von einer solchen Verfolgung ist im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan auszugehen. Als Apostat bzw. Konvertit steht dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Zu den Angaben des Beschwerdeführers über die (weiteren) Gründe, aufgrund derer er eine Verfolgung im Fall seiner Rückkehr befürchtet, werden keine Feststellungen getroffen.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an – eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als „Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.4.1.2 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. – 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten „Geldbußen“ und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll 12 Ableger, in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnersc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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