TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/22 W140 2162884-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.07.2020
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Entscheidungsdatum

22.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch

W140 2162884-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2020, Zahl: XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG, §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang

1.1. Erstes Verfahren

Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in die Republik Österreich ein und stellte am 11.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er bei seiner Erstbefragung am 12.07.2016 angab, afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und schiitischer Moslem zu sein. Geboren sei er in Maidan Wardak, Afghanistan. Als Kind wäre er jedoch mit den Eltern in den Iran gegangen. Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Vater und Bruder in Afghanistan verschollen wären. Seine Familie habe dort Feinde. In den Iran könne er nicht zurück, weil er dann im Syrienkrieg kämpfen müsse.

Der Beschwerdeführer wurde am 16.05.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. In der Folge sagte er betreffend seine Fluchtgründe zusammengefasst aus, dass es zwischen seiner Familie und der paschtunischen Familie der zweiten Frau seines Großvaters Grundstücksstreitigkeiten gegeben hätte, weshalb er mit seinen Eltern vor 18 Jahren in den Iran geflüchtet wäre. Der Vater und der Bruder wären vor acht oder neun Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt, um sich um die Grundstücke zu kümmern, allerdings wären sie verschollen. Da die feindliche Familie dahinterstecken könnte, habe auch der BF Angst, nach Afghanistan zurückzukehren.

Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 09.06.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde.

Während des laufenden Asyl- bzw. Beschwerdeverfahrens wurde der BF im Bundesgebiet wiederholt straffällig:

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , Zahl: XXXX , wurde der BF erstmals wegen Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei ihm die verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil XXXX vom 05.08.2019 Zahl: XXXX , wurde der BF erneut wegen Suchtgiftverkaufes zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei ihm ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde. Die Probezeit der in der Erstverurteilung bedingt nachgesehenen Strafe wurde auf fünf Jahre verlängert.

Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 16.10.2019 wurde der BF mit Bescheid des BFA vom 01.10.2019 in Schubhaft genommen.

Am 31.03.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.04.2020, Zl. W241 2162884-1/30E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.Das Bundesverwaltungsgericht führte in den Entscheidungsgründen des Erkenntnisses u.a. aus:

„I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 11.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 12.07.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an: Er sei Hazara, schiitischer Moslem und afghanischer Staatsbürger. Geboren sei er in Maidan Wardak, Afghanistan, als Kind wäre er jedoch mit den Eltern in den Iran gegangen. Vor ca. vier Monaten sei er vom Iran über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist. Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Vater und Bruder in Afghanistan verschollen wären. Seine Familie habe dort Feinde. In den Iran könne er nicht zurück, weil er dann im Syrienkrieg kämpfen müsse.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 16.05.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, machte der BF zuerst Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und seinen Integrationsbemühungen in Österreich. In der Folge sagte er betreffend seine Fluchtgründe zusammengefasst aus, dass es zwischen seiner Familie und der paschtunischen Familie der zweiten Frau seines Großvaters Grundstücksstreitigkeiten gegeben hätte, weshalb er mit seinen Eltern vor 18 Jahren in den Iran geflüchtet wäre. Der Vater und der Bruder wären vor acht oder neun Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt, um sich um die Grundstücke zu kümmern, allerdings wären sie verschollen. Da die feindliche Familie dahinterstecken könnte, habe auch der BF Angst, nach Afghanistan zurückzukehren. Abschließend legte der BF verschiedene ärztliche Unterlagen und einen Antrag auf Förderung für mobile Pflege und Betreuung vom 18.04.2017 vor.

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 09.06.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF betreffend eine Verfolgung seiner Person in Afghanistan sei nicht glaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien. Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse – im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen – glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei. Das Vorbringen des BF betreffend die Ereignisse im Iran könne aufgrund seiner afghanischen Staatsangehörigkeit außer Betracht bleiben. Die angebliche Möglichkeit einer Bedrohung durch eine paschtunische Familie in Afghanistan wären von ihm nur vage und oberflächlich und somit nicht glaubhaft geschildert worden. In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde. Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Auch wenn ein bestehendes soziales Netz in Kabul nicht festgestellt werden hätte können, sei dem BF auch ohne Anknüpfungspunkte eine Niederlassung in Kabul möglich, da er erwachsen, gesund und erwerbsfähig sei, sodass er in Kabul selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufkommen könne.

1.5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 22.06.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. In der Beschwerdebegründung wurde die Beweiswürdigung des BFA kritisiert und auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen.

1.6. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 29.06.2017 beim BVwG ein und wurde am 30.10.2019 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

1.7. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , Zahl: XXXX , wurde der BF erstmals wegen Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei ihm die verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde.

1.8. Mit handschriftlichem Schreiben vom 05.07.2019 wiederholte der BF seine Fluchtgründe und brachte vor, dass er lange heroinabhängig gewesen wäre und aktuell eine Drogentherapie absolviere. Er leide auch an epileptischen Anfällen und habe psychische Beschwerden.

1.9. Mit Urteil des XXXX vom 05.08.2019 Zahl: XXXX , wurde der BF erneut wegen Suchtgiftverkaufes zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei ihm ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde. Die Probezeit der in der Erstverurteilung bedingt nachgesehenen Strafe wurde auf fünf Jahre verlängert. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 16.10.2019 wurde der BF mit Bescheid des BFA vom 01.10.2019 in Schubhaft genommen.

1.10. In der Folge wurden durch den amtsärztlichen Dienst des PAZ XXXX medizinische Unterlagen und ein amtsärztliches Gutachten vom 20.02.2020 übermittelt. Aus diesem Gutachten geht hervor, dass beim BF weder psychische Erkrankungen vorliegen würden, noch befinde er sich in einer Drogenersatztherapie. Es würden auch seit Oktober 2019 keine Hinweise auf Krampfanfälle aus dem epileptischen Formenkreis bestehen. Der BF sei haft- und einvernahmefähig.

1.11. Das BVwG führte am 31.03.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein seines gewillkürten Vertreters persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung. Der BF machte Angaben zu seinem Gesundheitszustand, seinen persönlichen Verhältnissen sowie zu der ihm angeblich drohenden Gefahr durch eine paschtunische Familie in Afghanistan.

II. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

•        Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA sowie die Beschwerde

•        Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

•        Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 31.03.2020

•        Einsicht in das amtsärztliche Gutachten vom 20.02.2020, die medizinischen Unterlagen und die vom BF vorgelegten Schriftstücke

•        Einsichtnahme in folgende vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o        Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Zusammenfassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 13.11.2019)

o        Sicherheitslage in der Heimatprovinz Maidan-Wardak

o        Auszug aus der Analyse der Staatendokumentation zu: „Afghanistan – Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019“

o        Feststellungen zur Lage in der Stadt Mazar-e Sharif

o        Auszug zu den ethnischen Minderheiten in Afghanistan (Hazara)

o        Auszug aus einer Anfragebeantwortung zur Situation für Afghanen, die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und nach Afghanistan kommen

o        EASO-Zusammenfassung vom April 2019 zu den Städten Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat

o        Ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan vom November 2019

o        Ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Scharif, 15.01.2020

o        eine Anfragebeantwortung betreffend die Verfügbarkeit von Behandlungen und Medikamenten von psychischen Erkrankungen.

III. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen: 3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht auch etwas Deutsch. Der BF ist ledig und stammt aus der Provinz Maidan Wardak. Im Alter von sechs Jahren ist er mit seinen Eltern und Geschwistern in den Iran gegangen, wo er sich ca. achtzehn Jahre bis zu seiner Ausreise nach Österreich aufhielt. Seine Mutter ist bereits verstorben, der Aufenthaltsort seines Vaters und Bruders ist unbekannt. Seine Schwester ist mit ihrer Familie in XXXX wohnhaft, sie hat dort einen eigenen Frisör-und Kosmetiksalon. Ferner hat der BF noch Cousins und Cousinen in Deutschland, die Cousins sind im Import/Export-Geschäft tätig. Der BF hat acht Jahre eine Schule besucht und in der Folge als Autolackierer gearbeitet. Laut Angaben des BF besteht zu seiner Schwester in XXXX , die ihn finanziell unterstützt, Kontakt. Zu seinen Cousins in Deutschland hatte er zum letzten Mal vor ca. zwei Jahren telefoniert. Aktuell hat er keine Telefonnummern dieser Verwandten, laut seinen Angaben ist es ihm jedoch möglich, über seine Schwester mit diesen Kontakt aufzunehmen. Die finanzielle Lage der in Europa aufhältigen Verwandten wurde vom BF als gut bezeichnet.

3.1.2. Der BF ist jung und männlich. Der BF hat Asthma und leidet an Nierenschmerzen. Ihm wurden aktuell ein entzündungshemmendes Medikament, ein Antidepressivum, ein Schlafmittel und ein Nasenspray verschrieben. Laut Gutachten vom 20.02.2020 haben sich keine Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten ergeben, insbesondere nicht auf die von ihm behaupteten epileptischen Anfälle oder psychische Beschwerden.

3.1.3. Der BF wurde in der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan geboren, seine Eltern haben mit ihm als Sechsjähriger Afghanistan verlassen und sind in den Iran gegangen. Anfang 2016 begab sich der BF über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er am 11.07.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

3.1.4. Der BF hält sich seit Juli 2016 in Österreich auf und verfügt über rudimentäre Deutschkenntnisse. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig, erledigt aktuell Hausarbeiten in der Schubhaft und hat in Österreich keine Verwandten. Mit Urteil des XXXX vom XXXX , Zahl: XXXX , wurde der BF erstmals wegen Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei ihm die verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde. Mit Urteil des XXXX vom 05.08.2019 Zahl: XXXX , wurde der BF erneut wegen Suchtgiftverkaufes zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei ihm ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde. Die Probezeit der in der Erstverurteilung bedingt nachgesehenen Strafe wurde auf fünf Jahre verlängert.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF: Der BF hat sein Vorbringen, dass er in Afghanistan einer Bedrohung durch eine paschtunische Familie ausgesetzt wäre, nicht glaubhaft gemacht. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Religion bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara bzw. der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist. Weiters ist weder der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich mehrere Jahre seines Lebens im Iran sowie zuletzt in Europa aufgehalten und hier eine „westliche Wertehaltung“ kennengelernt hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus dem Iran oder aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Der BF verließ den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen, insbesondere schiitische Hazara.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3.2. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat sich – laut amtsärztlichem Gutachten vom 20.02.2020 – im Verfahren nicht ergeben.

3.3.3. Eine Rückkehr des BF in die Herkunftsprovinz der Eltern Maidan Wardak scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann. Dem BF ist es aber möglich und zumutbar, sich stattdessen in Mazar-e Sharif oder Herat niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates – so wurde er von seinen Eltern nach afghanischen Sitten erzogen – und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und hat acht Jahre lang eine Schule besucht. Danach hat er als Autolackierer gearbeitet. Der BF lebte bisher nicht in Mazar-e Sharif oder Herat, und es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF dort über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfügt. Allerdings kann er auf die Unterstützung seiner Angehörigen, zu denen teilweise Kontakt besteht, zurückgreifen, welche in Europa leben und deren Lebensunterhalt gesichert ist. So hat ihn auch bisher seine in XXXX aufhältige, berufstätige Schwester finanziell geholfen, zu seinen Cousins in Deutschland, die als Händler tätig sind, kann er über seine Schwester Kontakt aufnehmen. Dem BF ist aus eigenem und mit Hilfe dieser Angehörigen der Aufbau einer Existenzgrundlage in Mazar-e Sharif oder Herat möglich. Der BF kann seine Existenz in Mazar-e Sharif oder Herat – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass ihm seine in Europa aufhältigen, finanziell gut situierten Verwandten – zumindest zu Beginn als Starthilfe – finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Auch kann der BF Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe erhalten. Als alleinstehender, nicht schwer erkrankter und leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter samt Berufserfahrung als Autolackierer ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.3.4. Der BF kann die Städte Mazar-e Sharif und Herat – über Kabul – von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF: Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan („Gesamtaktualisierung am 13.11.2019“, Schreibfehler teilweise korrigiert):

(…)

3.4.6. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 02.04.2020, 15:00 Uhr, 10.996 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 158 Todesfälle; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 239 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei fünf diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

4. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde: Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

4.1. Zur Person des BF: Die Feststellungen zur Identität des BF (Name und Geburtsdatum) ergeben sich aus seinen diesbezüglich konsistenten, übereinstimmenden und nachvollziehbaren Angaben vor dem BFA, im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des BF stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari. Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest. Die Feststellungen betreffend die Aufenthaltsorte seiner Angehörigen und derer Lebensumstände beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des BF. Die Feststellungen zu seiner Schulbildung und Tätigkeit als Autolackierer beruhen auf seinen eigenen, unbestrittenen Angaben.

4.2. Zu den Fluchtgründen des BF: Die Feststellungen zu den Gründen des BF für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die von ihm vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG getroffenen Aussagen. Als fluchtauslösendes Ereignis brachte der BF im Verfahren vor, dass es Grundstücksstreitigkeiten mit einer paschtunischen Familie – Angehörige der zweiten Frau des Großvaters – gegeben hätte. Sein Vater und sein Bruder wären in Afghanistan verschollen, die gegnerische Familie könnte dafür verantwortlich sein, weshalb auch der BF dort in Gefahr sei. In den Iran könne er ebenfalls nicht zurück, da ihm dort drohe, in den Syrienkrieg geschickt zu werden.

4.2.1. Soweit der BF ihm widerfahrene Ereignisse im Iran als Grund für seine Flucht aus diesem Land angibt – konkret die Gefahr, nach Syrien geschickt zu werden –, ist dazu festzuhalten, dass dieses Vorbringen, das sich auf den Iran bezieht, für die vorliegend zu lösende Rechtsfrage, ob dem BF in seinem Herkunftsstaat Afghanistan eine Verfolgung gemäß der in der GFK aufgezählten Gründe droht, nicht relevant ist.

4.2.2. Bezüglich der Behauptungen des BF, in Afghanistan drohe ihm Gefahr durch eine paschtunische Familie, ist auszuführen, dass diese Verfolgungsgründe weder bewiesen noch ausreichend belegt worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des BF und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF hat vor allem zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Vortrags zu seinen Fluchtgründen die Wahrheit gesagt hat; auch ist die Beachtung der in § 15 AsylG normierten Mitwirkungspflichten gemäß § 18 Abs. 2 AsylG und die sonstige Mitwirkung des BF im Verfahren zu berücksichtigen. Im Falle des BF ist festzuhalten, dass dieser nicht glaubhaft vermitteln konnte, in Afghanistan einer Verfolgung durch die Familie der zweiten Ehefrau seines Großvaters ausgesetzt zu sein. Die Angaben des BF erschöpfen sich bezüglich einer möglichen Bedrohungssituation in reinen Spekulationen, zumal die Grundstücksstreitigkeiten vor über 20 Jahren stattgefunden haben sollen und somit kein zeitlicher Zusammenhang mit der Fluchtbewegung des BF zu erkennen ist. Auch ist das Vorbringen, die gegnerische Familie habe etwas mit dem Verschwinden des Vaters und Bruders vor acht oder neun Jahren zu tun, vage sowie oberflächlich und stellt ebenfalls nur eine in den Raum gestellte Mutmaßung des BF dar. Die Befürchtung des BF, aktuell von Mitgliedern der paschtunischen Familie in den Großstädten Afghanistans bzw. landesweit gesucht und gefunden zu werden, ist nicht nachvollziehbar, zumal es als unwahrscheinlich anzusehen ist, dass die Familie den Aufwand betreiben bzw. über die Mittel verfügen würde, den BF in Großstädten wie Mazar-e Sharif oder Herat aufzuspüren. Die diesbezüglichen Befürchtungen des BF blieben vage Vermutungen, eine konkrete Erklärung, inwiefern es der verfeindeten Familie möglich sein sollte, den BF in ganz Afghanistan zu finden, obwohl die fluchtauslösenden Ereignisse bereits mehr als 20 Jahre zurückliegen und der gewählte Aufenthaltsort des BF in Afghanistan nach einer Rückkehr den Mitgliedern der Familie nicht bekannt sein würde, blieb der BF schuldig. Die allgemein gehaltene und abstrakte Behauptung, der verfeindete Stiefonkel arbeite mit der Polizei zusammen, reicht nicht, um von einer konkreten Gefährdungslage für den BF in Afghanistan auszugehen. Dem BF steht in jedem Fall eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Darüber hinaus stellt die geschilderte Bedrohung durch eine paschtunische Familie eine Verfolgung durch Private dar, weshalb es hier überdies an einem ausreichenden Zusammenhang mit einem Konventionsgrund fehlt.

4.2.3. Hinsichtlich zur behaupteten Verfolgung des BF durch Paschtunen aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams in Afghanistan wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen. Auch haben sich keine Hinweise ergeben, dass dem BF (individuell) in Afghanistan aufgrund seines mehrjährigen Aufenthalts im Iran und in Europa sowie einer hier erfahrenen „westlichen Wertehaltung“ eine konkret gegen ihn gerichtete physische und/oder psychische Gewalt oder andere erhebliche Eingriffe drohen könnten. Hinsichtlich einer möglichen Gruppenverfolgung von Rückkehrern aus dem Ausland in Afghanistan wird ebenfalls auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.

4.2.4. Der Ermittlungspflicht des BFA steht eine Mitwirkungspflicht des BF gegenüber. Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der BF die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft-Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH 13.04.1988, 86/01/0268). Der Antragsteller hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u.a. VwGH 26.06.2997, 95/18/1291, VwGH 17.07.1997, 97/18/0336, VwGH 05.04.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann. Das Verwaltungsverfahren im Asylverfahren sieht neben der allgemeinen Manuduktionspflicht des AVG (§ 13a leg. cit.) eine Reihe weiterer verfahrenssichernder Maßnahmen vor, um einerseits der Verpflichtung nach § 37 AVG nachhaltig Rechnung zu tragen, sowie andererseits um die in einem solchen Verfahren oft schwierigen Beweisfragen zu klären. Daher ist die erkennende Behörde auch auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze angewiesen. Die Bildung von solchen Erfahrungssätzen ist aber nicht nur zu Gunsten des Asylwerbers möglich, sondern sie können auch gegen ein Asylvorbringen sprechen. Es entspricht der ständigen Judikatur des VwGH, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens – niederschriftlichen Einvernahmen – unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Da dies auf das Vorbringen des BF zutrifft, konnte der BF eine begründete, asylrelevante Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen. Von weiteren Erhebungen im Herkunftsland konnte daher Abstand genommen werden. Da weitere Fluchtgründe weder behauptet wurden, noch von Amts wegen hervorgekommen sind, konnte eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden.

4.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat: Die Feststellungen, dass der BF nicht schwer erkrankt und arbeitsfähig ist, stützen sich auf das amtsärztliche Gutachten vom 20.02.2020 und die Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Hinweise, dass er körperlich nicht in der Lage sein könnte zu arbeiten, haben sich nicht ergeben, zumal er angab, hier in Österreich als Autolackierer arbeiten zu wollen und dies gesundheitlich auch zu können. Zudem ergibt sich aus den eingebrachten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.4.), dass in Mazar-e Sharif oder Herat sowohl Medikamente auf dem Markt erwerblich sind und Krankenhäuser kostenfreie medizinische Versorgung bieten, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass der BF – wenn auch nicht so problemlos wie im Bundesgebiet – bei Bedarf Zugang zu einem Arzt und Medikamenten finden wird. Da es sich bei den aktuell vom BF konsumierten Medikamenten um gängige Medikamente handelt, ist auch deren Verfügbarkeit in Mazar-e Sharif und Herat unzweifelhaft. Vor diesem Hintergrund ergibt sich in Zusammenhalt mit dem BF zugänglicher Unterstützung (Familie und Rückkehrhilfe) und dem Umstand, dass er leistungs- und arbeitsfähig ist, keine reale Gefahr einer existenzbedrohenden Situation aufgrund seiner Erkrankungen.

Die Feststellungen zu den Folgen bei einer Rückkehr des BF in die Provinz Maidan Wardak ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten (vgl. Punkt 3.4.). Auf das Wesentliche zusammengefasst geht daraus hervor, dass sich die Sicherheitslage in dieser Provinz in letzter Zeit verschlechtert hat. Im Jahr 2018 wurden in der Provinz 224 zivile Opfer (88 Tote und 136 Verletzte) registriert. Dass der BF bislang nicht Mazar-e Sharif oder Herat lebte und dort über keine direkten sozialen Anknüpfungspunkte verfügt, entspricht seinen Angaben im Verfahren. Für eine existenzielle Gefährdung des BF bestehen keine Hinweise. Er hat eine Schulbildung genossen und Berufserfahrung als Autolackierer, und der erwerbsfähige BF kann nach seiner Rückkehr nach Afghanistan erneut eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Es gibt keinen Anhaltspunkt, wieso er in Mazar-e Sharif oder Herat nicht in der Lage sein sollte, seine Existenz – etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten – zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Auch ergibt sich unter Zugrundelegung der Länderberichte unter dem Aspekt der Sicherheitslage in Mazar-e Sharif oder Herat keine besondere Gefährdungssituation für den BF. Aufgrund der Erwerbsfähigkeit ist die Lebensgrundlage bei Rückkehr in urbanes Gebiet ausreichend gesichert, um den Aufbau einer Existenz bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat zu gewährleisten. Er hat damit realistische Chancen, sich am Arbeitsmarkt zu integrieren und in diesen Städten eine Unterkunft zu finden. Es ist zudem notorisch, dass der BF bei einer freiwilligen Rückkehr nach negativem Verfahrensausgang Rückkehrhilfe bzw. zusätzlich die Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt beantragen kann: In Österreich stehen für afghanische Staatsangehörige zwei spezielle Reintegrationsprojekte zur Verfügung (ERIN oder RESTART II). Beide Angebote zielen effektiv auf die Wiedereingliederung im Heimatland ab und können erst nach Ankunft im Herkunftsland bezogen werden. Ziel ist es, den Rückkehrer vor allem durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, sowie Start Ups den Neustart im Heimatland zu erleichtern. Die Sachleistung beträgt bei ERIN 3.000 EUR; in bar erhalten die Personen 500,- EUR; beim IOM-Projekt (RESTART II) besteht die Sachleistung aus 2.800,- EUR und der Barwert aus 500,- EUR. Je nach Bedarf stellt hier IOM auch Leistungen wie Family Assessment, temporäre Unterkunft nach der Ankunft und die Weiterreise zum Zielort zur Verfügung (sämtliche Informationen dazu können auch jederzeit aktuell auf www.voluntaryreturn.at in diversen Sprachen abgerufen werden). Bei einer zwangsweisen Außerlandesbringung stellt Österreich die sogenannte „Post Arrival Assistance“ zur Verfügung. Die International Organization for Migration (IOM) führt dieses EU-finanzierte Unterstützungsprogramm im Auftrag der Europäischen Kommission (Directorate General for International Cooperation and Development) aus. Im Detail umfasst die Post-Arrival-Assistance die vorübergehende Unterkunftnahme, Hilfestellung beim weiteren Transport, sowie ggf. medizinische und psychosoziale Betreuung. Der Fremde erhält im Rahmen des Kontaktgespräches im Zuge der Abschiebevorbereitung eine Information über die Möglichkeiten der „Post Arrival Assistance“ und ein Informationsblatt mit den Kontaktdaten von IOM in Kabul. IOM Afghanistan wird vom BFA über die jeweiligen Ankünfte vorab informiert. Bei nicht vorhandenen Eigenmitteln erhält der zwangsweise Rückzuführende zusätzlich seitens des BFA 50,00 EUR als sogenanntes Zehrgeld zur Sicherung des Fortkommens in den ersten Tagen nach seiner Rückführung. Eine Betragserhöhung ist im Einzelfall möglich. Unbeschadet dessen, dass auch ohne Inanspruchnahme dieser Unterstützungsmechanismen im Fall des BF bei einer Rückkehr keine Anhaltspunkte für eine Existenzbedrohung hervorgekommen sind, stellt die Möglichkeit der Inanspruchnahme (einer) dieser Unterstützungen sicher, dass er bei einer Rückkehr nicht auf sich alleine gestellt ist, sondern bei zusätzlichem Bedarf Hilfestellung bekommt. Die dargestellten Umstände rechtfertigen aus Sicht des erkennenden Gerichtes im Lichte einer Gesamtbetrachtung die Annahme, dass sich der BF auch ohne dortige soziale Anknüpfungspunkte in Mazar-e Sharif oder Herat – jedoch vor dem Hintergrund eines familiären Netzwerkes in Europa – aus eigenem eine Existenz aufbauen und sichern kann. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass der BF in der Lage war, völlig auf sich alleine gestellt über ihm unbekannte Länder die Flucht bis nach Österreich zu meistern, wobei er sicherlich ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis stellen musste.

4.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF: Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.4.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides des BFA in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann im verfahrensgegenständlichen Bezug (wenngleich die Lage insgesamt etwas schlechter geworden ist) verneint werden. Die Lage in Afghanistan stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einsicht in das aktuelle Länderinformationsblatt) versichert hat. Darüber hinaus hat das BVwG zusätzlich weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren eingebracht und dem BF Gelegenheit gegen, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Der BF hat die ins Verfahren eingebrachten Feststellungen nicht in substantiierter Weise bestritten, bezüglich der in der Verhandlung getätigten, allgemein gehaltenen Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan wird auf die Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage und Rückkehrsituation verwiesen (vgl. dazu oben Punkt 4.3.). Ergänzend ist festzuhalten, dass jüngeren Berichten (EASO vom Juni 2018 bzw. Juni 2019, UNHCR-Guidelines vom August 2018) eine weitere allgemeine Verschärfung der Sicherheitslage in Kabul sowie insgesamt eine deutliche Verschärfung der Situation von Rückkehrern ohne familiäre/soziale Anknüpfungspunkte – insbesondere unter dem Aspekt der Unterkunftsmöglichkeit und der Existenzsicherung – in Kabul zu entnehmen ist. Diese sind dementsprechend amtswegig in die Entscheidung – insbesondere im Rahmen der folgenden rechtlichen Beurteilung – einzubeziehen. Ein grundlegender Widerspruch zu den entsprechenden Informationen im oben bezeichneten Länderinformationsblatt ist gleichwohl nicht ersichtlich, weil auch in diesem die genannte Problematik aufgezeigt wird und die eine (unstrittige) „volatile Sicherheitslage“ zwangsläufig eine wellenförmig abweichende allgemeine Gefährdungsintensität bedeutet. Insbesondere nicht zu entnehmen ist den Berichten allerdings eine schwerwiegende Veränderung der Versorgungssituation von Personen wie dem BF, hinter dem ein familiäres Netzwerk steht, welches ihm – wenn auch aus der Ferne und in geringem Umfang – in Mazar-e Sharif oder Herat finanziell Unterstützung zukommen lassen kann. Die unter Punkt 3.4.6. getroffenen unstrittigen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen (z.B. https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/)

4.5. Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des BF in Österreich: Die Feststellung zur Aufenthaltsdauer, zur Lebenssituation und Integration des BF in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, insbesondere die vorgelegten Schriftstücke und die Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung. Die Feststellung, dass der BF über rudimentäre Deutschkenntnisse verfügt, beruht auf der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der Beschwerdeverhandlung. Dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig ist, ergibt sich daraus, dass sich der BF aktuell in Schubhaft befindet und keiner Beschäftigung nachgeht. Die Feststellung zu den strafrechtlichen Verurteilungen des BF ergibt sich aus dem Strafregisterauszug.

5. Rechtliche Beurteilung(…)

5.2.4. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

5.2.4.1. Zu § 3 AsylG (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides): Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat. Die mit 01.01.2016 in Kraft getretenen Abs. 4 bis 4b des § 3 AsylG, die gemäß § 75 Abs. 24 für Asylanträge gelten, die nach dem 15.11.2015 gestellt worden sind, lauten: „(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung. (4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. (4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.“ Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“ Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256). Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648). Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359). Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

5.2.4.1.1. Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen konnte vom BF jedoch nicht glaubhaft gemacht werden. Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. Da der BF die behaupteten Fluchtgründe, nämlich die – aktuell drohende – Verfolgung durch eine paschtunische Familie in Afghanistan, nicht hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vor. Soweit er eine Verfolgung durch Private behauptet, fehlt es überdies an einem ausreichenden Zusammenhang mit einem Konventionsgrund.

5.2.4.1.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr aus Gründen, die sich im Iran zugetragen haben: Soweit sich das fluchtkausale Vorbringen des BF auf seine Lebensumstände im Iran und das dort Erlebte bezieht, ist ihm entgegen zu halten, dass § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Auf Grund der afghanischen Staatsangehörigkeit des BF kann somit sein Vorbringen im Hinblick auf den Iran außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

5.2.4.1.3. Ferner ist zu prüfen, ob der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale – konkret wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams – unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden „Gruppenverfolgung“ ausgesetzt wäre. Eine hinreichend konkrete individuelle Verfolgung seiner Person auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams wurde vom BF – wie oben unter Pkt. 4.2. dargelegt – jedoch nicht hinreichend substantiiert ausgeführt. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der Hazara bzw. der religiösen Minderheit der Schiiten im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das BVwG jedoch nicht finden: Im Hinblick auf die spezifische Situation des BF waren keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der BF als Angehöriger der Ethnie der Hazara alleine wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit (und/oder wegen seiner schiitischen Glaubensrichtung) in Afghanistan aktuell einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre (siehe dazu auch die Länderfeststellungen unter Punkt 3.4.). Nach ständiger Rechtsprechung (des BVwG wie auch des VwGH) kann von einer generellen (asylrelevanten) Verfolgung von Angehörigen der Hazara aufgrund ihrer Ethnie in Afghanistan nicht ausgegangen werden. Auch der Europäische Gerichthof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Entscheidung vom 12.07.2016, 29094/09, A.M./Niederlande, ausgesprochen, dass weder die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als solche zu einem derart hohen Risiko führen würde, dass bei einer Rückkehr automatisch die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestehe. Das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Volksgruppe der schiitischen Hazara in Afghanistan ist daher zu verneinen. 5.2.4.1.4. Zur Verfolgungsgefahr als Rückkehrer aus dem Iran: Es ist dem BF – wie oben bereits dargelegt – auch nicht gelungen, eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung iSd GFK auf Grund seiner Aufenthalte im Iran und in Europa iVm einer hier erfahrenen „westlichen Wertehaltung“ glaubhaft zu machen. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige „Gruppenverfolgung“ ist vor dem Hintergrund der o.a. Länderfeststellungen für das BVwG nicht erkennbar: Aus diesen geht auf das Wesentliche zusammengefasst zwar hervor, dass in Afghanistan generell eine negative Einstellung gegenüber „Rückkehrern“ vorherrscht und diesen vorgeworfen wird, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben, dass „Rückkehrer“ wegen ihres Akzents leicht erkannt und sozial ausgegrenzt werden sowie, dass „Rückkehrer“ Diskriminierungen seitens der übrigen Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen nach Ansicht des BVwG jedoch nicht jenes Ausmaß, das notwendig wäre, um eine spezifische Verfolgung aller afghanischen Staatsangehörigen, die ihr Leben im Iran und in Europa verbracht und eine „westliche Wertehaltung“ kennengelernt haben, bei einer Ansiedlung in Afghanistan für gegeben zu erachten. Auch aus den übrigen Länderberichten ist nicht ableitbar, dass allein ein längerer Aufenthalt im (westlichen) Ausland sowie eine dort erfahrene westliche Lebensweise bei einer Ansiedlung in Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde (vgl. hierzu auch die Ausführungen in BVwG 07.11.2016, W169 2007031-1); die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

5.2.4.1.5. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung – zusammenhängt (siehe auch BVwG 15.12.2014, W225 1434681-1/31E). Derartiges hat der BF jedoch nicht einmal behauptet.

5.2.4.1.6. Nach § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Die Inanspruchnahme der Innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden – im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums – zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15). Betreffend die vom BF behauptete Verfolgung ist zusätzlich auf das Bestehen einer innerst

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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