Entscheidungsdatum
23.07.2020Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
L501 2182460-1/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren 04.07.1970, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Johann EDER/Dr. Stefan KNAUS, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, ÖGK-S) vom 28.09.2017, zu Beitragskontonummer XXXX , Zl. 17-2017-BE-VER10-0001R, wegen Haftung gemäß §§ 67 Abs. 10 ASVG nach Beschwerdevorentscheidung derselben Behörde vom 21.11.2017 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 21.11.2017, Zl. 17-2017-BE-VER10-0001R, gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Mit Schreiben vom 15.05.2017 teilte die belangte Behörde der nunmehr beschwerdeführenden Partei (im Folgenden „bP“) mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX (im Folgenden „GmbH“) aus den Beiträgen Oktober 2012 bis September 2013 ein Rückstand in der Höhe von EUR 94.801,93 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen bestehe. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom selben Tag beigelegt. Nach Abzug der zu erwartenden 10%igen Quote und der 30%igen Zahlung des Insolvenzentgeltfonds zuzüglich Verzugszinsen und Nebengebühren werde gegen sie im Wege der Ausfallshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ein Haftungsbetrag in Höhe von EUR 60.707,84 geltend gemacht. Die bP wurde als ehemalige Geschäftsführerin um Bezahlung der Beiträge ersucht bzw. aufgefordert, für den relevanten Zeitraum einen Nachweis der Gläubigergleichbehandlung beizubringen.
Mangels Vorlage von Unterlagen wurde die bP als ehemalige Geschäftsführerin der Primärschuldnerin gemäß § 67 Abs. 10 ASVG mit verfahrensgegenständlichem Bescheid verpflichtet, die zu entrichten gewesenen Beiträge s.Nbg. aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Oktober 2012 bis September 2013 von EUR 60.707,84 zuzüglich Verzugszinsen innerhalb von 14 Tagen bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.
In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde wandte die bP fehlende tatsächliche Geschäftsführerfunktion und Kompetenzen, fehlende Dispositionen und mangelndes Verschulden, fehlende schuldhaft vorwerfbare Erhöhung des Forderungsausfalls im relevanten Zeitraum vor Konkurseröffnung, fehlende Benachteiligung der belangten Behörde, zu Unrecht angelastete Beitragsforderungen für Zeiträume ab Fälligkeit im Juli 2013 und für Beträge, welche infolge Anfechtung des Masseverwalters an die Konkursmasse zurückbezahlt worden seien.
Mit Bescheid vom 21.11.2017 wies die belangte Behörde die Beschwerde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person an den Grundsatz der Gesamtverantwortung gebunden und auch bei interner Aufgabenteilung die Verantwortlichkeiten des einzelnen Vertreters nicht aufgehoben seien. Die Nachverrechnung der Beiträge GPLA für die Monate Juli 2013 bis September 2013 sei wegen Verletzung der Meldepflicht erforderlich geworden und der bereits übermittelte Prüfbericht und die Niederschrift über die Schlussbesprechung würden als integrierte Bestandteile gelten. Zudem fehle es nach wie vor an Belegen oder Kontoauszügen zur Nachvollziehbarkeit der Gläubiger(un)gleichbehandlung und stelle auch das Wiederaufleben einer Forderung aufgrund einer Anfechtung im Insolvenzverfahren keine wegen Gläubigerungleichbehandlung zu berücksichtigende wirksame Zahlung vor.
I.2. Mit Schreiben 08.01.2018 wurde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Nach mehrmaliger Aufforderung übermittelte die bP Unterlagen zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung sowie das im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingeholte Gutachten eines gerichtlich zertifizierten Sachverständigen.
Im Zuge des der belangten Behörde gewährten Parteiengehörs teilte diese mit, dass sich aus dem Vorbringen der bP und dem beigebrachten Sachverständigengutachten eine allgemeine Zahlungseinstellung der Primärschuldnerin mit 02.07.2013 ergebe, sodass der im Hinblick auf die Gläubigergleichbehandlung zu beurteilende Zeitraum mit diesem Tag ende. Die älteste zum Ende des Beurteilungszeitraumes noch offene Forderung sei der Beitrag 10/2012 (fällig am 31.10.2012). Errechne man die Befriedigungsquote gegenüber allen Gläubigern und die Kassenzahlungsquote anhand der mit Schreiben der bP vom 29.05.2019 vorgebrachten Unterlagen unter Berücksichtigung des eben dargestellten haftungsrelevanten Zeitraums (31.10.2012 bis 02.07.2013), ergebe sich, dass die ÖGK im Verhältnis zu allen Gläubigern nicht schlechter – im Sinne des Gebots der Gläubigergleichbehandlung – behandelt worden sei und somit eine Haftung der bP für die Rückstände der Primärschuldnerin nicht bestehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Die bP vertrat die Primärschuldnerin ab 15.03.2001 bis zu dem mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 11.11.2013 eröffneten Insolvenzverfahren als handelsrechtliche Geschäftsführerin. Infolge Eröffnung des Konkursverfahrens wurde die Primärschuldnerin aufgelöst.
Mit 02.07.2013 erfolgte eine allgemeine Zahlungseinstellung der Primärschuldnerin; die älteste zum Ende des Beurteilungszeitraumes (31.10.2012 bis 02.07.2013) noch offene Forderung ist der Beitrag 10/2012 (fällig am 31.10.2012).
Die belangte Behörde wurde im Verhältnis zu den anderen Gläubigern nicht schlechter – im Sinne des Gebots der Gläubigergleichbehandlung – behandelt.
II.2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie jenem des Bundesverwaltungsgerichtes.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht mangels anderer Regelung somit durch Einzelrichter.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Zu A)
II.3.1. Auszug aus den fallbezogen anzuwendenden Rechtsvorschriften
Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend
Gemäß § 83 ASVG gelten die Bestimmungen über Eintreibung und Sicherung, Haftung, Verjährung und Rückforderung von Beiträgen entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.
II.3.2. Schuldhafte Verletzung der Gleichbehandlungspflicht
Der rezenten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038) wurde durch das SRÄG 2010, BGBl. I Nr. 62, der Anwendungsbereich des § 67 Abs. 10 ASVG dahingehend erweitert (vgl. zur vorangehenden Rechtslage VwGH (verstärkter Senat) 12.12.2000, 98/08/0191, VwSlg. 15528A), dass durch die Einfügung des § 58 Abs. 5 ASVG den dort angeführten Vertretern (u.a. von juristischen Personen) die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen der von ihnen Vertretenen übertragen wurde. Eine Verletzung der diesbezüglichen Pflichten ist daher nunmehr Anknüpfungspunkt der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (vgl. VwGH 15.11.2017, Ro 2017/08/0001). Eine solche die Haftung begründende Pflichtverletzung kann insbesondere darin bestehen, dass der Vertreter die fälligen Beitragsschulden (ohne rechtliche Grundlage) schlechter behandelt als sonstige Verbindlichkeiten, indem er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt bzw. im Fall des Fehlens ausreichender Mittel nicht für eine zumindest anteilsmäßige Befriedigung Sorge trägt (vgl. VwGH 7.10.2015, Ra 2015/08/0040). In subjektiver Hinsicht reicht für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG leichte Fahrlässigkeit aus (vgl. VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0070).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, trifft ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht den Vertreter die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann. Stellt er dabei nicht bloß ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen auf, so ist er zur weiteren Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens aufzufordern, wenn auf Grund dessen - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung des Bestehens einer Haftung möglich ist. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht entsprochen hat (vgl. VwGH 26.5.2004, 2001/08/0043; 26.1.2005, 2002/08/0213; 25.5.2011, 2008/08/0169). Der Vertreter haftet dann für die Beitragsschulden zur Gänze, weil ohne entsprechende Mitwirkung auch der durch sein schuldhaftes Verhalten uneinbringlich gewordene Anteil nicht festgestellt werden kann (vgl. VwGH vom 21.09.1999, 99/08/0065; vom 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).
Zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung im Hinblick auf die am Ende des Beurteilungszeitraumes unberichtigt gebliebenen Verbindlichkeiten hat der Vertreter jedenfalls die insgesamt fälligen Verbindlichkeiten im Beurteilungszeitraum sowie die im Beurteilungszeitraum darauf geleisteten Zahlungen nachvollziehbar darzustellen und zu belegen (vgl. VwGH vom 29.01.2014, 2012/08/0227, zur Parallelbestimmung § 25a BUAG).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. die Erk. des VwGH vom 29.06.1999, Zl. 99/08/0075; vom 07.10.2015, Ra 2015/08/0040) ist die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehende gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft verletzt hat.
II.3.3. Da die Kassen – Zahlungsquote im haftungsrelevanten Zeitraum (31.10.2012 bis 02.07.2013) nicht niedriger ist als die allgemeine Zahlungsquote liegt eine Ungleichbehandlung nicht vor und ist der bP folglich eine schuldhafte (fahrlässige) Pflichtverletzung nicht zur Last zu legen. Die belangte Behörde wurde im Sinne des Gebots der Gläubigergleichbehandlung nicht schlechter als die anderen Gläubiger behandelt und besteht somit keine Haftung der bP für offen gebliebene Beitragsverbindlichkeiten der Primärschuldnerin.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil zu den gegenständlich anzuwendenden Bestimmungen - wie im Erkenntnis angeführt - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, die Rechtsfragen in der bisherigen Rechtsprechung einheitlich beantwortet wurden und die Entscheidung auf eine klare Rechtslage gestützt werden konnte.
Schlagworte
Beitragsschuld ersatzlose Behebung Geschäftsführer Gleichbehandlung HaftungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L501.2182460.1.00Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
19.11.2020