Entscheidungsdatum
24.07.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W241 1425863-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.06.2020, Zahl 811366108/200306226, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) brachte am 12.11.2011 nach unrechtmäßiger Einreise beim Bundesasylamt einen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ein.
2. In seiner Erstbefragung am 12.11.2011 gab der BF im Wesentlichen Folgendes an:
Seine Eltern würden in der Provinz Paktia, Afghanistan, leben. Weiters habe er mehrere Brüder, XXXX (35 Jahre), XXXX (35 Jahre), XXXX (28 Jahre), XXXX (26 Jahre), XXXX (22 Jahre), XXXX (14 Jahre) und XXXX (10 Jahre), sowie eine Schwester namens XXXX (6 Jahre). Diese würden alle in Afghanistan bei den Eltern leben. Zwei weitere Brüder, XXXX (25 Jahre) und XXXX (18 Jahre) würden sich in Griechenland befinden.
Als Fluchtgrund gab er an, dass ihn, während er noch zur Schule gegangen wäre, die Taliban für den Krieg gegen die Amerikaner rekrutieren hätten wollen. Er hätte jedoch nicht für sie kämpfen wollen. Die Taliban würden ihre eigenen Leute töten, sollten diese sich weigern, mitzumachen. Aus diesem Grund sei er aus Angst, umgebracht zu werden, ausgereist.
3. Bei seiner Einvernahme am 27.01.2012 vor dem Bundesasylamt gab der BF im Wesentlichen Folgendes an: Er wäre geflohen, da die Taliban von ihm verlangt hätten, sich ihnen anzuschließen. Er hätte dies nicht wollen und deshalb Afghanistan verlassen. Persönlich bedroht worden wäre er nie, auch sei ihm sonst nichts passiert.
5. Bei seiner Einvernahme am 21.03.2012 vor dem Bundesasylamt gab der BF im Wesentlichen Folgendes an: Er habe Probleme mit den Taliban gehabt. Sie hätten verlangt, dass er mit ihnen zusammenarbeite, er jedoch hätte lieber die Schule besuchen wollen. Zwei seiner Brüder würden sich zurzeit in Griechenland aufhalten, sie wären 2007 beziehungsweise 2008 ausgereist. Die beiden hätten auch Probleme mit den Taliban gehabt. Der Vater wäre wegen ihnen ebenfalls von den Taliban belästigt worden, die Brüder hätten wie der BF für sie arbeiten sollen.
6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 23.03.2012 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.11.2011 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 mit einer Ausweisung nach Afghanistan.
In der Bescheidbegründung traf die Erstbehörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei nicht asylrelevant. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht. Bezüglich seiner Fluchtgeschichte führte das Bundesasylamt aus, dass das Vorbringen des BF vage sowie oberflächlich und daher unglaubwürdig sei. Weiters lägen keine Umstände vor, die annehmen lassen würden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan einer ernsthaften Gefahr im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wäre. Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz lägen somit nicht vor.
7. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes (in der Folge: AsylGH) vom 30.05.2012, Zahl: C 14 425.863-1/2012/2E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
8. Mit Erkenntnis des VfGH vom 26.06.2013 wurde der Beschwerde vom 20.09.2012 stattgegeben und erkannt, dass der BF durch das Erkenntnis vom 30.05.2012 in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der europäischen Union verletzt worden wäre.
9. Der AsylGH führte am 28.10.2013 eine mündliche Verhandlung durch.
10. Mit Urteil vom 20.03.2014 wurde der BF gemäß § 127 StGB (Diebstahl) zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagessätzen verurteilt.
11. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 13.10.2014 eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.
12. Mit Schreiben des BF vom 17.06.2015 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 23.03.2012 zurückgezogen. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids blieb aufrecht.
13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.07.2015, W175 1425863-1, wurde das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I. des Bescheids eingestellt und dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
14. Am 25.10.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) die Mittelung ein, dass der BF in der Tschechischen Republik zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt und am 21.10.2016 aus der Haft entlassen wurde.
15. Mit Bescheid vom 20.09.2018 wurde dem BF der mit Erkenntnis vom 13.07.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt und die zuletzt erteilt befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.
Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft, Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 03.12.2018 wurde mit Bescheid vom 05.12.2018 gemäß § 71 Abs. 2 AVG zurückgewiesen.
16. Der BF wurde mit Urteil vom 13.06.2019 wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer bedingten Freiheitstrafe von vier Monaten verurteilt.
17. Am 25.03.2020 stellte der BF aus der Untersuchungshaft heraus den gegenständlichen, zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass sein Bruder XXXX bei den Taliban sei. Sein Bruder XXXX sei nach seiner Abschiebung aus Griechenland nach Afghanistan von den Taliban, also auch von seinem Bruder, umgebracht worden. Der Grund dafür sei, dass sein Bruder ungläubig geworden sei, da er viel Zeit im Ausland verbracht habe. Er befürchte bei einer Rückkehr auch umgebracht zu werden. Dies habe ihm sein Vater telefonisch mitgeteilt.
18. Bei seiner Einvernahme am 03.06.2020 gab der BF zu seinem Folgeantrag an, dass sein Bruder XXXX seit etwa einem Jahr Mitglied der Taliban sei. Sein Bruder XXXX sei von XXXX getötet worden, weil er in Griechenland gewesen sei, er habe ihn für einen „Ungläubigen“ gehalten. Sein Vater habe dem BF gesagt, dass er nicht kommen solle, da sein Bruder ihn dann auch töten werde. XXXX lebe in seinem Elternhaus, die Eltern würden den BF aber dennoch finanziell unterstützen.
19. Mit Bescheid des BFA vom 25.06.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Eine Aufenthaltsberechtigung gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gem. § 52 Abs. 9 festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 FPG wurde eine auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.). Der BF habe sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 ab 03.06.2020 verloren (Spruchpunkt VIII.).
Der gegenständliche Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich der BF nach wie vor auf Rückkehrhindernisse berufe, welche bereits im Kern in seinem Vorverfahren zur Sprache gebracht worden seien, und die Bedrohungen nun aber damit erweitert habe, dass sein Bruder nun Mitglied der Taliban sei. Dieses Vorbringen stehe aber im krassen Widerspruch dazu, dass die übrigen Familienmitglieder offenbar keine Taliban seien und der BF von diesen sogar finanziell unterstützt werde.
8. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung am 13.07.2020 erhobene Beschwerde in vollem Umfang.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Anzuwendendes Recht:
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet wie folgt:
§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A): Zur Stattgabe der Beschwerde und Behebung des angefochtenen Bescheides:
2.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 25.03.2020 nach § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).
Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall des-selben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH 25. 4. 2007, 2004/20/0100, mwN).
Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. – in Bezug auf mehrere Folgeanträge – VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.
Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleich bleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).
Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN, VwGH 25.02.2016, Ra 2015/19/0267). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).
Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.6.2011, U1533/10; VwGH 19.2.2009, 2008/01/0344 mwN).
Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit nur die Frage, ob das BFA zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.
Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).
2.2. Dies ist aus nachstehenden Gründen nicht der Fall:
Die belangte Behörde begründete das Fehlen eines neuen entscheidungsrelevanten Sachverhaltes damit, dass ein solcher nicht festgestellt werden könne. Der BF stütze sich im gegenständlichen Verfahren auf dieselben Ausreisegründe, die er bereits im Vorverfahren angegeben habe.
Es ist zutreffend, dass sich der BF auch bei seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz auf eine Verfolgung durch die Taliban stützt und der innerste Kern des Vorbringens gleich geblieben ist.
Der BF hat jedoch in seinem ersten Verfahren nur eine abstrakte Verfolgungsgefahr durch die Taliban ohne direkte persönliche Betroffenheit vorgebracht. Im gegenständlichen Verfahren behauptete er jedoch, dass sein Bruder mittlerweile Mitglied der Taliban sei, seinen Bruder ermordet habe und bei einer Rückkehr auch ihn wegen unterstellter „Ungläubigkeit“ zu ermorden gedenke. Hier ist nicht allein eine Steigerung oder Ergänzung des ursprünglichen Vorbringens erkennbar, sondern behauptet der BF mit diesem Vorbringen auch eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und wegen unterstellter Apostasie, worin ein gänzlich neues Vorbringen erkennbar ist.
Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen hat, dem Asylrelevanz zukommt (zB VwGH vom 21.03.2006, 2006/01/0028 sowie vom 18.06.2014, Ra 2014/01/0029, mwN).
Mit der Begründung, dass sich der BF auf dieselben Ausreisegründe wie im Vorverfahren stütze, hat das BFA verkannt, dass die vom BF behaupteten Geschehnisse (Mitgliedschaft des Bruders bei den Taliban, Ermordung eines Bruders durch diesen), die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daraufhin zu überprüfen gewesen wären, ob sie einen "glaubhaften Kern" aufweisen oder nicht (VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).
Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar – in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden – unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem Bescheid vom 23.03.2012 zu Grunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH vom 22. November 2005, 2005/01/0626, mwN).
Das BFA hat die somit erforderliche Prüfung nicht vorgenommen. Dieser mangelhafte Sachverhalt kann vom Bundesverwaltungsgericht nicht einfach dadurch behoben werden, dass es dem neuen Fluchtvorbringen nun erstmals den "glaubhaften Kern" abspricht. Die Zurückweisung des Antrags mit dieser Begründung steht daher mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155; Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 68, Rz 26 mit Judikaturnachweisen; vlg iZm auch VwGH 05.05.2015, Ra 2014/22/0115: "Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste").
Nach den bisherigen Ausführungen scheint eine inhaltlich anderslautende Entscheidung nicht von vornherein ausgeschlossen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darf eine Berufungsbehörde keine Sachentscheidung treffen, wenn die Verwaltungsbehörde erster Instanz aus Formalgründen einen Antrag zurückgewiesen hat, weil damit in der Sachfrage der Partei eine Instanz genommen wäre (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 66 AVG wiedergegebene Rechtsprechung, E 162 ff). (VwGH 29.03.2005, 2001/10/0121; VwGH 28.06.1994, 92/05/0063).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 66 Abs. 4 AVG des Weiteren ausgesprochen, dass die ersatzlose Behebung eines unterinstanzlichen Bescheides unter Berufung auf § 66 Abs. 4 AVG dazu führen kann, dass die Unterbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf (Hinweis E 18.12.1986, 85/08/0044; E 15.9.1992, 92/04/0120; E 21.9.1993, 91/04/0148), sich jedoch aus der Begründung des eine ersatzlose Behebung gem. § 66 Abs. 4 AVG aussprechenden Berufungsbescheides auch eine Situation ergeben kann, wonach ein der Entscheidung zu Grunde liegender Antrag wieder unerledigt, aber neuerlich von der Unterinstanz meritorisch zu erledigen ist (VwGH 27.06.2006, 2005/05/0374) (vgl idZ auch Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 66, Rz 109).
Für das gegenständliche Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der Antrag des BF vom 25.03.2020 wieder unerledigt ist und über diesen von der Behörde neuerlich meritorisch abzusprechen ist (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 66, Rz 109). Dazu wird im fortgesetzten Verfahren vom BFA jedenfalls eine weitere Einvernahme des BF durchzuführen sein sowie eine Auseinandersetzung mit den eventuell noch vorgelegten Beweismitteln zu erfolgen haben.
2.3. Eine Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts der getroffenen Sachentscheidung unterbleiben.
2.4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Beschwerdefall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, wonach die Verhandlung (u.a. dann) entfallen kann, wenn bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war, abgesehen werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Fluchtgründe Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rechtsanschauung des VfGHEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W241.1425863.2.00Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
19.11.2020