TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 G310 2225204-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
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Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G310 2225204-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Slowenien, vertreten durch Mag. XXXX , Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX .2017, XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 5. Fall, 28a Abs 2 Z 2, 3 und 28a Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten verurteilt, wobei 14 Monate unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

Mit Schreiben des Bundeamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.02.2017 wurde der BF aufgefordert, zur beabsichtigten Prüfung über die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, in eventu eines Schubhaftbescheides, Stellung zu nehmen.

Am 07.02.2018 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Die Einvernahme erfolgte ohne Beisein eines Dolmetschers mit dem Vermerk, dass der BF gut Deutsch spricht.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die mit 06.11.2019 datierte Beschwerde des rechtsfreundlich vertretenen BF mit den Anträgen, der Beschwerde Folge zu geben, den Bescheid betreffend das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben und das Verfahren einzustellen; in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und der Erstbehörde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen; in eventu eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Vorladung des BF, seiner Lebensgefährtin unter Aufnahme der beantragten Beweise anzuberaumen. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass der BF das Unrecht seiner Straftat einsehe. Das BFA habe nicht gewürdigt, dass dem BF mit Beschluss des LG für Strafsachen XXXX - die noch offene unbedingte Strafe - nach positiven Abschluss einer mehrmonatigen stationären Therapie - bedingt nachgesehen wurde. Verwiesen werde auch auf seine bisherige Unbescholtenheit und sein umfassendes, reumütiges Geständnis. Nicht entsprechend gewürdigt worden seien die Bestätigungen über die erfolgte Psychotherapie, die psychosoziale Beratung sowie die vorgelegten Unterlagen betreffend die Integration des BF. Hervorzuheben seien das bestehende Beschäftigungsverhältnis, seine Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, sein inniges Verhältnis zu den gemeinsamen zwei Kindern, wobei die Lebensgefährtin des BF wieder schwanger ist. Durch die Geburt des zweiten Kindes im Jahr 2019 habe sich ein besonderes Verantwortungsgefühl beim BF eingestellt. Es sei nicht auszuschließen, dass eine längere Trennung von den beiden minderjährigen Kindern sich negativ auf deren Entwicklung auswirken würde.

Die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 11.11.2019 einlangten.

Im Rahmen des Parteiengehörs wurde der BF mit Verfügung des BVwG vom 27.02.2020 aufgefordert, Nachweise, unter anderem zur aktuellen Wohnadresse, zu den Geburtsurkunden der gemeinsamen Kinder, zum Beschluss des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX .2018 sowie aktuelle Therapienachweise, zu erbringen.

Mit Eingabe vom 23.03.2020 übermittelte der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung eine Stellungnahme und Urkundenvorlage. Darin wurde um eine Fristerstreckung bis 30.04.2020 ersucht. Der BF habe die Therapie im Jahr 2019 erfolgreich abgeschlossen. Dazu wurden Ausführungen hinsichtlich der Meldeadresse getätigt.

Feststellungen:

Der BF ist ein 25-jähriger slowenischer Staatsangehöriger. Er spricht slowenisch und deutsch. Im Jahr 2013 zog der BF mit seinen Eltern nach Österreich. Seit 25.01.2013 weist er eine durchgehende Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf. Ihm wurde am 29.10.2014 eine Anmeldebescheidung für EWR-Bürger (Arbeitnehmer) ausgestellt.

In Österreich leben seine Mutter XXXX , geboren am XXXX , serbische Staatsangehörige, sein Vater XXXX , geboren am XXXX , slowenischer Staatsangehöriger sowie seine Schwester XXXX , geboren am XXXX , slowenische Staatsangehörige und seine Schwester XXXX , slowenische Staatsangehörige, geboren am XXXX .

Der BF lebt mit seiner Lebensgefährtin XXXX , geboren am XXXX , deutsche Staatsangehörige und den beiden gemeinsamen Töchtern XXXX , geboren am XXXX , slowenische Staatsangehörige und XXXX , geboren am XXXX , deutsche Staatsangehörige, in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX . Der BF ist mit seiner Lebensgefährtin seit ca. sechs Jahren zusammen und hat sie kirchlich geheiratet.

In Slowenien lebt die Großmutter des BF, sein Großvater ist gestorben.

In Slowenien hat der BF neun Jahre die Schule besucht. In der Folge besuchte er dann zwei Jahre eine ökonomische Schule. In Österreich begann der BF ab Juli 2013 zu arbeiten. Er war ua. als Fenster- und Bodenputzer sowie als Koch und als Reinigungskraft tätig.

Als der BF im Jahr 2013 Drogen verkauft hat, verlor er seine Arbeit. Danach fand er wieder Arbeit und hatte genug Geld zur Verfügung, um nicht dealen zu müssen. 2015 hat der BF einen Kredit iHv EUR 8.000 für eine Wohnung aufgenommen. Als er seine Arbeit verlor, hat er 2016 erneut zu dealen begonnen.

Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX , XXXX vom XXXX .2017, wurde der BF wegen §§ 28a Abs 1 5. Fall, 28a Abs 2 Z 2,3, 28a Abs 3 SMG – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe – zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon 14 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt.

Der Verurteilung des BF liegt zugrunde, dass er in XXXX seit Anfang 2013 bis 15.11.2016 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Heroin mit den Wirkstoffen Heroin und Monoacetylmorphin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 12% Heroin und 0,2% Monoacetylmorphin in einer die Grenzmenge (S 28b SMG) übersteigenden Menge als Mitglied einer kriminellen Vereinigung mehreren Abnehmern durch gewinnbringenden Verkauf überlassen hat, wobei er die Tat in Bezug auf Suchtgift in einer das fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge (großen Menge) beging, und zwar,

1. zwischen Mitte August 2016 bis 12.10.2016 einer Person in zumindest 18 Angriffen (zumindest jeden dritten Tag während 8 Wochen) durchschnittlich 1,5 Gramm zum Preis von € 30,--/Gramm, insgesamt somit zumindest 27 Gramm;

2.       in einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum einer weiteren Person nicht mehr feststellbare Mengen;

3.       im Sommer 2016 einer weiteren Person ein Gramm um € 60,--;

4.       im September 2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter (S 12 StGB) einer Person in fünf Angriffen durchschnittlich 1,5 Gramm zum Preis von € 30,--/Gramm,

5.       im Juli und August 2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter (S 12 StGB) einer Person in zumindest 30 Angriffen (jeden zweiten Tag über 2 Monate) jeweils zumindest 1 Gramm um € 25,--/Gramm, insgesamt somit zumindest 30 Gramm;

6.       im Zeitraum von Sommer 2016 bis 09.11.2016 einer Person in drei Angriffen jeweils 1 Gramm je um € 30,--, insgesamt somit 3 Gramm;

7.       im September 2016 einer weiteren Person in drei Angriffen jeweils 2 Gramm um €

30,--/Gramm, insgesamt somit 6 Gramm;

8.       im Zeitraum von Sommer 2016 bis 08.11.2016 einer weiteren Person in zumindest 90 Angriffen (fast täglich über drei Monate) jeweils 2 Gramm um € 30,--/Gramm, insgesamt somit 180 Gramm;

9.       im Zeitraum von Mitte September 2016 bis 07.11.2016 teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter (S 12 StGB) einer Person in fünf Angriffen jeweils 1 Gramm um € 30,--/Gramm, insgesamt somit 5 Gramm;

10.      im Jahr 2013 einer Person in rund 208 Angriffen (ein Jahr lang 4x pro Woche) jeweils zumindest 1 Gramm, zu einem nicht mehr festzustellenden Grammpreis, insgesamt somit zumindest 208 Gramm;

11.      im Juli 2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter (S 12 StGB) einer Person ein Gramm um € 30,--;

12.      im Zeitraum von Mitte September 2016 bis 15. November 2016 einer weiteren Person ins sechs Angriffen jeweils zumindest 1 Gramm um € 30,--/Gramm, insgesamt somit 6 Gramm, wobei er an Suchtmittel gewöhnt ist und die Straftaten vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

Als mildernd wurden seine Unbescholtenheit, die Tatbegehung unter 21 Jahren und das Geständnis gewertet, als erschwerend die Vielzahl der Tatangriffe.

Von XXXX .2017 bis XXXX .2017 wurde der BF in der Justizanstalt XXXX angehalten.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2017, XXXX , wurde der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe ab XXXX .2017 bis XXXX .2017 aufgrund der sechsmonatigen stationären Therapie aufgeschoben. Der Aufschub wurde aufgrund der Verlängerung der Therapie mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2017, XXXX neuerlich bis zum XXXX .2019 aufgeschoben.

Die stationäre Therapie des BF in einer Einrichtung zur Rehabilitation und Integration ehemaliger drogenabhängiger Personen begann am XXXX .2017 endete am XXXX .2017.

Seit XXXX .2017 wurde der BF im Rahmen der Bewährungshilfe betreut, nahm mit dem Wunsch nach einem geregelten Leben eine Psychotherapie sowie eine psychosoziale Beratung wahr und kam auch der Weisung des Gerichts sich einer Drogentherapie zu unterziehen nach, diese wurde im Jahr 2019 erfolgreich abgeschlossen.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2018, XXXX , wurde der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

Der BF war nach seiner strafrechtlichen Verurteilung und Verbüßung der Haftstrafe sowie der Absolvierung der Substitutionstherapie von XXXX .2018 bis XXXX .2018, von XXXX .2018 bis XXXX .2018 und von XXXX .2018 bis XXXX .2019 jeweils als Arbeiter beschäftigt. Dazwischen bezog er Geldleistungen des Arbeitsmarktservice. Seit 23.09.2019 ist der BF als Arbeiter beschäftigt.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität des BF wird durch seinem im Akt in Kopie aufliegenden slowenischen Personalausweis belegt. Die Ausstellung der Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister dokumentiert.

Der Aufenthalt des BF in Österreich ergibt sich aus seinen Hauptwohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister, dem auch sein Aufenthalt in der Justizanstalt zu entnehmen ist. Seine Beschäftigungszeiten ergeben sich aus dem Sozialversicherungsdatenauszug.

Die Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen, seinen Sprachkenntnissen, seiner schulischen und beruflichen Ausbildung ergeben sich aus seinen Angaben in der Stellungnahme sowie anlässlich der Einvernahme vor dem BFA und aus den Ausführungen in der Beschwerde.

Die Feststellung zu der vom BF begangenen Straftat, zu seiner Verurteilung und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2017. Die Beschlüsse des Landesgerichts XXXX bezüglich dem Haftaufschub und der bedingten Entlassung liegen im Akt auf.

Aus dem vorgelegten Schreiben des Vereins XXXX , Beratungsstelle für Suchtfragen, vom 22.12.2017 lässt sich entnehmen, dass sich der BF einer Drogentherapie, einer psychosozialen Beratung sowie einer Psychotherapie und regelmäßigen Drogenharnkontrollen unterzogen hat.

Die Therapiebestätigung einer psychotherapeutischen Praxis vom 24.01.2018 liegt ebenfalls im Akt auf und geht daraus hervor, dass der BF gewillt ist, seine Situation zu verbessern und einem geregelten Leben nachzugehen.

Der sechsmonatige stationäre Aufenthalt des BF wird durch die dem Akt inliegende Aufenthaltsbestätigung der Einrichtung vom XXXX .2017 belegt.

Aus dem vorgelegten Befundbericht der Fachärztin für Psychiatrie, Dr. XXXX vom 12.07.2017 geht hervor, dass der BF sich motiviert zeigte, die Therapie in Anspruch zu nehmen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Der BF ist als Staatsangehöriger von Slowenien EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Art 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs. 4 Z 18 FPG) lautet:

"Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen."

Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art 16 Freizügigkeitsrichtlinie erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots der in Art 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057). Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt demnach auch voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Aufgrund des rechtmäßigen über fünfjährigen, aber unter zehnjährigen Aufenthalts des BF in Österreich seit 2013 ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") iVm § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") anzuwenden.

Auch ist in Anbetracht des siebenjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht davon auszugehen, dass der dreimonatige Haftvollzug zum Abreißen der hier geknüpften Integrationsbande und damit zur Unterbrechung seines über zehnjährigen Inlandsaufenthalts gekommen ist (vgl EuGH 17.04.2018, C-316/16, C-424/16).

Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe z.B. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Bei strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel bedarf es neben dem erfolgreichen Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (vgl. etwa VwGH 22.5.2014, Ro 2014/21/0007; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass es sich bei Delikten nach dem SMG um Handlungen mit erheblichem sozialen Störwert handelt, was sich auch in der Strafdrohung (Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren nach § 28a Abs. 1 SMG) widerspiegelt. Der der gegenständlichen Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt lässt aber den Schluss auf einen das übliche mit solchen strafbaren Handlungen verbundene Maß unterschreitenden Handlungs-, Gesinnungs- und Erfolgsunwert zu, was sich auch in dem vom Gericht verhängten Strafaufschub bzw. der Strafnachsicht widerspiegelt.

Auch das Gesamtverhalten des BF verwirklicht diesen Gefährdungsmaßstab noch nicht. Es ist zu berücksichtigen, dass sich der BF zu den ihm zur Last gelegten Handlungen, die er unter 21 Jahren beging, stets geständig und überaus reuig und einsichtig zeigte. Ebenso ist nicht außer Acht zu lassen, dass der BF sogleich nach Beendigung seiner sechsmonatigen stationären Substitutionstherapie wieder eine neue Arbeitsstelle fand und auch aktuell einer Beschäftigung nachgeht. Darüber hinaus hat er seinen Aufenthalt in Österreich dazu genutzt, sich beruflich und sozial zu integrieren. Er hat sich stets um eine Beschäftigung bemüht und war auch die überwiegende Zeit erwerbstätig. Die im Akt aufliegenden Aussagen und Stellungnahmen des BF zeugen von seiner sozialen Verankerung und seiner starken familiären Bande im Bundesgebiet.

Zu betonen ist ebenfalls, dass seit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF im April 2017 bereits mehr als drei Kalenderjahre vergangen sind und sich der BF seitdem nichts mehr zuschulden kommen ließ.

Der BF bereut glaubhaft seine Delinquenz. Nach der erfolgreich absolvierten Therapie hat er nachweislich ein neues Leben angefangen. Er geht einer erwerbsmäßigen Vollzeit-Beschäftigung nach und bezieht ein geregeltes Einkommen. Der BF hat nachweislich alle Auflagen des Therapieprogramms erfüllt und die therapeutischen Sitzungen genützt, um die Probleme seiner damaligen Lebenssituation aufzuarbeiten. Er hat spürbar den Willen gezeigt, einem neuen geregelten Leben mit seiner Jungfamilie nachzugehen.

Obwohl der BF wegen begangener Drogendelikte verurteilt wurde, weisen die von ihm begangenen Taten - insbesondere unter Berücksichtigung, dass im Strafverfahren mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2018 der noch offene unbedingte Teil der Freiheitsstrafe, deren Vollzug vorerst aufgeschoben wurde, nach Absolvierung der Therapie des BF endgültig nachgesehen wurde – daher nicht eine solche Schwere auf, dass der anzuwendende Gefährdungsmaßstab erfüllt ist. Unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte erreicht die Delinquenz des BF nicht den in § 67 Abs 1 zweiter Satz iVm § 66 Abs 1 letzter Satz FPG festgelegten Schweregrad.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF im Ergebnis nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

§ 21 Abs 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung selbst dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Da hier ein geklärter Sachverhalt vorliegt und der BF auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben.

Zu Spruchteil B):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2225204.1.00

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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