TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/13 W251 2161377-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2020
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Entscheidungsdatum

13.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2161377-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. 1078260108-150872469, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, stellte am 16.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdiensts die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass in Somalia Krieg herrsche und die Sicherheitslage sehr schlecht sei. Zudem gehöre er einer Minderheit an und er habe es deswegen in Somalia sehr schwer. Deshalb habe er Somalia verlassen. Im Fall einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

3. Am 21.03.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Dabei gab er an, dass drei seiner Brüder Mitglieder der Al Shabaab gewesen seien, er jedoch der Meinung gewesen sei, dass die Al Shabaab schlecht sei. Sein Vater sei am Abend des 08.10.2012 von seinen Brüdern getötet worden. Er habe die Leiche seines Vaters entdeckt, sei von seinen Brüdern angerufen und bedroht worden, dass sie mit ihm das gleiche machen würden, falls er sich der Al Shabaab nicht anschließe. Daraufhin habe er Mogadischu im Oktober 2012 verlassen. Deswegen seien seine Mutter und er nach Puntland gekommen und nach einem weiteren dreimonatigen Aufenthalt nach Hargeysa. Dort sei sein Nachbar ermordet worden und die Regierung habe gesagt, dass er der Täter sei. Er sei für neun Monate ins Gefängnis gekommen und zur Todesstrafe verurteilt worden. Wenn man in Somalia zur Todesstrafe verurteilt werde und kein Geld habe, werde man getötet. Nach neun Monaten habe im Zuge eines Transfers ein Unfall mit einem Regierungsauto stattgefunden und der Beschwerdeführer habe flüchten können.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in einer anderen Region, etwa in einer der großen Städte, in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte dagegen im Wesentlichen vor, dass er seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren nachgekommen sei und es das Bundesamt es verabsäumt habe, den vorgebrachten Hinweisen von Amts wegen nachzugehen. Er sei in der Erstbefragung nur grob nach seinen Fluchtgründen befragt worden und habe die Fragestellung nicht richtig verstanden, da er von der Reise erschöpft und müde gewesen und unter enormen Stress gestanden sei. Zudem seien seine Aussagen vor dem Bundesamt zumindest im Kern deckungsgleich mit jenen in der Erstbefragung. Er habe in beiden Einvernahmen auf seine Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und auf die schlechte Sicherheitslage in Somalia hingewiesen. Seine Angaben seien präzise, detailreich, nachvollziehbar und plausibel gewesen. Das Bundesamt hätte sein Vorbringen zu seiner ungerechtfertigten Verurteilung, seiner Zugehörigkeit zum Clan der Gabooye und der Mitgliedschaft seiner Brüder bei der Al Shabaab würdigen müssen. Weiters drohe dem Beschwerdeführer im Fall einer Abschiebung nach Somalia eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK, er sei einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt. Zudem würde er in eine ausweglose Lage geraten. Eine Verletzung von Art 2 und 3 EMRK könne nicht ausgeschlossen werden, weil es sich bei der Bedrohung um die Brüder des Beschwerdeführers handelt und aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan könne er nicht mit der Unterstützung durch seinen Clan rechnen. Das Bundesamt habe es unterlassen, sich mit dem Heimatort des Beschwerdeführers, mit seiner persönlichen Situation sowie damit auseinanderzusetzen, ob eine Reise dorthin gefahrlos möglich sei. Das Bundesamt hätte zum Schluss kommen müssen, dass eine dem Beschwerdeführer wegen der instabilen Sicherheits- und Versorgungsalge drohende Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Auch die Aufhebung der im Bescheid ausgesprochenen Rückkehrentscheidung wurde vom Beschwerdeführer beantragt.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.01.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die somalische Sprache und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch.

7. Mit Schriftsatz vom 28.03.2019 legte der Beschwerdeführer Unterlagen zu seinen Integrationsbemühungen vor.

8. Mit Parteigehör vom 08.06.2020 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte übermittelt. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert allfällige Neuerungen, die sich seit der letzten Verhandlung ergeben haben, dem Gericht bekannt zu geben.

9. Mit Stellungnahme vom 22.06.2020 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sämtliche Angaben aus der mündlichen Verhandlung aufrechterhalte. Eine Gefahr in Somalia würde von seinen Brüdern bzw. der Al Shabaab als terroristische Organisation ausgehen. Es sei ihm aus diesen Gründen auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Er würde seit einem Jahr an einem anderen Ort in Österreich leben und sei dort gut integriert. Dort übe er gemeinnützige Tätigkeiten aus. Eine Rückkehr nach Somalia sei ihm nicht möglich. Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen vor. Der Beschwerdeführer ist den Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist somalischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Somali als Muttersprache sowie Englisch als weitere Sprache. Er ist ledig und kinderlos (AS 5, AS 84; Protokoll vom 18.02.2019, PS. 6-7).

Der Beschwerdeführer ist kein Angehöriger des Clans der Gabooye, der XXXX , der XXXX (AS 5, AS 84, PS 6) oder eines anderen Minderheitenclans. Der Beschwerdeführer ist Angehöriger eines Mehrheitsclans. Es kann nicht festgestellt werden, welchem Mehrheitsclan der Beschwerdeführer tatsächlich angehört.

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Mogadischu geboren und hat über 20 Jahre in Mogadischu gelebt. Er hat im Bezirk Hodan mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern in einem Miethaus gelebt (AS 7, PS 9). Anschließend hat er zwei Monate in Puntland und einige Monate in Hargeysa gelebt (PS 8). Die Familie hatte ein Geschäft, in dem die Eltern sowie der Beschwerdeführer gearbeitet haben (PS 8, 9, 10).

Die Mutter und der Vater des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Drei Brüder des Beschwerdeführers leben noch in Mogadischu, ein Bruder lebt in Dänemark (AS 48, PS. 9). Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seinen Brüdern in Mogadischu. Der Beschwerdeführer kennt die Geschwister seiner Eltern nicht und hat auch keine sonstige Verwandtschaft in Somalia (PS 9). Der Beschwerdeführer hat kein Eigentum in Somalia. Für den Lebensunterhalt der Familie in Mogadischu sind die Eltern, die ein Geschäft in Mogadischu hatten, aufgekommen. In Hargeysa hat seine Mutter für seinen Lebensunterhalt gesorgt, mit welcher er zusammengelebt hat (PS 9). Sie hat am Markt Gemüse verkauft (PS 10).

Der Beschwerdeführer hat etwa im Jahr 2002 begonnen, zur Schule zu gehen und hat drei Jahre die Koranschule und drei Jahre die Grundschule in Mogadischu besucht (AS 3, AS 85, PS 7). Der Beschwerdeführer erlernte keinen Beruf. Er hat in Mogadischu drei Jahre im Geschäft seiner Eltern gearbeitet. In Hargeysa hat er nicht gearbeitet (PS 8).

Der Beschwerdeführer ist in der Zeit zwischen November 2013 und Jänner 2014 ausgereist, der genaue Zeitpunkt seiner Ausreise kann nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und er stellte am 16.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 3 ff).

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund und arbeitsfähig.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Die Brüder des Beschwerdeführers waren keine Mitglieder der Al Shabaab. Der Beschwerdeführer wurde von diesen nicht gezwungen, der Al Shabaab beizutreten. Der Beschwerdeführer wurde von Mitgliedern der Al Shabaab weder kontaktiert, noch bedroht, noch aufgefordert sich der Al Shabaab anzuschließen. Der Vater des Beschwerdeführers wurde nicht von den Brüdern des Beschwerdeführers ermordet.

1.2.2. Der Beschwerdeführer wurde in Somalia nicht wegen der Ermordung eines Mannes zum Tode verurteilt und auch nicht inhaftiert. Er wurde in Somalia weder verdächtigt noch beschuldigt in die Tötung eines Menschen involviert gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer war in Somalia nicht in einem Gefängnis inhaftiert, er wurde in Somalia nicht verurteilt. Es hat kein Gefängnistransfer und im Zuge dessen auch kein Verkehrsunfall stattgefunden.

Der Beschwerdeführer wird in Somalia nicht von Behörden oder der Regierung gesucht.

1.2.3. Der Beschwerdeführer hat Somalia weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Im Falle einer Rückkehr nach Somalia droht dem Beschwerdeführer weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Angehörige der Al Shabaab, durch das somalische Rechtssystem bzw. den somalischen Staat oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht in Mogadischu auch keine Zwangsrekrutierung.

1.2.4. Der Beschwerdeführer hatte in Somalia selber keine konkret und individuell gegen ihn gerichteten Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in die Stadt Mogadischu kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der Beschwerdeführer kann in Mogadischu grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Somalia vertraut und spricht Somalisch als Muttersprache. Zudem spricht er auch Englisch. Er hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Er verfügt über Schulbildung, Berufserfahrung sowie über ein hohes Maß an Selbständigkeit (OZ 14). Er hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Mogadischu verbracht, sodass er über Ortskenntnisse verfügt, ihm sind städtische Strukturen bekannt. Er verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Mogadischu. Er kann zumindest anfänglich von seinen Familienangehörigen in Somalia, nämlich von seinen drei Brüdern, durch die Zurverfügungstellung einer vorübergehenden Unterkunft sowie bei der Arbeitssuche, unterstützt werden. Er kann auch Unterstützung von seinem Clan erhalten. Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er kann anschließend selber für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Somalia in Mogadischu wieder Fuß zu fassen und dort sein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragsstellung am 16.07.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs für die Stufe A1 besucht und die ÖSD-Prüfung für die Stufe A1 bestanden (Zertifikat ausgestellt am 12.07.2018). Er verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer hat am 09.11.2018 eine dreistündige Informationsveranstaltung des Österreichischen Integrationsfonds besucht (Zeitbestätigung vom 09.11.2018).

Der Beschwerdeführer geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung. Er erbringt seit Mai 2018 stundenweise Hilfsarbeiten in einer Marktgemeinde in einem ungefähren Ausmaß von 30 bis 40 Stunden pro Monat (PS 11, Bestätigung vom 27.02.2019). Diese Tätigkeit erbringt er teilweise unbezahlt und teilweise für 5€ pro Stunde. Er hilft den Bauhofmitarbeitern bzw. dem Schlosshausmeister bei diversen Arbeiten. Die ihm aufgetragenen Arbeiten (Mäharbeiten, Reinigung der Gehsteige, Aufstellen von Sesseln und Bühnen usw.) erbringt der Beschwerdeführer mit Freude und Engagement zur vollsten Zufriedenheit der Gemeinde. Zudem hat er im Juni 2018 im Zuge eines Projekts einer gemeinnützigen Organisation beim Bau einer Terrasse mitgeholfen.

Der Beschwerdeführer wird von seinen Mitbewohnern, Bekannten und seinem Unterkunftsgeber sehr für seine hilfsbereite und sehr selbständige Art sehr geschätzt (OZ 14).

Der Beschwerdeführer hat in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Personen verschiedener Nationen knüpfen können. Er konnte freundschaftliche Kontakte zu zwei Österreichern knüpfen (PS 13). Er verfügt jedoch weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich (PS 13).

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Somalia basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 17.09.2018 (LIB),

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu vom 11.05.2018 (Beilage ./V)

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Rechtssystem Somalias bzw. Somalilands hinsichtlich fahrlässiger Tötung und Diskriminierung vom 05.04.2018 (Beilage ./VI)

-        Focus Somalia, Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 (Focus)

-        FSNAU - Somalia Food Security Outlook Februar bis September 2020 (FSNAU)

-        FEWS, Key Message Update vom 29.05.2020 (FEWSN)

1.5.1. Politische Situation

Somalia ist faktisch zweigeteilt in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird, aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (LIB Kapitel 2)

Seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 war Süd-/Zentralsomalia immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen. Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (LIB Kapitel 2).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet. Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (LIB Kapitel 2).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (LIB Kapitel 2).

1.5.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar. Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen. Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen. Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (LIB Kapitel 3).

Viele Städte stehen unter der Kontrolle somalischer Armee und AMISOM sowie der Regierung, wobei diese Städte oft vom Gebiet der Als Shabaab umgeben ist (LIB Kapitel 3).

1.5.3. Mogadischu:

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und. Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden mittlerweile von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (LIB Kapitel 3.1.3.).

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der Al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (LIB Kapitel 3.1.3.).

Die Al Shabaab ist in der Lage in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen. Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber zu gezielten Tötungen. Üblicherweise zielt die Al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Offizielle, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und –Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM. Betroffen sind Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein oder mit der Regierung in Verbindung zu stehen oder von Al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen zu werden (LIB Kapitel 3.1.3.). Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko eines Eingriffs in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt wäre

Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar. Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben. Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIB Kapitel 3.1.3.).

Es besteht kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (LIB Kapitel 3.1.3.).

In Mogadischu sind 28% der Bevölkerung arbeitssuchend. 6% der Jugendlichen sind arbeitssuchend (Anfragebeantwortung Mogadischu, S. 19). Es gibt in Mogadischu bessere Job-Aussichten als in den meisten anderen Teilen Somalias, auch für Jugendliche ohne Bildung und Arbeitserfahrung. Während in Somalia die meisten Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, arbeiten in Mogadischu die meisten Menschen im Handel bzw. im Dienstleistungssektor oder in höheren bildungsabhängigen Berufen (Anfragebeantwortung Mogadischu, S. 21). Das Auswahlverfahren im Arbeitsleben basiert oft auf Clanbasis, gleichzeitig werden aber viele Arbeitsplätze an Rückkehrer aus der Diaspora vergeben. Es gibt auch Beschäftigungsmöglichkeiten, die von vielen Somaliern nicht in Anspruch genommen werden, da diese Arbeit als minderwertig erachtet wird, z.B. Friseur, Kellner oder Reinigungsarbeiten (Anfragebeantwortung Mogadischu, S. 22).

Die somalische Wirtschaft zeigt eine positive Entwicklung. Die Schaffung an Arbeitsplätzen bleibt jedoch unter den Bedürfnissen. Trotzdem gibt es in Mogadischu aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs zahlreiche Möglichkeiten. Das Durchschnittseinkommen für Jugendliche beträgt 190 USD im Monat. In Mogadischu beträgt das Durchschnittseinkommen 360 USD im Monat. Fast 10% der Jugendlichen in Mogadischu verdienen mehr als 400 USD im Monat (Anfragebeantwortung Mogadischu, S. 23-24).

Für Mogadischu selbst gilt die IPC-Stufe 2 (stressed); für IDP’s die IPC-Stufe 3 (crisis) (FSNAU; FEWSN).

Mogadischu ist über einen internationalen Flughafen sicher erreichbar (LIB Kapitel 19 und 23). Mogadischu verfügt über einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken (LIB Kapitel 22).

1.5.4. Al-Shabaab:

Ziel der Al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß- Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Dabei ist auch die Al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (LIB Kapitel 3.1.6.).

1.5.5. Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates:

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht. Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung. Staatlicher Schutz ist in Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar. Der Clan-Schutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten (LIB Kapitel 4).

1.5.6. Clanstruktur:

In Somalia ist die Bevölkerung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans zersplittert, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeits-empfinden bestimmt. Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (LIB Kapitel 17.1.).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalier. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. Darum kennen Somalier üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem. Allerdings gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LIB Kapitel 17.1). In Mogadischu und anderen großen Städten ist es daher nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört. Die (Clan-)Zusammensetzung der Bevölkerung von Mogadischu ist sehr heterogen. Dort können sich Angehörige jedes Clans niederlassen (LIB Kapitel 19).

Als "noble" Clanfamilien gelten die traditionell nomadischen Hawiye, Darod, Dir und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben (LIB Kapitel 17.1).

Die Clanfamilien unterteilen sich weiter in die Ebenen der Clans, Sub(sub)clans, Lineages und die aus gesellschaftlicher Sicht bei den nomadischen Clans wichtigste Ebene, die sogenannte Mag/Diya (Blutgeld/Kompensation) zahlenden Gruppe (Jilib), die für Vergehen Einzelner gegen das traditionelle Gesetz (xeer) Verantwortung übernimmt (Focus, S. 8 f; LIB Kapitel 4).

Clanschutz bedeutet für eine Einzelperson die Möglichkeit vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Ein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Kompensation zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensations-zahlungen (Mag/Diya). Generell - aber nicht überall - funktioniert Clanschutz besser als der Schutz durch Staat oder Polizei. Dementsprechend wenden sich viele Menschen bei Gewaltverbrechen eher an den Clan als an die Polizei. (LIB Kapitel 4).

Minderheiten

Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie unterscheiden sich in ethnischer, sprachlicher und kultureller Hinsicht nicht von der Mehrheitsbevölkerung, sind aber traditionell in Berufen tätig, die von den Mehrheitsclans als "unrein" oder "unehrenhaft" angesehen werden. Diese Berufe und andere ihrer Praktiken (z.B. Fleischverzehr) gelten darüber hinaus als unislamisch (Focus, S. 14).

Die Clans der berufsständischen Gruppen sind gleich strukturiert wie die Mehrheitsclans, mit dem einzigen Unterschied, dass sie ihre Abstammung nicht auf die Gründerväter Samaale bzw. Saab zurückverfolgen können, sondern "nur" auf den "Vater" ihres Clans. Gleich wie die Mehrheitsclans haben das Aufzählen der Väter (Abtirsiimo) und die Zugehörigkeit zu einem Clan eine große Bedeutung (Focus, S. 15 f).

Für die Berufsgruppen gibt es zahlreiche somalische Bezeichnungen, bei denen regionale Unterschiede bestehen. Häufig genannt werden Waable, Sab, Madhibaan und Boon. Die landesweit geläufige Bezeichnung Midgaan ist negativ konnotiert (er bedeutet "unberührbar" oder "ausgestoßen") und wird von den Berufsgruppen-Angehörigen als Beleidigung empfunden; sie bevorzugen Begriffe wie Madhibaan oder Gabooye. Der Ausdruck Gabooye wird besonders im Norden des somalischen Kulturraums als Dachbegriff benutzt. Der Begriff umfasst nicht alle Berufsgruppen, aber zumindest vier untereinander nicht verwandte Clans berufsständischer Gruppen: Tumaal, Madhibaan, Muse Dheriyo und Yibir. Der Begriff Gabooye kann auch als Begriff für einen eigenen Clan der berufsständischen Gruppen unter vielen gebraucht werden. Ursprünglich bezeichnete Gabooye nur einen Clan aus dem Süden, dessen Angehörige sich als Jäger betätigten. Madhibaan sind ursprünglich Jäger, heute aber als Färber, Gerber, Schuhmacher und in anderen Berufen tätig. Sie leben im ganzen somalischen Kulturraum (Focus, S. 16 f).

Aufgrund der großen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Clans ist es auch heute für Somalier im somalischen Kulturraum essentiell und in der Diaspora zumindest nicht irrelevant, sich in diesem System verorten zu können (Focus, S. 20). Jüngere Somalier im urbanen Raum oder in der Diaspora sind heute häufig nur noch in der Lage, ihre Clanzugehörigkeit bis zur Stufe Sub-Clan sowie vier oder fünf Generationen im Abtirsiimo (Abstammungslinie) aufzuzählen. Es kommt aber selbst bei jungen Somalier in der Diaspora nicht vor, dass sie gar keine Ahnung von ihrem Clan und ihrem Abtirsiimo haben. Sogar wenn sie sich für das Clansystem nicht interessieren, können sie zumindest ihren Clan und Sub-Clan sowie den Abtirsiimo bis zum Urgroßvater nennen. Fast alle Somalier kennen zumindest ihren Clan-Ältesten (Focus, S. 24).

Aufgrund der wahrgenommenen Bevorzugung der berufsständischen Gruppen im Asylverfahren in westlichen Staaten sind andere Somalier dazu übergegangen, sich als Angehörige von Berufsgruppen auszugeben. Da andere Somalier aber im Durchschnitt gebildeter sind als die Angehörigen berufsständischer Gruppen, sind sie in der Lage, sich mehr Wissen über die berufsständischen Gruppen anzueignen, als diese selbst haben (Focus, S. 25).

In Somalia gibt es drei Rechtssysteme, das formelle Justizsystem, das traditionelle Recht der Clans sowie das Recht der Scharia. Gabooye haben im traditionellen Rechtssystem ihre Rechte. Aufgrund ihrer gegebenen Armut können Minderheitenangehörige auch eher an der im somaliländischen Justizsystem gegebenen Korruption leiden. Dies hängt aber nicht mit ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit, sondern mit den eingeschränkten Ressourcen zusammen. Im traditionellen Recht werden Gabooye fair behandelt. Vor Gericht gibt es keine Diskriminierung. Im traditionellen Recht sind die meisten Richter nicht korrupt oder voreingenommen, sodass die Rechte der Gabooye dort gewahrt werden (Beilage ./VI).

1.5.8. Grundversorgung:

Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar, wohingegen der tertiäre Bildungsbereich in Mogadischu boomt. Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (LIB Kapitel 21.1).

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (LIB Kapitel 21.1).

Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (LIB Kapitel 21.1).

Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung. Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z.B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (LIB Kapitel 21.1).

Frauen stoßen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vor – etwa bei Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei. Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben. In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43% der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (LIB Kapitel 21.1).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z.B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80%-90% des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft. Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin oder aber auch auf. Für Frauen gibt es auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z.B. können sie nicht Taxifahrer werden (LIB Kapitel 21.1).

Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle. Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei und fördern die Resilienz der Haushalte (LIB Kapitel 21.1).

1.5.9. Aktuelle Grundversorgungslage (Nahrungsmittelversorgung, Dürre, Überflutung)

Die überdurchschnittliche Deyr-Ernte 2019, die Zunahme der Viehbestandsgrößen und die nachhaltige humanitäre Nahrungsmittelhilfe haben die Erholung von der vorangegangenen Dürre 2018/2019 und den jüngsten Überschwemmungen in ländlichen Gebieten unterstützt (FSNAU). Die wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19, die Überschwemmungen während der andauernden Gu-Regenzeit (April bis Juni) und die Verbreitung der Wüstenheuschrecken führen jedoch wieder zu einer Zunahme der Ernährungsunsicherheit in der Bevölkerung (FEWSN).

Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen. Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung. In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (LIB Kapitel 21.2).

Für Mogadischu gilt die IPC-Stufe 2 (stressed); für IDP’s die IPC-Stufe 3 (crisis) (FSNAU; FEWSN).

1.5.10. Binnenflüchtlinge (IDPs):

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. Diese sind besonders benachteiligt, da sie kaum Schutz genießen und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt sind. Ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan-Zugehörigkeiten sind an der Tagesordnung; es kommt auch zu willkürlichen Tötungen, Vertreibungen und sexueller Gewalt. Für Vergewaltigungen sind bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (LIB Kapitel 20).

IDPs sind über die Maßen von der Dürre und daher von Unterernährung betroffen (LIB Kapitel 20 und 21.2). Für sie ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen. Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LIB 21.1).

1.5.11. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft. Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus ist erheblich schlechter. In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind (LIB Kapitel 22).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos (LIB Kapitel 22).

Es gibt nur fünf bei der WHO registrierte Zentren zur Betreuung psychischer Erkrankungen und nur drei Psychiater in Somalia. Diese befinden sich in Berbera, Bossaso, Garoowe, Hargeysa und Mogadischu. Von der Regierung gibt es so gut wie keine Unterstützung für diese Einrichtungen, sie sind von Spenden abhängig. Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weit verbreitete Praxis (LIB Kapitel 22).

Grundlegende Medikamente sind verfügbar, darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (LIB Kapitel 22).

1.5.12. Bewegungsfreiheit:

Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren einer Gefahr ausgesetzt. Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen. Viele der Hauptstraßen werden nur teilweise von AMISOM und Armee kontrolliert. Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Bei Reisen von Gebieten der Regierung in jene von al Shabaab besteht das Risiko, von beiden Seiten der Kollaboration verdächtigt zu werden (LIB Kapitel 19).

In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll, wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clan-Milizen (LIB Kapitel 19).

Es ist weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern ab und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit Al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor. Zu befürchten haben an Straßensperren der Al Shabaab jene Personen etwas, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Außerdem kann es Personen treffen, die von Al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clan-Verbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet lieg (LIB Kapitel 19).

Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken – v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt. Für Frauen gibt es nämlich ein erhöhtes Risiko, an Straßensperren sexueller Gewalt ausgesetzt zu werden. Dabei spielt die Clanzugehörigkeit kaum eine Rolle, denn im Transit ist der Schutz des Clans oft wirkungslos (LIB Kapitel 19).

In Mogadischu gibt es keine Probleme bei der Bewegungsfreiheit (LIB Kapitel 19).

1.5.13. Rückkehrer:

Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd-/Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft. Im Jahr 2017 sind 245 Personen aus der EU und anderen europäischen Staaten nach Somalia zurückgebracht worden. Im ersten Halbjahr 2018 waren es 208. Bis Juli 2019 sind insgesamt 90.058 Somalis über AVR-Programme des UNHCR zurückgeführt worden, mehrheitlich aus Kenia, aber auch aus Dschibuti, Libyen und dem Jemen (LIB Kapitel 23).

Rückkehrer werden nicht von somalischen Behörden misshandelt. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Rückkehrer werden vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt. Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern durch das RMO hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort kommen. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige und andere Rückkehrer (LIB Kapitel 23).

Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig (LIB Kapitel 21.3).

Rückkehrer nach Mogadischu haben dort einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen (LIB Kapitel 21.3).

Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden. Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIB Kapitel 21.3).

Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (LIB Kapitel 21.3).

Allein die Tatsache, dass eine Person nach Somalia zurückkehrt, macht diese nicht zum Ziel - auch nicht für die Al Shabaab. Rückkehrern in Gebiete der Al Shabaab könnte vorgeworfen werden, als Spione zu dienen. Ob ein Rückkehrer zum Ziel der Al Shabaab wird, hängt maßgeblich von seinem eigenen Verhalten ab. Alleine die Tatsache, dass eine Person aus dem Westen zurückgekehrt ist, spielt bei einer Rückkehr in das Gebiet der Al Shabaab keine Rolle. Viel wichtiger sind die Zugehörigkeit zu Familie und Clan und die Beziehungen dieser beiden Entitäten zur Al Shabaab. Al Shabaab richtet sich nicht gegen Rückkehrertransporte oder –Lager (LIB Kapitel 23).

1.6. Zur aktuellen Covid-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 22.07.2020, 08:00 Uhr, 19.868 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 711 Todesfälle (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Neuartiges-Coronavirus-(2019-nCov).html); in Somalia wurden mit Stand vom 21.07.2020 3.130 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 93 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://covid19.who.int/region/emro/country/so).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

In Somalia gibt es Maßnahmen um die Ausbreitung der Krankheit einzuschränken. Zu den Maßnahmen zählen soziale Distanzierung, nächtliche Ausgangssperren und Grenzschließungen (FEWS).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die im Verfahren vorgelegten Urkunden.

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Muttersprache und seinen weiteren Sprachkenntnissen sowie zu seinem Lebenslauf (seinem Aufwachsen sowie seine familiäre und wirtschaftliche Situation in Somalia, seine Schulbildung sowie seine Berufserfahrung), sowie zu seinem Familienstand gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Zu seiner Berufserfahrung gab er vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, als Hilfsarbeiter gearbeitet zu haben (AS 5). Vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung gab er an, Berufserfahrung als Verkäufer zu haben und im Geschäft seiner Eltern gearbeitet zu haben (AS 85, PS 8). Seine Berufserfahrung als Verkäufer konnte daher festgestellt werden.

Zum Zeitpunkt seiner Ausreise gab der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung am 16.07.2015 an, etwa eineinhalb Jahre zuvor ausgereist zu sein (AS 7). Dies würde einem Ausreisezeitpunkt im Jänner 2014 entsprechen. Der Beschwerdeführer gab jedoch sowohl vor dem Bundesamt, als auch in der mündlichen Verhandlung an, dass er im November 2013 ausgereist sei (AS 87-88, PS 9). Der konkrete Ausreisezeitpunkt des Beschwerdeführers aus Somalia konnte somit nicht festgestellt werden.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer drei Monate in Puntland gelebt hat, geht auf seine stringenten Angaben im Verfahren zurück (AS 86, PS 8). Zu seiner Aufenthaltsdauer in Hargeysa gab er vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung zum einen an, neun bzw. zehn Monate inhaftiert gewesen zu sein (AS 86, PS 14), zum anderen aber, sich zwei Monate dort aufgehalten zu haben (PS 8). Seine genaue Aufenthaltsdauer in Hargeysa konnte daher nicht festgestellt werden.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach somalischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Somalia mit seiner somalischen Familie aufgewachsen ist. Er ist dort zur Schule gegangen und hat dort im Geschäft seiner Familie gearbeitet (AS 85).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, gründet sich auf die diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung (AS 83, PS 4) und auf den Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Die Feststellung zur Einreise sowie das Datum der Antragsstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.1.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht dem Clan der Gabooye und keinem Minderheits- sondern einem Mehrheitsclan angehört, gründet sich darauf, dass seine Angaben zur Clanzugehörigkeit die großteils vage waren und keine Deckung in den Länderinformationen finden. Den Länderberichten ist zu entnehmen (siehe Punkt II.1.1.5), dass Angehörige der Mehrheitsclans – aufgrund einer wahrgenommenen Bevorzugung der Minderheitenclans – dazu übergegangen sind, sich als Angehörige von Berufsgruppen auszugeben um über ihre tatsächliche Clanzugehörigkeit im Asylverfahren zu täuschen.

Zwar gab der Beschwerdeführer bereits in der Erstbefragung und vor dem Bundesamt an, zum Clan der Gabooye zu gehören (AS 3, AS 84) und er konnte in der mündlichen Verhandlung auch einen Sub-Clan sowie einen Sub-Sub-Clan angeben (PS 6), dennoch sind seine Angaben zur Clanzugehörigkeit nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer sechs Jahre lang eine Schule besuchen konnte und zwar von ca. 2002 bis 2008 (AS 3, PS 7). Dem ins Verfahren eingebrachten Bericht Focus Somalia-Clans und Minderheiten ist jedoch zu entnehmen, dass Angehörige von Berufsgruppen um die Jahrtausendwende keine normalen Schulen besuchen konnten (Beilage ./IV, S. 38). Ein – für Somalia mit 6 Jahren eher langer Schulbesuch – steht nach den Länderinformationen im Widerspruch zu einer Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe.

Zudem konnte der Beschwerdeführer nur sehr vage Angaben zum Clan der Gabooye machen, etwa, dass es sich um einen Minderheitenclan handle, der keine Rechte in Somalia habe und die Angehörigen keine anderen Frauen heiraten dürften (AS 84). Beim Bundesamt wurde der Beschwerdeführer aufgefordert mehr über den Clan der Gabooye zu erzählen (AS 84). Der Beschwerdeführer gab nur vage und ausweichend an, dass dies ein Minderheitenclan sei, der keine Rechte in Somalia habe, diese dürfen keine anderen Frauen heiraten. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Clan machen nicht den Eindruck, als würde er tatsächlich dem Clan der Gabooye angehören. Der Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung auch von seinem Vertreter befragt, ob er in Somalia Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe. Der Beschwerdeführer gab nur vage an, dass er in Somalia nicht beschützt werde, er zu Unrecht inhaftiert wurde, er dort wenig zu Essen bekommen habe und er auch keinen Anwalt bekommen habe (PS 16). Auch diese Angaben sind vage und nicht nachvollziehbar, zumal seine Angaben zu der behaupteten Verurteilung und seiner Inhaftierung ebenfalls nicht glaubhaft sind. Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen (Beilage ./VI, S. 18), dass Angehörige der Gabooye im traditionellen Rechtssystem ihre Rechte haben, sie werden dort fair behandelt. Es gibt keine Diskriminierung aufgrund des Clans vor Gerichten in Somalia – jedoch kann es zu einer Benachteiligung aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche kommen, da Angehörige von Minderheitenclans nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, sodass diese eher unter einer möglichen Korruption des Gerichts leiden. Dass dem Beschwerdeführer jedoch ein Anwalt vorbehalten worden sei bzw. ein begründungsloses Urteil ergangen sei, da er ein Angehöriger der Gabooye sei und er keine Rechte in Somalia vor Gericht aufgrund seines Clans habe, ist mit den Länderberichten nicht in Einklang zu bringen.

Die Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung zu seinem Clan machten insbesondere nicht den Eindruck, als hätte er in Somalia jemals eine Clandiskriminierung erlebt. Aus den Länderberichten geht hervor, dass Angehörige der berufsständischen Gruppen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft stehen und Diskriminierungen im Alltag sowie Stigmatisierungen ausgesetzt sind. Der Beschwerdeführer hat jedoch keine Angaben über tatsächliche Stigmatisierungen oder Diskriminierungen im Alltag machen können. Seine Angaben zu behaupteten Benachteiligungen machen nicht den Eindruck, als würde es sich um tatsächliche Erlebnisse handeln.

Zwar deckt sich seine Angabe, dass die Tumal vorrangig als Schmiede arbeiten und Waren aus Metall herstellen, grundsätzlich mit dem oben zitierten Bericht. Seine Angabe, dass die Tumal auch als Friseure arbeiten, konnte dem Länderberichten allerdings nicht entnommen werden (Beilage ./IV; PS 7).

Auch die Finanzierung der üblicherweise hohen Fluchtkosten als Gabooye ist nicht nachvollziehbar, da die Gabooye in Somalia wirtschaftlich benachteiligt wurden und der Beschwerdeführer im Verfahren angab, als Hilfsarbeiter gearbeitet zu haben (AS 5). Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer sich die hohen Ausreisekosten hat leisten können oder seine Mutter ihm dies hätte finanzieren können. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer ein Angehöriger eines Mehrheitsclans ist und er bei der Ausreise von seiner Familie insbesondere finanziell unterstützt wurde.

Aus all diesen Gründen geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer tatsächlich ein Angehöriger eines Mehrheitsclans ist und er im Asylverfahren die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan nur vortäuscht. Da es in Somalia mehrere Mehrheitsclans gibt, kann nicht festgestellt werden welchem Mehrheitsclan der Beschwerdeführer tatsächlich angehört.

2.1.3. Dass Gericht geht davon aus, dass die Ausreise des Beschwerdeführers tatsächlich durch finanzielle Unterstützung seiner Familienangehörigen erfolgt ist, der Beschwerdeführer daher auch ein gutes Verhältnis zu seinen Familienangehörigen hat.

Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass er keinen Kontakt mehr zu seinen Brüdern in Mogadischu habe, da er mit diesen – wegen deren Forderung sich der Al Shabaab anzuschließen – gestritten habe. Dass die Brüder des Beschwerdeführers der Al Shabaab angehören würden oder es mit den Brüdern überhaupt einen Streit gegeben habe, ist für das Gericht nicht glaubhaft (siehe Ausführungen unter Punkt II.2.2.2). Es ist für das Gericht daher nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Familienangehörigen in Mogadischu abreißen sollte. Mogadischu ist eine kosmopolitische Stadt in der es Mobiltelefone sowie Internetzugang gibt. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer tatsächlich noch Kontakt zu seinen drei in Mogadischu lebenden Brüdern hat.

Dass der Beschwerdeführer über einen Bruder in Dänemark verfügt, ergibt sich aus seinen diesbezüglich gleichgebliebenen Angaben in der Erstbefragung, beim Bundesamt (AS 7, AS 84).

Die Feststellung, dass die Mutter des Beschwerdeführers verstorben ist, gründet sich auf seine diesbezügliche Angabe in der mündlichen Verhandlung (PS 9). Die Feststellung, dass der Vater des Beschwerdeführers verstorben ist, ist ebenfalls den gleichgebliebenen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren zu entnehmen (AS 7, AS 84) – auch wenn das Gericht davon ausgeht, dass der Vater des Beschwerdeführers weder von seinen Söhnen noch von Mitgliedern der Al Shabaab getötet wurde.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1 Sofern der Beschwerdeführer angegeben hat, ihm drohe Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch seine drei Brüder, die Angehörige der Al Shabaab seien und der Beschwerdeführer einer Zwangsrekrutierung durch diese ausgesetzt sei sowie, dass er in Somalia zu Unrecht wegen Mordes zur Todesstrafe verurteilt worden sei, kommt seinem Vorbringen aus folgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund seines persönlichen Eindrucks über den Beschwerdeführer davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Vorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen detailliert, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht worden. Er präsentierte lediglich eine grobe Rahmengeschichte und es sind in den wesentlichen Angaben des Beschwerdeführers erhebliche Ungereimtheiten und Widersprüche enthalten, die seine Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurück liegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen, widersprüchlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.

Bereits beim Bundesamt waren die Angaben des Beschwerdeführers zu der Bedrohung durch seine Brüder und durch die Al Shabaab vage und detaillos, obwohl der Beschwerdeführer beim Bundesamt aufgefordert wurde, von sich aus vollständige Angaben zu machen und nichts zu verschweigen (AS 82). Der Beschwerdeführer machte in seiner freien Erzählung beim Bundesamt nachstehende Angaben zu seinen Fluchtgründen (AS 86): „Wir haben in Mogadischu gelebt, bis meine drei Brüder zur Al Shabaab gegangen sind. Sie wollten, dass i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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