TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/13 W103 2200170-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.08.2020

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W103 2200170-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2020, Zl. 830350905-200218661, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Vorangegangenes Verfahren über internationalen Schutz:

1.1. Die Beschwerdeführerin stellte am 18.03.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab bei der Erstbefragung am 20.03.2013 zum Fluchtgrund an, sie sei in Dagestan von der Polizei verfolgt worden. Sie sei traditionell verheiratet, ihr Ehemann sei vor ca. 3 Jahren spurlos verschwunden. Diese Ehe sei heimlich gewesen. Ende 2012 seien Polizisten zu ihr nach Hause gekommen und hätten sie zu einer persönlichen Befragung aufgefordert. Obwohl sie verneint hätte, verheiratet zu sein, hätten sie ihr nicht geglaubt und gewusst, wer ihr Ehemann sei und dass er mit den Widerstandskämpfern in Verbindung stehe. Sie hätten von ihr Infos haben wollen und sie unter Druck gesetzt. Sie habe Angst bekommen, weil sie in Verbindung mit den Widerstandskämpfern gebracht worden sei.

1.2. Am 13.04.2018 wurde eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin durchgeführt, in der sie zu ihrem Fluchtgrund angab, dass sie einen Mann geheiratet habe, der dann verschwunden sei. Er habe sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt, habe aber Kontakte zu Leuten gehabt, die sich an der Widerstandbewegung gegen die russischen Behörden beteiligt hätten. Ihre Mutter habe darauf bestanden, dass sie das Land verlassen, weil ihre „Behörden“ zu allem fähig seien.

1.3. Mit Bescheid vom 05.06.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2019, Zahl W129 2200170-1, wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung als unbegründet abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht legte jener Entscheidung neben Ausführungen zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin die folgenden Feststellungen zugrunde:

„(…) Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest.

Die Beschwerdeführerin heiratete am 30.03.2013 – zwölf Tage nach ihrer Einreise – einen Asylberechtigten traditionell in Österreich; am 04.09.2013 erfolgte die Eheschließung vor einem Standesamt in Österreich. Sie hat ihren Ehemann zuvor über soziale Netzwerke kennengelernt. In Österreich und EU verfügt die Beschwerdeführerin über keine weiteren Verwandte.

Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführerin ist Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen und bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnit). Vor der Ausreise lebte sie in Dagestan. Im Herkunftsstaat leben ihre Mutter sowie ihre Geschwister; einer ihrer Brüder lebt jedoch in Deutschland. Ihr Vater ist bereits gestorben. Sie steht mit ihrer Familie telefonisch und über das Internet in Kontakt.

Die Beschwerdeführerin ist arbeitsfähig. Die Beschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat die Schule besucht und gearbeitet; so hat sie dort als Näherin gearbeitet. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt aus der Grundversorgung. Ihr Mann arbeitet bei der XXXX Die Beschwerdeführerin könnte wieder im Herkunftsland im Elternhaus leben. Die Beschwerdeführerin ist derzeit kein Mitglied in einem Verein. Sie hat Freunde/Bekanntschaften in Österreich. Die Beschwerdeführerin verfügt über ein A2-Zertifikat. Sie weist Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 auf.

Weder war die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt, noch droht eine solche aktuell. Die Beschwerdeführerin ist im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

Die Beschwerdeführerin gerät im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation nicht in eine existenzgefährdende Notlage. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht ihr weder eine unmenschliche Behandlung, Todesstrafe oder unverhältnismäßige Strafe noch eine sonstige individuelle Gefahr. Die Beschwerdeführerin leidet an keiner akut lebensbedrohlichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würde.

Die Beschwerdeführerin ist unbescholten. Weiters erfolgte ein Rücktritt von der Verfolgung wegen des Vergehens nach § 50 WaffG unter der Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr. Die Beschwerdeführerin bezieht seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes. (…)“

Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK vorgenommenen Interessensabwägung traf das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen die folgenden Erwägungen:

„(…) Die Beschwerdeführerin heirate in Österreich einen Asylberechtigten. Zu diesem besteht ein Familienleben. Sie hat ihren Ehemann zuvor über soziale Netzwerke kennengelernt.

Geht man daher im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich aus, fällt jedoch die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten der Beschwerdeführerin aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar:

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

Der EGMR hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 5.9.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 9.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.4.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich; 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande; 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

Im konkreten Beschwerdefall ist auch auf die Entscheidung des EGMR vom 11.04.2006, Nr. 61292/00 (Useinov gegen die Niederlande) hinzuweisen, der ein Beschwerdefall zu Grunde lag, in dem ein Fremder, der mit einer Inländerin zwei gemeinsame minderjährige Kinder hatte und bereits mehrere Jahre in den Niederlanden lebte, aber nicht damit rechnen durfte, sich auf Dauer in diesem Staat niederlassen zu dürfen, ausgewiesen wurde. In dieser Entscheidung erachtete der EGMR die Bestimmung des Art. 8 EMRK als durch die Ausweisung des Fremden nicht verletzt (vgl. zu dieser Entscheidung auch VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721).

Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005, 282 ff.).

Die Beschwerdeführerin reiste am 18.03.2013 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bereits 12 Tage nach der Einreise heiratete sie – zunächst nach islamischem Ritus – ihren nunmehrigen Ehemann; zudem deutete sie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass ihr eigentlicher Grund der Antragstellung die beabsichtigte Eheschließung mit ihrem Mann gewesen sei („R: Wollen Sie etwas zu Protokoll geben? BF: Mein Mann hat mich gefunden, deswegen bin ich nach Ö gekommen. - R: Was verstehen Sie unter „mich gefunden“? BF: Im Internet in sozialen Netzwerken. Ich wurde nicht richtig verfolgt.“)

Dem Paar musste somit von Anbeginn die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin bewusst sein. Es war vorhersehbar, dass es im Falle einer negativen Entscheidung zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt.

Das Gewicht ihres zwischenzeitig entstandenen Familienlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich die Beschwerdeführerin nicht darauf verlassen konnte, ihr Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, und sich auch seit ihrer Ankunft in Österreich des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen.

In der Entscheidung des EGMR vom 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 9214/80, verneinte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 8 EMRK und führte aus, dass die durch Art. 8 EMRK auferlegte Pflicht nicht die generelle Verpflichtung umfasst, Ehegatten zur Niederlassung zu akzeptieren. Die Beschwerdeführerinnen hätten keine Hindernisse für eine Wohnsitzbegründung in ihren eigenen oder im Heimatstaat ihrer Ehemänner dargelegt. Zudem hätten die Beschwerdeführerinnen wissen bzw. damit rechnen müssen, dass sich ihre Ehemänner nicht (mehr) rechtmäßig im Vereinigten Königreich aufhalten würden. (Der Gerichtshof hat zwar den rechtmäßig aufhältigen Beschwerdeführerinnen ein Beschwerderecht zugestanden und eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Rasse erkannt; dies jedoch vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Einwanderungsrechts im Vereinigten Königreich, die auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sind.)

Im vorliegenden Fall mussten sich die Beschwerdeführerin und der Ehemann ebenfalls bewusst sein, dass ihre Beziehung vor dem Hintergrund eines noch nicht existenten bzw. später eines unischeren Aufenthaltes der Beschwerdeführerin entstand. Nicht verkannt wird, dass es dem Ehemann aufgrund seines Status als anerkannter Flüchtling aus der Russischen Föderation nicht möglich ist, im Heimatstaat der Beschwerdeführerin einen Wohnsitz zu begründen oder Besuche abzuhalten. Doch ist es der Beschwerdeführerin nicht verwehrt, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG in das Bundesgebiet zurückzukehren. Der Beschwerdeführerin ist es daher für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens zumutbar, den Kontakt via Telefon oder Internet und durch persönliche Besuche in Österreich aufrecht zu erhalten.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

(…)

Die Beschwerdeführerin hält sich von März 2013 im Bundesgebiet auf und sie verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund des Asylverfahrens. Die Beschwerdeführerin ist illegal nach Österreich eingereist und stellte in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, der sich als unberechtigt erwiesen hat.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet - unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände - ein großes Gewicht verleihen (vgl. VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100, mwN). Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon ausgeht, „dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“, ist die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin, die sich insgesamt seit ca. etwas mehr als sechs Jahren in Österreich aufhält, nicht mehr als „eher kürzer“ zu bewerten und verstärkt daher grundsätzlich ihr Interesse am Verbleib. Von der in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgerichtshofs entwickelten Judikatur, die bei einem über zehnjährigen Aufenthalt (sofern diese Dauer nicht durch gewisse Umstände relativiert wird) regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich ausgeht, ist die Länge des Aufenthalts der Beschwerdeführerin andererseits noch etwas weniger als vier Jahre und damit eine erhebliche Zeitspanne entfernt. Sohin ist die etwas mehr als sechsjährige Aufenthaltsdauer nicht als so lange zu bewerten, dass diese das Interesse des Verbleibs der Beschwerdeführerin in Österreich zum Überwiegen bringen würde oder die Aufenthaltsdauer in ihrer Gesamtheit nicht hinreichende Privatinteressen am Verbleib maßgeblich aufwerten könnten.

Dass die Beschwerdeführerin strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Die Beschwerdeführerin verfügt über starke Bindungen zum Herkunftsstaat: Insbesondere halten sich dort der Großteil der Verwandten der Beschwerdeführerin auf. Die Beschwerdeführerin, die im Alter von 31 Jahren nach Österreich eingereist ist, hat den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht. Sie beherrscht die Sprache. Es ist daher davon auszugehen, dass sie sich in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können wird.

Im Gegensatz dazu ist die Beschwerdeführerin in Österreich schwächer integriert: Deutschzertifikate wurde nur bis A2 erworben. Die Beschwerdeführerin ist sind kein Mitglied in einem Verein. Sie hat Freunde/Bekanntschaften in Österreich und lebt von der Grundversorgung.

Das Interesse der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sich die Beschwerdeführerin bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein musste: Die Beschwerdeführerin durfte sich hier bisher nur aufgrund ihres Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21.878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Das Bundesverwaltungsgericht kann keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat erkennen. Insbesondere führt der oben angestellte Vergleich zwischen den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin in Österreich mit jenen in der Russischen Föderation zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat, in welchen sie über Jahrzehnte und somit den prägenden und weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht hat, über eine gesicherte wirtschaftliche Existenz und über weit mehr familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfügt, als dies in Österreich der Fall ist.

Diesen im Vergleich schwächer ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Die Beschwerdeführerin vermochte zum Entscheidungszeitpunkt daher wenig entscheidungserhebliche integrative Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet darzutun, welche zu einem Überwiegen der privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat führen hätten können.

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. (…)“

6. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 03.10.2019, E 3279/2019-5, die Behandlung einer gegen das dargestellte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts eingebrachten Beschwerde abgelehnt.

Eine gegen das dargestellte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes eingebrachte Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 09.01.2020, Ra 2019/19/0553-5, zurückgewiesen.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 25.02.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens.“ Die Beschwerdeführerin gab zur Begründung ihres Antrages in einem Schreiben vom 26.02.2020 im Wesentlichen an, sie befinde ich nunmehr seit mehr als sechseinhalb Jahren durchgehend in Österreich. Von ihrer Einreise im März 2013 bis 2019 habe sie sich in einem Asylverfahren befunden, welches in einer gänzlich abweisenden Entscheidung gemündet hätte. Während ihres Aufenthaltes habe sie weitreichende Integrationsschritte gesetzt. Im September 2013 habe sie einen anerkannten Flüchtling geehelicht, welcher erwerbstätig sei und der Beschwerdeführerin bei der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes helfe. Gleichzeitig stehe die Beschwerdeführerin diesem in der Lebensführung tatkräftig zur Seite, da er zu 70% behindert sei und daher auf Pflege und Anwesenheit der Beschwerdeführerin angewiesen sei. Die Beschwerdeführerin beziehe derzeit Grundversorgung, habe jedoch die Möglichkeit, nach Erhalt eines Aufenthaltstitels in einer Firma eingestellt zu werden. Sie spreche sehr gut Deutsch und habe einen Freundeskreis in Österreich. In die Russische Föderation könne sie nicht zurückkehren, da sie seit mehr als sieben Jahren in Österreich wohne, hier ihren Lebensmittelpunkt habe und in Tschetschenien auf kein bestehendes Versorgungsnetzwerk zurückgreifen könne. Weiters stelle sie den Antrag auf Heilung des Mangels der Vorlage des Reisepasses gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG-DVO, da ihr die russische Botschaft bis dato einen solchen nicht ausgestellt hätte. Zur Bestätigung ihrer Identität habe sie bereits ihre Geburtsurkunde in Vorlage gebracht.

Übermittelt wurden die Vollmachtsbekanntgabe eines Rechtsanwaltes, Kopien des Behindertenpasses und des Konventionsreisepasses sowie Einkommensnachweise des Ehegatten der Beschwerdeführerin, ein Nachweis über den Bezug von Grundversorgung, Einstellungszusagen für eine Tätigkeit als Verkäuferin sowie als Kindergartenassistentin, ein Zertifikat über eine gut bestandene ÖSD-Deutschprüfung auf dem Niveau A2, die aus September 2013 stammende Heiratsurkunde der Beschwerdeführerin sowie eine beglaubigte Übersetzung der Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin.

Mit Schreiben vom 23.03.2020 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerdeführerin über die beabsichtigte Zurückweisung ihres Antrages und gewährte ihr die Möglichkeit, hierzu, sowie zu näher aufgelisteten Aspekten ihres Familien- und Privatlebens binnen Frist eine Stellungnahme einzubringen.

Mit Eingabe vom 23.04.2020 brachte der (damalige) bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin vor, die in Aussicht genommene Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführerin wäre rechtswidrig, da gewichtige Gründe für ein Bleiberecht nach Art. 8 EMRK sprechen würden. Die Beschwerdeführerin sei seit September 2013 mit einem in Österreich asylberechtigten Mann verheiratet. Diesem fehle der rechte Unterarm und er sei psychisch beeinträchtigt, sodass er als schwer behindert (70%) eingestuft werde. Dieser arbeite halbtags in einer Tischlerei der XXXX und erhalte rund EUR 900,- monatlich, die Beschwerdeführerin beziehe dazu noch Grundversorgung. Aufgrund der physischen Beeinträchtigung bedürfe der Gatte für sehr viele Verrichtungen des täglichen Lebens (Haushaltsführung, Ankleiden, Blutdruckmessen etc.) der Hilfe sowie der seelischen Unterstützung der Beschwerdeführerin. Das Ehepaar lebe nun seit sieben Jahren im gemeinsamen Haushalt, eine Trennung würde für beide Eheleute eine psychische Belastung mit sich bringen. Die Beschwerdeführerin sei als Ehegattin eines tschetschenischen Rebellen bei einer Rückkehr in ihrer Sicherheit gefährdet, weil in Tschetschenien Sippenhaft ausgeübt werde, sodass auch die Ehefrau für die „Sünden“ ihres Gatten zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für diese nicht, sodass eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu befürchten sei. Zudem sei ihr auch vor dem Hintergrund des Urteils des EGMR „Hode und Abdi“ vom 06.11.2012 als Ehegattin eines Asylberechtigten unabhängig vom Zeitpunkt der Eheschließung der Aufenthalt zu gestatten.

2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2019 wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 idgF zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Mängelheilung vom 25.02.2020 wurde gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DVO 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sei abgewiesen worden, diese sei ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und halte sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Beschwerdeführerin hätte keinerlei neue Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen geltend gemacht, die eine grundlegende Änderung zu ihren Angaben im Asylverfahren darstellen würden. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Verfahren auf internationalen Schutz keine relevanten Fluchtgründe geltend gemacht. Diese hätte außer ihrem Gatten keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Sie sei bis dato nicht zur Botschaft gegangen, um sich ein Reisedokument ausstellen zu lassen und habe auch sonst keinen Versuch unternommen, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Die Beschwerdeführerin habe der Behörde bis dato ihre Identität nicht nachgewiesen, obwohl sie zur Vorlage entsprechender Unterlagen aufgefordert worden sei. Sie habe lediglich eine Geburtsurkunde und eine Heiratsurkunde vorgelegt, welche die Angaben zu ihrer Identität nur ansatzweise untermauern würden. Der Umstand, dass ihr Gatte in Österreich lebe, sei bereits in der Entscheidung vom 24.07.2019 ausreichend gewürdigt worden und es sei diesbezüglich keine Änderung eingetreten. Die Beschwerdeführerin hätte seit Abschluss ihres Asylverfahrens auch zu ihrem Privatleben und ihrer Integration keine neuerlichen bzw. tatsächlichen Änderungen im Sinne des Art. 8 EMRK ersichtlich gemacht, weshalb der Antrag spruchgemäß zurückzuweisen gewesen sei.

2.3. Gegen den dargestellten Bescheid richtet sich die durch den nunmehr bevollmächtigten Rechtsanwalt fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 08.07.2020, zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt wurde, die Beschwerdeführerin habe nach Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz und Ausspruch einer Rückkehrentscheidung nicht nach Russland zurückkehren können, da sie einerseits keinen Reisepass hätte und sich zum anderen noch wegen ihrer ersten Ehe vor Inhaftierung in Russland fürchten würde. Überdies fürchte sie sich vor Haft, da sie in Österreich einen asylberechtigten Tschetschenen, welcher gegen das Regime aufgetreten wäre, geheiratet habe und Sippenhaft in Tschetschenien und Dagestan alltäglich wäre. Außerdem könne die Beschwerdeführerin ihren schwerbehinderten Mann nicht alleine lassen. Dieser brauche sie zur täglichen Lebensführung und die Beschwerdeführerin brauche einen Mann an ihrer Seite, der sie unterstütze, da sie situationsbedingt mittlerweile etwas depressiv geworden sei. Aufgrund der physischen Beeinträchtigung des Ehemannes bestehe zwischen diesem und der Beschwerdeführerin eine vertiefte Abhängigkeit. Dazu hätte die Behörde den Gatten auch anhören können und müssen. Da sohin seitens der Behörde bei Durchführung eines ordentlichen Verfahrens inhaltlich ein anderslautender Bescheid, nämlich die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels nach Art. 8 EMRK und die Nachsicht vom Erfordernis der Beibringung eines Reisepasses verfügt worden wäre, stelle die Beschwerdeführerin den Antrag, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, in dieser sie und ihren Ehegatten betreffend des gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses anhören und den hier angefochtenen Bescheid beheben bzw. in Abänderung desselben inhaltlich entscheiden und der Beschwerdeführerin einen Aufenthaltstitel nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zusprechen.

2.4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 15.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Gegen die Beschwerdeführerin, eine nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigte Drittstaatsangehörige, wurden zuletzt mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.07.2019 – in Bestätigung einer diesbezüglichen Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.06.2018 – eine Rückkehrentscheidung für rechtmäßig erkannt. Die Behandlung einer gegen dieses Erkenntnis eingebrachten Beschwerde wurde durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 03.10.2019 abgewiesen, der Verwaltungsgerichtshof hat eine gegen dieses Erkenntnis eingebrachte außerordentliche Revision mit Beschluss vom 09.01.2020 zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin ist ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen.

Am 25.02.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgebracht, dass sich im Hinblick auf ihr Privat- und Familienleben seit der Erlassung des oben angeführten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts eine maßgebliche Änderung ergeben hätte. Ihre familiäre und private Situation im Bundesgebiet sowie ihre Bindungen zum Heimatland stellen sich im Wesentlichen als unverändert dar. Die Beschwerdeführerin hat im gegenständlichen Verfahren auf ihre im September 2013 geschlossene Ehe mit einem in Österreich asylberechtigten russischen Staatsbürger, welcher eine festgestellte Behinderung von 70% aufweise, sowie ihre mittlerweile rund siebenjährige Aufenthaltsdauer verwiesen und zwei schriftliche Zusagen über ihr im Fall der Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung in Aussicht stehende Beschäftigungsverhältnisse in Vorlage gebracht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Da sich die gegenständliche zulässige und rechtzeitige Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zur Entscheidung zuständig.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018 (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018 (in Folge: B-VG), in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.6.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.9.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084). Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über die zugrundeliegenden Anträge würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens ist daher auf Grund der zurückweisenden Entscheidung in dem im Spruch bezeichneten Bescheid nur, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgte.

Gemäß § 55 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (in Folge: AsylG), ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK ("Aufenthaltsberechtigung plus" oder "Aufenthaltsberechtigung") zu erteilen, wenn dies zumindest gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (in Folge: BFA-VG), zur Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 leg. cit. als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 22.7.2011, 2011/22/0127; VwGH 5.5.2015, Ra 2014/22/0115) liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zulässig (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

3.3. Im gegenständlichen Fall hat sich die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides auf § 58 Abs. 10 AsylG als Grundlage für die Zurückweisung bezogen. Das Bundesverwaltungsgericht war im gegenständlichen Fall dazu berufen, die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu prüfen. Es liegt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2019 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor, wobei aus den rechtlichen Erwägungen hervorgeht, dass im Fall der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Entscheidung zwar eine bereits rund sechsjährige Aufenthaltsdauer, jedoch keine maßgebliche Integrationsverfestigung vorgelegen hätte. Die Beschwerdeführerin habe ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch staatliche Unterstützungsleistungen bestritten und keine tiefgreifende Integration dargetan. Ein Vergleich habe ein Überwiegen der nach wie vor bestehenden Bindungen zu ihrem Heimatland ergeben. Die Beschwerdeführerin habe zwar im September 2013 eine standesamtliche Ehe mit einem in Österreich asylberechtigten russischen Staatsbürger geschlossen, doch seien sich die Eheleute der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin stets bewusst gewesen, sodass das begründete Familienleben in seiner Schutzwürdigkeit gemindert sei. Der Beschwerdeführerin stehe es offen, die Möglichkeiten über eine legale Niederlassung im Bundesgebiet in Anspruch zu nehmen. Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung einer gegen dieses Erkenntnis eingebrachten Beschwerde mit Beschluss vom 03.10.2019 abgelehnt, der Verwaltungsgerichtshof hat eine gegen dieses Erkenntnis eingebrachte Revision zurückgewiesen.

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2019, in dem von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet ausgegangen wurde, ist keine Veränderung in Bezug auf das Familienleben und die Integration der Beschwerdeführerin eingetreten, die einer Zurückweisung des gegenständlichen Antrags gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegenstünde.

Die Beschwerdeführerin hat im gegenständlichen Verfahren neuerlich auf die Ehe mit einem in Österreich asylberechtigten russischen Staatsbürger verwiesen, welcher aufgrund einer körperlichen Behinderung auf Unterstützung durch die Beschwerdeführerin angewiesen wäre. Diese Umstände haben jedoch zum Zeitpunkt der letztmaligen inhaltlichen Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.07.2019 bereits unverändert vorgelegen, sodass die vorgebrachte Bindung zu ihrem Ehemann keine potentiell verfahrensrelevante Neuerung ihres Familien- und Privatlebens darstellt. Auch die nunmehr ins Treffen geführte Behinderung des Ehegatten hat zum Zeitpunkt der letztmaligen Beurteilung einer Rückkehrentscheidung bereits vorgelegen und von der Beschwerdeführerin anlässlich der Beschwerdeverhandlung am 05.09.2018 angesprochen; in wie fern ein zu ihrem Ehemann allenfalls vorliegendes Abhängigkeitsverhältnis seither eine Änderung erfahren hätte, wurde im gegenständlichen Verfahren nicht dargetan.

Die Beschwerdeführerin hat im gegenständlichen Verfahren im Übrigen lediglich auf ihre seither längere Aufenthaltsdauer verwiesen, sowie den Umstand, dass sie nunmehr über eine Einstellungszusage verfüge. Diesen Aspekten kommt jedoch kein maßgebliches Gewicht zu.

So ging der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 27.01.2015, Ra 2014/22/0094, davon aus, dass weder ein Zeitablauf von ca. zwei Jahren zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und dem Zurückweisungsbeschluss der Behörde, noch verbesserte Deutschkenntnisse und Arbeitsplatzzusagen eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 44b NAG 2005 idF vor 2012/I/097 darstellen. Die Bestimmung des § 58 Abs. 10 AsylG entspricht im Wesentlichen dem § 44b NAG idF BGBl I Nr. 38/2011, weshalb die in Bezug auf die genannte Vorgängerbestimmung ergangene höchstgerichtliche Judikatur auch im gegenständlichen Fall anzuwenden ist (vgl. Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, § 58 E11; mwN).

Im Lichte dieser Judikatur sind gegenständlich sohin weder die Beziehung zum Ehegatten der Beschwerdeführerin, noch der Zeitablauf von einem Jahr seit Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung, noch die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Einstellungszusage geeignet, eine maßgebliche Sachverhaltsänderung zu begründen. Das vorgelegte ÖSD-Zertifikat über eine im Juni 2018 bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2 fand ebenfalls bereits in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2019 Berücksichtigung, sodass von einer Verbesserung der Sprachkenntnisse nicht auszugehen ist. Die vorgelegten Einkommensnachweise ihres Ehemannes sowie die Bestätigungen über den Bezug von Grundversorgung sind ebensowenig geeignet, eine wesentliche Sachverhaltsänderung aufzuzeigen. Änderungen hinsichtlich der beruflichen Integration der Beschwerdeführerin oder hinsichtlich ihrer Bindung zum Herkunftsstaat wurden nicht vorgebracht. Auch in Bezug auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin hat sich keine wesentliche Änderung ergeben, wobei dies im gegenständlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt behauptet wurde. Soweit die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren neuerlich auf die bereits im Verfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz behandelten Verfolgungsbefürchtungen in ihrem Herkunftsstaat Bezug nimmt, so war das diesbezügliche Vorbringen ebenfalls bereits Gegenstand des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2019. Das Bundesverwaltungsgericht ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Schluss gekommen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht geeignet ist, einen Anspruch auf internationalen Schutz zu begründen und es wurden keine seither neu entstandenen Befürchtungen zur Sprache gebracht (welche im Übrigen im hierfür vorgesehenen Verfahren über internationalen Schutz geltend zu machen wären).

3.4. Da aufgrund der obigen Erwägungen nicht von einem geänderten Sachverhalt auszugehen ist, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, war die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgesprochene Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden.

3.5. Auf den weiteren für die Zurückweisung des Antrages im angefochtenen Bescheid angeführten Grund der Nichtvorlage eines Reisepasses und den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf Heilung war daher nicht mehr einzugehen.

4. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, im gegenständlichen Fall erfüllt. Die Beschwerde hat keine neuen Sachverhaltselemente aufgezeigt, welche eine neuerliche Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätten.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

5. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Ehe mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W103.2200170.2.00

Im RIS seit

18.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten