Entscheidungsdatum
17.08.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W240 2231238-2/2E
W240 2231239-2/2E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerden von XXXX , beide StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 23.07.2020, Zl. 1262379006-200244985 (ad 1.), und
Zl. 1262379910-200244972 (ad 2.), beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, beide Staatsangehörige der Russischen Föderation, sind ein Ehepaar und stellten am 03.03.2020 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
Zu den Beschwerdeführern liegt jeweils eine EURODAC-Treffermeldung der Kategorie „1“ vom 18.08.2013 zu Schweden vor. Ein Abgleichsbericht zur VIS-Abfrage ergab zudem, dass den Beschwerdeführern in St. Petersburg ein deutsches Visum der Kategorie C, gültig von 21.08.2019 bis 20.02.2020, erteilt wurde.
2. Im Rahmen der durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.03.2020 erfolgten Erstbefragung gaben die Beschwerdeführer übereinstimmend an, ihren Herkunftsstaat am 29.02.2020 verlassen zu haben, indem sie sich im Fahrzeug eines LKW-Fahrers versteckt hätten, der sie illegal über die Grenzen gebracht habe. Ihr Reiseziel sei Österreich gewesen, zumal hier ihr Sohn lebe. Sie seien von St. Petersburg bis nach München gefahren, und von dort aus mit dem Zug über Lindau bis nach Bregenz gereist. Die ihnen von Deutschland ausgestellten Touristenvisa hätten sie nicht rechtzeitig nützen können, zumal sie zum damaligen Zeitpunkt nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt hätten, um ihre Reise anzutreten. Im Jahr 2013 hätten sie bereits in Schweden um Asyl angesucht.
Zu seinem in Schweden gestellten Antrag auf internationalen Schutz erklärte der Erstbeschwerdeführer, noch während offenem Verfahren festgenommen und am 15.05.2015 nach Russland überstellt worden zu sein.
Der Zweitbeschwerdeführerin zufolge seien hingegen beide Anträge abgelehnt worden. Ihr Ehemann sei im Mai 2015 nach Russland ausgewiesen worden, wohingegen sie selbst erst im Jahr 2016 in ihr Heimatland zurückgekehrt sei.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab weiters an, sich während ihres Aufenthaltes in Schweden in einer tiefen psychischen Depression befunden zu haben, weshalb sie für insgesamt drei Monate in stationärer Behandlung gewesen sei. Sie würde gerne in Österreich bleiben, zumal sich hier ihr Sohn aufhalte.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) richtete daraufhin am 06.03.2020 ein auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Deutschland, welches die deutsche Dublin-Behörde zunächst mit Schreiben vom 01.04.2020 ablehnte.
Begründend wurde ausgeführt, dass aus dem Übernahmeersuchen des BFA zu entnehmen sei, dass die Beschwerdeführer im Jahr 2013 jeweils einen – durch EURODAC-Treffer belegten – Antrag auf internationalen Schutz in Schweden gestellt hätten und nicht nachgewiesen worden sei, dass die Zuständigkeit Schwedens gemäß Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO bereits erloschen sei. Ohne entsprechende Beweise hinsichtlich der Ausreise und des mindestens dreimonatigen Aufenthaltes außerhalb des Gebietes der Mitgliedstaaten könne dem Übernahmeersuchen nicht entsprochen werden.
In der Folge richtete das BFA am 14.04.2020 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b (den Erstbeschwerdeführer betreffend) bzw. lit. d Dublin III-VO (die Zweitbeschwerdeführerin betreffend) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Schweden, welches mit Schreiben vom
17.04.2020 ebenso abgelehnt wurde.
Die schwedische Dublin-Behörde begründete ihre Entscheidung damit, dass die Beschwerdeführer zwar am 18.08.2013 in Schweden um Asyl angesucht hätten, über deren Anträge sei aber bereits – rechtskräftig mit 22.12.2014 - negativ entschieden worden. Der Erstbeschwerdeführer sei daraufhin in Begleitung der schwedischen Polizei nach Russland abgeschoben worden und seien für die Zweitbeschwerdeführerin Flugtickets mit Abflugdatum 18.02.2016 gebucht worden. Es gebe zwar keinen Beweis für die tatsächliche Ausreise der Zweitbeschwerdeführerin, doch würde deren Visumantragstellung von Russland aus bestätigen, dass auch sie das Gebiet der Mitgliedstaaten verlassen habe. Die Verpflichtung Schwedens zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführer sei sohin gemäß
Art. 19 Dublin III-VO erloschen.
Daraufhin richtete das BFA am 20.04.2020 eine Remonstration an die deutsche Dublinbehörde, die sich nunmehr mit Schreiben vom 21.04.2020 auf Grundlage des
Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zur Aufnahme der Beschwerdeführer bereit erklärte.
4. Nach durchgeführter Rechtsberatung gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG fand am 12.05.2020 im Beisein eines Rechtsberaters und unter Beiziehung eines Dolmetschers für die russische Sprache die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem BFA statt.
Dabei erklärten die Beschwerdeführer einhellig in Österreich bleiben zu wollen, da dort ihr Sohn gemeinsam mit seiner Ehefrau und zwei Kindern lebe. Sie seien schon gebrechlich und daher zunehmend auf die Hilfe des Sohnes, der noch dazu ihr einziges Kind sei, angewiesen. Der Erstbeschwerdeführer leide seit zehn Jahren an Hepatitis C und die Zweitbeschwerdeführerin an schweren psychischen Problemen, weshalb sie auch Medikamente einnehmen müsse und unter ärztlicher Beobachtung stehe. Normalerweise würde sich der Erstbeschwerdeführer um seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin, kümmern, doch schaffe er dies bald nicht mehr, zumal er selbst krank sei.
Seitens der Beschwerdeführer wurden medizinische Befunde in russischer und schwedischer Sprache in Vorlage gebracht.
5. Mit den Bescheiden des BFA vom 12.05.2020, zugestellt am selben Tag, wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO Deutschland für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass die Zuständigkeit Deutschlands unzweifelhaft feststehe und ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführer ernstlich für möglich erscheinen ließe, nicht erstattet worden sei. Eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Deutschland sei nicht erkannt worden, die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben. Die Beschwerdeführer würden an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten leiden und seien der Aktenlage zufolge auch weder schützenswerte familiäre noch besondere private Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben, weshalb die Außerlandesbringung der Beschwerdeführer keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK darstelle. Soweit auf die Familie des Sohnes verwiesen werde, sei die Ausgestaltung eines eigenen Familienlebens gegeben.
Seitens des BFA wurden ferner auch Feststellungen in Zusammenhang mit der aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus getroffen und wurde diesbezüglich festgehalten, dass damit kein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK einhergehe.
6. Gegen die Bescheide des BFA erhoben die Beschwerdeführer am 20.05.2020 durch ihre ausgewiesene Vertretung Beschwerden und wurde gleichzeitig der Antrag gestellt, diesen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Zusammengefasst wurde vorgebracht, dass die Behörde die familiären Anknüpfungspunkte und den jeweiligen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer nicht weiter berücksichtigt habe, obwohl die Beschwerdeführer diesbezüglich sogar medizinische Unterlagen aus Russland und Schweden in Vorlage gebracht hätten. Auch würden sich die von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen lediglich auf rechtliche Vorgaben und organisatorische Strukturen beschränken, ohne auf die tatsächliche Situation von Asylwerbern in Deutschland Rücksicht zu nehmen. Dies, obwohl die tagesaktuellen Medien einen erheblichen Anstieg an fremdenfeindlichen Übergriffen auf Asylwerber in Deutschland bestätigen würde. Durch die angefochtenen Entscheidungen und die angeordneten Außerlandesbringungen drohe den Beschwerdeführern sowohl eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK als auch eine Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC, weshalb die Behörde – bei Einhaltung aller Verfahrensvorschriften – zu dem Schluss kommen hätte müssen – vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Dublin III –VO Gebrauch zu machen.
7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.05.2020, GZ. W243 2231238-1/3Z und W243 2231239-1/4Z, wurde den Beschwerden gegen die Bescheide des BFA 12.05.2020 gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
8. Mit Beschluss des BVwG vom 29.06.2020, W243 2231238-1/4E ua, wurde den Beschwerden gegen die Bescheide des BFA 12.05.2020 gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz
BFA-VG stattgegeben und der vorzitierte Bescheid des BFA behoben.
Begründend wurde insbesondere ausgeführt, im gegenständlichen Fall würden keine ausreichenden Ermittlungen und in der Folge keine abschließende Beurteilung betreffend den jeweiligen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer und deren familiären Beziehung zu ihrem in Österreich lebenden Sohn sowie zu dessen Familie vorliege. Die Beweiserhebung des BFA stelle sohin keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um ausschließen zu können, dass den Beschwerdeführern aufgrund der ihnen gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung nach Deutschland kein unzulässiger Eingriff in ihre durch die EMRK geschützten Rechte drohe und kann folglich auch eine allfällige Verpflichtung der Republik Österreich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III- VO noch nicht abschließend beurteilt werden. Das BVwG trug auf, dass es im fortgesetzten Verfahren aktueller Feststellungen zum jeweiligen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer bedürfe, um eine Gefährdung ihrer durch Art 3 EMRK geschützten Rechtspositionen im Falle einer Außerlandesbringung nach Deutschland ausschließen zu können. Das BFA habe im zweiten Rechtsgang die bereits vorgelegten medizinischen Befunde übersetzen zu lassen und (durch Befragung der Beschwerdeführer und/oder allenfalls durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens) zu ermitteln, wie sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer tatsächlich zur Zeit manifestiere, welche Behandlungs- und Therapieempfehlungen im Detail getroffen werden, und insbesondere auch welche Auswirkungen eine Überstellung nach Deutschland auf den psychischen Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin hätte. Zumal sich auch die von der belangten Behörde vorgenommene Interessensabwägung in Bezug auf die Zulässigkeit eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben als unzureichend erweise, trug das BVwG auf, dass das BFA im fortgesetzten Verfahren auch die tatsächlichen familiären Verhältnisse unter Zugrundelegung hinreichender Beweismittel festzustellen habe. Dabei sei zu ermitteln, wie sich die Beziehungsintensität zwischen den Beschwerdeführern und den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen tatsächlich ausgestalte und ob wechselseitige Abhängigkeiten bestehen würden, insbesondere im Hinblick auf die vorgebrachte Gebrechlichkeit der Beschwerdeführer beziehungsweise deren gesundheitlichen Beschwerden und einer daraus resultierenden allfälligen Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführer.
9. Am 22.07.2020 wurden die Beschwerdeführer neuerlich vom BFA einvernommen. Die Einvernahme des Erstbeschwerdeführers gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:
„(…)
F: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, die Einvernahme durchzuführen?
A: Ja aber ich bin aufgeregt und ich mache mir Sorgen wegen der Gesundheit meiner Frau
F: Beschreiben Sie bitte ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand?
A: Ich habe Leberschmerzen
F: Haben sie Schreiben, Befunde, ärztliche Unterlagen die sie heute vorlegen möchten bzw. sind sie zur Zeit in ärztlicher Behandlung?
A: Ich wurde schon untersucht und meine Diagnose Hepatitis c an der ich schon lange leide wurde bestätigt. Ich wurde in Salzburg untersucht und die Unterlagen dazu habe ich leider daheimgelassen.
F: Haben sie ansonsten gesundheitliche Probleme?
A: Ich habe auch psychische Problem und ich mach mir große Sorgen wegen des Gesundheitszustandes meiner Frau und schlafe sehr schlecht Ich habe ein paar Gespräche auch mit der Psychiaterin geführt als Vorbereitungsgespräch dort wo wir in Graz untergebracht wurden
F: Haben sie ansonsten körperliche oder psychische Probleme ?
A: nein außer die altersbedingten Augenprobleme .
F: Sind sie pflegebedürftig oder ansonsten von jemandem abhängig?
A: Nein zur Zeit nicht ich versuche meinen Alltag selbständig zu organisieren
F: Beschreiben sie bitte ihr gegenwärtiges Verhältnis zum Sohn?
A: Er ist mein einziger Sohn, gut.
F: Wie oft haben sie Kontakt zum Sohn?
A: Jeden Tag über skyp und auch mit den Enkelkindern
F: Erhalten sie vom Sohn Unterstützung bzw. Versorgungsleistungen ?
A: Ja seelisch und moralisch, selbstverständlich unterstützt er uns so
F: Wie war das Verhältnis zu ihrem Sohn in der Heimat ?
A: Gut, genauso wie jetzt.
F: Seit wann sind sie von Sohn getrennt ?
A: Seit 2015, ich wurde in Schweden in Haft genommen und seit dem habe ich ihn nicht mehr gesehen.
F: Möchten sie abschließend noch etwas angeben was ihnen wichtig erscheint ?
A: Nein, nur wir suchen die Nähe zu unserem Sohn
(…)“
Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme am 22.07.2020 im Wesentlichen Folgendes an:
„(…)
F: Beschreiben Sie bitte ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand ?
A: Ich wurde jetzt untersucht in Salzburg und jetzt in Graz und jetzt habe ich auch Untersuchungsergebnisse und es ist auch eine Operation geplant. Mein Gesundheitszustand ist nicht gut würde ich sagen.
F: Seit wann haben sie diese gesundheitlichen Probleme?
A: Seit einem halben Jahr.
F: Welche Operation ist geplant?
A: Ich habe ein gynäkologisches Problem, es werden die Zysten und alle Stöcke entfernt.
F: Haben sie ansonsten gesundheitliche Probleme?
A: Ich habe auch psychische Probleme und brauche auch eine Behandlung und dementsprechend könnte ich die ärztlichen Unterlagen vorlegen.
Anm: Kopie zum Akt
F: Seit wann haben sie die psychischen Probleme?
A: Seit 2013, die Probleme stammen aus dem Jahr 2013 wo ich noch zuhause war.
F: Haben sie ansonsten gesundheitliche Probleme?
A: Ich habe auch ein krankes Herz die genauere Diagnose weiß ich nicht es wurde mir gesagt, dass die Herzklappe getauscht gehört schon in Russland durch die Ärzte
F: Seit wann haben sie diese Probleme?
A: Seit ca. 10 Jahren.
F: Haben sie alle gesundheitlichen Probleme genannt?
A: Schlafstörungen habe ich auch und innerliche Unruhe.
F: Seit wann haben sie diese Probleme?
A: Seit 2013 seit meine Familie Probleme bekommen hat.
F: Haben sie alle gesundheitlichen Probleme genannt
A: Ja
F: Haben sie Schreiben, Befunde, ärztliche Unterlagen die sie heute vorlegen möchten bzw. sind sie zur Zeit in ärztlicher Behandlung?
A: Die Handschrift habe ich geschrieben, damit habe ich mich jetzt ans Gericht gewandt der unseren Fall entscheidet. Die zwei russischen Schreiben sind ein Arztbrief einer Psychiaterin ausgestellt 2014 und 2015 von der Schweden und Russland Die Schreiben sind Übersetzungen weil ich sie auf schwedisch bekam und übersetzen ließ.
Dann habe ich noch eine ärztliche Bestätigung von 2013 aus Moskau auch hier geht es um meine Psyche. Dann habe ich hier noch die Blutuntersuchungstabelle jetzt hier vom österreichischen Krankenhaus betreffend meinen Mann
F: Sein sie Pflegebedürftig oder ansonsten von jemandem abhängig ?
A: Ja ich bin pflegebedürftig weil es gibt Momente wo ich mich nicht mehr kontrollieren kann
F: Seit wann sind sie pflegebedürftig ?
A: In Schweden wurde ich behandelt und eine gewisse Zeit ging es mir besser aber die Behandlung wurde nicht beendet und seit 2014 bin ich auf fremde Hilfe angewiesen
F: Wer führte diese Hilfe für sie durch?
A: Mein Ehemann und mein Sohn
F: Seit wann stellt ihr Gatte diese Hilfe ?
A: Seit ca. 4 Jahren
F: Seit wann wird diese Hilfe von ihrem Sohn gestellt ?
A: 2013 und 2014 hat er für mich gesorgt und dann hat man uns getrennt. Damals sind ich und mein Mann nach Schweden gereist.
F: Beschreiben Sie bitte ihr gegenwärtiges Verhältnis zum Sohn ?
A: Jetzt habe ich Angst vorm Tod, man kann mich nicht alleine lassen und mein Mann ist jetzt bei mir.
F: Wie ist gegenwärtig ihr Verhältnis bzw. Bezug zum Sohn?
A: Über soziale Medien er ruft mich ständig an und zeigt mir Videos von den Enkelkindern Das ist ein großer Halt für mich.
F: Erhalten sie vom Sohn Unterstützungs- bzw. Versorgungsleistungen ?
A: Er hat keinen Aufenthaltstitel und aus diesem Grund auch keine Arbeitsgenehmigung und kann mich finanziell auch nicht unterstützen daher. Seelische Unterstützung die er leistet ist für mich aber das was ich brauche, das was wirkt und das was ich auch wirklich brauche jetzt.
F: Wie war das Verhältnis zu ihrem Sohn in der Heimat ?
A: Es war sehr gut. Ich war sehr glücklich als er bei mir, 22 Jahre waren wir zusammen und seit 2015 leben wir nicht mehr gemeinsam
F: Wo lebt ihr Sohn seit 2015 ?
A: Er ist in Bregenz bei der Familie, die Frau und seine 2 Kinder.
F: Wann heiratete die Sohn seine Ehefrau ?
A: 2014 in Schweden 2013 flüchtete damals die ganze Familie nach Schweden, ich mein Mann und mein Sohn. 2015 reiste der Sohn dann weiter nach Österreich
F. Wollen Sie an der Art der Einvernahme irgendetwas beanstanden.
Sie werden ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass Ihnen Beanstandungen nicht zum Nachteil gereichen, Sie werden vielmehr darauf hingewiesen, dass nachträgliche Beanstandungen der freien Beweiswürdigung unterliegen und eventuell als Schutzbehauptung qualifiziert werden.
A: Nein danke außer ich möchte sie bitte uns die Möglichkeit zu geben in der Nähe unseres Sohnes zu sein das ist mein sehnlichster Wunsch.
(…)“
Für die Zweitbeschwerdeführerin wurden zahlreiche fremdsprachigen Unterlagen, laut ihren Angaben über ihre gesundheitlichen Beschwerden, vorgelegt.
10. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 23.07.2020 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 03.03.2020 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Begründend wurde in den Bescheiden ausgeführt, dass sie an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leiden.
Zum Erstbeschwerdeführer wurde insbesondere im Bescheid ausgeführt, dass er an Hepatitis C leide, diese Feststellungen würden auf der Aktenlage und auf den Angaben des Erstbeschwerdeführers beruhen, dieser habe sich auch für einvernahmefähig erklärt. Diesbezüglich sei kein Vorbringen erstattet worden, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren. Das Gesundheitssystem in Deutschland sei hochwertig und von großem Umfang wie aus den Länderfeststellungen hervorgehe. Dass die Verbringung nach Deutschland lebensbedrohlichen Charakter annehme, wurde vom BFA ausgeschlossen. Des Weiteren wurde vom BFA auf die obligate amtsärztliche Untersuchung vor jeder Überstellung verwiesen.
Zur Zweitbeschwerdeführerin wurde insbesondere im Bescheid ausgeführt, dass die Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand auf der Aktenlage und ihren Angaben in den Einvernahmen beruhen, sie habe sich auch für einvernahmefähig erklärt. Diesbezüglich sei laut BFA kein Vorbringen erstattet worden, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren, es wurde vom BFA auch auf die amtliche Länderfeststellung zu Deutschland, insbesondere den Teilbereich medizinische Versorgung in Deutschland, verwiesen.
Schließlich wurde festgehalten in den Bescheiden der Beschwerdeführer, dass diese in Österreich keine Anknüpfungspunkte hätten, die sie an Österreich binden würden. Sie wären gemeinsam nunmehr nach Österreich illegal eingereist. Berücksichtigungswürdigen privaten oder familiären Bezug in Österreich hätten sie nicht. Soweit die Beschwerdeführer auf die Familie des Sohnes verweisen, wurde vom BFA ausgeführt, dass klar auf die Ausgestaltung eines eigenen Familienlebens zu verweisen sei.
11. Gegen die nunmehr angefochtenen Bescheide des BFA vom 23.07.2020 betreffend die Beschwerdeführer wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde insbesondere ausgeführt, dass das einzige Kind, der Sohn XXXX , gemeinsam mit der Ehefrau und zwei Kindern in Österreich lebe. Es bestehe ein sehr enges Verhältnis und würde der Sohn die Beschwerdeführer seelisch und moralisch unterstützen. Der Erstbeschwerdeführer sei zudem an Hepatitis B und C seit längerer Zeit erkrankt und in medizinischer Behandlung. Weitere Unterlagen über dessen Behandlung in Russland seien bereits beim BFA abgegeben worden. Er habe auch geschildert, an Leberschmerzen zu leiden und psychische Probleme zu haben. Die Zweitbeschwerdeführerin leide auch unter psychischen Problemen und sei deshalb auch in medizinischer Behandlung. Sie habe beim BFA medizinische Unterlagen aus Russland und Schweden vorgelegt. Weiters habe die Zweitbeschwerdeführerin gynäkologische Probleme und stehe unter Beobachtung. Ob und wann eine Operation stattfinden müsse, sei derzeit noch in Abklärung. Auch leide die Zweitbeschwerdeführerin unter Herzproblemen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei aufgrund der gesundheitlichen Probleme auf fremde Hilfe angewiesen. Teilweise übernehme dies der Erstbeschwerdeführer, was ihm jedoch aufgrund seines eigenen schlechten Gesundheitszustandes zunehmend schwerer falle. Die Beschwerdeführer würden in der Nähe ihres Sohnes und dessen Familie bleiben wollen, einerseits würde der Sohn und seine Familie die angeschlagenen Beschwerdeführer unterstützen, andererseits könnten die Beschwerdeführer den Sohn und dessen Frau bei der Kinderbeaufsichtigung unterstützen. Die Zweitbeschwerdeführerin benötige aufgrund ihrer psychischen Probleme phasenweise verstärkt Unterstützung. Es bestehe zwischen den Beschwerdeführern und dem Sohn samt Familie eine sehr enge emotionale Beziehung. Das BVwG habe mit Beschluss vom 29.06.2020 festgestellt, dass sich das BFA nicht mit der sehr engen Beziehung zwischen den Beschwerdeführern und dem Sohn auseinandergesetzt habe. Es sei vom BFA nicht festgestellt worden, ob eine Abhängigkeit vorliege, welche eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen unter den Schutz des Art. 8 EMRK subsumieren lasse. Es sei nicht festgestellt worden, inwiefern die Beschwerdeführer auf die Unterstützung des Sohnes angewiesen seien. Das BVwG habe auch bemängelt, dass keine hinreichenden Ermittlungen betreffend den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer getroffen hätten. Das BFA habe es auch unterlassen, eine nähere Befragung der Beschwerdeführer hinsichtlich der von ihnen vorgebrachten gesundheitlichen Beschwerden vorzunehmen noch die hiezu vorgelegten Befunde übersetzen zu lassen. Verwiesen wurde darauf, dass das BVwG in der behebenden Entscheidung vom 29.06.2020 aufgetragen habe, dass das BFA die bereits vorgelegten medizinischen Befunde übersetzen lassen müsse und durch Befragung der Beschwerdeführer und/oder allenfalls durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zu ermitteln habe, wie sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer tatsächlich zur Zeit manifestiere. Es sei in Bezug auf die Zulässigkeit eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben die tatsächlichen familiären Verhältnisse unter Zugrundelegung hinreichender Beweismittel festzustellen. Das BFA habe zu ermitteln, wie sich die Beziehungsintensität zwischen den Beschwerdeführern und den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen tatsächlich ausgestaltet und ob wechselseitige Abhängigkeiten bestehen würden, insbesondere im Hinblick auf die vorgebrachten Beschwerden der Beschwerdeführer. In den nunmehr angefochtenen Bescheiden seien die vorgelegten Befunde und Erkrankungen der Beschwerdeführer ignoriert worden.
Seitens der Vertretung der Beschwerdeführer wurde zum Beweis dafür, dass die Beschwerdeführer an psychischen Erkrankungen leiden und dass eine Abschiebung nach Deutschland sowie die damit verbundene Trennung vom Sohn zu einer massiven Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes führen würde, die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt. Weiters wurde zum Beweis für das enge verwandtschaftliche Verhältnis der Beschwerdeführer mit ihrem Sohn dessen zeugenschaftliche Einvernahme beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der Verwaltungsbehörde und der eingebrachten Beschwerde.
1. Feststellungen:
Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen, weshalb zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide durch die belangte Behörde keine Entscheidungsreife vorlag.
Hinsichtlich des Verfahrensganges und festzustellenden Sachverhalt wird auf die unter Punkt I getroffenen Ausführungen verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A) Behebung der bekämpften Bescheide:
1. § 21 Abs. 3 BFA-VG lautet: „Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“
Auf dieser Rechtsgrundlage (§ 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG) erfolgte die Behebung des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2016. Die stattgebende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat ex lege die Zulassung des Verfahrens zur Folge (Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht
§ 21 BFA-VG).
Erlässt die Verwaltungsbehörde nach einer Behebung gemäß § 21 Abs. 3 letzter Satz neuerlich eine Unzuständigkeitsentscheidung (diesfalls außerhalb des Zulassungsverfahrens) und erweist sich diese wiederum als rechtswidrig, so ist auf die allgemeine Bestimmung des § 28 Abs. 3 VwGVG zurückzugreifen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016), § 21 BFA-VG, K12).
Für die verfahrensgegenständliche Behebung war demnach gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorzugehen.
§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet wie folgt:
„28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jedem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.
In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4 und darauf aufbauender Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach
§ 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
2. Im gegenständlichen Fall liegt hinsichtlich der bekämpften Entscheidung eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aus nachfolgenden Erwägungen vor:
2.1. Im gegenständlichen Verfahren ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages auf internationalen Schutz in Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO begründet ist. Deutschland stimmte auch dem Aufnahmeersuchen Österreichs gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zu.
2.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH vom 17.06.2005, B336/05 sowie vom 15.10.2004, G237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, vom 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949 sowie vom 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht in den gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK oder der GRC zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
2.3 Mit Beschluss des BVwG vom 29.06.2020, W243 2231238-1/4E ua, wurde den Beschwerden gegen die ersten Bescheide des BFA betreffend die Beschwerdeführer vom 12.05.2020, welche die Zuständigkeit Deutschlands für die Führung der gegenständlichen Verfahren festgestellt hatte, gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die vorzitierten Bescheide des BFA behoben.
Wie im Verfahrensgang ausgeführt, war begründend vom BVwG in der vorzitierten Entscheidung insbesondere ausgeführt worden, dass im gegenständlichen Fall keine ausreichenden Ermittlungen und in der Folge keine abschließende Beurteilung betreffend den jeweiligen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer und deren familiären Beziehung zu ihrem in Österreich lebenden Sohn sowie zu dessen Familie vorliegen würden. Die Beweiserhebung des BFA stelle sohin keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um ausschließen zu können, dass den Beschwerdeführern aufgrund der ihnen gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung nach Deutschland kein unzulässiger Eingriff in ihre durch die EMRK geschützten Rechte drohe und kann folglich auch eine allfällige Verpflichtung der Republik Österreich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III- VO noch nicht abschließend beurteilt werden. Das BVwG trug auf, dass es im fortgesetzten Verfahren aktueller Feststellungen zum jeweiligen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer bedürfe, um eine Gefährdung ihrer durch Art 3 EMRK geschützten Rechtspositionen im Falle einer Außerlandesbringung nach Deutschland ausschließen zu können. Das BFA habe im zweiten Rechtsgang die bereits vorgelegten medizinischen Befunde übersetzen zu lassen und (durch Befragung der Beschwerdeführer und/oder allenfalls durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens) zu ermitteln, wie sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer tatsächlich zur Zeit manifestiere, welche Behandlungs- und Therapieempfehlungen im Detail getroffen werden, und insbesondere auch welche Auswirkungen eine Überstellung nach Deutschland auf den psychischen Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin hätte. Zumal sich auch die von der belangten Behörde vorgenommene Interessensabwägung in Bezug auf die Zulässigkeit eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben als unzureichend erweise, trug das BVwG auf, dass das BFA im fortgesetzten Verfahren auch die tatsächlichen familiären Verhältnisse unter Zugrundelegung hinreichender Beweismittel festzustellen habe. Dabei sei zu ermitteln, wie sich die Beziehungsintensität zwischen den Beschwerdeführern und den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen tatsächlich ausgestalte und ob wechselseitige Abhängigkeiten bestehen würden, insbesondere im Hinblick auf die vorgebrachte Gebrechlichkeit der Beschwerdeführer beziehungsweise deren gesundheitlichen Beschwerden und einer daraus resultierenden allfälligen Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführer.
Wie sich aus dem Verfahrensgang ergibt, erfolgte einzig eine kurze weitere Einvernahme der Beschwerdeführer am 22.07.2020 durch das BFA und hatte das BFA keine hinreichenden weiteren Ermittlungen des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes nach Behebung der ersten Entscheidung des BFA betreffend die Beschwerdeführer getätigt, bevor es nunmehr angefochtene Bescheide vom 23.07.2020 erließ.
Im gegenständlichen Fall wurde in der Beschwerde gegen die nunmehr angefochtenen Bescheide des BFA vom 23.07.2020 betreffend die Beschwerdeführer zu Recht moniert, dass das BVwG mit dem behebenden Beschluss vom 29.06.2020 festgestellt hatte, das BFA habe sich nicht mit der behaupteten sehr engen Beziehung zwischen den Beschwerdeführern und dem in Österreich aufhältigen Sohn samt dessen Familie auseinandergesetzt. Es sei vom BFA nicht festgestellt worden, ob eine Abhängigkeit vorliege, welche eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen unter den Schutz des Art. 8 EMRK subsumieren lasse. Es sei nicht festgestellt worden, inwiefern die Beschwerdeführer auf die Unterstützung des Sohnes und dessen Familie angewiesen seien, insbesondere vor dem Hintergrund der behaupteten zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführer. Es wurde in der Beschwerde insbesondere auf die Ausführungen des BVwG in der behebenden Entscheidung verwiesen, wonach keine hinreichenden Ermittlungen betreffend den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer getroffen worden seien. Das BFA habe es auch unterlassen, eine nähere Befragung der Beschwerdeführer hinsichtlich der von ihnen vorgebrachten gesundheitlichen Beschwerden vorzunehmen noch die hiezu vorgelegten Befunde übersetzen zu lassen. Verwiesen wurde darauf, dass das BVwG in der behebenden Entscheidung vom 29.06.2020 aufgetragen habe, dass das BFA die bereits vorgelegten medizinischen Befunde übersetzen lassen müsse bzw. durch Befragung der Beschwerdeführer und/oder allenfalls durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zu ermitteln habe, wie sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer tatsächlich zur Zeit manifestiere. Beantragt wurde, dass in Bezug auf die Zulässigkeit eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben die tatsächlichen familiären Verhältnisse unter Zugrundelegung hinreichender Beweismittel festzustellen sei. Das BFA habe zu ermitteln, wie sich die Beziehungsintensität zwischen den Beschwerdeführern und den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen tatsächlich ausgestaltet und ob wechselseitige Abhängigkeiten bestehen würden, insbesondere im Hinblick auf die vorgebrachten Beschwerden der Beschwerdeführer. In den nunmehr angefochtenen Bescheiden seien die vorgelegten Befunde und Erkrankungen der Beschwerdeführer ignoriert worden. In der Beschwerde gegen nunmehr angefochtene Bescheide wurde seitens der Vertretung der Beschwerdeführer zum Beweis dafür, dass die Beschwerdeführer an psychischen Erkrankungen leiden und dass eine Abschiebung nach Deutschland sowie die damit verbundene Trennung vom Sohn zu einer massiven Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes führen würde, die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt. Weiters wurde zum Beweis für das enge verwandtschaftliche Verhältnis der Beschwerdeführer mit ihrem Sohn und dessen Familie dessen zeugenschaftliche Einvernahme beantragt.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand und den vorgelegten ärztlichen Unterlagen, ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken zu verweisen. Demnach haben im Allgemeinen Fremde kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie an einer schweren Krankheit leiden oder selbstmordgefährdet sind. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia; EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff; EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova & Alekseytsev; 07.11.2006, 4701/05, Ayegh; 04.07.2006, 24171/05, Karim; 10.11.2005, 14492/03, Paramsothy; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312; 23.09.2009, 2007/01/0515).
In seiner rezenten Entscheidung im Fall „Paposhvili vs. Belgium“ (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10) hat der EGMR das Vorliegen von „ganz außergewöhnlichen Fällen“ näher präzisiert. Demnach ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Abschiebung eines schwer kranken Menschen auch dann vom nach Art. 3 EMRK geschützten Bereich umfasst sein könnte - auch wenn dieser sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet - wenn wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung im Zielstaat oder wegen des mangelnden Zugangs zu einer solchen Heilbehandlung eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder diese Person eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren hätte, einer realen Gefahr ausgesetzt wäre (RN 183). Weiters stellt der Gerichtshof fest, dass es hier um die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung auszusetzen, handelt (RN 188). Was die zu berücksichtigten Faktoren betrifft, müssen die Behörden des abschiebenden Staates im Einzelfall prüfen, ob die im Zielstaat allgemein verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis ausreichend und geeignet für die Behandlung der Krankheit des Betroffenen sind, um zu verhindern, dass dieser einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird. Dabei gehe es jedoch nicht darum, zu ermitteln, ob die Heilbehandlung im Zielstaat gleichwertig oder schlechter wäre als die durch das Gesundheitswesen des abschiebenden Staates zur Verfügung gestellte Heilbehandlung (RN 189). Jedenfalls muss der abschiebende Staat, wenn nach Prüfung der relevanten Informationen ernsthafte Zweifel über die Auswirkungen der Abschiebung der betreffenden Person bestehen bleiben, sei es wegen der allgemeinen Lage im Zielstaat oder wegen der individuellen Situation der Betroffenen, als Vorbedingung der Abschiebung, vom Zielstaat eine individuelle und ausreichende Zusicherung einholen, das eine geeignete medizinische Versorgung für die betroffene Person verfügbar und zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Situation befindet (RN 191).
Gerade zur Beurteilung der Frage, ob bei den Beschwerdeführern eine solche ganz außergewöhnliche Situation gegeben ist, die einer Überstellung nach Deutschland widersprechen würde, hat die belangte Behörde keine abschließende Beweiserhebung zur Feststellungen des Sachverhalts getroffen. Die Beschwerdeführer haben zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt, welche gesundheitliche Beschwerden der Beschwerdeführer darlegten, insbesondere waren zahlreiche – insbesondere betreffend die Zweitbeschwerdeführerin teilweise schwerwiegende – gesundheitliche Beschwerden der Beschwerdeführer behauptete worden.
Somit bedarf es im gegenständlichen Fall aktueller Feststellungen zum psychischen und physischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer, um eine Grundlage für eine Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführer gegeben ist und um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer ausschließen zu können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht möglich, aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu beurteilen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung der Beschwerdeführer zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.
Das Bundesamt wird daher im fortgesetzten Verfahren hinsichtlich der Beschwerdeführer – auf der Grundlage aktueller Befunde - allenfalls durch die Veranlassung der Einholung entsprechender medizinischer Gutachten betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, welche schwere psychische Probleme behauptet, abzuklären haben, ob bei den Beschwerdeführen tatsächlich eine ganz außergewöhnliche Fallkonstellation vorliegt, die im Falle einer Überstellung – auch wenn sich diese nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet – eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, die ein starkes Leid zur Folge hätte.
Schließlich wurde in den nunmehr angefochtenen Bescheiden der Beschwerdeführer festgehalten, dass diese in Österreich keine Anknüpfungspunkte hätten, die sie an Österreich binden würden. Berücksichtigungswürdigen privaten oder familiären Bezug in Österreich hätten sie nicht. Soweit die Beschwerdeführer auf den in Österreich aufhältigen Sohn und dessen Familie verweisen hätten, wurde vom BFA diesbezüglich lediglich ausgeführt, dass klar auf die Ausgestaltung eines eigenen Familienlebens zu verweisen sei. Im vorliegenden Beschwerdefall ist allerdings – vor allem aufgrund der behaupteten gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführer, nach Abklärung derselben - eine Gesamtbetrachtung aller oben angeführten Umstände erforderlich, um die Frage einer allfälligen Verletzung von
Art. 3 und Art. 8 EMRK im Falle der Überstellung der Beschwerdeführer und damit verbunden der Verpflichtung zu einem Selbsteintritt zutreffend zu beurteilen.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass der Erwägungsgrund 14 der Dublin III-Verordnung betont, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Dementsprechend hält Erwägungsgrund 17 leg. cit. auch fest, dass die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige, Verwandte oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung, zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-VO festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua). Das gilt grundsätzlich auch für das Familienleben unter Erwachsenen.
Nach Vorliegen der entsprechend erhobenen Ermittlungsergebnisse wird von der belangten Behörde letztlich auch zu prüfen sein, ob eine Einzelfallprüfung in den gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt Österreichs gebieten würde.
Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei den Beschwerdeführern eine reale Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigten im Falle ihrer Überstellung nach Deutschland vorliegt bzw. ob ihnen aufgrund der ihnen gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung ein unzulässiger Eingriff in 8 EMRK droht.
2.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher im fortgesetzten Verfahren den aktuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund aktueller Länderbericht zu Deutschland zu erheben haben. Überdies wird das BFA im fortgesetzten Verfahren auch die behauptete überaus enge Beziehungsintensität der Beschwerdeführer zu den in Österreich aufhältigen Verwandten zu überprüfen haben, wie in der behebenden Entscheidung vom 29.06.2020 durch das BVwG festgestellt.
Sodann wird das BFA auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse festzustellen haben, ob in den konkreten Fällen der Beschwerdeführer einen Selbsteintritt Österreichs zur Vermeidung einer Grundrechtsverletzung nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC geboten ist.
Den angefochtenen Bescheiden haften daher Feststellungsmängel an. Im gegenständlichen Fall erweisen sich die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes und das diesen zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen unvermeidlich erscheinen. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen - auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor der belangten Behörde ist mit den oben dargestellten Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Das Unterlassen von Ermittlungen macht eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung der angezeigten Ermittlungen nötig.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht können – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.
Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides in den betroffenen Spruchpunkten sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal es auch nicht als asyl- und fremdenrechtliches Spezialgericht anzusehen ist und die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Weiters ergeben sich aus der Aktenlage auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Nach Vorliegen der Ermittlungsergebnisse wird letztlich auch zu prüfen sein, ob eine Einzelfallprüfung in den gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt Österreichs gebieten würde.
Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei den Beschwerdeführer eine reale Gefährdung ihrer durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund der zahlreichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Anknüpfungspunkte in Form von Verwandten der Beschwerdeführer in Österreich im Falle ihrer Überstellung nach Deutschland vorliegt.
Die belangte Behörde hat die offenkundig notwendigen Ermittlungsschritte an das Verwaltungsgericht zu delegieren versucht, wodurch auch die (gegenüber § 21 Abs. 3 BFA-VG strengeren) Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 VwGVG erfüllt sind.
Die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise ermächtigt das ho. Gericht von der ihm ausnahmsweise eingeräumten Möglichkeit einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen. Die gegenständlichen Rechtssachen sind auch nicht mit jenem Anlassfall der Entscheidung des VwGH Ro 2016/19/0005-4, vom 14.12.2016 vergleichbar, in welchem der VwGH ausführte dass wenn (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG liege, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen sei. Nur mit dieser Sichtweise könne ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führe doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Juni 2016, Ra 2016/03/0027, und vom 26. April 2016, Ro 2015/03/00389).
Da der maßgebliche Sachverhalt jedoch noch nicht feststeht, waren in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen die angefochtenen Bescheide des BFA gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückzuverweisen.
2.5. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit der Beschwerde angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Unter A) wurde ausführlich ausgeführt, dass im erstinstanzlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil hinsichtlich § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG die oben zitierte, einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt. Daher ist eine relevante Rechtsfrage nicht zu erkennen und die Revision somit unzulässig. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf die Rechtsprechung des VwGH stützen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W240.2231239.2.00Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
19.11.2020