TE Bvwg Beschluss 2020/8/18 W245 2194089-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.08.2020
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Entscheidungsdatum

18.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W245 2194089-4/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Iran, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2020, Zahl: XXXX , betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, beschlossen:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

Zum Erstantrag auf internationalen Schutz:

I.1.    Der Beschwerdeführer XXXX (in der Folge auch „BF“), ein iranischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2.    Im Rahmen der am 14.05.2017 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Wesentlichen an, dass er als Friseur und Masseur gearbeitet habe. Nach dem Verlust seiner Arbeit habe ihm ein Freund eine Arbeit in einer Bibliothek angeboten. Er habe diese Arbeit angenommen und dabei Artikel verteilt, die gegen die Religion gewesen seien. Fünf Monate habe er diese Zettel an den Haustüren in XXXX hinterlegt. Eines Tages sei er in die Bibliothek gekommen, wo er gesehen habe, wie sein Freund festgenommen worden sei. Die Frau des Freundes habe dem BF erzählt, dass sein Freund tatsächlich nicht erlaubte Bücher illegal verteilt habe. In derselben Nacht sei der BF, aus Angst selbst festgenommen zu werden, gezwungen gewesen, den Iran zu verlassen. In Griechenland habe er dann über einen Iraner Kontakt zum Christentum gefunden und sei Christ geworden.

Schließlich gab der BF an, dass dies seine einzigen Fluchtgründe gewesen seien, warum er nach Österreich gereist sei. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

I.3.    Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „belangte Behörde“, auch „bB“) am 05.02.2018 gab der BF an, dass er katholischer Christ sei. Er habe im Iran in vielen Bereichen Erfahrung gesammelt. So habe er als Installateur, Friseur, Schneider und eine Weile auch bei der Post gearbeitet. Im Rahmen seiner letzten beruflichen Tätigkeit habe er in der Zeit bis ein Jahr vor seiner Flucht als Gebäudeinstallateur mit seinem Vater zusammengearbeitet. Danach habe er als Postbote gearbeitet. Seine letzte berufliche Tätigkeit sei Postbote gewesen und er habe diese Tätigkeit bis fünf Monate vor seiner Flucht ausgeübt. In diesen fünf Monaten sei sein Schwiegervater für seinen Lebensunterhalt aufgekommen. Um Geld zu verdienen, habe er auch als Taxifahrer gearbeitet, jedoch habe er sein Geld fast immer für die Reparatur des Taxis ausgeben müssen. So habe der Schwiegervater den Umstand, dass der BF fast ein Jahr ohne Einkommen gewesen sei, dazu genutzt, den BF dazu zu zwingen, dass er sich von seiner Tochter scheiden lasse. Während seiner bisherigen Abwesenheit habe sich die Frau des BF jedoch nicht scheiden lassen.

Eines Tages habe der BF einen Freund namens XXXX und dessen Frau zum Abendessen eingeladen habe. Am selben Abend habe es eine Diskussion zwischen dem BF und seiner Frau gegeben, die sich darüber beschwert habe, dass ihr Vater für den Lebensunterhalt aufkommen müsse. XXXX habe den BF eine Arbeit bei dessen Bruder XXXX im Buchhandel vermittelt. Der BF habe dort Bücher sortieren und putzen müssen. Danach habe er Pakete mit Flyern zustellen müssen. Diese Arbeit habe er drei Monate ausgeübt und er habe 1,5 Mio Toman verdient. Der BF habe keine Kenntnis über den Inhalt der zugestellten Flyer gehabt.

Nach fünf Monaten habe der BF ein Paket nicht zustellen können. Der BF sei müde gewesen und habe das Paket am nächsten Tag zustellen wollen. Aus Neugier habe seine Frau das Paket geöffnet. Die Ehefrau habe dem BF mitgeteilt, dass die Flyer islamkritisch seien.

Der BF habe XXXX angerufen. Der BF habe sich bei XXXX beschwert, dass es für ihn gefährlich sei, weil die Flyer sehr kritisch gegenüber dem Islam und Koran gewesen seien. XXXX habe nicht am Telefon darüber reden wollen und habe den BF aufgefordert, am nächsten Tag in die Firma zu kommen. Da habe der BF erfahren, dass die Frau von XXXX davon abgeraten habe den BF darüber zu informieren, was er verteile. Die Ehefrau von XXXX habe verhindern wollen, dass es dadurch zur Trennung zwischen dem BF und seiner Ehefrau komme. Der BF habe gesagt, dass er die Arbeit nicht mehr machen würde und sei danach zwei Tage zu Hause geblieben.

Aus Angst, dass der BF wieder Probleme mit dem Schwiegervater bekomme, weil er die Familie nicht versorgen könnte, sei der BF wieder zu XXXX gegangen. Der BF habe gesagt, dass er die Arbeit weitermache, solange ihm nichts passiere. XXXX habe dem BF mitgeteilt, dass er mit dem Christentum in Kontakt gekommen sei und er konvertiert sei. Der BF habe dies alles seiner Ehefrau erzählt, da er ihre Meinung habe wissen wollen. Die Ehefrau des BF habe nichts dagegen gehabt, dass er für XXXX weiterarbeite.

Zwei Monate später sie der BF zum Geschäft (gemeint Buchhandlung) zurückgekehrt, als er mit den Zustellungen fertig gewesen sei. Da habe er gesehen, dass das Geschäft geschlossen gewesen sei. Der Zigarettenhändler XXXX habe dem BF mitgeteilt, dass zwei Autos mit fünf Personen in Zivilkleidung gekommen seien. Einer habe eine Fotoaufnahme gemacht und die Männer hätten das Geschäft gestürmt. Die Computer seien mitgenommen worden. Der BF sei von dort sofort geflohen, da er gewusst habe, um was es gehen würde. Der BF habe sogar das Motorrad zurückgelassen, weil es das Motorrad des Geschäftes gewesen sei. Der BF sei mit dem Taxi nachhause gefahren.

Zuhause habe der BF seiner Frau gesagt, dass er jetzt Probleme habe. Der BF habe seiner Frau gesagt, dass die Bücherei gestürmt worden sei und die Personen festgenommen worden seien. Die Ehefrau des BF habe die Ehefrau von XXXX anrufen wollen. Der BF habe aber gesagt, dass es besser sei, zunächst zum Flughafen zu fahren und erst von dort die Ehefrau von XXXX anzurufen.

Sie hätten ein Ticket Richtung Istanbul gekauft und anschließend hätten sie die Ehefrau von XXXX angerufen. Sie hätten der Ehefrau von XXXX mitgeteilt, dass ihr Mann und dessen Bruder festgenommen worden seien und sie recherchieren solle, wo sie seien. Vier Tage später, als der BF mit seiner Ehefrau bereits in der Türkei gewesen sei, hätten sie die Ehefrau von XXXX nochmals angerufen. Die Ehefrau von XXXX habe gesagt, dass sie keine Spur von ihrem Ehemann habe. Die Ehefrau des BF sei in den Iran zurückgekehrt, um ihre Familie von dem Vorfall zu berichten. Zudem habe sie die Ehefrau von XXXX beim Recherchieren helfen wollen. Zwei Tage später habe der BF von seiner Ehefrau erfahren, dass sie keine Spur von XXXX hätten. Anschließend habe die Frau mit XXXX ausgemacht, dass der BF in ein sicheres Land reisen könne. XXXX habe für den BF einen Schlepper organisiert.

Zum Thema Religion befragt, führte der BF aus, dass er den Islam habe nicht akzeptieren können. Im Islam gebe man Sachen vor, die man nicht tun dürfe, aber man tue sie trotzdem. Der BF sei in einer muslimischen Familie aufgewachsen; der Vater des BF habe nicht gebetet und sei nicht religiös gewesen.

Das Schlüsselerlebnis für die Hinwendung zum Christentum sei XXXX gewesen. Das Christentum sei keine Religion, sondern ein Weg um besser zu leben. Der BF habe XXXX in Griechenland, in Haft kennengelernt. XXXX sei Katholik gewesen, er habe über das Christentum gesprochen und habe sogar missioniert. Der BF sei in XXXX gemeinsam mit XXXX ca. viermal in eine katholische Kirche gegangen. Der BF wisse aber nicht, wie die Kirche geheißen habe. Der Grund für die Hinwendung zum Christentum in Griechenland sei gewesen, dass es dem BF psychisch nicht gut gegangen sei. XXXX habe über das Christentum gesprochen und über die innere Ruhe, wenn man Christ sei. Der BF habe die innere Ruhe in Griechenland gefunden. Auch habe der BF in Österreich von der Kirche Essen bekommen.

Der BF finde die katholische Kirche deshalb so faszinierend, weil dies die älteste Kirche sei, auch sei die Apostelgeschichte wichtig. Die katholische Kirche habe den Papst als Verbindung zwischen Menschen und Gott. Man könne nicht über den Papst zu Gott beten, aber als Katholik müsse man auch dem Papst folgen. An der Spitze der katholischen Kirche stehe Jesus, dann der Papst, dann der Stellvertreter des Papstes, wobei der BF nicht wisse, wie man diesen bezeichne, dann Missionare und die christliche Gemeinde.

Der BF führte aus, dass er den genauen Namen des Papstes nicht wisse. Nachgefragt gab er an, dass er vom Vatikan noch nie gehört habe. Der BF führte aus, dass der Vatikan vielleicht eine religiöse Bedeutung habe.

Der BF sei in Österreich in XXXX zur Kirche gegangen. Er besuche jeden Dienstag einen Taufkurs und habe eine Farsibibel. Der BF habe sich der katholischen Kirche zugewendet, weil auch XXXX ein Katholik gewesen sei. Der BF habe auch einmal eine Protestantenkirche besucht, dies sei jedoch nicht „sein Ding“ gewesen, da sie nicht richtig gebetet hätten. Auch sei Maria für die Protestanten nicht heilig gewesen.

Der BF habe es seinen Eltern und seiner Ehefrau mitgeteilt, dass er sich dem Christentum zugewendet habe. Seine Frau könne dies tolerieren, sie würde auch nachkommen und konvertieren. Wenn der BF in den Iran zurückkehren müsste, würde er getötet werden, weil man ihn in seiner Heimatstadt suchen würde.

Zur Taufe befragt, gab der BF an, dass das Untertauchen das Sterben und das Auftauchen die Wiedergeburt bedeuten würde, das heißt, dass man frei von Sünde sei, an Jesus glaube und man neu geboren sei. Er habe in Österreich noch keine Taufzeremonie erlebet. Der BF habe gehört, dass in der katholischen Kirche nicht untergetaucht werde, sondern der Pfarrer nur das Wasser über den Kopf gieße. Dass bei der Taufe der Kopf unter Wasser getaucht werde, finde bei den Protestanten statt. Dies habe der BF von einem Freund erfahren. Der BF meine, dass die zwangsweise Kindertaufe richtig sei. Der BF erklärte, dass Jesus von Johannes dem Täufer am Jordan getauft worden sei.

Zur Dreifaltigkeit gab der BF an, dass Gott drei Gestalten habe: Gottesvater, der alle lieb habe, Gottes Sohn, der sich für die Menschheit geopfert habe und der Heilige Geist, der der Menschheit den Weg zeige. Zu den Sakramenten befragt, zählte der BF die Beichte, Ehe, Taufe und Sterbebeisetzung auf; mehr wisse er dazu nicht.

Der BF lese die Bibel und besuche jeden Sonntag die Kirche. Jeden Dienstag würden sie sich versammeln. Ferner führte der BF bei der Befragung bei der bB aus, dass Jesus 12 Aposteln gehabt habe, dass Jesus von Judas Iskariot, wegen 30 Silbermünzen verraten worden sei, dass das Grundgebet der katholischen Kirche das „Vater unser“ sei. Weiters gebe es ein Gebet für die heilige Maria, weitere Gebete kenne der BF nicht. Zudem führte der BF aus, dass Jesus vier Tage nach dem Tod von Lazarus von den Toten auferweckt worden sei; dass die vier Evangelisten Markus, Johannes, Matthäus, Josef und nochmals Johannes seien, dass das wichtigste Fest der römisch-katholischen Kirche Ostern sei, da hier die Auferstehung von Jesus Christus gefeiert werde, weiters gebe es noch Weihnachten und Pfingsten. Zu Pfingsten sei der Heilige Geist gekommen und habe die Menschen begleitet.

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens legte der BF eine Bestätigung XXXX vom XXXX vor, mit welcher sein Austritt aus XXXX bestätigt wurde.

I.4.    Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.03.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem BF auch keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Der Bescheid wurde vom BF am 23.03.2018 übernommen.

Begründend führte die bB aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, die Gründe für die Flucht aus dem Iran sowie seine Konversion zum Christentum glaubhaft zu machen, weshalb der BF im Iran auch nicht verfolgt werde. Es hätten keine Umstände festgestellt werden können, die dagegensprechen würden, dass er fähig sei, seinen Lebensunterhalt im Iran durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Zudem habe er Familie im Iran, weshalb im Falle der Rückkehr eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu erwarten sei. Der BF habe in Österreich keine Familie, lebe von der öffentlichen Hand. Schließlich würde eine wesentliche integrative Bindung zu Österreich nicht vorliegen, sodass die Rückkehr in den Iran möglich sei.

I.5.    Mit Verfahrensanordnung vom 22.03.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX , als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde der BF über ein Rückkehrberatungsgespräch informiert.

I.6.    Gegen den Bescheid der bB richtete sich die am 19.04.2018 fristgerecht erhobene Beschwerde.

I.7.    Am 19.12.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch „BVwG“) Beschwerdeverhandlungen durch.

In der Beschwerdeverhandlung gab der BF an, dass er mit seiner Ehefrau gemeinsam eine Wohnung in Teheran bewohnt habe. Er habe dort nur mit seiner Ehefrau gelebt. Er habe vor zwei Tagen mit seiner Frau Kontakt gehabt.

Weiters erklärte der BF, dass während seiner Tätigkeit als Taxifahrer zweimal das Auto kaputt gewesen sei. Um das Auto reparieren zu können, habe er von seinem Schwiegervater Geld ausborgen müssen. Der BF habe weitergearbeitet und habe die Schulden bei seinem Schwiegervater beglichen.

Ein Freund namens XXXX habe vorgeschlagen, dass der BF in einem Geschäft (Buchhandel) arbeite, welches XXXX mit seinem Bruder betreibe. Am folgenden Tag habe der BF angefangen, dort zu arbeiten. Drei Monate später habe die Ehefrau des BF herausgefunden, dass die zugestellten Pakete christliche Schriften beinhalten würden. Daraufhin habe der BF XXXX angerufen. Da XXXX nicht gewollt habe, dass diese Angelegenheit über das Telefon besprochen werde, sei der BF am nächsten Tag ins Geschäft gegangen. Der BF habe im Geschäft mitgeteilt, dass er mit der Arbeit aufhören wolle. Anschließend sei er nach Hause gegangen.

Zwei Tage später sei der BF wieder zu XXXX gegangen, um bei diesem weiterzuarbeiten. Zwei Monate später, als der BF nach den erfolgten Zustellungen ins Geschäft zurückgekehrt sei, sei er vor einem verschlossenen Laden gestanden. Der Geschäftsnachbar XXXX , welcher Zigaretten und Tabakwaren verkauft habe, habe dem BF mitgeteilt, dass zwei Autos dagewesen sein. Fünf Beamte in Zivil seien ins Geschäft gegangen und hätten XXXX , dessen Bruder namens XXXX , den PC, die Überwachungskamera und einige Bücher und Sachen mitgenommen. Der BF habe Angst bekommen. Er habe das Motorrad, welches dem Geschäft gehört habe, etwas weiter vom Geschäft geparkt und sei nachher mit einem Taxi nachhause gefahren. Anschließend sei der BF mit seiner Frau zum Flughafen gefahren. Sie hätten am Flughafen eine einwöchige Reisetour in die Türkei gebucht. Am Flughafen habe die Ehefrau des BF die Ehefrau von XXXX angerufen und dieser mitgeteilt, was XXXX dem BF über die Festnahme von XXXX und dessen Bruder erzählt habe. Danach seien sie in die Türkei geflogen. Vier Tage später sei die Ehefrau des BF in den Iran zurückgekehrt, weil sie die Ehefrau von XXXX , namens XXXX habe helfen wollen, ihren Ehemann und ihren Schwager zu finden. Sie hätten es aber nicht geschafft, diese zu finden.

Einen Monat später, als der BF in Griechenland gewesen sei, habe seine Ehefrau mitgeteilt, dass sie XXXX und XXXX gefunden hätten und dass diese im Gefängnis seien. Außerdem habe die Ehefrau mitgeteilt, dass auf einer überprüften Überwachungskamera der BF als Buchverteiler zu sehen gewesen sei. Da eine gute Beziehung zwischen der Türkei und dem Iran bestehe, habe der BF Angst gehabt, noch länger in der Türkei zu bleiben. Der BF habe sich für einen Schlepper Geld vom Ehemann der Tante seiner Frau väterlicherseits, namens XXXX ausgeborgt. Mit diesem Geld sei der BF nach Griechenland geflohen.

Erst nach konkreter Befragung durch den erkennenden Richter führte der BF zu seiner Konversion in der Beschwerdeverhandlung aus, dass er kein gläubiger Moslem gewesen sei und er im Iran die religiösen Pflichten nicht ausgeübt habe, weil ihm die Überzeugung dazu gefehlt habe. Er könne den Islam nicht akzeptieren, weil er im Islam nur Gewalt, Krieg und Blutvergießen gesehen habe.

In Griechenland habe der BF XXXX kennengelernt. Der BF habe XXXX über das Christentum befragt. Dies habe dazu geführt, dass der BF angefangen habe, an Christus zu glauben. Nachdem der BF und XXXX das Gefängnis in Griechenland verlassen hätten, hätten sie gemeinsam dreimal eine katholische Kirche besucht. Der BF sehe das Christentum nicht als Religion, sondern eher als Lebenswegweiser.

Zu Gott befragt, gab der BF an, dass alle Götter gleich seien. Wir hätten alle nur einen Gott. Aber jeder, würde ihn aufgrund seiner Überzeugung anders sehen. Durch Moses hätten die Menschen die Scharia kennengelernt, doch hätten sich viele nicht an die zehn Gebote gehalten. Dann habe sich Gott in die drei Teile Gott, Sohn und Heiliger Geist geteilt. Man könne nur durch Jesus erlöst werden, um nicht zunichte zu gehen.

Zum achten Gebot befragt, führte der BF aus, dass es zehn Gebote gebe. Sechs seien von Menschen zu Menschen und vier seien zu Ehren von Gott den Menschen auferlegt worden. Das achte Gebot könne entweder sein, nicht im Namen des Gottes zu schwören und zu lügen. Beim Lügen dürfe man nicht den Namen des Gottes missbrauchen und nicht für Gott eine Statue errichten. Wenn man sich nicht an die zehn Gebote halte, könne man beichten und wieder auf dem Weg des Jesus Christus zurückkehren. Jesus Christus habe gesagt, dass alles was aus dem Mund herauskomme, unrein sei. Das, was durch den Mund eingenommen werde, sei nicht unrein. Damit habe Jesus Christus einige Lebensmittel nicht mit einem Essverbot belegen wollen.

Im Iran würden seine Eltern und Ehefrau von der Konversion wissen. Sie hätten kein Problem mit der Konversion des BF. Bei einer Rückkehr in den Iran werde er zu 100% umgebracht, da er wegen der Konversion hingerichtet werde.

I.8.    Am 27.02.2020 wurde eine weitere Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Beschwerdeverhandlung wurden drei Personen als Zeugen befragt.

I.9.    Mit Erkenntnis vom 03.03.2020, W242 2194089-1 wies das BVwG die erhobene Beschwerde des BF gegen den Bescheid der bB als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Das Erkenntnis wurde dem Vertreter des BF am 05.03.2020 zugestellt.

Begründend führte das BVwG in seinem Erkenntnis aus, dass der BF nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Ebenso stehe fest, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in den Iran aufgrund seiner behaupteten Konversion zum christlichen Glauben keine Lebensgefahr oder Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Regierung oder durch andere Personen drohen würde.

I.10.   Am 28.05.2020 stellte der BF einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG und begründete diesen damit, dass er weitere Beweismittel (Antrag auf Scheidung vom 11.12.1398 (umgerechnet, 01.03.2020) sowie Gerichtsurteil vom 05.12.1398 (umgerechnet 05.03.2020)) erhalten habe, welche die Verfolgung im Iran belegen würden. Dem Antrag wurden unter anderem die deutschsprachigen Übersetzungen der Beweismittel beigelegt. Dieser Wiederaufnahmeantrag wurde vom BVwG am 03.07.2020, W242 2194089-2, als verspätet zurückgewiesen.

I.11.   Am 26.06.2020 stellte der BF den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Wiedereinsetzungsantrag wurde vom BVwG am 09.07.2020, W242 2194089-3, als verspätet zurückgewiesen.

Zum Folgeantrag auf internationalen Schutz bzw. zum gegenständlichen Verfahren:

I.12.   Am 20.05.2020 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag. Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er zum Christentum konvertiert sei und XXXX (=Schwiegervater des BF) eine Anzeige gegen den BF erstattet habe. Die Ehefrau habe sich vom BF scheiden lassen. Es sei ein Gerichtsverfahren durchgeführt worden und die Scheidung sei rechtskräftig. Davon habe er vor zwei Wochen erfahren. Zudem wies der BF darauf hin, dass er nunmehr im Besitz über einen Antrag auf Scheidung, über eine Vorladung zum Gericht und über ein Gerichtsurteil betreffend eine Scheidung sei. Auch bezeichne die ganze Familie den BF als ungläubigen Menschen. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

I.13.   Bei der Einvernahme durch die bB am 09.06.2020 gab der BF an, dass der Schwiegervater seine Ehefrau massiv unter Druck gesetzt habe, bis sie sich vom BF habe scheiden lassen. Zu diesem Zeitpunkt sei der BF bereits in Österreich gewesen. Es sei eine Scheidung in Abwesenheit des BF durchgeführt worden. Als Grund für diese Scheidung habe der Schwiegervater die Konvertierung des BF zum Christentum angegeben. Dies sei der neue Fluchtgrund des BF; der BF sei vom Schwiegervater wegen Abfall vom Islam angezeigt worden. Auch seien die Sicherheitsbehörden beim Vater des BF gewesen. Sie hätten den Vater des BF aufgefordert bekanntzugeben, wann der BF zurückkehre bzw. wann der BF vorhabe, zurückzukehren. Aus diesem Grund habe der BF jeden Kontakt zu seiner Familie abgebrochen. Er wolle nicht, dass seine Familie noch mehr Schwierigkeiten habe.

Das Familienleben des BF sei ruiniert. Die Ehefrau habe sich vom BF scheiden lassen. Solange der BF ein geschiedener Mann sei, könne er wegen des Regimes im Iran nicht zurückkehren.

Zudem führte der BF aus, dass gegen ihn ein Haftbefehl vorliegen würde. Eine Rückkehr in den Iran sei unter den aktuellen Umständen nicht möglich. Wären die Umstände nicht so gewesen, wäre er bereits freiwillig zurückgegangen.

Bei der Einvernahme vor der bB legte der BF zudem Empfehlungsschreiben von XXXX sowie von XXXX vor. Ferner legte der BF eine Bestätigung des XXXX vor. Weiters legte der BF eine Vorladung, einen Antrag auf Scheidung sowie ein Gerichtsurteil vor. Diesen Unterlagen wurde jeweils eine deutsche Übersetzung beigelegt.

I.14.   Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 18.06.2020 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet. Am 22.06.2020 wurde die Übernahme dieser Verfahrensanordnungen durch den BF bestätigt.

I.15.   Am 25.06.2020 führte die bB eine weitere Einvernahme durch. Dabei gab der BF an, dass er durch einen Rechtsberater beraten worden sei und dass die gemachten Angaben (siehe Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.) richtig und vollständig seien.

Schließlich erklärte der BF nochmals, dass der Schwiegervater die iranischen Behörden darüber informiert habe, dass er zum Christentum konvertiert sei. Seine Frau habe sich deshalb von ihm scheiden lassen. Das Gericht habe diesen Scheidungsantrag in Abwesenheit des BF bestätigt. Nunmehr sei er von seiner Frau geschieden. Auch komme die iranische Polizei regelmäßig zu ihnen nachhause. Sie würden nach dem BF fragen und sie hätten die Familie des BF dazu aufgefordert, sofort Bescheid zu geben, wenn der BF wiederauftauche. Die Telefongespräche zwischen dem BF und seiner Familie seien immer abgehört worden. Deshalb kontaktiere der BF seine Familie seit 1,5 Monaten nicht mehr. Der BF wolle nicht, dass seine Familie wegen ihm noch mehr Schwierigkeiten bekommt.

I.16.   Mit Bescheid vom 12.07.2020 wies das BFA den Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz vom 20.05.2020 hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (in der Folge "AVG") wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I. und II.). Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge "FPG") idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

In der Beweiswürdigung führte die bB aus, dass der BF im gegenständlichen Verfahren Ausreisegründe angegeben habe, die bereits im Vorfahren bestanden hätten. Im gegenständlichen Verfahren würde sich der BF auf die bereits geprüften und für unglaubwürdig befunden Gründe stützen. Auch die beigebrachten Unterstützungsschreiben (von XXXX , XXXX sowie XXXX ) würden sich bereits auf die geprüften Gründe beziehen. Dies gelte auch für die vorgelegten Dokumente samt beglaubigter Übersetzung (Vorladung, Antrag auf Scheidung, Gerichtsurteil). Zudem seien die vorgelegten Schriftstücke nicht verifizierbar und mit keinerlei Sicherheitsmerkmalen versehen. Da der BF im gegenständlichen Folgeantrag sich auf ein Vorbringen stütze, welches bereits rechtskräftig negativ qualifiziert worden sei, liege ein glaubhafter Kern nicht vor.

I.17.   Mit Verfahrensanordnung vom 16.07.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX , als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde der BF über eine freiwillige Ausreise informiert.

I.18.   Gegen den Bescheid der bB richtete sich die am 30.07.2020 fristgerecht erhobene Beschwerde. In der Beschwerdebegründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die belangte Behörde sich viel zu ungenau mit dem Vorbringen des BF auseinandergesetzt habe. Die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht damit verletzt, dass sie die vom BF vorgelegten Urkunden nicht untersucht habe.

I.19.   Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem BVwG am 04.08.2020 von der bB vorgelegt.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1.   Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

II.1.1. Verfahrensgang:

Der unter Punkt dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt und der Entscheidung zu Grunde gelegt.

II.1.2. Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geb. XXXX alias XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran, Angehöriger der Volksgruppe der Perser und spricht Farsi auf muttersprachlichen Niveau. Darüber hinaus spricht er auch türkisch.

Der BF hat im Iran neun Jahre lang die Schule besucht und diese danach abgeschlossen. Er hat eine mehrjährige Berufserfahrung als Friseur, Schneider und Elektroinstallateur.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

II.1.3. Zur maßgeblichen Änderung der asyl- und abschieberelevanten Lage:

Der BF stellte am 20.05.2020 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz in Österreich. Diesen Antrag begründete der BF im Wesentlichen damit, dass aufgrund eines durchgeführten Scheidungsverfahrens im Iran den iranischen Behörden nunmehr bekannt sei, dass der BF zum christlichen Glauben konvertiert sei.

Als Vergleichsentscheidung zur Beurteilung der maßgeblichen Änderung der asyl- und abschieberelevanten Lage ist die Entscheidung des BVwG vom 03.03.2020, W242 2194089-1/12E heranzuziehen.

Es wird festgestellt, dass die bB eine mögliche Bedrohung bzw. Verfolgung des BF XXXX unzureichend verifiziert hat.

Der von der bB ermittelte Sachverhalt ist grundlegend ergänzungsbedürftig.

II.1.4. Zur maßgeblichen Situation im Iran:

II.1.4.1. Politische Lage (LIB, Punkt 1.):

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik. Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“. Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten. Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer. Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt.

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt. Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat. Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann. Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann. Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt. Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten, drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden.

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen. Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers. Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten. Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen.

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat in geheimen und direkten Wahlen. Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahekommen. Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können. Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert.

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte.

II.1.4.2. Sicherheitslage (LIB, Punkt 2.):

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert.

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan.

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen. In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht.

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region. Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen.

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen. Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind.

II.1.4.3. Korruption (LIB, Punkt 6.):

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Die meisten Beamten betätigen sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte „Bonyads“, leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahestehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten.

Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. Auch in der Polizei, sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und staatlichen Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch in der politischen Elite weit verbreitet. Menschen werden jedoch selten strafrechtlich verfolgt und wenn sie es werden, ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen.

Transparency International führt Iran in seinem Korruptionsindex von 2019 mit 26 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 146 von 180 untersuchten Ländern. Zum Vergleich im Jahr davor, 2018, lag Iran mit 28 (von 100) Punkten auf Platz 138 von 180 untersuchten Ländern. Es konnte sich in Iran kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln, dieses Problem wird durch die weit verbreitete Korruption noch verschärft.

II.1.4.4. Allgemeine Menschenrechtslage (LIB, Punkt 9.):

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“.

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

?        Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

?        Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

?        Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

?        Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht)

?        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

?        Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

?        Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

?        UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

?        Konvention über die Rechte behinderter Menschen

?        UN-Apartheid-Konvention

?        Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

?        Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

?        Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

?        Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe

?        Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

?        Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

?        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer. Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition. Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen. Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternahm wenige Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet.

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte, insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge. Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

II.1.4.5. Todesstrafe (LIB, Punkt 13.):

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen; des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin. Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden. In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen.

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt und auch (selten) gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige. Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2018 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter/innen hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet. In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert. In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle.

Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt. Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen und die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen sank. Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten. Nichtsdestotrotz hat Iran im Laufe des Jahres 2019 fast 300 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zwei jugendliche Straftäter.

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet, insbesondere bei „politischen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffenden Fällen. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar.

II.1.4.6. Religionsfreiheit (LIB, Punkt 14)

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen. Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist.

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha‘i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament. Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden und ihre politische Vertretung bleibt schwach.

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück.

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt.

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden.

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt.

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen „Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini“ und 20 wegen „Korruption auf Erden“.

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war.

II.1.4.6.1. Christen (LIB, Punkt 14.1.):

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden. Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran.

Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor, wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot.

Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen.

Im Weltverfolgungsindex 2020 von Christen von Open Doors befindet sich Iran, wie im letzten Jahr, auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum (November 2018 – Oktober 2019) wurden 169 Christen verhaftet, 114 von ihnen in einer einzigen Woche Ende 2018.

II.1.4.6.2. Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen (LIB, Punkt 14.2.):

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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