Entscheidungsdatum
21.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W247 1404293-5/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.06.2020, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., und §§ 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Erster Antrag des BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:
1.2. Der Beschwerdeführer (BF) ist am 26.11.2008 erstmals illegal nach Österreich eingereist und stellte am selben Tag seinen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 26.11.2008 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung statt. Befragt, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass er im Krieg gegen die russischen Militärs gekämpft habe und sie ihm gedroht hätten, ihn zu töten. Im Zuge seiner erkennungsdienstlichen Behandlung ergab sich, dass er am 13.11.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte und erkennungsdienstlich behandelt wurde. Mit Erklärung vom 02.12.2008 erklärte sich Polen gemäß Art. 16 der Dublin II Verordnung für die Führung seines Asylverfahrens zuständig.
In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 17.12.2008 erklärte der Beschwerdeführer auf die Frage, ob er etwas zu seiner Rücküberstellung nach Polen angeben wolle, dass ihm dort Personen mit Blutrache bedrohen würden und führte dann näher aus, dass diese Blutrache schon bei meinem Großvater angefangen habe und immer weitergegeben werde. Er wisse nicht, wie diese Personen heißen, sondern nur, wie sie aussehen. Er dürfe sich nicht am gleichen Ort aufhalten wie sie, sonst würde das bedeuten, dass er keinen Respekt vor ihnen habe, und sie seien dazu verpflichtet, dass sie Blutrache ausübten. Jedes Volk habe eigene Traditionen, er könne nichts dafür, dass sich das in seiner Familie so ergeben habe.
1.3. Mit Bescheid vom 23.01.2009 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei (Spruchpunkt I.). Des Weiteren wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF rechtzeitig Beschwerde an den Asylgerichtshof, welche mit Erkenntnis vom 16.02.2009, XXXX , abgewiesen wurde.
2. Zweiter Antrag des BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:
2.1. Am 21.02.2009 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.03.2009 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Dieser Bescheid erwuchs am 17.03.2009 in Rechtskraft.
2.2. Nach erfolgter Rücküberstellung nach Polen reiste der BF seinen eigenen Angaben zufolge nach Belgien, wo er am 13.07.2010 um Asyl ansuchte und sich ca. einen Monat aufhielt. Von Belgien wurde er ebenfalls nach Polen und am 25.08.2010 von den polnischen Behörden nach Weißrussland abgeschoben.
3. Dritter Antrag des BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:
3.1. Am 01.12.2010 reiste der BF abermals nach Österreich ein und stellte am selben Tag seinen einen dritten Antrag auf internationalen Schutz.
3.2. Am 01.12.2010 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab er an, am 16.09.2010 erneut Tschetschenien verlassen zu haben und über Weißrussland nach Österreich gereist zu sein. Befragt nach seinem Ausreisegrund, gab der BF an, dass die tschetschenischen Behörden Anfang September 2010 erfahren hätten, dass der BF von Polen abgeschoben worden und wieder zu Hause sei. Er sei einer schriftlichen Ladung des Innenministeriums für den 06.09.2010 nachgekommen und bis 15.09.2010 in einen Keller gesperrt und körperlich misshandelt worden. Er habe irgendwelche Dokumente unterschrieben und "sie" hätten von ihm gewollt, dass er als Kollaborateur arbeite. Sie hätten ihm auch den Inlandspass weggenommen. Er sei dann in das Krankenhaus von XXXX gegangen, wo ihm ein ärztlicher Befund erstellt worden sei. Aus Angst habe er dann sofort Tschetschenien verlassen und sich bis 29.11.2010 bei einem Freund in XXXX aufgehalten.
3.3. In der ersten Einvernahme vor dem (ehemaligen) Bundesasylamt am 13.01.2011 erklärte der BF zunächst, dass seine bisher getätigten niederschriftlichen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Als Ergänzung gab er noch an, dass er im Keller von den örtlichen Behörden nach seinem Freund, einen Freiheitskämpfer, gefragt worden sei. Als der BF in Österreich war, seien seine Mutter und sein Bruder, die noch immer in Tschetschenien leben, verhört und sein Bruder sogar mitgenommen worden. Sein Auslandsreisepass, der ihm 2007 oder 2008 problemlos ausgestellt worden sei, befinde sich bei seinem Freund in Weißrussland und der BF werde ihn vorlegen. Er sei 2008 in Tschetschenien wegen seiner Nierenprobleme in medizinischer Behandlung gewesen und in Weißrussland habe ihm eine Krankenschwester privat geholfen. Auf die Frage, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, gab der BF an, dass sein Freund XXXX im Sommer 2008 in die Berge gegangen sei, um zu kämpfen. Die Behörden seien 2008 zum BF gekommen, um nach ihm zu fragen. Als der BF zum Studieren in XXXX war, hätten ihn die Behörden verdächtigt, Hilfe für den Freund zu organisieren. Am 06.09.2010 – nach der Verhaftung des BF – hätten die Behörden ihm ein Schreiben zum Unterschreiben vorgelegt und von ihm verlangt, als Spion zu arbeiten. Es drohe ihm Lebensgefahr, weil er nie mit den Behörden zusammenarbeiten würde. Sein Inlandspass sei ihm ebenfalls am 06.09.2010 abgenommen worden und er befinde sich auf einer Gesuchtenliste. Seine Familie hätte keine Probleme wegen seines Freundes und er habe seinem Bruder gesagt, dass dieser bei Nachfragen sagen solle, dass der BF ins Ausland gegangen sei. Insgesamt sei der BF drei Mal von den Behörden aufgesucht worden: Das erste Mal 2008, dann „noch einmal“ und das dritte Mal am 06.09.2010. Bei den ersten beiden Malen sei es ein Vertreter der Strafverfolgung vom Bezirk XXXX gewesen und beim dritten Mal vom Bezirk XXXX . Eine Anzeige habe er nicht eingebracht und auch sonst keine Hilfe - beispielsweise bei einer Menschenrechtsorganisation - gesucht.
Während der Einvernahme vor dem Bundesasylamt wurde die Mutter des BF angerufen, die angab, dass der Bruder des BF nicht von den Behörden abgeholt worden sei und auch nichts von Problemen zu Hause erwähnte. Dazu gab der BF an, dass seine Mutter am Telefon nichts sagen würde, weil die Leitungen abgehört werden würden.
3.4. In der zweiten Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 03.03.2011 erklärte der Beschwerdeführer, dass in Österreich zwei Cousins lebten, wobei er nur einen kenne. Außerdem legte er die Ladung für den 06.09.2010 vor und gab an, dass ihm diese persönlich ausgefolgt worden sei. Er sei in einem Keller festgehalten und nach seinem Freund befragt worden. Danach sei er von einem Auto am Stadtrand von XXXX ausgesetzt worden. Wo er festgehalten worden sei, könne er nicht sagen, weil ihm die Augen verbunden worden seien. Im Sommer 2008 sei er zum ersten Mal von einem Untersuchungsrichter angerufen worden, der ihm gesagt habe, dass er zur Bezirksabteilung Inneres nach XXXX kommen solle. Sie hätten ihn beschuldigt, dass er die Widerstandskämpfer mit Waffen und Lebensmittel versorgt habe. Er habe jedoch seine Unschuld beweisen und nach Hause gehen können. Dann sei er noch ein zweites Mal vorgeladen und es seien ihm dieselben Fragen nach seinem Freund gestellt worden. Sie hätten ihn nicht freilassen wollen und dann sei seine Mutter gekommen und habe geweint und sie hätten ihn doch freigelassen. Daraufhin sei er das erste Mal nach Österreich geflohen.
3.5. Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.03.2011, Zl. XXXX , zugestellt am 21.03.2011, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat der Russischen Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
3.6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.12.2015, Zl. XXXX , wurde die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt III. zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung insoweit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen (Spruchpunkt II.). Zudem wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde am 30.12.2015 durch Hinterlegung zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.
3.7. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 05.02.2016, Zl. XXXX , wurde dem BF gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt I.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt II.). Dagegen erhob der BF Beschwerde.
3.8. Mit Erkenntnis vom 25.07.2016 zur Zl. XXXX wurde die Beschwerde gemäß §§ 55 und 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG, sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
4. Vierter Antrag des BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:
4.1. Am 24.12.2016 wurde der BF im Zuge einer Personenkontrolle festgenommen, da gegen ihn eine aufrechte, durchsetzbare Ausweisung bestand. Der BF stellte dann aus dem Stande der Schubhaft einen neuen Antrag auf internationalen Schutz. Als Begründung brachte er vor, er könne nicht in die Heimat zurück, da er aus den bereits bekannten Gründen dort verhaftet werden würde. Dieser wurde nach § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.
4.2. Am 31.01.2017 wurde der BF in die Russische Föderation abgeschoben.
5. Fünfter und gegenständlicher Antrag des BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:
5.1. Spätestens am 01.11.2017 ist der BF wieder ins Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
5.2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor dem PAZ XXXX am 02.11.2017 gab er auf die Frage nach den Gründen für seine neuerliche Asylantragstellung an, dass ihm am Tag seiner Abschiebung von den der österreichischen Polizei gesagt worden sei, dass in seinem Heimatland alles in Ordnung wäre und er deshalb zurückmüsse. Als er jedoch in XXXX angekommen sei, sei er von Beamten in Uniform befragt worden, wo er die ganze Zeit gewesen sei. Dann seien Beamte des FSB (russischer Geheimdienst) gekommen und hätten wissen wollen, ob er XXXX kenne. Dieser habe in der Nähe von ihm gewohnt und sie hätten als Kinder miteinander gespielt, also habe er ihn gekannt. Der BF sei auch gefragt worden, ob er XXXX und XXXX kenne. Der BF habe gesagt, dass er nur Adam kenne, da er sein Schulfreund gewesen sei, Osman kenne er nicht. Dann hätten sie wissen wollen, ob er XXXX kennen würde, Vornamen hätten sie keinen genannt. Der BF kenne keine Person mit diesem Nachnamen. Es sei ihm gesagt worden, dass XXXX und XXXX als Freiheitskämpfer gegen Russland gekämpft hätten, was die XXXX -Brüder bestätigen würden. Er sei im Flughafengebäude bis zum späten Abend befragt worden. Es sei ihm vorgeworfen worden, dass er XXXX geholfen habe, bis zu XXXX ins Gebirge zu kommen und dass er ihnen mit Essen und Geld geholfen habe, sowie dass alles von den XXXX bestätigt worden sei. Inzwischen seien XXXX und XXXX getötet worden. Dann habe ein FSB-Beamter dem BF gesagt, dass er nicht glaube, dass der BF mit der ganzen Sache zu tun habe und dass er auch Mitleid mit seiner Mutter habe und den BF deshalb freilasse. Er habe den BF aber gewarnt, nicht nach Tschetschenien zurückzukehren und indirekt angedeutet, dass der BF dort „ohne wenn und aber“ getötet würde. Der BF glaube, dass die Anwesenheit seiner Mutter den BF gerettet habe, da sie ihn ohne diese sicher nicht freigelassen, sondern getötet hätten. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er um sein Leben. Für ihn sei es nicht nur in Tschetschenien, sondern überall in der Russischen Föderation gefährlich.
5.3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 06.02.2018 gab der BF zusammenfassend an, dass der BF in XXXX am Flughafen von der Polizei in Extrazimmer gebracht und gefragt worden sei, wo der BF gewohnt habe und warum der BF Russland verlassen habe. Der BF habe gesagt, dass er in Europa arbeiten hätte wollen. Sie hätten den BF gefragt, was er dort gemacht habe und der BF habe geantwortet, dass er Sport gemacht, gearbeitet und die Sprache gelernt habe. Er sei dann von einem Beamten in Zivil befragt worden und habe ihn dieser über Europa befragt, wie sich die Menschen in Europa gegenüber Russland verhalten würden. Der BF habe gesagt, dass er keine Probleme gehabt hätte. Sie hätten ihn gefragt, ob der BF sich strafbar gemacht habe, was dieser verneint hätte. Der BF sei befragt worden, ob dieser sich an seine Reise im Jahr 2008 nach Europa erinnern könne und habe dieser geantwortet, dass er dort gearbeitet habe und eine „weiße Karte“ gehabt habe. Er habe gesagt, dass er andere Informationen habe, weshalb der BF nach Europa gereist sei. Er habe dann angefangen, über XXXX zu fragen. Dieser sei ein Freund und wohne in der Nachbarschaft in Tschetschenien. Der BF habe ihn jedoch seit 2008 nicht mehr gesehen. Er habe auch nach XXXX gefragt, jedoch habe der BF gesagt, dass er den Namen gehört habe, ihn jedoch nicht kenne. Er habe auch die Namen XXXX und XXXX genannt und gesagt, dass diese in der Opposition seien und in den Bergen wären. Er habe den BF vorgeworfen, ihnen den Weg gezeigt zu haben. Der BF habe gesagt, dass das nicht stimmen könne, da er zu dieser Zeit auf der Universität gewesen sei. Er habe dann den BF gefragt, was dieser nun vorhabe. Der BF wollte nach Hause gehen. Dann fragte er den BF, wieviel Geld er habe und habe dieser gesagt, dass seine bei der Einvernahme anwesende Mutter Geld habe. Er habe gesagt, dass er wisse, dass er (der BF) unschuldig wäre. Er habe ihm geraten, nicht nach Hause zu gehen, da er seine Mutter dabeihabe. Er habe dann mit seinen Geschwistern telefoniert, die ihm geraten hätten, nicht nach Hause zu gehen, da er Probleme mitbringen würde. Der BF habe dann in XXXX bei einem Bekannten 10 Monate bis 1 Jahr gelebt.
Der BF brachte folgende Unterlagen in Vorlage:
? Zertifikat Deutsch A2 vom 11.11.2016;
XXXX Empfehlungsschreiben XXXX
? Empfehlungsschreiben Judoteam XXXX vom 08.03.2014;
? Einstellungszusage XXXX ;
? Empfehlungsschreiben XXXX ;
XXXX Bestätigungsschreiben XXXX
? Empfehlungsschreiben XXXX vom 26.02.2014;
? Empfehlungsschreiben XXXX vom 22.01.2016;
? Empfehlungsschreiben XXXX ;
5.4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 06.02.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.), festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte aus, dass nicht festgestellt hätte werden können, dass der BF in der Russischen Föderation in eine bedrohliche Situation geraten würde. Das bisherige Vorbringen des BF sei in Rechtskraft erwachsen und habe er in den vorangegangenen Verfahren ausreichend Gelegenheit gehabt, über angebliche Ereignisse aus dem Jahr 2008 zu berichten. Zum nunmehrigen Vorbringen sei zu sagen, dass eine routinemäßige Befragung keinen asylrelevanten Sachverhalt iSd GFK darstelle. Da dem BF, wie bereits erörtert, keine Verfolgung drohe, er über Anknüpfungspunkte verfüge, er auch weder eine lebensbedrohliche Erkrankung noch einen auf seine Person bezogenen „außergewöhnlichen Umstand“ behauptet habe, sei davon auszugehen, dass ihm im Herkunftsstaat auch keine Gefahr drohe, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder Antragsteller im Fall seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, nicht gegeben sei. Der BF sei ein junger, arbeitsfähiger Mensch, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne.
Rechtlich führe das BFA aus, dass Maßnahmen des Staates, die nur der Ausforschung von gesuchten Personen dienen würden (Befragungen, Hausdurchsuchungen, kurzfristige Haft), ohne dass die Maßnahmen in Wahrheit auf die Verfolgung des Betroffenen aus asylrechtlich relevanten Gründen abzielen, keinen Asylgrund darstellen würden. Der BF habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Heimatland die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Es seien keine Umstände ersichtlich, dass er nach seiner Rückkehr kein existenzgesichertes Leben aufnehmen könne, sodass ihm kein subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Er sei lediglich traditionell verheiratet und sei diese Eheschließung weder in Russland noch in Österreich anerkannt. Der BF verfüge über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte in Österreich, sodass kein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK gegeben sei. Er sei erst seit November 2017 in Österreich und weise kein ausgeprägtes, schützenswertes Privatleben iS von Art. 8 EMRK auf, sodass eine Rückkehrentscheidung keinen gravierenden Eingriff in dieses Privatleben darstelle.
5.5. Mit Verfahrensanordnung vom 06.02.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
5.6. Mit Eingabe vom 21.02.2018 brachte der gewillkürte Vertreter des BF fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen unrichtiger Sachverhaltsfeststellung, mangelhafter Begründung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie Vorliegen von Verfahrensmängeln ein.
Begründend wurde ausgeführt, dass er zu seinen Fluchtgründen angegeben habe, dass er seine Heimat wegen willkürlicher Behandlung durch die russische Polizei verlassen habe. Er sei von der Polizei gleich nach der Ankunft in XXXX bezüglich seiner Bekannten gefragt worden und wäre ihm indirekt gesagt worden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien ermordet werde. Er fühle sich unsicher und habe sein Heimatland verlassen. Er sei tatsächlich nach seiner Befragung am Flughafen entlassen worden, jedoch sei ihm indirekt verboten worden, in seine Heimatregion Tschetschenien zurückzukehren. Die russischen Behörden würden sein Recht, sich im Heimatland frei zu bewegen, einschränken. Eine dauerhafte Niederlassung in XXXX sei ihm nicht zumutbar, da er dort bei einem Bekannten gelebt habe und nie eine eigene Wohnung besessen habe. Laut den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation könnten die Personen aus dem Nordkaukasus grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen, ihr Aufenthalt werde aber durch antikkaukasische Stimmungen erschwert. Aus allem folge, dass der BF bei einer Rückkehr nach Russland einer willkürlichen Behandlung durch russische Behörden ausgesetzt wäre. Hätte die Behörde weitere Ermittlungen getätigt, wäre sie zum Ergebnis gekommen, dass dem BF angesichts der gegebenen Lage zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Beantragt wurde, 1.) den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde, 2.) in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, 3.) in eventu die gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung aufzuheben, 4.) in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 56 ff. AsylG zu erteilen, 5.) in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die erste Instanz zurückzuverweisen, 6.) jedenfalls den Spruchpunkt betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zu beheben, 7.) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
5.7. Die Beschwerdevorlage wurde von der belangten Behörde am 22.02.2018, mit 26.02.2018 hg. einlangend, an das BVwG übermittelt.
5.8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.03.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
5.9. Mit Verfügung vom 25.05.2020 wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichts eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht für den 18.03.2020 anberaumt und dem Beschwerdeführer unter einem die Länderfeststellungen zur Russischen Föderation (Gesamtaktualisierung 30.09.2019, letzte Kurzinformation 03.12.2019) übermittelt.
Diese Verhandlung wurde sodann mit Verfügung vom 16.03.2020 abberaumt und mit Verfügung vom 27.04.2020 ein erneuter Verhandlungstermin für den 03.06.2020 festgesetzt.
5.10. Mit schriftlicher Eingabe vom 05.03.2020 brachte der BF durch seinen Rechtsberater vor, dass er in Österreich eine Lebensgefährtin habe, die nach dem NAG aufenthaltsberechtigt sei, Frau XXXX , geb. XXXX . Er wäre mit seiner Lebensgefährtin nach islamischer Tradition verheiratet und habe mit ihr einen gemeinsamen Sohn, XXXX , geb. XXXX . Er wohne mit seiner Lebensgefährtin nicht im gemeinsamen Haushalt, weil ihre Wohnung zu klein wäre für die ganze Familie, da seine Lebensgefährtin noch weitere Kinder habe. Er halte sich jedoch täglich bei seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn und bestehe ein aufrechtes Familienleben.
Vorgelegt wurde unter einem die Geburtsurkunde, sowie der Meldezettel des Sohnes des BF.
5.11. Mit Parteiengehör vom 27.05.2020 wurde der Beschwerdeseite eine Beweismittelliste mit u.a. aktuellem Länderinformationsblatt zur Lage in der Russischen Föderation mit der Aufforderung übermittelt, dazu in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Stellung zu nehmen.
5.12. Am 03.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines Dolmetschers für die Russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurde und an welcher dieser auch teilnahm.
Die Beschwerdeverhandlung gestaltete sich auszugsweise wie folgt:
„[…]
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Russischen Föderation (RF) an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise im Jahr 2009 aufgehalten haben.
BF: Ich heiße XXXX . Geboren bin ich am XXXX in der Republik Tschetschenien, im Dorf XXXX . Gelebt habe ich zuletzt, also 2009, in XXXX , XXXX , in der Straße XXXX . Das war die letzte Meldeadresse vor 2009.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Ich bin Tschetschene.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF: Ich bin sunnitischer Moslem.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Russischen Föderation, welche Ihre Identität beweisen? Wenn ja, welche?
BF: Jetzt nicht, aber früher habe ich sie abgegeben. Es war ein Reisepass.
RI: War das ein Inlands- oder ein Auslandsreisepass?
BF: Ich glaube beide, aber ich bin mir nicht mehr sicher.
RI: Seit wann verfügen Sie über keinen russischen Pass mehr?
BF: Ich habe ihn irgendwann verloren. Ich kann mich nicht genau erinnern.
RI: Wenn Sie kein Reisedokument haben, wie sind Sie dann im November 2017 nach Österreich eingereist?
BF: Illegal.
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt?
BF: Ich habe die Mittelschule XXXX in meinem Heimatdorf elf Jahre lang besucht und abgeschlossen. Von 2003 bis 2008 habe ich an das staatliche Institut der Republik Tschetschenien für Pädagogik besucht und abgeschlossen als Lehrer.
RI: In welchem Fach?
BF: Ich konnte jedes Fach unterrichten.
RI: Welchen Schwerpunkt hatte Ihre Lehrerausbildung?
BF: Die Fakultät war Technologie und Wirtschaft. Mein Ausbildungsfach war Technologie- und Wirtschaftsspezialist.
RI: Ist das eine akademische Ausbildung gewesen?
BF: Ja.
RI: Hat das mit einem Bakkalaureat oder einem Master geendet?
BF: Da es eine akademische Ausbildung ist, kann ich in jedem Bereich arbeiten.
RI: Haben Sie ein Abschlusszeugnis? Da muss es ja draufstehen.
BF: Hier nicht. Drauf steht, dass ich ein staatliches Institut für Pädagogik abgeschlossen habe und die Noten. Das schreibt man dort.
RI: Haben Sie mit Ihrer Ausbildung auch etwas gearbeitet und wenn ja, was?
BF: Gleich nach dem Abschluss 2008 haben meine Probleme begonnen und ich musste bald darauf das Land verlassen. Ich habe es nicht mehr geschafft, dort zu arbeiten. Seitdem bin ich in Europa.
RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort in der Russischen Föderation auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?
BF: In Europa bin ich schon lange.
RI: In welchen Staaten zum Beispiel in Europa?
BF: In Polen und in Österreich. Das sind zwei Hauptländer. Aber noch länger in Österreich.
RI: Von wann bis wann haben Sie sich in Polen aufgehalten?
BF: 2008, 2009 und 2010 und dann bin ich nach Österreich gekommen. Dann wurde ich nach Polen zurück abgeschoben und dann bin ich wieder hierhergekommen.
RI: Dazwischen haben Sie auch noch in der Russischen Föderation gelebt, richtig?
BF: Als ich das letzte Mal nach Russland abgeschoben wurde, habe ich in der Stadt XXXX gelebt. Ich bin nicht nach Hause zurückgekehrt, als ich abgeschoben wurde, weil ich Angst hatte. Dort habe ich mich für drei Monate angemeldet. Aber gewohnt habe ich woanders.
RI: Wo haben Sie gewohnt?
BF: Auch in diesem Gebiet XXXX , aber nicht im gleichen Ort. Nicht dort, wo ich angemeldet war, aber in dem XXXX
RI: Von wann bis wann haben Sie dort gewohnt?
BF: Zwei, drei Monate ungefähr.
RI: Wie viel Zeit haben Sie insgesamt in der Russischen Föderation verbracht, nachdem Sie am 31.01.2017 dorthin abgeschoben worden sind?
BF: Ungefähr ein Jahr. So genau kann ich es nicht sagen.
RI: Wenn Sie von dem einen Jahr, welches Sie in der Russischen Föderation, im XXXX , zwei bis drei Monate gewohnt haben, wo haben Sie das restliche Jahr gelebt?
BF: In XXXX .
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der RF und in welcher Stadt?
BF: Von meiner Familie lebt niemand dort.
RI: Was ist mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern?
BF: Die sind nicht in der Russischen Föderation, sie sind in Tschetschenien. Für mich ist die tschetschenische Republik nicht die Russische Föderation.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zurzeit in der Russischen Föderation?
BF: Meine Mutter, ein Bruder und drei Schwestern. Sie leben in der Republik Tschetschenien. Meine Mutter und mein Bruder leben im Heimatdorf und die Schwestern sind verheiratet in den Nebenorten.
RI: Das Heimatdorf ist dort, wo Sie angegeben haben, geboren zu sein?
BF: Ja.
RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Eltern und Geschwistern? Und wenn ja, mit wem und wie oft und wie kommunizieren Sie?
BF: Nur mit der Mutter.
RI: Warum nicht mit den Geschwistern?
BF: Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie Angst. Mit der Mutter telefoniere ich manchmal.
RI: Wie oft?
BF: Ein- zweimal im Monat.
RI: Seit wann haben Sie zu Ihren Geschwistern keinen Kontakt mehr?
BF: Schon lange nicht mehr.
RI: Ungefähr.
BF: Seitdem ich hier bin, nicht mehr.
RI: Sie sind ja zweimal hergekommen. Welches Mal meinen Sie?
BF: Als ich das erste Mal die Heimat verlassen habe. Vielleicht habe ich seither ein- oder zweimal seitdem mit dem Bruder gesprochen. Sonst habe ich keinen Kontakt.
RI: Haben Sie noch Verwandte, die außerhalb der Russischen Föderation leben und haben Sie Kontakt zu diesen? Wenn ja, mit wem, wie oft und wie kommunizieren Sie?
BF: Nein.
RI: Wann haben Sie Ihre Frau geheiratet?
BF: Als ich das letzte Mal hierherkam, haben wir geheiratet. Aber ich kannte sie noch fünf Jahre vorher, bevor wir geheiratet.
RI: Ungefähr das Jahr. Wann haben Sie geheiratet?
BF: Ich glaube, XXXX . Ich weiß es nicht mehr genau. Vielleicht XXXX .
RI: Sind Sie mit Ihrer Frau standesamtlich oder traditionell verheiratet?
BF: Nur traditionell.
RI: Haben Sie Verwandte, die in Österreich leben?
BF: Nein.
RI: Haben Sie Kinder?
BF: Ja.
RI: Wo leben diese?
BF: In XXXX .
RI: Wie viele Kinder haben Sie?
BF: Einen Sohn und mit dem zweiten Kind ist meine Frau schwanger.
RI: Wie alt ist der Sohn?
BF: Ein Jahr. Am XXXX wird er ein Jahr alt werden.
RI: Von wann bis wann haben Sie sich in Deutschland aufgehalten und warum sind Sie nach Deutschland gereist?
BF: Ich glaube, 2019. Genau weiß ich es nicht mehr. Ich habe damals in XXXX gewohnt. Ich saß im Zug und ich bin im Zug eingeschlafen und als ich aufwachte, war ich schon in Deutschland.
RI: Wie lange waren Sie in Deutschland?
BF: Zwei oder drei Monate, so genau weiß ich es nicht. Ich hatte kein Geld zurückzukehren.
RI: Haben Sie in Deutschland einen Asylantrag gestellt?
BF: Ja, was sollte ich sonst machen?
RI: Von wann bis wann haben Sie in Ungarn gelebt und warum sind Sie nach Ungarn gereist?
BF: Ich habe dort nicht gewohnt. Ich wollte einfach hierherkommen nach Österreich und sie haben mich festgenommen und abgeschoben.
RI: Wann war das?
BF: 2017 oder 2018 war das.
RI: Gegen Sie gibt es seit XXXX ein Einreise- und Aufenthaltsverbot aus Ungarn? Wieso?
BF: Ich sage doch, ich wollte hierherkommen und ich wurde an der Grenze festgenommen. Ich wollte ja illegal die Grenze überqueren.
RI: Sie wurden am 31.01.2017 in die Russische Föderation abgeschoben. Wie lange haben Sie dort gelebt und wo genau waren Sie untergebracht und wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt dort bestritten? Sie haben gesagt, Sie waren teilweise in XXXX und teilweise in XXXX .
BF: In XXXX habe ich die Wohnung gemietet, für 10.000 Rubel im Monat. Das ist ungefähr 150 EUR im Monat. In XXXX habe ich nächteweise die Wohnung gemietet. Das ist ungefähr 1.000 Rubel pro Nacht. Meine Mutter hat mich unterstützt.
RI: Vorhaltung: Sie haben im Rahmen Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 06.02.2018 auf Seite 3 des Protokolls, befragt, wo Sie nach Ihrer letzten Rückreise die Zeit verbracht haben – gemeint ist Rückreise in den Herkunftsstaat – angegeben: „In XXXX bei einem Bekannten. Wir haben zusammen in Polen gelebt damals. Ich kenne ihn von dort.“ Sie haben vor dem BFA nichts von einem Aufenthalt in XXXX erzählt und auch nichts davon, dass Sie in XXXX eine Wohnung gemietet haben, sondern bei einem Freund gelebt hätten. Wie erklären Sie sich die Widersprüche zu Ihren heutigen Aussagen?
BF: Das ist richtig. Ich habe damals auch bei einem Freund gewohnt, aber nicht die ganze Zeit. Ich habe dann auch eine Wohnung gemietet. Beides stimmt. Warum ich über XXXX nichts erzählt habe, ist, weil der Referent mich damals immer wieder unterbrochen hat und nicht bis zum Ende erzählen ließ. Er wollte nicht weiter hören. Als ich unterschrieben habe, habe ich unten sogar auf Russisch geschrieben, dass ich nicht einverstanden war. Er hat mich nicht ausreden lassen. Er wollte mich auch nicht über mein Problem befragen, sondern es hat ihn eine Anzeige vom LKA XXXX mehr interessiert als mein Fluchtgrund oder etwas Anderes.
RI: Vorhaltung: Ich habe hier die Niederschrift Ihrer Einvernahme vor dem BFA vom 06.02.2018. Ich sehe hier nur Ihre Unterschrift, mit der Sie bestätigen, dass Ihnen die Niederschrift rückübersetzt worden ist und dass Sie auch die Möglichkeit hatten, noch etwas richtigzustellen oder hinzuzufügen. Ich sehe hier keine Anmerkung Ihrerseits, dass Sie mit dem Protokoll nicht einverstanden wären.
BF: Ich habe auf jeder Seite unten geschrieben: „Ich bin nicht einverstanden.“ Am nächsten Tag hatte ich schon einen negativen Bescheid in meiner Post nach der Verhandlung.
Die D wird nach vorn gebeten und sieht sich das Protokoll an, auf jeder Seite auf Russisch offenbar an Stelle der Unterschrift des BF geschrieben steht: „Nicht einverstanden.“
RI: Haben Sie das nur hingeschrieben oder auch gesagt, dass Sie nicht einverstanden sind?
BF: Das habe ich auch gesagt, aber er wollte mich gar nicht hören.
RI: Ich gehe davon, wenn Sie etwas auf Russisch schreiben, dann werden die anderen anwesenden Personen außer dem Dolmetscher nicht Ihre Bemerkung auf Russisch verstanden haben, sondern für eine Unterschrift gehalten haben. Haben Sie auch explizit gesagt und dem Protokoll anfügen lassen, dass Sie nicht einverstanden sind mit dem Protokoll oder haben Sie Ihre Bemerkung lediglich auf Russisch hingeschrieben?
BF: Ich habe ihm das gesagt und er hat mir gesagt: „Genug reden, geh weiter.“ und wollte mir nicht zuhören. Er war so aggressiv.
RI: Wer war aggressiv, der Befragungsleiter oder der Dolmetscher?
BF: Der Referent. Sein ganzer Ausdruck, sein Ton, alles war unfreundlich.
RI an RV: Haben Sie gewusst, dass der BF nicht unterschrieben, sondern nur Anmerkungen auf dem Protokoll hinterlassen hat?
RV: Konkret wussten wir nicht, dass der BF auf dem Protokoll diese Anmerkungen in Russisch hinterlassen hat, aber nachdem er den negativen Bescheid bekommen hat, hat er in Leoben während der Rechtsberatung ausführlich erzählt, dass er während des BFA-Interviews wiederholt unterbrochen worden ist und nicht das aussagen konnte, was er aussagen wollte.
Die Verhandlung wird um 09:17 Uhr unterbrochen und um 09:23 Uhr fortgesetzt.
RI: Sind Sie seit Ihrer Rückkehr in das österreichische Bundesgebiet am 01.11.2017 wieder einmal in der Russischen Föderation gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?
BF: Nein.
RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.
BF: Für die unabhängige Republik Tschetschenien haben zwei Brüder gekämpft. Die hatten einen höheren Militärrang. Sie waren vielleicht Oberst – ich weiß nicht genau, welchen Rang sie hatten. Der Familienname von ihnen war XXXX . Ich wurde beschuldigt, dass ich diese Brüder mit Essen, Kleidung und Geld unterstützt hätte. Ich hatte einen Nachbarn, der mein Kindheitsfreund war. Er hieß XXXX . Ich habe diesem Freund von mir den Weg gezeigt, wie er zu diesen XXXX s kommen konnte. Ich habe ihn zu denen hingeführt.
RI: Wann war das?
BF: 2008. Und aus diesem Grund wurde ich verfolgt und musste meine Heimat verlassen. Das war der Fluchtgrund.
RI: Sie haben vor dem BFA auch noch etwas Anderes erzählt. Das ging ja noch weiter?
BF: Das war schon nach meiner Ausreise nach Europa. Wie ich erfahren habe, auch andere Mitbewohner des Dorfes wurden mitgenommen und befragt und einige Burschen haben sie wahrscheinlich gezwungen, zu bestätigen, dass ich sie zu diesen XXXX gebracht hätte. Das heißt, die anderen Jungen aus dem Dorf wurden wahrscheinlich gezwungen, auszusagen, dass ich sie zu diesen Kämpfern gebracht hätte. Aber das war schon, als ich in Europa war.
RI: Wie ging es weiter?
BF: Als Österreich mich abgeschoben hat, als sie sagten, dass sie mir nicht glaubten und sie sagten, ich bin dort nicht in Gefahr, haben sie mich nach XXXX abgeschoben. Das war 2017. Dort hat mich die Polizei gleich am Moskauer Flughafen aufgehalten, in ein Zimmer gebracht und befragt, wo ich war, wo ich mich aufgehalten habe. Ich habe gesagt, ich war in Österreich. Sie haben gefragt: „Was hast du dort gemacht?“. Ich habe gesagt, ich habe dort gelebt, dort gelernt und studiert.
RI: Was haben Sie in Österreich studiert?
BF: Ich habe hier damals Deutsch gelernt.
RI: Bitte fahren Sie fort.
BF: Sie fragten mich damals, ob ich Europa in dieser Zeit verlassen hätte, ob ich in der Türkei oder in Syrien war. Ich sagte nein. Ich habe Europa nicht verlassen. Ich wurde ziemlich lange dort festgehalten. Dann hat man gesagt: „Du musst noch warten. Es wird mit dir noch jemand anderer reden.“ Dann kamen zwei andere Männer. Sie waren nicht mehr uniformiert. Einer hatte ein Notebook, der hatte eine Glatze. Der andere war ungefähr 35 oder 38 Jahre alt. Sie haben sich vorgestellt, dass sie vom FSB sind. Sie haben mich dort befragt, ob ich diese Brüder XXXX kenne. Er hat mich gefragt: „Weiß du, wer die sind?“ Ich habe gesagt: „Ja, ungefähr weiß ich es.“ Ich habe gesagt, dass ich sie von den Nachrichten kenne, diese Brüder, weil sie bekannt sind und oft in den Nachrichten erwähnt werden und dass ich sie nie persönlich kennengelernt hätte. Dann haben sie gefragt, ob ich diesen Kindheitsfreund XXXX kenne. Ich habe gesagt: „Ja, wir sind in die gleiche Schule gegangen. Er war mein Freund und Nachbar.“ Dann haben sie gefragt, was ich über ihn erzählen kann. Ich habe gesagt, er war ein guter Junge und nett und hat gute Noten gehabt. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Dann fragten sie, ob ich weiß, wo er ist und wo er sich aufhält. Ich sagte nein. Dann hat er gefragt ob ich drei XXXX kenne. Ich habe geantwortet, dass es in meinem Dorf viele XXXX gibt. Zwei davon kannte ich nicht und nur einer war in meiner Klasse. Er ist mit mir in eine Klasse gegangen. Dann haben sie gesagt, dass diese drei XXXX gegen mich ausgesagt hätten, dass ich die Brüder XXXX unterstützt hätte und dass ich meinen Nachbarn und Kindheitsfreund zu ihm geführt hätte.
RI: Wie hießen die XXXX mit Vornamen?
BF: Einer hieß Osman, der zweite Adam – der war mit mir in der Schule – und den dritten Vornamen habe ich vergessen.
RI: Bitte fahren Sie fort.
BF: Darauf sagte ich, sie sollten mir diese XXXX gegenüberstellen und sie sollten mir das selbst sagen und ich würde beweisen, dass sie lügen oder ich wollte meine Unschuld beweisen. Ich habe gesagt: „Entweder machen Sie eine Gegenüberstellung mit diesen XXXX oder geben Sie mir diese Anschuldigungen schriftlich und ich werde gerichtlich dagegen vorgehen.“ Er hat beide Varianten abgelehnt. Ich habe gesehen, sie wollten mich einfach nicht mehr gehenlassen. Bei mir war meine Mutter. Ich hatte sie in dem Moment fast elf Jahre nicht gesehen. Sie war vorher hier bei mir in Österreich, kurz bevor ich abgeschoben wurde. Ich habe gewusst, mit welchem Flugzeug ich abgeschoben werde und sie hat ein Flugticket für diesen Flug gekauft. Wir sind gemeinsam geflogen. Meine Mutter hat natürlich nicht in dem Zimmer, sondern draußen auf mich gewartet, als ich einvernommen wurde. Man hat zu ihr gesagt: „Sie können gehen, er wird hierbleiben.“ Sie wollte aber nicht gehen, sondern nur mit ihrem Sohn. Ich habe ihnen dann gesagt: „2008, in diesem Zeitraum, von dem Sie reden, habe ich physisch einfach keine Möglichkeit gehabt, diesem Kämpfer zu helfen, weil ich jeden Tag Vorlesungen in der Stadt besucht habe. Sie können die Anwesenheit von mir damals überprüfen.“ Der FSB-Beamte sagte: „Ich weiß, dass Sie unschuldig sind, aber diese Leute haben gegen Sie ausgesagt.“ Er fragte mich, wenn er mich freilässt, wohin ich gehe. Ich sagte, nach Hause. Er hat gelächelt und hat gesagt: „Ich würde dir empfehlen, nicht nach Tschetschenien zu fahren.“ Und ich wurde freigelassen. So bin ich nach XXXX gefahren, dann wieder nach XXXX und dann wieder hierher.
RI: Wie alt war der mit der Glatze ungefähr?
BF: 40+.
RI: Woher kannten Sie die XXXX Brüder wirklich? Kannten Sie sie nur vom Fernsehen oder haben Sie sie tatsächlich persönlich kennengelernt?
BF: Nein, ich kannte sie nur von den Nachrichten, nicht persönlich. Persönlich hatte ich mit ihnen nichts zu tun. Ich kannte sie nicht.
RI: Wurden Sie direkt vom Flugzeug zur Befragung gebracht oder nachdem Sie bereits die Transitzone verlassen haben?
BF: Ich weiß nicht, ob in der Transitzone oder nicht, ich war das erste Mal am Flughafen. Ich habe ja meine Unterlagen nicht selber während des Fluges gehabt. Diese wurden von den österreichischen Beamten dem Vertreter übergeben, der mich im Flugzeug begleitet hat. Ich wurde direkt aus dem Flugzeug abgeholt.
RI: Wie lange hat Ihre Befragung am Flughafen insgesamt gedauert?
BF: Es war schon Abend, als ich freigelassen wurde. Wir sind am Vormittag angekommen und am Abend wurden wir freigelassen. So genau kann ich es nicht sagen. Ca. von Vormittag, elf Uhr, bis am Abend. Es war schon dunkel.
RI: VORHALTUNG: Im Rahmen Ihrer Ersteinvernahme am 02.11.2017 haben Sie von zwei XXXX -Brüdern erzählt, welche gegenüber den Behörden bestätigt haben sollen, dass Sie XXXX den Weg ins Gebirge gezeigt hätten und mit Geld und Essen geholfen hätten. Heute berichteten Sie von drei XXXX -Brüdern. Bei Ersteinvernahme sprachen Sie von einer Person XXXX , dessen Vornamen Sie nicht kennen würden, heute sprachen Sie von XXXX -Brüdern. Wie erklären Sie sich diese Widersprüche bei den Angaben bei der Ersteinvernahme und Ihren heutigen Angaben?
BF: Diese XXXX s sind sicher zwei Brüder, das kann man sicher im Internet nachschauen. Vielleicht habe ich das damals nicht klar genug gesagt oder ich wurde nicht verstanden. Irgendwelche Missverständnisse hat es gegeben. Vielleicht haben sie mich falsch verstanden. Ich habe auch XXXX nicht geholfen, so wie es da steht.
RI: Wissen Sie irgendetwas über den Verbleib der genannten Personen? Ich spreche von den XXXX -Brüdern, von den XXXX Brüdern und von XXXX .
BF: Über die XXXX weiß ich nichts. Ich glaube, 2010 wurden die XXXX s umgebracht und ich habe gehört, dass XXXX auch gestorben ist. Mehr weiß ich nicht.
RI: Haben die FSB-Beamten Ihnen schlussendlich geglaubt, dass Sie nichts mit der Opposition zu tun hatten?
BF: Das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie mir geglaubt, vielleicht nicht oder vielleicht wollten sie sehen, wohin ich gehe, mit wem ich zu tun habe, wen ich treffe oder so. Ich glaube es so. Aus diesem Grund haben sie mich wahrscheinlich freigelassen.
RI: Wie sind Sie mit den FSB-Beamten nach der Befragung weiter verblieben?
BF: Wie ich schon sagte, habe ich gesagt, sie können meine Anwesenheit überprüfen. Sonst wie ich erzählt habe.
RI: Wurden weitere Interviews angekündigt, wurden Sie verpflichtet, sich irgendwo zu melden und sich irgendwo einzufinden?
BF: Nein, gar nicht.
RI: Es hat auch zu einem späteren Zeitpunkt keine weiteren Befragungen durch den FSB gegeben?
BF: Nein, keine.
RI: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie sich nach Ihrer Abschiebung in die Russische Föderation ca. ein Jahr in der Russischen Föderation aufgehalten haben. Wurden Sie in dieser Zeit bedroht oder verfolgt von staatlicher oder privater Seite?
BF: Ich habe mich sehr bemüht, so viel wie möglich versteckt zu leben. Deshalb habe ich mich bei einer Adresse angemeldet und bei einer anderen Adresse habe ich gewohnt. Das war in XXXX . Ich habe versucht, so viel wie möglich bedeckt irgendwo unterzukommen.
RI: Wurden Sie in dieser Zeit bedroht oder verfolgt von staatlicher oder privater Seite?
BF: Nein.
RI: Warum sind Sie eigentlich Anfang November 2017 wieder nach Österreich zurückgekehrt? Gab es einen konkreten Anlassfall in Ihrem Herkunftsstaat für eine neuerliche Reise nach Österreich?
BF: Der Grund dafür war, dass ich nicht in meine Heimat, nach Tschetschenien, fahren kann. Ich kann mich nicht dort aufhalten, weil meine Heimat von den russischen Föderalen okkupiert ist. Ich habe Angst, dorthin zurückzukehren, weil ich dort in Gefahr bin. Außerhalb von Tschetschenien kann ich auch gar nichts machen, weil ich keine Arbeit bekommen kann und keine Unterkunft und mich nirgendwo anmelden kann, also gar nichts machen kann. Da ich schon einmal unter ihre Lupe gekommen bin, brauchen sie nur einen kleinen Anlass, zum Beispiel, wenn ich jemanden treffe, und sie könnten mich im besten Fall einsperren und im schlimmsten Fall umbringen.
RI: Hatten Sie in dieser Zeit, in dem Jahr, das Sie in der Russischen Föderation verbracht haben, Kontakt zu Ihrer Familie?
BF: Nur mit der Mutter und auch nur selten.
RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?
BF: Jetzt habe ich hier auch noch die Familie.
RI: Ich spreche von den Asylgründen.
BF: Nein, ich habe keine anderen Fluchtgründe.
RI: Hatten Sie in der Russischen Föderation - abseits der soeben geschilderten Fluchtgründe -jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst noch Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?
BF: Nein.
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation?
BF: Mein Leben wäre in Gefahr.
RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis, dass Sie bei Rückkehr nach Tschetschenien einer Verfolgung ausgesetzt wären?
BF: Dokumente, meinen Sie?
RI: Dokumente, zum Beispiel Ladungen, Haftbefehle, etc.
BF: Nein, wer würde mir so ein Dokument geben? Sie brauchen in Tschetschenien nicht irgendwelche Beweise. Es verschwinden viele Leute auch so. Viele, so wie ich, wurden umgebracht.
RI: Waren Sie in der Zeit, als Sie noch in der Russischen Föderation gelebt haben, politisch aktiv?
BF: Nein.
RI: Waren Sie seit Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation politisch aktiv?
BF: Nein.
RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einem Klub in Österreich?
BF: Ja, ich bin im Judoclub und ich bin ein Mitglied der Judomannschaft.
RI: Wo leben Sie zur Zeit in Österreich?
BF: In XXXX .
RI: Leben Sie mit Ihrer Lebensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt oder verfügen Sie über eine eigene Wohnadresse?
BF: Ich bin gemeldet in einer Pension. Das ist XXXX . Ich habe dort sozusagen Anwesenheitspflicht. Aber meine Lebensgefährtin wohnt in der XXXX . Das ist nicht weit voneinander. Ich verbringe viel Zeit dort.
RI: Aber Sie haben keinen gemeinsamen Haushalt?
BF: Nein, warum nicht? Schon. Alles mache ich zu Hause.
RI: Haben Sie einen gemeinsamen Haushalt mit Ihrer Lebensgefährtin?
BF: Ich bin dort nicht gemeldet, aber wir sind sonst immer zusammen.
RI: Als Sie drei oder vier Monate in Deutschland verbracht haben, war Ihre Lebensgefährtin da mit Ihnen dort?
BF: Nein.
RI: Wo war Ihre Lebensgefährtin in der Zeit?
BF: Bei ihr zu Hause. In XXXX habe ich damals gewohnt. Damals haben meine Lebensgefährtin und ich ziemlich weit entfernt voneinander gewohnt.
RI: Wie oft sehen Sie Ihre Lebensgefährtin?
BF: Jeden Tag.
RI: Bei Ihnen sind zwei Betretungsverbote aus dem Jahr 2020 und 2018, sowie eine Anzeige wegen Körperverletzung aus dem Jahr 2016 aktenkundig? Beschreiben Sie die diesen Vorfällen zugrundeliegenden Geschehnisse?
BF: Ja, es ist richtig. Aber es gibt in jeder Familie Konflikte. Sie ist sehr eifersüchtig und deshalb haben wir öfters Konflikte. Aber es ist nichts Ernstes. Wenn sie böse auf mich ist, kann sie alles Mögliche sagen. Aber das hat nicht wirklich große Bedeutung. Das ist normal.
RI: Würden Sie sagen, dass es tieferliegende Probleme in Ihrer Partnerschaft gibt?
BF: Nein.
RI: Beschreiben Sie bitte den Vorfall, welcher zum vorläufigen Waffenverbot in 2016 geführt hat?
BF: Das war eine Gaspistole. Ich habe die Pistole in XXXX gekauft. Ich hatte auch die Rechnung und alles. Als ich sie kaufte, habe ich den Verkäufer gefragt, ob das erlaubt oder verboten in Österreich ist. Er hat gesagt: „Nein, das ist legal.“ Ich habe sie gekauft. Ich habe mit dieser Pistole einfach mit leeren Patronen geschossen.
RI: Wo war das?
BF: In XXXX , bei mir in der Pension, dort wo ich gewohnt habe. Ein Iraner, der auch dort wohnt, hat gesagt, das wäre eine echte Pistole. Er hat mich angezeigt, dass ich eine echte Pistole besitze und da sind die Polizisten gekommen. Sie haben gesehen, dass es eine Gaspistole war, aber sie haben sie trotzdem mitgenommen. Das war es dann. Ich habe auch damals nicht auf jemanden gezielt. Ich habe einfach geübt.
RI: Haben Sie im Freien oder in Ihrem Raum geschossen?
BF: Ich habe das Fenster aufgemacht und aus dem Fenster in die Luft geschossen.
RI: Haben Sie österreichische Freunde?
BF: Ja, ich habe Bekannte von meiner Judomannschaft.
RI: Haben Sie in Österreich Sprachkurse besucht?
BF: Ja, A2 habe ich.
RI: Besucht oder auch abgeschlossen? Haben Sie ein Zertifikat?
BF legt vor: Einen Judopass des österreichischen Judoverbandes sowie ein Sprachzertifikat „Deutsch A2“ vom 22.10.2016.
RI (ohne Übersetzung): Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?
BF (ohne Übersetzung): Zukunft … Nochmal bitte.
RI (ohne Übersetzung): Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?
BF (ohne Übersetzung): Keine Antwort.
RI (ohne Übersetzung): Was machen Sie in Ihrer freien Zeit? Was sind Ihre Hobbies?
BF (ohne Übersetzung): Hobby, meine Hobbys. Wenn ich hab zum Beispiel freie Zeit, trainieren, kochen und lernen Deutsch, spazieren
RI (ohne Übersetzung): Was haben Sie letztes Wochenende gemacht?
BF (ohne Übersetzung): Ich immer zu Hause, momentan macht nichts, ist Qarantän, jetzt sitzen zu Hause.
RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor? Haben Sie vor in Österreich zu arbeiten?
BF: Ich war beim AMS in XXXX und auch in XXXX und auch bei der Gemeinde wegen der Jobsuche, wegen der Arbeit. Beim AMS haben sie gesagt, ich habe keine Arbeitsbewilligung, also mit meinen Dokumenten darf ich nicht arbeiten. Sie haben gemeint, wenn ich selbst eine Arbeit finde, wo der Chef selbst zu ihnen kommt, haben sie mir gesagt, dann vielleicht kann ich dort arbeiten. Vielleicht darf ich dann bei ihm arbeiten. Sonst darf ich noch nicht arbeiten.
RI: Was wäre Ihr Berufswunsch?
BF: In XXXX ist eine Firma, XXXX und das, was sie dort produzieren, dort könnte ich arbeiten. Ich kann schweißen, ich kann auch Möbel zusammenbauen und auf Baustellen könnte ich arbeiten. Solche Sachen.
RI: Haben Sie sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen Sie mitbringen müssen um dort arbeiten zu können?
BF: Ja, nur Dokumente brauche ich. Bei dieser Firma in XXXX könnte ich arbeiten. Ich bräuchte nur Dokumente. In XXXX , neben dem Ort, ist so eine Stelle, wo ich drei Monate ausgebildet werden könnte.
RI: Ausgebildet wofür?
BF: Ich kann elektroschweißen, aber für diesen Job würde ich dann noch genauer ausgebildet werden als Schweißer.
RI: Was wäre Ihre genaue Tätigkeit bei XXXX ? Schweißer?
BF: Ja, ich müsste drei Monate die Ausbildung dort machen und dann könnte ich dort arbeiten.
RI: Sind Sie in Österreich bisher irgendeiner Beschäftigung nachgegangen?
BF: Ich habe auf einer Pferdefarm gearbeitet.
RI War das eine angemeldete Tätigkeit?
BF: Saisonarbeit.
RI: Waren Sie in Österreich bislang ehrenamtlich tätig?
BF: Nein, ich wollte. Ich war auch beim Roten Kreuz, aber wegen der mangelnden Sprachkenntnisse haben sie mich nicht genommen. In XXXX war ich dann auch beim Roten Kreuz, aber sie haben gesagt, sie haben keinen Bedarf.
RI: Sind Sie in Österreich straffällig geworden?
BF: Nein.
RI: Sind Sie in Ihrem Herkunftsstaat jemals straffällig geworden?
BF: Nein.
RI: Haben Sie in Österreich, außer dem bereits erwähnten Sprachkurs, sonst eine Fort-, Aus- oder Weiterbildung betrieben? Wenn ja, welcher Art?
BF: Nein. Ich wollte fortsetzen, B1 und B2. Aber ich hatte kein Geld dafür.
RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?
BF: Ja.
RI: Nehmen Sie Medikamente?
BF: Nein.
RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?
BF: Nein.
RI: Sind Sie arbeitsfähig?
BF: Ja.
RI an RV: Haben Sie Fragen an den BF?
RV: Sie erwähnten in der Einvernahme beim BFA (Seite 4), dass Ihre Lebensgefährtin krank ist und dass die Ärzte nicht genau wissen, was sie hat. Wissen Sie mittlerweile, was es war und ist sie jetzt gesund?
BF: Ich glaube, sie hat Epilepsie oder so etwas. Früher hatte sie öfter Anfälle, aber in letzter Zeit nicht mehr.
RI: Ist es diagnostiziert, dass sie Epilepsie hat?
BF: Ich weiß nicht, ob es eine Diagnose gibt oder nicht, aber solche Merkmale hat sie. Sie hatte einen verkrampften Kiefer und ich musste ihre Zunge herausz