TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/24 W248 2182598-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2020
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Entscheidungsdatum

24.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W248 2182598-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. NEUBAUER über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland vom 06.12.2017, Zl. 1100937504 - 160019453 / BMI-BFA_BGLD_RD, in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 24.09.2019 und 27.07.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1        Verfahrensgang:

1. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , (im Folgenden: Beschwerdeführer), ist afghanischer Staatsbürger und stellte am 04.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Bezirkspolizeikommando Neusiedl am See am 05.01.2016 gab der Beschwerdeführer an, aus der afghanischen Provinz Laghman zu stammen. Seine Muttersprache sei Pashto, er spreche auch Dari und Arabisch. Er gab weiters an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren zu sein, afghanischer Staatsbürger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem zu sein. Er sei verheiratet und habe zwölf Jahre eine Schule mit Abschluss, ähnlich der Matura, in Dubai besucht. Zuletzt habe der Beschwerdeführer in der Stadt Kabul gewohnt. Die Eltern, die Stiefmutter, die zwei Schwestern, die Stiefschwester und die drei Stiefbrüder würden sich noch in Afghanistan befinden. Ein Cousin mütterlicherseits befinde sich in Österreich. Eine Tante des Beschwerdeführers lebe als anerkannte Asylberechtigte in London. Sein Vater habe die Reise nach Europa organisiert und die Kosten in Höhe von etwa $ 5.000,- bezahlt.

Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass sein Vater bei der afghanischen Regierung gearbeitet habe, alle Handelswege seien über diesen gelaufen. Der Beschwerdeführer selbst habe sich im Großhandel selbständig gemacht. Sein Vater habe durch seine Tätigkeit von einem Drogenimport erfahren und die Behörden alarmiert. Daraufhin sei der Beschwerdeführer drei Mal von fremden Männern entführt worden. Die ersten beiden Male habe sein Vater Lösegeld für ihn bezahlt. Beim dritten Entführungsversuch habe der Beschwerdeführer seinen Vater angerufen, und dieser habe ihm gesagt, dass er sofort nach Hause kommen solle. Sein Vater habe anschließend die Ausreise des Beschwerdeführers organisiert.

3. Bei seiner ersten Einvernahme vor der belangten Behörde am 14.04.2016 wurde der Beschwerdeführer insbesondere zu seiner Reiseroute sowie zu einer allfälligen Rückkehr nach Kroatien einvernommen, und es wurde ihm das Länderinformationsblatt zu Kroatien ausgehändigt. Befragt zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, psychisch krank zu sein. Er nehme die folgenden Medikamente ein: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX .

4. In einer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 18.08.2016 äußerte die Ärztin XXXX den Beschwerdeführer betreffend den Verdacht auf dissoziative Anfälle im Rahmen von dysfunktionalen Strategien bei Belastungen mit Selbstverletzungen (F 44) sowie eine Panikstörung (F41.0). Aus aktueller Sicht liege keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vor. Eine klassische Epilepsie liege ebenfalls nicht vor, und es sei auch keine suizidale Einengung fassbar. Im Punkt 3. der gutachterlichen Stellungnahme wurden die (wohl von diesem angegebenen) biographischen Angaben des Beschwerdeführers angeführt. Die Ehefrau und die Tochter des Beschwerdeführers würden sich noch in Afghanistan befinden. Er verfüge über eine zwölfjährige Schulbildung und habe anschließend in einem Textilgeschäft gearbeitet. Eines Tages sei der Beschwerdeführer von unbekannten Personen entführt worden. Die genauen Umstände könne er nicht angeben. Er sei an einem dunklen Ort aufgewacht und sei 14 Tage dort festgehalten worden, wobei zu keinem Zeitpunkt Gewalt angewandt worden wäre. Vom Vater des Beschwerdeführers sei Geld verlangt worden. Dieser Vorfall habe sich zwei bis drei Monate vor der Ausreise zugetragen.

5. Bei seiner zweiten Einvernahme vor der belangten Behörde am 31.07.2017 wurde der Beschwerdeführer zu seinen Personalien und zu seinen Angehörigen in seinem Herkunftsland befragt. Zu seiner Herkunft führte der Beschwerdeführer aus, in der Provinz Laghman geboren worden zu sein. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage sei die Familie nach Pakistan gezogen, als der Beschwerdeführer noch sehr jung gewesen sei. Wie lange der Beschwerdeführer in Pakistan gelebt habe, könne er nicht angeben. Anschließend sei die Familie nach Kabul gezogen. Zwischendurch habe die Familie erneut für etwa sechs Monate in Pakistan gelebt und sei daraufhin wieder zurück nach Kabul gezogen. Ein Teil seiner Familie sei in die Provinz Laghman gezogen, während der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Onkel und seinem Vater nach Dubai ausgewandert sei. Von 2007 bis 2013 habe er in Dubai gelebt. Im Jahr 2013 habe der Beschwerdeführer Dubai verlassen und sei wieder zurück nach Afghanistan in die Provinz Laghman gekommen. Zwischen 2013 und 2015 habe er teilweise in der Stadt Kabul und in der Provinz Laghman im Dorf XXXX gelebt. Im Oktober 2015 sei er zu seinem Vater nach Kabul gezogen. Der Beschwerdeführer habe eine dreijährige Tochter. Er führte weiters aus, am XXXX geboren worden zu sein. Sein Vater sei Hauptmann beim afghanischen Militär.

Befragt zu seinem Gesundheitszustand und ob der Beschwerdeführer psychisch und physisch in der Lage sei, Angaben zum Verfahren zu machen, führte der Beschwerdeführer aus, keine psychischen und physischen Probleme zu haben. Er leide seit 2015 an Epilepsie, ansonsten leide er an keinen Krankheiten. Diesbezüglich sei der Beschwerdeführer bereits in Kabul und in Pakistan behandelt worden. Er nehme regelmäßig die Medikamente XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX ein. Der Beschwerdeführer gehe etwa alle ein bis zwei Wochen zu einer ärztlichen Kontrolle.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er in seinem Heimatdorf in Laghman zwei Mal von unbekannten Männern aufgefordert worden sei, mit ihnen gegen die Regierung zu kämpfen. Der Beschwerdeführer sei auf Anraten seiner Mutter zu seinem Vater nach Kabul gefahren. Sein Vater habe daraufhin in Kabul ein Haus gemietet und die Familie nachgeholt. Es sei anschließend bei den Nachbarn in Laghman ein Drohbrief abgegeben worden, und ungefähr eine Woche später habe der Beschwerdeführer einen Drohbrief in Kabul erhalten. Zwei Tage später sei der Beschwerdeführer einkaufen gewesen, und ein Auto sei ihm gefolgt, welches ihn schließlich auch angefahren habe. Dabei habe der Beschwerdeführer seinen ersten epileptischen Anfall erlitten. Die Männer im Auto hätten ihn mitgenommen, 13 Tage lang in einem Zimmer festgehalten und ihm ins Gesicht geschlagen. In dieser Zeit habe der Beschwerdeführer weitere Anfälle gehabt. Die Entführer hätten den Vater des Beschwerdeführers angerufen und von diesem ein Lösegeld in Höhe von 50.000 $ gefordert. Nach der Übergabe des Geldes habe der Vater den Beschwerdeführer aufgefordert, Afghanistan zu verlassen, und die Ausreise des Beschwerdeführers organisiert.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer Urkunden zu seinem Leben in Österreich, zu seinem Gesundheitszustand sowie afghanische Dokumente vor.

6. Mit Stellungnahme vom 21.08.2017 legte der Beschwerdeführer Kopien seines Reisepasses, des Reisepasses seines Vaters, des Führerscheins seines Vaters und einen Brief der Dorfältesten vor. Weiters verwies der Beschwerdeführer auf die allgemeine schlechte Sicherheitslage in Afghanistan.

Dem Brief der Dorfältesten kann entnommen werden, dass der Beschwerdeführer von den Taliban, aufgrund der Tätigkeit seines Vaters beim afghanischen Militär, bedroht worden sei und daher nach Kabul habe ziehen müssen. In Kabul sei der Beschwerdeführer entführt worden. Auch zwei seiner Brüder wären von den Taliban entführt worden. Die afghanische Polizei habe die Brüder an der pakistanischen Grenze befreien können.

7. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung des Bescheides gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben des Beschwerdeführers wieder und traf Feststellungen zur Lage in Afghanistan. Es wurde im Wesentlichen zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Der Beschwerdeführer habe in der Erstbefragung angegeben, insgesamt drei Mal entführt worden zu sein. Sowohl in der Einvernahme vor dem BFA als auch im Zuge der Erstellung des Gutachtens vom 18.08.2016 habe der Beschwerdeführer entgegen seinen ursprünglichen Angaben vorgebracht, nur einmal entführt worden zu sein. Der Beschwerdeführer habe ebenfalls widersprüchliche Angaben zum Zeitpunkt der Entführung vorgebracht. Betreffend den Brief der Dorfältesten führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer die Entführung seiner Brüder nie erwähnt habe. Seiner gesamten Familie sei es offensichtlich möglich, in Afghanistan aufhältig zu sein und dort zu leben. Hinsichtlich seiner vorgebrachten Epilepsie verwies das BFA auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bereits in Afghanistan daran gelitten habe. Er sei in Kabul bereits medizinisch betreut worden.

Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat möglich und zumutbar sei, zumal er aufgrund seiner nach wie vor in Afghanistan lebenden Familie und seiner Schulbildung und Berufserfahrung wirtschaftlich genügend abgesichert sei und für seinen Unterhalt grundsätzlich selbst sorgen könne.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 11.12.2017 zugestellt.

8. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 06.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der XXXX , amtswegig als Rechtsberatung zur Seite gegeben.

9. Mit Schreiben vom 04.01.2018 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den XXXX , fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheides des BFA. Eine Vollmacht wurde vorgelegt.

Der Beschwerdeführer wiederholte sein Fluchtvorbringen und führte erneut aus, dass er von den Taliban zwangsrekrutiert werden sollte und sich geweigert habe. Wegen seiner Weigerung sei er mit der Ermordung bedroht worden. Der Beschwerdeführer befürchte ebenfalls Verfolgung aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung sowie einer vermeintlichen Unterstellung, die afghanische Regierung zu unterstützen. Der afghanische Staat sei nicht in Lage, den Beschwerdeführer vor den Taliban zu schützen. Betreffend die angeführten Widersprüche hinsichtlich seiner Angaben in der Erstbefragung entgegnete der Beschwerdeführer, dass die Erstbefragung nicht der Darstellung der Fluchtgründe diene. Die Begründung des BFA zur Unplausibilität des Fluchtvorbringens sei nicht nachvollziehbar und stelle daher einen Begründungsmangel dar.

Der Beschwerdeführer verwies weiters auf die allgemein schlechte Sicherheitslage sowie auf potentielle Risikoprofile, insbesondere

?        Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung zusammenarbeiten;

?        Regierungsmitarbeiter;

?        Mitglieder der afghanischen Polizei;

?        Zivilisten, die mit den afghanischen Sicherheitskräften verbunden sind;

?        Zivilisten, die vermeintlich die Regierung unterstützen;

?        Familienmitglieder von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung verbunden sind

sowie weitere Risikogruppen, die nicht auf den Beschwerdeführer zutreffen können, wie etwa Frauen im öffentlichen Leben.

Der Beschwerdeführer führte aus, er könne insbesondere mit keinerlei familiärer oder sozialer Unterstützung rechnen, da er über kein adäquates Auffangnetz in Afghanistan verfüge. Begründet wurde diese Behauptung jedoch nicht.

Der Beschwerdeführer führte weiters aus, sich intensiv um Integration bemüht zu haben und die deutsche Sprache bereits in beeindruckendem Ausmaße erlernt zu haben. Er habe bereits soziale Kontakte geknüpft. Er sei arbeitsfähig und arbeitswillig.

10. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 11.01.2018 mit Schreiben vom 05.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

11. Mit Schriftsatz vom 20.08.2018 und 05.06.2019 ersuchte der Beschwerdeführer um positive Entscheidung seines Falles bzw. um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, da die Ungewissheit seines Aufenthaltes eine große Belastung für ihn darstelle.

12. Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 09.07.2019 wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie weitere länderkundliche und sonstige Informationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.

13. Mit Stellungnahme vom 19.08.2019 verwies der Beschwerdeführer abermals auf die seiner Ansicht nach auf ihn zutreffenden Risikoprofile und die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan.

14. Am 24.09.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Pashto statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde und die Möglichkeit hatte, diese umfassend darzulegen. Eine Vertreterin des BFA als belangte Behörde nahm ebenfalls an der Verhandlung teil.

Der Beschwerdeführer führte aus, neben seiner Muttersprache Pashto die Sprachen Dari, Farsi, Englisch, Urdu, Hindi, Deutsch und wenig Arabisch zu sprechen und diese auch lesen und schreiben zu können.

Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes führte der Beschwerdeführer aus, dass er an Epilepsie leide und diesbezüglich regelmäßig starke Medikamente einnehme. Seit er die Medikamente einnehme, gehe es ihm besser, jedoch falle er situationsabhängig in Depressionen, etwa, wenn er etwas Lautes oder Unangenehmes höre. Zur Vorlage aktueller medizinischer Unterlagen wurde dem Beschwerdeführer eine zweiwöchige Frist gewährt. Der Beschwerdeführer gab weiters an, bereits in Afghanistan an Epilepsie gelitten zu haben, jedoch hätte sich die Intensität der Anfälle seit der Entführung durch die Taliban massiv erhöht.

Der Beschwerdeführer führte aus, in Kabul geboren worden zu sein und aus der Provinz Laghman zu stammen. Zu seiner Schulzeit habe er in Kabul gelebt. Für sechs Monate sei die Familie nach Pakistan geflüchtet und anschließend wieder nach Kabul zurückgekehrt. Von 2007 bis 2013 habe der Beschwerdeführer in Dubai gelebt. Anschließend sei er in die Provinz Laghman zurückgekehrt, wo er durch ein eigenes Kleidungsgeschäft seinen Lebensunterhalt verdient habe. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan habe der Beschwerdeführer für kurze Zeit erneut in Kabul gelebt. In Dubai habe sein Vater einen Baumaschinenhandel betrieben. Nach 2013 habe sein Vater für die afghanische Regierung im Ministerium für den Bereich internationale strategische Berichterstattung gearbeitet. Er habe geheime Informationen aus dem Ausland herbeigeschafft, vergleichbar mit der CIA. Der Vater des Beschwerdeführers sei sehr vermögend. Seit etwa neun Monaten habe der Vater seine Arbeit für die Regierung beendet. Die Ehefrau, die Tochter, die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers würden sich noch in Afghanistan in der Stadt Kabul befinden. Sie würden ihren Wohnsitz oft ändern, um nicht von den Taliban gefunden zu werden. Mit seiner Kernfamilie stehe er regelmäßig in Kontakt.

Befragt zu seinen Fluchtgründen legte der Beschwerdeführer zwei Drohbriefe vor, die sich insbesondere auf die Tätigkeit seines Vaters für die Regierung beziehen. Vor sechs bis acht Monaten sei die Familie von den Taliban bedroht und seine Großmutter geschlagen worden. Diesbezüglich legte der Beschwerdeführer diverse Fotos und einen Krankenhausbericht vor, welcher jedoch mit dem 22.01.1397 (= April 2018) datiert ist. Der Beschwerdeführer wiederholte sein bisheriges Fluchtvorbringen und führte ergänzend aus, dass die Drohung durch die Taliban erst in Kabul erfolgt sei. Befragt zu den widersprüchlichen Angaben hinsichtlich der angeblich stattgefundenen Entführung(en) entgegnete der Beschwerdeführer, dass es sich um Protokollierungsfehler handeln würde.

15. Mit Schreiben vom 11.10.2019 legte der Beschwerdeführer einen aktuellen Arztbrief vom 09.10.2019 vor. Der behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie führte aus, dass der Beschwerdeführer seit März 2016 aufgrund einer diagnostizierten Epilepsie (G40.9) und agitierten Depression (F32.0) in Behandlung sei. Als Medikation führte er XXXX XXXX , XXXX XXXX und XXXX XXXX an.

16. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 30.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache neu zugewiesen, wordurch eine neuerliche mündliche Verhandlung notwendig wurde.

17. Am 27.07.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht erneut eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Pashto statt, in welcher der Beschwerdeführer erneut zu seinen Fluchtgründen befragt wurde und die Möglichkeit hatte, diese umfassend darzulegen. Das BFA als belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Zu seinem Gesundheitszustand führte der Beschwerdeführer aus, den letzten epileptischen Anfall im Jahr 2017 gehabt zu haben. Die Familie des Beschwerdeführers befinde sich aktuell in Kabul. Er stehe regelmäßig mit ihr in Kontakt.

Befragt zu seinen Fluchtgründen wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Fluchtvorbringen und führte ergänzend aus, dass die Taliban ihn sowohl zwangsrekrutieren, als auch Geld von seinem Vater hätten erpressen wollen. Sein Vater sei ebenfalls bedroht und aufgefordert worden seine Tätigkeit für die Regierung zu beenden. Obwohl der Vater seine Tätigkeit bereits beendet habe, werde die Familie nach wie vor bedroht, da der Vater den Beschwerdeführer nicht an die Taliban ausgeliefert habe.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2        Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gestellten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Stellungnahmen, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 13.11.2018, letzte KI vom 21.07.2020, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, die EASO Country Guidance Afghanistan - Guidance note and common analysis (Juni 2019), das Dossier der Staatendokumentation: Stammes- und Clanstruktur (2016), das ACCORD – Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020, die ACCORD- Anfragebeantwortung „Zwangsrekrutierungsmaßnahme der Taliban“ vom 13.08.2018, die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif vom 30.04.2020, sowie die aktuellen COVID-19 Zahlen zu Afghanistan - OCHA, WHO: Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 60 (9 July 2020) werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1      Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer heißt XXXX (alias XXXX ) und wurde am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Pashto. Neben dieser verfügt er über Kenntnisse in den Sprachen Dari, Farsi, Englisch, Urdu, Hindi, Deutsch und Arabisch. All diese Sprachen kann der Beschwerdeführer auch lesen und schreiben.

Der Beschwerdeführer ist mit XXXX traditionell verheiratet und hat eine Tochter, welche am XXXX geboren wurde.

Der Beschwerdeführer stammt aus den afghanischen Provinzen Kabul und Laghman. Er lebte während seiner Kindheit überwiegend in der Stadt Kabul. Für sechs Monate lebte er gemeinsam mit seiner Familie in Peshawar, in Pakistan. Anschließend kehrte die Familie nach Kabul zurück. Von 2007 bis 2013 lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Vater und seinem Onkel in Dubai, wo er die Schule besuchte. Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan im Jahr 2013 lebte der Beschwerdeführer in der Provinz Laghman, im Distrikt XXXX . Von Oktober 2015 bis zur seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner gesamten Familie in der Stadt Kabul.

Der Beschwerdeführer verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung. Er besuchte sechs Jahre lang eine Schule in Afghanistan. Von 2007 – 2013 besuchte er eine Privatschule in Dubai. Er verfügt über einen Abschluss, ähnlich der Matura. Bereits in Dubai hat der Beschwerdeführer Arbeitserfahrung durch Unterstützung seines Vaters gesammelt, welcher selbstständig im Baumaschinenhandel tätig war. Der Beschwerdeführer eruierte etwa die Preise, kommunizierte über E-Mail mit den potentiellen Kunden und kümmerte sich auch um die Organisation des Transportes. Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan führte der Beschwerdeführer sein eigenes Geschäft für Frauenbekleidung, in dem er auch selbst als Verkäufer tätig war. Der Beschwerdeführer konnte von dieser Tätigkeit auch seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig und arbeitswillig.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Der Beschwerdeführer leidet an Epilepsie und einer agitierten Depression. Den letzten epileptischen Anfall hatte er ungefähr im Jahr 2017. Der Beschwerdeführer nimmt regelmäßig die Medikamente XXXX (Wirkstoff: Carbamazepin), XXXX , XXXX (Wirkstoff: XXXX ) und XXXX ein und befindet sich seit März 2016 in regelmäßiger ambulanter Kontrolle.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2.2      Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Taliban entführt wurde. Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer durch die Taliban zwangsweise rekrutiert werden sollte. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder persönlich bedroht, noch wurden sonstige Handlungen oder Maßnahmen von diesen gegen ihn gesetzt.

Der Vater des Beschwerdeführers arbeitete für die afghanische Regierung. Anfang 2019 beendete er seine Tätigkeit. Der Beschwerdeführer wurde aufgrund der Tätigkeit seines Vaters nicht bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen konkreter Verfolgungs- oder Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan etwa im Dezember 2015 und reiste schlepperunterstützt nach Europa.

2.3      Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit viereinhalb Jahren durchgehend in Österreich auf. Er ist seit seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 04.01.2016 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich weitschichtig entfernte Verwandte, nämlich die Cousins seines Vaters, mit welchen er nicht in gemeinsamem Haushalt lebt.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein ÖSD Zertifikat A1. Seine aktuellen, praktischen Deutschkenntnisse übersteigen jedoch offenbar das Niveau A1 deutlich.

Der Beschwerdeführer bestand am 25.04.2019 den Pflichtschulabschluss. Im Mai 2019 erstellte der Beschwerdeführer an der XXXX ein persönliches Kompetenzprofil. Der Beschwerdeführer nahm am 10.05.2017 am Workshop „ XXXX “ des XXXX teil. Der Beschwerdeführer leistete gemeinnützige Arbeiten in der Marktgemeinde XXXX , wie etwa Grünschnitt, Arbeiten am Bauhof, Mäharbeiten, Reinigen von öffentlichem Grund. Er arbeitete außerdem in der Sozialeinrichtung „ XXXX “ als Übersetzer. Darüber hinaus war er auch in seiner Unterkunft als Dolmetscher unterstützend bei Sozialberatungen sowie bei Arzt- und Behördenwegen tätig.

Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer ist nicht erwerbstätig und lebt von der Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über Freundschaften.

2.4      Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von anderen Personen oder Gruppen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in die körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine „westliche“ Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden wäre.

Der Beschwerdeführer kann nach Afghanistan in seine Herkunftsprovinz Kabul, in die Stadt Kabul, zu seiner Familie zurückkehren.

Die sicherheitsrelevanten Vorfälle haben sich im Jahr 2019 um 16% im Vergleich zu 2018 verringert. Durch den internationalen Flughafen ist die Stadt Kabul hinreichend sicher erreichbar.

Der Beschwerdeführer verfügt über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Die gesamte Kernfamilie des Beschwerdeführers befindet sich in der Stadt Kabul. Zu seiner Familie besteht regelmäßig, etwa zwei Mal wöchentlich, Kontakt. Der Vater des Beschwerdeführers ist sehr vermögend. Der Beschwerdeführer verfügt über eine überdurchschnittlich gute Schulbildung und über eine fundierte, langjährige Arbeitserfahrung in der Unternehmensführung und im Verkauf. Er ist arbeitsfähig, arbeitswillig und verfügt über profunde Ortskenntnisse in Kabul. Die medizinische Versorgung des Beschwerdeführers kann in der Stadt Kabul gewährleistet werden.

Sollte der Beschwerdeführer nicht in die Stadt Kabul zurückkehren können oder wollen, kann er auch in einer anderen Stadt mit umfassender finanzieller Unterstützung seines Vaters rechnen. Ausgehend von den Länderfeststellungen zu Afghanistan sowie die aktuelle Covid-19 Pandemie berücksichtigend, steht dem Beschwerdeführer mit den größeren Städten in Afghanistan, insbesondere mit Mazar-e Sharif, eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Mazar-e Sharif verfügt über einen international erreichbaren Flughafen, sodass die Anreise in diese Stadt auch weitgehend gefahrfrei erfolgen kann.

Trotz der durch die Covid-19 Pandemie angespannte Situation am Arbeits- und Wohnungsmarkt ist der Beschwerdeführer aufgrund des Vermögens seines Vaters im Stande, sich auch teurere Unterkünfte zu leisten. Da die Familie des Beschwerdeführers derart wohlhabend ist, er auch regelmäßig Kontakt mit seinem Vater hat und mit finanzieller Unterstützung rechnen kann, sind auch die gestiegenen Lebensmittelpreise und die generell schwierigere Wirtschafts- und Versorgungslage kein Hindernis für eine Rückführung nach Afghanistan.

Die medizinische Versorgung sowie der Erhalt der notwendigen Medikamente sind in Kabul und Mazar-e Sharif gewährleistet. Der Beschwerdeführer läuft sohin auch bei einer Ansiedlung in Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Weiters bestehen keine Hinweise darauf, dass sich seine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Insbesondere hat der Beschwerdeführer bereits in Afghanistan an Epilepsie gelitten und wurde bereits in Kabul und Pakistan diesbezüglich behandelt. Seine Krankheiten zählen nicht zu jenen Vorerkrankungen, welche sich besonders gefährlich im Falle einer Covid-19 Infektion auswirken, sodass er nicht zu einer Risikogruppe zählt. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in seine Herkunftsstadt Kabul bzw. bei einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif, kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist ihm möglich, nach eventuell anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und sich dort eine Existenz aufzubauen. Aufgrund des großen Vermögens seines Vaters ist der Beschwerdeführer im Stande, sämtliche Bedürfnisse zu finanzieren. Das Vermögen des Vaters ist ausreichend, sodass damit sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Familie versorgt werden können.

2.5      Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, mit letzter Kurzinformation vom 21.07.2020 (LIB 13.11.2019),

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO) und

-        ACCORD–Anfragebeantwortung „Zwangsrekrutierungsmaßnahme der Taliban“ vom 13.08.2018,

-        Dossier der Staatendokumentation zur Stammes- und Clanstruktur (2016)

-        ACCORD – Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020,

-        EASO Special Report 07.05.2020 – Asylum Trends and COVID-19ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif vom 30.04.2020,

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat vom 23.04.2020, sowie

-        die aktuellen COVID-19-Zahlen zu Afghanistan OCHA, WHO: Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 60 (9 July 2020)

-        diverse zitierte Quellen, welche ebenfalls im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan verwendet werden.

2.5.1   Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB 13.11.2019).

Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage. Die staatlichen Strukturen sind noch nicht voll arbeitsfähig. Tradierte Werte stehen häufig einer umfassenden Modernisierung der afghanischen Gesellschaft entgegen (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 02.09.2019).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan, und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019).

Ende Februar 2020 unterzeichneten die USA und die Taliban ein Friedensabkommen, welches den Abzug der US-Truppen vorsieht. Die afghanische Regierung wurde daran jedoch nicht beteiligt. Ein beidseitiger Gefangenenaustausch gilt als Voraussetzung für direkte Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Über die Umsetzung gibt es aber Streit, speziell bei der Frage, ob die Regierung auch ranghohe Befehlshaber der Extremisten freilässt (Zeit-Online 11.04.2020).

Pressemeldungen zufolge hat es seit dem Friedensabkommen mit den USA (29.02.2020) über 4.500 Angriffe der Taliban gegeben, bei denen über 900 Soldaten oder Polizisten und 610 Taliban-Kämpfer getötet wurden. Dabei griffen die Taliban keine Städte oder Provinzzentren an, sondern fokussierten sich auf Dörfer in den Provinzen Herat, Kabul, Kandahar und Balkh. Nach Angaben des afghanischen Nationalen Sicherheitsrates wurden bei Angriffen oder Anschlägen der Taliban in der ersten Woche des Ramadans (24.04.2020 bis ca. 30.04.2020) mindestens 66 Zivilisten verletzt oder getötet. Medienberichten zufolge gab es auch in der vergangenen Woche Kämpfe und Anschläge in zahlreichen Provinzen. So wurden etwa am 29.04.20 bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe eines Stützpunkts der afghanischen Spezialkräfte im Südwesten der Hauptstadt Kabul (Polizeidistrikt 7) mindestens drei Menschen getötet und 15 verletzt. Die NATO meldet ebenso wie die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, vgl. BN v. 27.04.2020), einen deutlichen Rückgang der zivilen Opfer im ersten Quartal 2020. Die NATO hat allerdings inzwischen die Veröffentlichung von Daten über Angriffe der Taliban eingestellt. Man wolle die derzeit laufenden politischen Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban nicht belasten. Am 02.05.2020 entließ die Regierung 98 weitere gefangene Taliban und somit insgesamt 748 der geforderten 5.000 Personen. Die Taliban haben im Gegenzug 112 von den versprochenen 1.000 ihrer Gefangenen freigelassen (Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Briefing Notes 04.05.2020).

Aktuell liegen weiterhin Berichte aus vielen Provinzen über Kampfhandlungen und Anschläge, bei denen auch Zivilisten zu Schaden kommen, vor. Nach Informationen der New York Times seien im Juli 2020 bisher mindestens 137 Sicherheitskräfte und 51 Zivilisten getötet worden. Beispielhaft seien folgende Ereignisse genannt: Bei einem Feuergefecht zwischen afghanischen und pakistanischen Soldaten wurden am 15./16.07.2020 in der östlichen Provinz Kunar (Distrikt Sarkano) mindestens 20 Zivilisten verletzt oder getötet. Nach afghanischer Darstellung hätten pakistanische Streitkräfte versucht, einen Checkpoint auf afghanischem Gebiet zu errichten. Auch in der Provinz Nangarhar sollen pakistanische Kräfte Checkpoints vor der Grenze zu Pakistan auf afghanischem Gebiet errichtet haben. Während des Besuchs von Präsident Ghani in Ghazni City (Südosten) wurden mehrere Raketen auf die Stadt abgefeuert, wobei vier Zivilisten verletzt wurden. Ein Vertreter des Provinzrats von Ghazni erklärte, dass sechs der neun Distrikte der Provinz belagert würden. Am 19.07.20 wurden in den Provinzen Zabul und Paktika zwei Polizeichefs von Distrikten bei Anschlägen getötet und mehrere Polizisten verletzt.

Die Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) hat in den letzten neun Monaten 17 Angriffe auf religiöse Einrichtungen dokumentiert, bei denen 170 Menschen getötet und 272 verletzt wurden. Hervorzuheben seien Angriffe auf zwei Moscheen in Kabul, auf Sikh Tempel in Kabul und Jalalabad, sowie Übergriffe auf Geistliche in Takhar, Parwan, Laghman, Paktia und Helmand. Einen Imam im Dorf Kohna Masjid (Distrikt Dahana-e-Ghori, Provinz Baghlan) sollen die Taliban gefoltert und getötet haben, weil er eine Beerdigungszeremonie für einen lokalen Polizeikommandanten abgehalten haben soll.

Die USA haben mit dem im Friedensabkommen mit den Taliban vereinbarten Truppenabzug begonnen und Soldaten aus den Provinzen Helmand, Uruzgan, Paktika und Laghman zurückgezogen. Gleichzeitig besteht die US-Regierung auf der Erfüllung weiterer Vereinbarungen, wie dem Abschluss der Freilassung von Gefangenen, der Reduzierung der Gewalt sowie der Aufnahme von innerafghanischen Gesprächen. Der Gefangenenaustausch verläuft schleppend. Nach Angaben der afghanischen Regierung seien bisher 4.400 der versprochenen 5.000 gefangenen Taliban freigelassen worden. Hinsichtlich der übrigen 600 Gefangenen verweigert die Regierung die Freilassung, da sie wegen schwerer Verbrechen inhaftiert seien, die Taliban sollten eine neue Liste vorlegen. Die Taliban haben inzwischen 600 von 1.000 afghanischen Sicherheitskräften freigelassen (Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Briefing Notes 20.07.2020).

2.5.2   Sicherheitslage im Zeitraum 10.12.2019 bis Ende Februar 2020:

Die Sicherheitslage bleibt volatil. Zwischen 08.11.2019 und 06.02.2020 wurden von UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet (ähnlich wie in derselben Periode des vorherigen Jahres). Die meisten Vorfälle fanden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, welche gemeinsam insgesamt 68% der Vorfälle ausmachten. Die Regionen mit den meisten Vorfällen waren Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh. Die Kampfhandlungen verringerten sich zu Jahresende 2019 und Jahresbeginn 2020, infolge der saisonalen Trends in den Wintermonaten. Am 22.02.2020 konnte infolge der Gespräche der USA mit den Taliban eine nationale Reduktion der Gewalt verzeichnet werden.

Die etablierten Trends bleiben jedoch bestehen; mit 2.811 bewaffneten Zusammenstößen, welche 57% aller Vorfälle ausmachen, gab es im Vergleich zur selben Zeitperiode des vorherigen Jahres eine Verringerung um 4%. Die Verwendung von improvisierten Sprengkörpern bleibt die zweithöchste Art von Vorfällen, mit einer Steigerung von 21%, im Vergleich zur selben Zeitperiode des vorherigen Jahres, während sich Selbstmord-Attentaten um 25% verringert haben. Die 330 Luftangriffe des afghanischen Militärs erreichte eine 18%ige Verringerung, verglichen mit derselben Periode im Jahr 2019. In den Provinzen Helmand, Kandahar und Farah wurden 44% der Luftangriffe durchgeführt.

Am 31.12.2019 wurde berichtet, dass die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Darzab in der Provinz Jawzjan, aufgrund des Abzuges der Security Forces erlangten. Vorübergehend erlangten die Taliban Kontrolle über den Distrikt Arghandab in der Provinz Zabul, während die Security Forces den Distrikt Guzargahi Nur in der Provinz Baghlan, welcher sich seit September 2019 unter Taliban Kontrolle befand, zurückeroberten (Bericht des UNO-Generalsekretärs zu politischen, humanitären, menschenrechtlichen und sicherheitsrelevanten Entwicklungen vom 10.12.2019 bis Ende Februar 2020).

2.5.3   Sicherheitslage im Jahr 2019:

Berichtete Konfliktvorfälle nach Provinzen:

Provinz

Anzahl Vorfälle

Anzahl Vorfälle mit Todesopfern

Anzahl Todesopfer

Badakhshan

200

95

798

Badghis

325

200

1863

Baghlan

395

184

1465

Balkh

615

269

1821

Bamyan

17

1

2

Daykundi

31

15

189

Farah

426

220

1562

Faryab

539

342

2601

Ghazni

1285

743

4484

Ghor

172

95

782

Helmand

1523

582

3030

Herat

456

229

1146

Jawzjan

189

101

705

Kabul

301

85

501

Kandahar

1157

435

3270

Kapisa

216

74

334

Khost

309

53

194

Kunar

294

129

757

Kunduz

493

281

2073

Laghman

269

83

384

Logar

415

169

985

Nangarhar

734

443

2736

Nimroz

119

27

114

Nuristan

54

16

119

Paktika

301

136

745

Paktia

592

133

741

Panjshir

6

0

0

Parwan

183

30

147

Samangan

76

41

289

Sar-e-Pul

125

71

404

Takhar

262

181

1404

Uruzgan

594

387

2872

Wardak

552

194

1207

Zabul

690

282

1956

(ACCORD-Kurzübersicht über Konfliktvorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project 29.06.2020).

Der afghanischen Regierung ist es weiterhin gelungen, die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul, die größeren Bevölkerungszentren, die meisten wichtigen Straßen, über Provinzzentren und die Mehrheit der Distrikte aufrecht zu erhalte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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