TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/24 W175 2224292-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2020
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Entscheidungsdatum

24.08.2020

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W175 2224292-1/10E

beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 26.06.2019, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), somalischer Staatsangehöriger, stellte am 25.07.2018 bei der Österreichischen Botschaft Nairobi (ÖB Nairobi) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG.

Als Bezugsperson wurde die Ehefrau des BF, ebenfalls somalische Staatsangehörige, genannt, welcher mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2018 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Gemeinsam mit dem BF stellten sechs (mj.) Kinder der Bezugsperson Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gemäß § 35 Abs. 1 AsylG. Nach positiver Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA und Ausstellung von Visa D reisten diese in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheiden des BFA vom 28.08.2019 und 29.08.2019 wurde diesen der Status von Asylberechtigen im Familienverfahren, abgeleitet von der Bezugsperson, zuerkannt.

2. Nachdem die Unterlagen des BF dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) übermittelt wurden, teilte dieses in seiner Mitteilung nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005, datiert mit 13.06.2019, mit, dass die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten an den BF nicht wahrscheinlich sei. Die Voraussetzungen für ein Angehörigenverhältnis sei nicht gegeben. Näheres ergebe sich aus der beiliegenden Stellungnahme.

In der diesbezüglichen Stellungnahme wurde ausgeführt, dass in Somalia Dokumente nach wie vor nur anhand von Aussagen von Personen ausgestellt werden würden, da es seit vielen Jahren keine Personenstandsbehörden gebe. Diesen Dokumenten komme keine Beweiskraft zu. Da eine inhaltliche Richtigkeit nicht geprüft werden könne, setze auch das österreichische Außenministerium die Beglaubigung somalischer Urkunden aus. Die Ausführungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Thema „Dokumente“ wurden wiedergegeben. Die Echtheit von Dokumenten beziehungsweise Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit beziehungsweise dem Wahrheitsgehalt von Dokumenten könne von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden. Die in Vorlage gebrachte Kopie der Heiratsurkunde sei nicht dazu geeignet, abschließend ein Familienangehörigenverhältnis zu bestätigen. Die durchgeführte Dokumentenüberprüfung vom 01.02.2019 habe ergeben, dass die vorgelegte Heiratsurkunde keine Gültigkeit besitze. Die Bezugsperson habe angegeben, dass die Scheidung von ihrem ersten Ehemann im Oktober 2015 erfolgt wäre und die Eheschließung mit dem BF drei Monate danach stattgefunden hätte. Anfang März 2016 habe die Bezugsperson Kenia verlassen. Die Eheschließung mit dem BF hätte am 02.02.2016 in Kenia stattgefunden und hätte das vermeintliche Ehepaar einen Monat in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Der BF wäre von der Ausreise der Bezugsperson nicht in Kenntnis gesetzt worden und hätte der BF erst Ende März 2016 erfahren, dass die Bezugsperson in den Sudan ausgereist sei. In Zusammenschau mit den Unstimmigkeiten in Bezug auf die Heiratsurkunde sei davon auszugehen, dass das behauptete Familienverhältnis nicht gegeben sei und auch nicht von einer gültigen Eheschließung ausgegangen werden könne. So sei neben der nicht nachvollziehbaren und nicht aufscheinenden Registrierung der Ehe zu berücksichtigen, dass die Eheschließung am 02.02.2016 stattgefunden hätte und der vorgelegten Heiratsurkunde das Registrierungsdatum 04.07.2018 zu entnehmen sei. Die Bezugsperson habe in ihrer Einvernahme am 22.01.2019 ausgeführt, dass gleich nach der traditionellen Eheschließung die amtliche Registrierung erfolgt sei. So hätte der Sheikh auch für die Eheregistrierung gearbeitet und hätte diese gleich weitergeleitet. Eine amtliche Registrierung der Eheschließung sei jedoch nicht zu verifizieren gewesen. Die Bezugsperson habe am 27.03.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Die Registrierung der behaupteten Eheschließung sei daher erst ein Jahr nach der Antragstellung der Bezugsperson bzw. zwei Jahre nach der behaupteten Eheschließung erfolgt. Es sei daher davon auszugehen, dass die Angaben aufgrund der Widersprüchlichkeit mit der vermeintlichen Heiratsurkunde anlässlich der Einvernahme vom 22.01.2019 ebenso nicht den Tatsachen entsprechen würden und die dargelegte Registrierung vom 04.07.2018 offensichtlich in einem zeitlichen Naheverhältnis zum Einreiseantrag erfolgt sei. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass bei einem rund einmonatigen Zusammenleben noch nicht von einem ausreichend gemeinsamen Familienleben ausgegangen werden könne. Im vorliegenden Fall liege daher kein relevantes Familienverhältnis iSd § 35 Abs. 5 AsylG vor, da die durchgeführte Dokumentenüberprüfung ergeben habe, dass die Eheschließung nicht gültig sei und in Zusammenschau mit den Aussagen der Bezugsperson hinsichtlich des einmonatigen gemeinsamen Familienlebens nicht von einem Angehörigenverhältnis ausgegangen werden könne.

3. Mit Schreiben vom 13.06.2019 wurde dem BF eine Aufforderung zur Stellungnahme übermittelt. Es wurde mitgeteilt, dass das BFA nach Prüfung des Antrages mitgeteilt habe, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Die Voraussetzungen für ein Angehörigenverhältnis seien nicht gegeben. Eine ausführliche Begründung sei der beiliegenden Mitteilung und Stellungnahme des BFA zu entnehmen. Es werde hiermit Gelegenheit gegeben, innerhalb der Frist von einer Woche ab Zustellung die angeführten Ablehnungsgründe durch ein unter Beweis zu stellendes Vorbringen zu zerstreuen.

4. Der BF erstattete am 19.06.2019 eine Stellungnahme und brachte darin im Wesentlichen vor, dass das vom BFA herangezogene Gutachten betreffend die Heiratsurkunde dem BF nicht zur Einsicht vorgelegt worden sei. Der BF sei daher in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Dass die Registrierung der Ehe nicht gleich nach der Eheschließung stattgefunden habe, sei allein kein Beweis dafür, dass die Ehe nicht davor bestanden habe. Der BF und die Bezugsperson hätten im Flüchtlingslager in Kenia geheiratet. Der BF habe die Registrierung später durchgeführt, da das ursprüngliche Dokument in Kenia als Nachweis einer Ehe gelte. Es sei nicht selten, dass Dokumente später registriert würden. Ob eine Ehe gültig zustande gekommen sei, richte sich nach dem Personalstatus jedes Verlobten, wobei die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung genügen würde. Der BF habe nunmehr am 18.06.2019 eine Bestätigung eines kenianischen Kadhi Gerichtes erhalten, wonach die Heiratsurkunde offensichtlich wirklich nicht gültig sei; dies aufgrund eines Fehlverhaltens eines Beamten. Der BF und die Bezugsperson hätten vor der Ausreise ein gemeinsames Familienleben geführt, in einem gemeinsamen Haushalt gelebt und ihr Leben gemeinsam verbracht. Nach der Flucht der Bezugsperson habe es Kontakt zwischen ihr und dem BF gegeben. Die Trennung der Ehepartner habe aufgrund der Flucht der Bezugsperson stattgefunden. Österreich stelle den einzigen Staat zur Fortführung des Familienlebens dar. Es sei somit dringend geboten, das Familienleben nach Art. 8 EMRK in Österreich fortzuführen.

Der Stellungnahme war ein Schreiben eines Kadhi Gerichtes in Kenia vom 18.06.2019 angeschlossen, in welchem ausgeführt wurde, dass die vorgelegte Heiratsurkunde aus dem Jahr 2018 nicht gültig sei. Aufgrund von Verfehlungen seitens des Standesbeamten, welcher die Heiratsurkunde unterschrieben habe, sei dieser aus seinem Amt enthoben worden und folglich seien alle Urkunden, die seine Unterschrift und seinen Stempel tragen würden, ungültig. Betroffene Parteien würden gebeten werden, das nächstgelegene Kadhi Gericht aufzusuchen, um die Ehe erneut eintragen und besiegeln zu lassen.

5. Am 21.06.2019 legte der BF weitere Unterlagen vor, welche die Gültigkeit der im Jahr 2016 geschlossenen Ehe bestätigen würden. Der BF schloss unter anderem eine am 19.06.2019 in Kenia ausgestellte Heiratsurkunde an, aus welcher als Datum der Eheschließung der 02.02.2016 und als Tag der Registrierung der 19.06.2019 hervorgeht. Weiters legte der BF ein Schreiben eines Kadhi Gerichtes in Kenia vom 19.06.2019 vor, in welchem die Eheschließung des BF und der Bezugsperson am 02.02.2016 und deren Eintragung bestätigt wurden. Die (erneute) Heiratsurkunde aus 2019 sei wahrheitsgetreu und rechtlich bindend.

6. Die Stellungnahme des BF vom 19.06.2019 wurde dem BFA durch die ÖB Nairobi nachweislich am 21.06.2019 übermittelt. Die am 21.06.2019 vorgelegten Unterlagen des BF wurden dem BFA durch die ÖB Nairobi mit Schreiben vom 25.06.2019 – und somit vor Erlassung einer neuerlichen Wahrscheinlichkeitsprognose – übermittelt.

7. Das BFA teilte mit Mail vom 26.06.2019 mit, dass an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festgehalten werde, da die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorliegen würden. Nähere Ausführungen zu den maßgeblichen Erwägungen der Behörde wurden nicht getroffen.

8. Mit Bescheid vom 26.06.2019 wies die ÖB Nairobi den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gem. § 26 FPG iVm § 35 AsylG ab. Das BFA habe nach erneuter Prüfung mitgeteilt, dass durch die Stellungnahmen des BF vom 19.06.2019 und 21.06.2019 nicht unter Beweis gestellt werden habe können, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten entgegen der seinerzeit erfolgten Mitteilung wahrscheinlich sei und dass es an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festhalte.

9. Am 24.07.2019 brachte der BF im Wege seiner rechtlichen Vertretung eine Beschwerde ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Bescheid ohne neuerliche Stellungnahme des BFA erlassen worden sei. Im Bescheid werde angeführt, dass die Stellungnahmen des BF an das BFA weitergeleitet worden seien und dieses nach erneuter Prüfung mitgeteilt habe, dass an der ursprünglichen Prognose festgehalten werde. Es sei nicht nachvollziehbar, ob und wie sich das BFA bei der erneuten Prüfung mit den übermittelten Beweismitteln (offiziellen Dokumenten des Gerichtes in Nairobi) sowie der zitierten EGMR Rechtsprechung auseinandergesetzt habe bzw. inwieweit nunmehr eine Abwägung nach Gründen des Art. 8 EMRK erfolgt sei, die in der ersten negativen Wahrscheinlichkeitsprognose gefehlt habe. Die Behörde sei auf die Ausführungen in der Stellungnahme nicht eingegangen. Daher sei das Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Die Behörde sei durch die Nichtberücksichtigung des Parteienvorbringens und der unterlassenen Ermittlungen des wesentlichen Sachverhaltes willkürlich vorgegangen. Aus der Mitteilung des BFA sei nicht nachvollziehbar wie das BFA die Echtheit der Urkunden bewerte. Eine Bewertung ohne nähere Untersuchung durch einen Sachverständigen stelle eine antizipierte Beweiswürdigung dar. Eine kriminaltechnische Untersuchung der vorgelegten Urkunde werde beantragt. Die Verletzung der Verfahrensvorschrift habe dazu geführt, dass die Behörde nur die falschen Dokumente berücksichtigt habe. Dass diese Dokumente falsch seien, liege nicht im Verschulden des BF und der Bezugsperson. Die unterlassene Würdigung der neuen Dokumente durch die Behörde stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der den Bescheid mit Rechtswidrigkeit behafte. Bei richtiger Vorgehensweise hätte die Behörde die Dokumente geprüft, allenfalls eine Stellungnahme des Gerichts in Nairobi eingeholt und festgestellt, dass die Ehe des BF mit der Bezugsperson rechtsgültig geschlossen worden sei.

10. Am 25.07.2019 wurde seitens der ÖB Nairobi ein Verbesserungsauftrag erteilt, da der Beschwerde keine deutschen Übersetzungen von näher angeführten Dokumenten angeschlossen gewesen seien.

Der BF erfüllte den Verbesserungsauftrag fristgerecht.

11. Von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die ÖB Nairobi wurde Abstand genommen.

12. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 07.10.2019, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 10.10.2019, wurde der Verwaltungsakt übermittelt.

13. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 04.05.2020).

14. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17.07.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 03.08.2020).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde und Zurückverweisung:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG) idgF lauten wie folgt:

§ 2 Soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch den Senat vorsehen, entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter (Rechtspfleger).

Beschwerdevorentscheidung

§ 14 (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Vorlageantrag

§ 15 (1) Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Wird der Vorlageantrag von einer anderen Partei als dem Beschwerdeführer gestellt, hat er die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 9 Abs. 1 Z 3), und ein Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4) zu enthalten.

(2) Ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung, wenn die Beschwerde

1. von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat;

2. von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hatte, die Behörde diese jedoch zuerkannt hat.

Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.

(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.

Verfahren vor dem Verwaltungsgericht

Anzuwendendes Recht

§ 17 Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Erkenntnisse und Beschlüsse

§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

Familienverfahren im Inland

§ 34 (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§ 35 (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“

§ 75 Abs. 24 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 24/2016 lautet:

(24) Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016 zuerkannt wurde und auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind die §§ 2 Abs 1 Z 15, 3 Abs 4 bis 4b, 7 Abs 2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter § 2 Abs 1 Z 15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016. §§ 17 Abs 6 und 35 Abs 1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß § 35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist § 35 Abs 1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016 weiter anzuwenden. Handelt es sich bei einem Antragsteller auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs 1 um den Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016 rechtskräftig zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs 2 Z 1 bis 3 nicht zu erfüllen, wenn der Antrag auf Erteilung des Einreisetitels innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 24/2016 gestellt wurde. § 22 Abs 1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter.

Der gegenständliche Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels wurde am 25.07.2018, und somit nach Inkrafttreten des § 35 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 am 01.06.2016, eingebracht. Gemäß der Übergangsbestimmung § 75 Abs. 24 AsylG 2005 war daher § 35 Abs. 1 bis 4 AsylG 2005 in der geltenden Fassung anzuwenden.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idgF lauten:

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. In Verfahren zur Erteilung eines Visums gemäß § 20 Abs. 1 Z 9 sind Art. 9 Abs. 1 erster Satz und Art. 14 Abs. 6 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs. 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung sind auch die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist anzugeben.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

Voraussetzungen für die rechtmäßige Ein- und Ausreise

§ 15 (1) Fremde benötigen, soweit durch Bundesgesetz oder durch zwischenstaatliche Vereinbarung nicht anderes bestimmt ist oder nicht anderes internationalen Gepflogenheiten entspricht, zur rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet und Ausreise aus diesem ein gültiges Reisedokument (Passpflicht).

(2) Passpflichtige Fremde brauchen, soweit dies nicht durch Bundesgesetz, durch zwischenstaatliche Vereinbarungen oder durch unmittelbar anwendbare Rechtsakte der Europäischen Union anders bestimmt ist, zur rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet ein Visum (Visumpflicht). Fremde, die eine gültige Aufenthaltsberechtigung oder eine Bewilligung zur Wiedereinreise während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes innehaben, entsprechen der Visumpflicht.

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005:

§ 26 Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Fremden ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.

Die Regelung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Falle, dass die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH festgestellt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Im Erkenntnis vom 01.03.2016, Ro 2015/18/20002 bis 0007, hält der VwGH zunächst fest, dass der in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnete Beweismaßstab, nach dem das BFA zu beurteilen hat, ob es eine positive oder negative Mitteilung abgibt, für sich betrachtet rechtsstaatlich nicht bedenklich erscheint. Da das Gesetz vorsieht, dass eine positive Mitteilung des BFA schon dann zu ergehen hat, wenn die Gewährung von internationalem Schutz bloß wahrscheinlich ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine negative Prognose nur dann erfolgen darf, wenn die Gewährung dieses Schutzes in einem nach Einreise in Österreich zu führenden Asylverfahren nicht einmal wahrscheinlich ist; Gewissheit darüber, dass dem Antragsteller internationaler Schutz in Österreich gewährt werden wird, erfordert die Erteilung einer Einreiseerlaubnis hingegen nicht.

Um somit die Einreiseerlaubnis nach Österreich zu erhalten, muss der Antragsteller lediglich die niedrigere Beweisschwelle der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gewährung internationalen Schutzes überspringen. Schon dann steht ihm die Möglichkeit offen, in das Bundesgebiet einzureisen und dort ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 - mit allen Verfahrensgarantien - zu absolvieren. Dass § 35 Abs. 4 AsylG 2005 die Vergabe eines Visums an die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes im künftigen Asylverfahren bindet, erscheint unter diesem Blickwinkel mit dem rechtsstaatlichen Prinzip somit nicht im Widerspruch zu stehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, sofern in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel: „Verwaltungsverfahren Band I2“, E 84 zu § 39 AVG).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des Bundesasylamtes (nunmehr: des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl) über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung. Diesbezüglich kommt ihr keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034 unter Hinweis auf VwGH 17.10.2013, 2013/21/0152; VwGH 19.06.2008, 2007/21/0423).

Ungeachtet dieser für die Vertretungsbehörden bestehenden Bindungswirkung an die Prognoseentscheidung des BFA steht es dem Bundesverwaltungsgericht allerdings nunmehr - innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems - offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002). Auch wenn es sich bei der Mitteilung des BFA um keinen Bescheid handelt, der vom Antragsteller (selbständig) angefochten werden kann (VwGH 06. 10.2010, 2008/19/0527), setzt die Möglichkeit einer Überprüfung der Richtigkeit dieser Prognose durch das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls voraus, dass dieser Mitteilung des BFA in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen ist, aus welchen Gründen das BFA die Zuerkennung des beantragten Schutzstatus für nicht wahrscheinlich hält.

Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor:

Der BF gibt an, der Ehemann der Bezugsperson zu sein, welcher mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2018 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, zu sein.

Das BFA stützte seine negative Wahrscheinlichkeitsprognose vom 13.06.2019 einerseits auf den Umstand, dass es nicht möglich sei, somalische Dokumente als echt zu qualifizieren. Die durchgeführte Dokumentenüberprüfung (Anm.: diese wurde dem BVwG nicht übermittelt und befindet sich nicht im Akt) habe ergeben, dass die vorgelegte Heiratsurkunde keine Gültigkeit besitze. Auch sei aufgrund der Angaben der Bezugsperson in der Einvernahme vor dem BFA am 22.01.2019 (Anm.: das diesbezügliche Einvernahmeprotokoll wurde dem BVwG nicht übermittelt und befindet sich nicht im Akt) in Zusammenschau mit den Unstimmigkeiten in Bezug auf die Heiratsurkunde davon auszugehen, dass das behauptete Familienverhältnis nicht gegeben sei und zudem auch nicht von einer gültigen Eheschließung ausgegangen werden könne. Dies wurde damit begründet, dass die Eheschließung am 02.02.2016 stattgefunden hätte und erst rund zwei Jahre später registriert worden sei. Die Bezugsperson habe wiederrum angegeben, dass die Ehe gleich nach der traditionellen Eheschließung im Jahr 2016 registriert worden sei. Eine amtliche Registrierung der Eheschließung sei jedoch nicht zu verifizieren gewesen. Zudem könne bei einem rund einmonatigen Zusammenleben noch nicht von einem ausreichend gemeinsamen Familienleben ausgegangen werden.

Die Eingaben des BF vom 19.06.2019 und 21.06.2019 vermochten an der Ansicht des BFA nichts zu ändern; die Behörde blieb bei ihrer negativen Prognose.

In der Folge verweigerte die ÖB Nairobi mit dem angefochtenen Bescheid die Erteilung des Einreisetitels gem. § 26 FPG iVm § 35 AsylG mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für ein Angehörigenverhältnis nicht gegeben seien.

Zunächst ist auszuführen, dass sowohl das BFA als auch der BF selbst von der Ungültigkeit der mit Antragstellung vorgelegten Heiratsurkunde vom 04.01.2018 (vom BFA mit 04.07.2018 angegeben) ausgegangen sind. Diese Ungültigkeit ergibt sich – gemäß den Ausführungen des BFA – aus dem Ergebnis der Dokumentenüberprüfung vom 01.02.2019 (Anm.: diese wurde dem BVwG nicht übermittelt und befindet sich nicht im Akt) sowie aus dem durch den BF selbst mit seiner Stellungnahme vom 19.06.2019 vorgelegten Schreiben des Kadhi Gerichtes vom 18.06.2019.

Nach der ersten Prognoseentscheidung des BFA vom 13.06.2019 und vor der zweiten Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA vom 26.06.2019 hat der BF unter anderem eine neu ausgestellte Heiratsurkunde vom 19.06.2019 sowie eine gerichtliche Bestätigung der traditionellen Eheschließung am 02.02.2016 vorgelegt.

Mit E-Mail vom 26.06.2019 teilte das BFA lapidar mit, dass die negative Wahrscheinlichkeitsprognose weiterhin aufrecht bleibe. Nähere Ausführungen zu den maßgeblichen Erwägungen der Behörde wurden nicht getroffen.

Diese zweite Wahrscheinlichkeitsprognose erschöpft sich nach dem Gesagten im lapidaren Festhalten an der ersten Prognose; eine nachvollziehbare Begründung dieser Entscheidung findet sich nicht. Es ist dem Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Aktenlage nicht möglich, zu erkennen, ob und inwiefern sich die Behörde mit der Stellungnahme des BF und den neu in Vorlage gebrachten Urkunden/Unterlagen auseinandergesetzt und diese gewürdigt hat. Eine Überprüfung der am 21.06.2019 in Vorlage gebrachten Heiratsurkunde ist offenkundig unterbleiben; Ausführungen zur Echtheit und zum Inhalt dieser Urkunde finden sich im Verfahrensakt nicht. Auch im angefochtenen Bescheid haben die Ausführungen der Stellungnahme und die neu vorgelegten Unterlagen keinen ersichtlichen Eingang gefunden. Eine Auseinandersetzung der Behörde mit der Stellungnahme ist nicht zu erkennen und ist dem Gericht nicht nachvollziehbar, wie die Behörde zu dem (negativen) Ergebnis gelangt ist. Es ist davon auszugehen, dass diese Ausführungen und Dokumente im vorliegenden Fall tatsächlich keine Berücksichtigung gefunden haben.

Im Hinblick auf die seitens der Behörde sowohl generell als auch hinsichtlich der konkret mit Antragstellung vorgelegten Heiratsurkunde aus 2018 geäußerten Bedenken an der Beweiskraft somalischer Urkunden ist festzuhalten, dass allgemeine Zweifel nach höchstgerichtlicher Judikatur nicht ausreichend sind, eingereichten Dokumenten generell die Beweiskraft zu versagen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0083 bis 0086-12; Erkenntnis des VwGH vom 25.04.2014, Zl. 2013/21/0236 bis 0239). Das Bestehen der Familienangehörigeneigenschaft kann somit nicht vorweg mit dieser Begründung verneint werden. Es wäre vielmehr auf andere geeignete Beweismittel, etwa Einvernahmen des BF und der Bezugsperson zu den konkreten Umständen ihrer Eheschließung unter anschließender Gegenüberstellung und entsprechender Würdigung ihrer Aussagen sowie auch die Angaben der Bezugsperson in deren Asylverfahren zurückzugreifen.

Es ist dem Akt nicht zu entnehmen, ob bzw. inwieweit die Behörde die entsprechenden Angaben der Bezugsperson in ihrem Asylverfahren tatsächlich herangezogen beziehungsweise mit den Ausführungen des BF in Konnex gesetzt hat. Lediglich die Bezugsperson wurde am 22.01.2019 durch das BFA einvernommen (Anm.: das diesbezügliche Einvernahmeprotokoll wurde dem BVwG nicht übermittelt und befindet sich nicht im Akt). Eine Paralleleinvernahme des BF und der Bezugsperson ist gegenständlich nicht erfolgt. Im Zuge einer solchen hätten allfällige Widersprüche und Unklarheiten geklärt beziehungsweise ausgeräumt werden können.

Aus dem Protokoll der Einvernahme der Bezugsperson in ihrem Asylverfahren vor dem BFA am 22.08.2017 geht hervor, dass diese von Anfang an angegeben hat, seit Oktober 2015 von ihrem ersten Mann geschieden zu sein und drei Monate danach den BF im Flüchtlingscamp in Kenia geheiratet zu haben. Sie habe im März 2016 Kenia verlassen. Die Bezugsperson machte bereits damals Angaben zum Namen, zur Staatsangehörigkeit und zum Geburtsdatum des BF, welche mit den Angaben des BF und dessen Reisepass übereinstimmen. Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Asylverfahren der Bezugsperson am 14.02.2018 ist ersichtlich, dass die Bezugsperson auch dort angegeben hat, mit einem somalischen Staatsangehörigen in zweiter Ehe verheiratet zu sein, welcher als Flüchtling in Kenia lebe. Laut den Ausführungen in der Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA vom 13.06.2019 gab die Bezugsperson in ihrer Einvernahme am 22.01.2019 an, dass die Eheschließung am 02.02.2016 stattgefunden habe und ein gemeinsamer Haushalt für den Zeitraum eines Monats bestanden hätte. Etwaige Widersprüche betreffend die Eheschließung und das Zusammenleben des BF und der Bezugsperson wurden vom BFA nicht dargetan. Es liegen somit konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Angaben zur Familienangehörigeneigenschaft vor.

Das BFA führte weiters aus, dass nicht von einer gültigen Eheschließung ausgegangen werden könne und eine amtliche Registrierung der Eheschließung nicht zu verifizieren gewesen sei. Die Bezugsperson habe am 22.01.2019 angegeben, dass die amtliche Registrierung gleich nach der traditionellen Eheschließung erfolgt sei. Auf der vorgelegten Heiratsurkunde sei das Registrierungsdatum mit 04.07.2018 (Anm.: laut der im Akt aufliegenden Übersetzung 04.01.2018) vermerkt. Da die Registrierung erst ein Jahr nach Asylantragstellung der Bezugsperson und zwei Jahre nach der behaupteten Eheschließung erfolgt sei, sei davon auszugehen, dass die Angaben aufgrund der Widersprüchlichkeiten mit der vermeintlichen Heiratsurkunde anlässlich der Einvernahme der Bezugsperson vom 22.01.2019 ebenso nicht den Tatsachen entsprechen würden und die dargelegte Registrierung vom 04.07.2018 offensichtlich in einem zeitlichen Naheverhältnis zum Einreiseantrag erfolgt sei.

Was die Frage der Beurteilung der Rechtsgültigkeit einer Eheschließung von Drittstaatsangehörigen im Ausland betrifft, so entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ausländisches Recht keine Rechtsfrage, sondern eine Tatfrage darstellt, welche in einem – grundsätzlich amtswegigen – Ermittlungsverfahren festzustellen ist, wobei eine Mitwirkungspflicht der Partei besteht, soweit dies erforderlich ist (z.B. VwGH, 27.06.2017, Ra 2016/18/0277; 19.03.2009, 2007/01/0633).

Dennoch hat es die Behörde gegenständlich unterlassen, Ermittlungen zu den Umständen der (angeblich) im Jahr 2016 traditionell geschlossenen Ehe anzustellen und Ausführungen zur Rechtsgültigkeit der Ehe zu treffen. Feststellungen, ob und wenn ja weshalb eine Eheschließung nach islamischem Ritus keine bereits vor der Einreise der Bezugsperson gültige Ehe gewesen sein soll, sind zur Gänze unterblieben. Auch wurden keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Registrierung einer traditionell geschlossenen Ehe ex-nunc oder ex-tunc Wirkung hat. Es fehlt jegliche Auseinandersetzung mit den rechtlichen Voraussetzungen einer staatlich anerkannten Ehe in Somalia im Allgemeinen, sowie – die seit vielen Jahren fehlende staatliche Strukturen berücksichtigend - den dortigen Gepflogenheiten und der dortigen behördlichen Anwendungspraxis.

Zur Beurteilung des BFA und der ÖB, dass zwischen der Eheschließung und der Flucht der Bezugsperson ein gemeinsamer Haushalt nur für rund einen Monat bestanden habe und dies kein ausreichend gemeinsames Familienleben darstelle, ist Folgendes festzuhalten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH erlischt bei einer umständehalber – etwa im Zuge einer Flucht – erfolgten Trennung das Familienband der Ehegatten nicht automatisch; das Eheband ist daher bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung von Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277 u.a.). Nach EGMR 28.5.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali v. UK, kann die in der Eheschließung enthaltene Absichtserklärung das faktische Zusammenleben ersetzen, mit der Folge, dass die eheliche Beziehung auch dann, wenn sie noch nicht voll zur Entfaltung gekommen ist, als Familienleben geschützt ist. Wurde das Zusammenleben nämlich durch die Flucht oder diese auslösende Ereignisse vereitelt, muss dennoch davon ausgegangen werden, dass ein Familienleben existiert. Ansonsten ist eine gewisse Nähe der Angehörigen zueinander nötig (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht Kommentar, K.18 zu § 34 AsylG).

Seit März 2016 bestand unbestrittener Maßen kein gemeinsamer Haushalt (mehr) zwischen dem BF und der Bezugsperson.

Wenn die Behörde daraus den Schluss zieht, dass vom Nichtbestehen eines im Sinne von Art. 8 EMRK schützenswerten Familienlebens auszugehen sei, ist hiezu anzumerken, dass nicht (allein) auf den Umstand abzustellen ist, dass seit März 2016 kein gemeinsamer Haushalt mehr zwischen dem BF und der Bezugsperson bestanden hat. Vielmehr ist anhand weiterer Faktoren zu beurteilen, ob ein maßgebliches tatsächliches familiäres Verhältnis iSd Art. 8 EMRK vor der Trennung bzw. vor der Flucht der Bezugsperson bestanden hat und wie sich der Kontakt seither gestaltet hat.

Feststellungen, ob der Kontakt zwischen dem BF und der Bezugsperson seit deren Flucht abgebrochen ist bzw. ab welchem Zeitpunkt Kontakt zwischen den beiden (wieder) bestanden hat, wurden vom BFA nicht getroffen.

Für die Qualifikation der Betroffenen als Familienangehörige iSd § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ist nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht erforderlich, dass die Ehe eine bestimmte Dauer aufweisen müsste. Bei der Beurteilung der Frage, ob die angestrebte Erteilung des Status des Asylberechtigten der Fortsetzung des Familienlebens dient, ist nicht allein auf den Umstand abzustellen, dass sich das Zusammenleben nach der Eheschließung – wie gegenständlich zugrunde gelegt – nur auf einen Monat beschränkt hat. Vielmehr ist, wie bereits oben dargelegt, anhand weiterer Faktoren zu beurteilen, ob ein maßgebliches tatsächliches familiäres Verhältnis im Sinne des Art. 8 EMRK vor der Flucht der Bezugsperson bestanden hat.

Zusammengefasst wird die Behörde im fortgesetzten Verfahren die Stellungnahme und vor allem die am 21.06.2019 vorgelegten Dokumente (Heiratsurkunde aus 2019 sowie die gerichtliche Bestätigung der traditionellen Eheschließung im Jahr 2016) in das Verfahren einzubeziehen, zu würdigen und das Ergebnis ihrer Prüfung nachvollziehbar darzulegen haben. Dies auch, um dem BF zweckentsprechende und zielgerichtete Ausführungen im Sinne einer abschließenden Stellungnahme zu ermöglichen. Allenfalls wird auch die Heiratsurkunde aus 2019 kriminaltechnisch einer Echtheitsuntersuchung zu unterziehen sein.

Sollten die am 21.06.2019 vorgelegten Dokumente nicht ausreichen, um die Familienangehörigeneigenschaft des BF zu beweisen, wird die Behörde iSd der og. Rechtsprechung des VwGH Ermittlungen zu den konkreten Umständen der behaupteten Eheschließung des BF mit der Bezugsperson, etwa durch deren (Parallel-)Einvernahmen und unter anschließender Gegenüberstellung und entsprechender Würdigung ihrer Aussagen sowie auch die Angaben der Bezugsperson in deren Asylverfahren hiezu, anzustellen haben.

Je nach Ermittlungsergebnis könnten sich in weiterer Folge auch Erhebungen und Feststellungen zur Rechtsgültigkeit geschlossener Ehen nach somalischem Recht, etwa durch Zugriff auf Informationen der Staatendokumentation, erforderlich erweisen. In deren Lichte wären sodann die Rechtsgültigkeit einer in Kenia traditionell geschlossenen und im Nachhinein registrierten Ehe zweier somalischer Staatsagehöriger (allfällig auch ohne Begründung eines gemeinsamen Haushaltes) – und damit die Familienangehörigeneigenschaft des BF iSd § 35 Abs. 5 AsylG 2005 – einer neuerlichen Beurteilung zu unterziehen.

Die Behörde hat in Hinblick darauf offenkundig jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und sohin den maßgeblichen Sachverhalt nicht (zur Gänze) erhoben und einer gesamtheitlichen Würdigung zugrunde gelegt.

Gravierende, zur Kassation iSd § 28 Abs. 3 VwGVG berechtigende Ermittlungslücken iSd vorstehend wieder gegebenen höchstgerichtlichen Judikatur liegen demnach gegenständlich vor.

Das Bundesverwaltungsgericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen zur Familienangehörigeneigenschaft des BF nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.

Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W175.2224292.1.00

Im RIS seit

18.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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