TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/30 97/01/0144

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Veröffentlicht am 30.09.1997
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Index

L00060 Landesbürger;
L42000 Staatsbürgerschaft;
10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
Landes- und BundesbürgerschaftG 1925 §15;
Landes- und BundesbürgerschaftG 1925 §9;
NSG 1947;
StbG 1949 §3 Abs1;
StbG 1985 §3 Abs1;
StbG 1985 §42 Abs2;
StbG 1985 §42;
StbG 1985 §43;
StbG 1985 §45 impl;
St-ÜG 1949 §1 lita;
St-ÜG 1949 §1 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Ing. F in E, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Klaus Kollmann, Dr. Günter Folk und Dr. Werner Stegmüller, Rechtsanwälte in Graz, Reitschulgasse 1, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. Dezember 1996, Zl. 5-11.E/11-96/4, betreffend Staatsbürgerschaftsfeststellung (mitbeteiligte Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bundesminister für Inneres beantragte mit Schreiben vom 4. April 1996 gemäß § 42 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Durchführung eines Staatsbürgerschaftsfeststellungsverfahrens hinsichtlich des Beschwerdeführers und seines minderjährigen Sohnes A, weil anläßlich des Antrages auf Ausstellung eines österreichischen Reisepasses an der Richtigkeit der Staatsbürgerschaftsnachweise des minderjährigen A und des Beschwerdeführers berechtigte Zweifel aufgetreten seien. Der Bundesminister für Inneres begründete die Zweifel mit dem Inhalt eines Aktenvermerkes der für den Beschwerdeführer örtlich zuständigen Staatsbürgerschaftsevidenzstelle, des Magistrates der Stadt Graz. Gestützt auf mehrere Urkunden kam der Magistrat der Stadt Graz zur Ansicht, daß dem Vater des Beschwerdeführers spätestens am 23. Dezember 1935 die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden sei und die Mutter des Beschwerdeführers aufgrund ihrer am 28. Juli 1937 vor dem Standesamt Berlin I/Charlottenburg geschlossenen Ehe mit dem nunmehr deutschen Staatsangehörigen Dipl.Ing. Dr.tech. R die österreichische Staatsangehörigkeit verloren habe. Damit seien die Eltern des Beschwerdeführers gemäß § 1 lit. a Staatsbürgerschaftsüberleitungsgesetz (StÜG) am 27. April 1945 nicht österreichischer Staatsbürger gewesen. Der am 2. August 1944 geborene Beschwerdeführer habe die österreichische Staatsbürgerschaft kraft Abstammung nicht erworben.

Folgende Beweismittel lagen bei:

Beilage 1: Schreiben der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (Hitlerbewegung) Ortsgruppe Graz II, Leonhard vom 18. Juni 1935, in welchem bestätigt wird, daß der Vater des Beschwerdeführers seit Februar 1933 Mitglied der NSDAP sei, seit Herbst 1933 als Blockwart tätig sei und auch sonst bewiesen habe, daß er der Bewegung in Österreich auch zur Zeit der stärksten Unterdrückung stets die Treue halte. Da die Gefahr bestehe, daß er bei Bekanntwerden seiner Parteibetätigung mit einer längeren Freiheitsstrafe zu rechnen habe, verlasse er in seinem bzw. dem Parteiinteresse und -einverständnis Österreich.

Beilage 2: Schreiben des Gauleiters Hofer an den Stellvertreter des Führers betreffend politische Beurteilung des Vaters des Beschwerdeführers vom 2.2.1938. Der Vater des Beschwerdeführers sei am 1.3.1933 der NSDAP beigetreten, habe infolge seiner politischen Tätigkeit im Juni 1935 Österreich verlassen müssen und sei vom NSDAP-Flüchtlingshilfswerk als politischer Flüchtling anerkannt worden (Flüchtlingsausweis Nr.: 6053). Eine Anfrage bei der Ermittlungsstelle des NSDAP-Flüchtlingshilfswerkes habe ergeben, daß gegen ihn nichts Nachteiliges vorgemerkt sei.

Beilage 3: Urkunde der Einbürgerungsbehörde Pol.-Präs. Berlin betreffend den Vater des Beschwerdeführers. Der Magistrat der Stadt Graz führte zu dieser Urkunde aus, daß es sich dabei um eine beim Bundesverwaltungsamt in Köln aufliegende Sichtkarte des Polizeipräsidenten in Berlin handle, aus der hervorgehe, daß dem Vater des Beschwerdeführers mittels Urkunde des Polizeipräsidenten in Berlin, Zl. IA 1403/5003b, die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden sei. Das Dokument sei dem Vater des Beschwerdeführers am 23.12.1935 ausgehändigt worden.

Beilage 3a: Ehefähigkeitszeugnis des Magistrates Graz vom 9. Juni 1937 für die Mutter des Beschwerdeführers (dieses Zeugnis wurde im Aktenvermerk des Magistrates der Stadt Graz als "getürkt" beschrieben, weil unter dessen Geschäftszahl ein Ehefähigkeitszeugnis betreffend einer anderen Person eingetragen sei und über die genannte Beilage 3a in den vorhandenen Unterlagen kein Hinweis aufscheine). Diese Beilage war im Aufgebotsakt des Standesamtes Berlin I/Charlottenburg enthalten.

Beilage 4: Teil des Aufgebotsaktes des Standesamtes Berlin I/Charlottenburg, Angaben zur Person. Betreffend den Vater des Beschwerdeführers ist unter der Rubrik "staatsangehörig in" die Eintragung "DR" (Anmerkung: Deutsches Reich) "(Staatsangehörigkeitsausweis)" verzeichnet.

Beilage 5: Schreiben der NSDAP, "Der Stellvertreter des Führers", vom 29. Januar 1938 an das Flüchtlingshilfswerk der NSDAP betreffend die benötigte politische Beurteilung zwecks Ernennung des Vater des Beschwerdeführers zum Regierungsbaurat (Beamter).

Beilage 6: Erhebungsbogen für die Feststellung des Vorrückungsstichtages betreffend den Vater des Beschwerdeführers.

Beilagen 7 und 8: Aufenthaltsbescheinigungen (aus der Zeit um 1990, Jahreszahl nicht zur Gänze lesbar) betreffend den Sohn des Beschwerdeführers, Eintragung unter der Rubrik "Staatsangehörigkeit": "deutsch/Österreich", beide ausgestellt von der Stadt E.

Im Aktenvermerk führte der Magistrat der Stadt Graz des weiteren aus, daß für den Vater des Beschwerdeführers kein eigenes Heimatrollenblatt angelegt worden sei. Er scheine am Matrikenblatt seines Vaters J, geboren 6.4.1877, auf. Bei dieser Eintragung sei ein Sperrvermerk angebracht "Achtung angeblich deutscher Staatsbürger, siehe ha. Akt vom 15.11.1956, A 2-2070/1-1956". Der letztzitierte Akt sei nicht auffindbar. Im Eingangsbuch des Jahres 1937 der Magistratsabteilung 2 scheine unter der Nr. 124 und unter Nr. 153 der Name R mit dem Vermerk "Ausbürgerung" auf. Auch diese Geschäftsstücke seien unauffindbar, obwohl Ausbürgerungsakte betreffend anderer Personen dort einlägen.

Es gebe keine Hinweise, daß die Eltern des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführer zu einem späteren Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hätten.

Dem Beschwerdeführer wurde die Sachlage zur Kenntnis gebracht, worauf er folgende Stellungnahme vom 13.6.1996 abgab:

"Wie ich aus dem Schreiben des Bundesministeriums entnehme, hat mein Vater Österreich freiwillig verlassen.

Die beruflichen Tätigkeiten meines Vaters waren m.E. immer bekannt und von ihm, soweit ich das beurteilen kann, ganz korrekt aufgelistet worden.

Bei den vielen fehlerhaften und nicht auffindbaren Papieren, die sich durch den gesamten Ermittlungsakt ziehen, muß ich einfach davon ausgehen, daß die neu vorgelegten Papiere ebenfalls fehlerbehaftet und zu keiner klaren Aussage geeignet sind.

Wie jedoch bereits eingangs erwähnt, kann ich einfach nicht Stellung nehmen zu Dingen die weit vor meiner Geburt liegen. Fest steht und belegbar ist, daß bei meinem Vater im Jahre 1956 eine Feststellung seiner Staatsbürgerschaft durchgeführt wurde. Ich muß davon ausgehen, daß mein Vater eventuelle Fehler seiner Papiere und auch meine bei den Behörden berichtigt hat, denn sonst hätte ich wohl kaum österreichische Papiere erhalten und wäre in der Folgezeit zum Bundesheer einberufen worden. Sämtliche aufgelisteten Punkte wie NSDAP, Beruf etc. waren auch im Jahre 1956 schon bekannt.

Tatsache bleibt und ist, daß ich in Österreich geboren und aufgewachsen bin, als Österreicher lebe und denke und im Jahre 1968 für Österreich zur Verteidigung meines "Vaterlandes" einberufen wurde.

Mein Vater, der mir eine österreichische Erziehung und Ausbildung ermöglichte und als ich ins Ausland verzog, mir mit auf den Weg gab, nie meine österreichische Abstammung und Heimat zu vergessen, verstarb vor über 13 Jahren.

Trotz Sparmaßnahmen der Bundesregierung werden aber in diesem Fall keine Mühen und Kosten gescheut, seine Kinder und Kindeskinder für die wirren politischen Verhältnisse der damaligen Zeit zur Verantwortung zu ziehen.

Mich überkommt doch ein beklemmendes Gefühl, daß meinen 1983 geborenen Sohn heute das Dritte Reich einholt.

Sollte es zu diesem Beschluß gegen mich kommen, bedenken Sie bitte, daß ich auch hier in Deutschland den ebenso schwierigen Weg der Feststellung Deutscher ja oder nein gehen muß und vorerst staatenlos sein werde.

Erschwerend kommt mein Militärdienst im Österreichischen Bundesheer dazu (Dienst in einem fremden Heer; heute bereits schon keine Anerkennung bei der Rentenberechnung), bei dem, ähnlich wie bei meinem Vater die Auslegung der Freiwilligkeit (Einjährig Freiwilliger) erfolgen könnte und ich damit mein eventuelles Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft verwirkt habe.

Leider bin ich nicht in der glücklichen Lage wie mein Sohn Andreas, beide Staatsbürgerschaften rechtmäßig zu besitzen. Welchen Gedankengang das Bundesministerium mit den Beilagen 7+8 gegangen ist, ist daher leider von mir nicht nachvollziehbar."

Hierauf erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie stellte fest, daß der Beschwerdeführer aufgrund des vorherrschenden Abstammungsprinzips bei Weitergeltung des Bundesgesetzes vom 30. Juli 1925, BGBl. Nr. 285, über den Erwerb und Verlust der Landes- und Bundesbürgerschaft in der am 13. März 1938 geltenden Fassung, zum Zeitpunkt seiner Geburt (2.8.1944) die Bundesbürgerschaft durch Rechtsnachfolge nach einem österreichischen Bundesbürger (Abstammung) nicht erworben habe, da er als eheliches Kind geboren worden sei, seine Eltern am 13.3.1938 nicht die österreichische Bundesbürgerschaft besessen hätten und diese auch bei fiktiver Weitergeltung des am 13.3.1938 in Geltung gestandenen Staatsbürgerschaftsrechts nicht erworben hätten. Die belangte Behörde faßte den als maßgeblich festgestellten Sachverhalt wie folgt zusammen:

"1.) Der Genannte "(gemeint der Vater des Beschwerdeführers)" ist am 17.06.1904 in Deutschlandsberg geboren

und hat aufgrund des Abstammungsprinzips das Heimatrecht besessen und war daher in weiterer Folge als österreichischer Bundesbürger zu bezeichnen.

2.)

In einer Abschrift eines Schreibens der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei wird bestätigt, daß Herr Ing. R, geboren am 17.06.1904 in Deutschlandsberg, wohnhaft in Graz, seit Februar 1933 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war und seinen Mitgliedbeitrag bis einschließlich Juli 1935 bezahlt hat.

3.)

In dieser Bestätigung ist auch festgehalten, daß die Gefahr bestanden hat, daß er bei Bekanntwerden seiner Parteibetätigung (Fluchtermöglichung beim Juli-Putsch usw.) mit einer längeren Freiheitsstrafe zu rechnen habe und er daher in seinem bzw. im Interesse der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Österreich verlasse.

4.)

Aus einem Dienstschreibenvermerk vom 02.02.1938 ist erkennbar, daß der Genannte die NSDAP-Mitgliedsnummer 1,531.230 erhielt.

5.)

Mit Wirkung vom 23.12.1935 wurde Herr Dipl.-Ing. R mit Urkunde des Polizeipräsidenten von Berlin, Zl. TA 1403/5003b, in das Deutsche Reich eingebürgert; (bis zu diesem Zeitpunkt war Herr Dipl.-Ing. R. im Besitze eines Flüchtlingsausweises, Nr. 6053, des Deutschen Reiches).

6.)

Der Aufgebotsverhandlung vom 2. Februar 1937, Aufgebots-L 264, Heir.Reg.Nr. 640, des Standesamtes Berlin-Charlottenburg ist zweifelsfrei zu entnehmen, daß Herr Dipl.-Ing. R. zu diesem Zeitpunkt dem Deutschen Reich staatszugehörig war und dies mit der Vorlage eines Staatsangehörigkeitsausweises bewiesen hat."

Daraus sei erkennbar, daß der eheliche Vater des Beschwerdeführers am 13.3.1938 die österreichische Bundesbürgerschaft nicht besessen und sie auch in weiterer Folge nicht erworben habe. Ebenfalls sei erkennbar, daß die Mutter des Beschwerdeführers durch die Eheschließung im Jahre 1937 gemäß § 9 StbG 1925 die Landes- und Bundesbürgerschaft verloren habe, da sie mit diesem Zeitpunkt aufgrund der geltenden Rechtslage in Deutschland automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit nach einem deutschen Staatsangehörigen erworben habe. Der Beschwerdeführer habe die österreichische Staatsbürgerschaft durch Rechtsnachfolge nach einem österreichischen Bundesbürger nicht erworben. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme die vorliegenden Beweise für den fehlenden Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht zu entkräften vermocht. Auch sein abgeleisteter Militärdienst sei darauf zurückzuführen, daß sein Vater im Zuge einer Niederschrift am 31. Mai 1955 (Antrag auf Ausstellung eines Staatsbürgerschaftsnachweises) es unterlassen habe, jene maßgeblichen Sachverhalte korrekt anzugeben, die für die Überprüfung des Sachverhaltes im Zuge der Ausstellung des Staatsbürgerschaftsnachweises maßgeblich gewesen wären.

Der Feststellung, sein Vater wäre in das Deutsche Reich eingebürgert worden, tritt der Beschwerdeführer in der Beschwerde folgendermaßen entgegen:

"Die Feststellung, der Beschwerdeführer wäre mit Urkunde des Polizeipräsidenten von Berlin, Zahl TA1403/5003b, mit Wirkung vom 23.12.1935 in das Deutsche Reich eingebürgert worden, ist aktenwidrig.

Die belangte Behörde zieht diesen aktenwidrigen Schluß aus einer Urkunde des Polizeipräsidenten von Berlin, welche dieser Beschwerde in Kopie beigefügt ist (Beilage ./1).

Tatsächlich handelt es sich dabei lediglich um eine Bestätigung der Aushändigung des Flüchtlingsausweises Nr. 6053 am 23.12.1935. Dem Vater des Beschwerdeführers wurde weder im Dezember 1935 noch später jemals die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen, noch wurde er in das Deutsche Reich eingebürgert. Anders läßt es sich auch nicht erklären, daß ein Dienstschreiben vom 2.2.1938 (verfaßt sohin rund 2 Jahre nach der angeblichen Einbürgerung), in welchem der Vater des Beschwerdeführers politisch beurteilt wird, lediglich auf dessen Stellung als Flüchtling und auf den ausgestellten Flüchtlingsausweis, nicht jedoch auf die zwischenzeitig angeblich erfolgte Einbürgerung in das Deutsche Reich abstellt (Beilage ./2).

Zusammenfassend hat die belangte Behörde aktenwidrig bzw. irrtümlich angenommen, der Vater des Beschwerdeführers wäre mit 23.12.1935 in das Deutsche Reich eingebürgert worden."

Da der Vater des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Eheschließung mit O somit noch Österreicher gewesen sei, habe auch die Mutter des Beschwerdeführers mit der Eheschließung ihre österreichische Bundesbürgerschaft nicht verloren. Der Beschwerdeführer habe die österreichische Staatsbürgerschaft kraft Abstammung von beiden Elternteilen erworben.

Ergänzend brachte der Beschwerdeführer vor, daß die österreichischen Behörden bislang weder anläßlich eines Antrages auf Ausstellung eines Staatsbürgerschaftsnachweises im Jahr 1955, noch anläßlich diverser weiterer ähnlicher Anträge (Ausstellung von Reisepässen, etc.) noch im Zusammenhang mit der Einberufung des Beschwerdeführers zum österreichischen Bundesheers jemals Bedenken an der österreichischen Staatsbürgerschaft "der Familie E" gehabt hätten. Sämtliche Angaben und Unterlagen seien bereits überprüft worden und hätten einer derartigen Überprüfung bislang regelmäßig standgehalten. Es sei unerklärlich, weshalb nach dem Verlust diverser Akten und Aktenbestandteile durch die österreichischen Behörden dem Beschwerdeführer nunmehr der Nachweis seiner österreichischen Staatsbürgerschaft aufgebürdet werde.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichte Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist ein Denkprozeß, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges als solchen handelt bzw. darum ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 549 ff abgedruckte

hg. Judikatur). Die Beschwerdeausführungen lassen aber Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde dargelegten Erwägungen zur Beweiswürdigung aus folgenden Gründen nicht aufkommen:

Bei oberflächlicher und zusammenhangloser Betrachtung der vom Beschwerdeführer als Beilage 1 vorgelegten, im Akt als Beilage 3 erliegenden Urkunde könnte sich der vom Beschwerdeführer gezogene Schluß zwar ergeben. Der Beschwerdeführer übersieht aber zunächst, daß sein Vater im Juni 1935 aus Österreich nach Deutschland geflüchtet ist. Er war laut Beilage 6 bereits mit 24. Oktober 1935 an der Technischen Hochschule Berlin als Hochschulassistent tätig. Es erscheint daher nicht wahrscheinlich, daß ihm erst am 23.12.1935 ein Flüchtlingsausweis ausgestellt worden sein solle. Vor allem aber übersieht der Beschwerdeführer, daß er vom NSDAP-Flüchtlingshilfswerk als politischer Flüchtling anerkannt wurde und von diesem Flüchtlingshilfswerk der Flüchtlingsausweis Nr. 6053 ausgestellt wurde. Bei der Beilage 3 handelt es sich aber um eine Urkunde der "Einbürgerungsbehörde Polizeipräsident Berlin", somit um eine andere Behörde als das NSDAP-Flüchtlingshilfswerk.

Auch das Argument des Beschwerdeführers, im Dienstschreiben vom 2.2.1938 werde lediglich auf seine Stellung als Flüchtling und den ausgestellten Flüchtlingsausweis, nicht jedoch auf die zwischenzeitig erfolgte Einbürgerung in das Deutsche Reich abgestellt, übersieht den Gesamtzusammenhang. Denn die Erwähnung des Flüchtlingsausweises in diesem Schreiben wird sofort verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß es sich hiebei um die Beantwortung einer Anfrage des "Stellvertreters des Führers" an das Flüchtlingshilfswerk der NSDAP vom 29. Januar 1938 handelt (siehe Verwaltungsakt Beilage 5). Daß das Flüchtlingshilfswerk - auch - in Frage kam, Auskünfte zur "politischen Beurteilung" einer Person, welche aus politischen Gründen aus Österreich nach Deutschland geflüchtet und vom Flüchtlingshilfswerk als Flüchtling anerkannt worden war, zu geben, bedarf keiner näheren Erörterung. Das Flüchtlingshilfswerk konnte in Beantwortung dieser Anfrage naturgemäß auch nur in bezug auf bei ihm angefallene Akten antworten, nicht aber auf Vorgänge vor einer anderen Behörde, wie etwa der Einbürgerungsbehörde, eingehen.

Der Beschwerdeführer übersieht des weiteren, daß die belangte Behörde auch die Beilage 4 (Auszug aus der Aufgebotsverhandlung vor dem Standesamt

Berlin I/Charlottenburg) ihrer Beweiswürdigung zugrundelegte. In dieser Urkunde ist die Staatsangehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers mit "DR" = Deutsches Reich "(Staatsangehörigkeitsausweis)" enthalten. Dem von der belangten Behörde daraus gezogenen Schluß, daß der Vater des Beschwerdeführers zu diesem Zeitpunkt dem Deutschen Reich staatszugehörig gewesen sei und dies mit Vorlage eines Staatsangehörigkeitsausweises bewiesen habe, tritt der Beschwerdeführer nicht entgegen.

Insofern der Beschwerdeführer in der Beschwerde angibt, es habe hinsichtlich seiner Person im Jahr 1956 bereits eine Feststellung der Staatsbürgerschaft stattgefunden und es sei ihm damals der Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft bestätigt worden, handelt es sich um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung, weil eine solche Sachverhaltsbehauptung vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht worden war.

Möglicherweise meint der Beschwerdeführer aber damit sein Vorbringen in der Stellungnahme vom 13.6.1996, daß bei seinem Vater im Jahre 1956 eine Feststellung der Staatsbürgerschaft durchgeführt worden sei. Bezüglich seines Vaters hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht konkret eingewendet, daß dessen österreichische Staatsbürgerschaft festgestellt worden wäre; der Sperrvermerk am Matrikenblatt des Großvaters des Beschwerdeführers betreffend den Vater des Beschwerdeführers "Achtung angeblich deutscher Staatsbürger" sowie die Vermerke im Eingangsbuch der Magistratsabteilung 2 des Jahres 1937 "Ausbürgerung" im Zusammenhang mit dem Namen seines Vaters deuten - trotz der Unauffindbarkeit der konkreten Akten - eher in die Richtung der von der belangten Behörde gezogenen Schlüsse.

Die belangte Behörde durfte daher in schlüssiger Weise annehmen, daß der Vater des Beschwerdeführers im Zeitraum zwischen 1. Juli 1933 und 13. März 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben habe. Das Bundesverfassungsgesetz vom 16. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten, BGBl. Nr. 25, dessen Abschnitt II des III. Hauptstückes mit BGBl. Nr. 276/1949 wiederverlautbart wurde, nahm von Besitz und Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nach dem Staatsbürgerschaftsüberleitungsgesetz 1949 (Wiederverlautbarung des Gesetzes vom 10. Juli 1945, StGBl. Nr. 59, über die Überleitung in die österreichische Staatsbürgerschaft) und dem Staatsbürgerschaftsgesetz 1949 (Wiederverlautbarung des Gesetzes vom 10. Juli 1945, StGBl. Nr. 60, über den Erwerb und Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft; beide Wiederverlautbarungen durch BGBl. Nr. 276/1949) alle Personen aus, welche zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben hatten. Zwar hob das Bundesverfassungsgesetz vom 8. Februar 1956, BGBl. Nr. 24, den Abschnitt II des III. Hauptstückes des Nationalsozialistengesetzes auf, gemäß Art. I Abs. 2 dieses Gesetzes, lebte aber hiedurch die Staatsbürgerschaft bei Personen, die sie aufgrund der aufgehobenen Bestimmungen verloren hatten, nicht wieder auf.

Damit hat die belangte Behörde rechtsrichtig aus dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers abgeleitet, daß diesem zum Zeitpunkt der Geburt des Beschwerdeführers und auch späterhin die österreichische Staatsbürgerschaft nicht zukam, zumal ein späterer Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht behauptet wird.

Hinsichtlich der Mutter des Beschwerdeführers begründete die belangte Behörde, daß sie die Landes- und Bundesbürgerschaft verloren habe, da sie mit diesem Zeitpunkt aufgrund der geltenden Rechtslage in Deutschland automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit nach einem deutschen Staatsangehörigen erworben habe. Damit ist die belangte Behörde im Recht.

Gemäß § 9 des Bundesgesetzes vom 30. Juli 1925 über den Erwerb und den Verlust der Landes- und Bundesbürgerschaft, BGBl. Nr. 285, verliert die Ehegattin durch Verehelichung mit einem Ausländer die bisherige Landesbürgerschaft - und damit gemäß § 15 die Bundesbürgerschaft -, sofern nachgewiesen, daß sie nach den Gesetzen des Staates, dem der Ehegatte angehört, durch die Verehelichung die Staatsbürgerschaft dieses Staates erwirbt. Letzteres war auf Grund des zum Zeitpunkt der Eheschließung geltenden § 6 des deutschen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913, RGBl. I, S. 583, der Fall, weil danach der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Eheschließung eintrat. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Verehelichung am 28. Juli 1937, wie im Antrag des Bundesministers für Inneres vom 4. April 1946 ausgeführt, oder am 13. August 1937, wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides schreibt, erfolgte, da beide Daten sowohl nach der Ausfolgung der Urkunde über die Einbürgerung des Vaters des Beschwerdeführers (23.12.1935) als auch vor dem gesetzlich relevanten Stichtag 13. März 1938 lagen. Damit trifft auch auf die Mutter des Beschwerdeführers die oben genannte staatsbürgerschaftsrechtliche Bestimmung des Nationalsozialistengesetzes zu, wonach sie vor Besitz und Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen war. Zwar ist aus dem Verwaltungsakt ersichtlich, daß die Mutter des Beschwerdeführers nunmehr von der Tiroler Landesregierung eingebürgert wurde, doch behauptet der Beschwerdeführer nicht, daß die Einbürgerung zu einem Zeitpunkt vor Erreichung seiner Volljährigkeit erfolgte. Zum Zeitpunkt der Verfassung des Berichtes des Magistrats der Stadt Graz (15.6.1993) war eine Einbürgerung der Mutter des Beschwerdeführers nicht bekannt, sodaß auch dem Verwaltungsgerichtshof mangels entgegenstehender anderer Behauptungen eine vorher erfolgte Einbürgerung der Mutter des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist.

Der Beschwerdeführer wurde am 2. August 1944 als ehelicher Sohn geboren. Gemäß § 1 lit. b

Staatsbürgerschaftsüberleitungsgesetz 1945 sind österreichische Staatsbürger ab 27. April 1945 die Personen, die in der Zeit vom 13. März 1938 bis 27. April 1945 bei Weitergeltung des Bundesgesetzes vom 30. Juli 1925, BGBl. Nr. 285 (StbG 1925) in der am 13. März 1938 geltenden Fassung die Bundesbürgerschaft durch Rechtsnachfolge nach einem österreichischen Bundesbürger (Abstammung, Legitimation, Ehe) erworben hätten. Für den Beschwerdeführer kommt § 5 StbG 1925 in Frage, wonach nicht eigenberechtigte eheliche oder legitimierte Kinder die Landesbürgerschaft des Vaters, uneheliche jene der Mutter erlangen.

Gemäß § 3 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1945 (ebenso wie das Staatsbürgerschaftsüberleitungsgesetz 1945 wiederverlautbart mit BGBl. Nr. 276/1949) erwerben nicht eigenberechtigte eheliche Kinder die Staatsbürgerschaft nach dem Vater. Ist der Vater staatenlos, so erwirbt das Kind die Staatsbürgerschaft, wenn die Mutter die Staatsbürgerschaft besitzt.

Da keine der zitierten Normen mangels Bestehen einer österreichischen Staatsbürgerschaft des Vaters oder der Mutter des Beschwerdeführers bis zur Erlangung der Eigenberechtigung des Beschwerdeführers den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers durch Abstammung zu begründen vermag und er auch nicht behauptet, er sei in der Folge eingebürgert worden, ist die Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei nicht österreichischer Staatsbürger, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf Staatsbürgerschaftsnachweise, Reisepässe und die Einberufung zum österreichischen Bundesheer können die Beschwerde nicht zum Erfolg führen. Denn nur ein Feststellungsbescheid gemäß (nunmehr) § 42 StbG entfaltet eine Bindungswirkung dergestalt, daß mit dessen Rechtskraft das Bestehen oder Nichtbestehen der österreichischen Staatsbürgerschaft zum Zeitpunkt der Feststellung unverrückbar festgestellt ist. Insbesondere entfalten Bestätigungen gemäß § 43 StbG keine solche Bindungswirkung, ihnen geht weder ein Verwaltungsverfahren voraus noch sind sie Bescheide, sondern nur Beurkundungen (siehe § 45 StbG). Urkunden oder Bescheide, die auf Staatsbürgerschaftsnachweisen beruhen, entfalten demnach gleichfalls keine Bindungswirkung.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides (Mitgliedschaft des Beschwerdeführers zur NSDAP) sowie mit dem dagegen erstatteten Beschwerdevorbringen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997010144.X00

Im RIS seit

14.02.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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