TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/27 W111 2135787-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.08.2020
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Entscheidungsdatum

27.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W111 2135787-1/19E

W111 2135804-1/15E

W111 2135800-1/16E

W111 2135794-1/16E

W111 2135797-1/16E

W111 2135802-1/9E

W111 2135789-1/10E

W111 2135792-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX alias: XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , 5) XXXX , geb. XXXX , 6) XXXX , geb. XXXX , 7) XXXX , geb. XXXX , und 8) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 02.09.2016, 1) Zl. 1050187201 – 151590305/BMI-BFA_STM_AST_01, 2) 1050187310 – 151578011/BMI-BFA_STM_AST_01, 3) 1050187506 – 151578542/BMI-BFA_STM_AST_01, 4) 1050187702 – 151578577/BMI-BFA_STM_AST_01, 5) 1050187800 – 151578666/BMI-BFA_STM_AST_01, 6) 1050187909 – 151578682/BMI-BFA_STM_AST_01, 7) 1050188002 – 151578704/BMI-BFA_STM_AST_01, und 8) 1089111710 – 151452535/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2020:

A)

Die Verfahren werden insoweit wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX alias: XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , 5) XXXX , geb. XXXX , 6) XXXX , geb. XXXX , 7) XXXX , geb. XXXX , und 8) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX gegen die Spruchpunkte II. bis IV. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 02.09.2016, 1) Zl. 1050187201 – 151590305/BMI-BFA_STM_AST_01, 2) 1050187310 – 151578011/BMI-BFA_STM_AST_01, 3) 1050187506 – 151578542/BMI-BFA_STM_AST_01, 4) 1050187702 – 151578577/BMI-BFA_STM_AST_01, 5) 1050187800 – 151578666/BMI-BFA_STM_AST_01, 6) 1050187909 – 151578682/BMI-BFA_STM_AST_01, 7) 1050188002 – 151578704/BMI-BFA_STM_AST_01, und 8) 1089111710 – 151452535/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. bis IV. werden als unbegründet abgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), beide sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Achtbeschwerdeführer (BF3 – BF8). Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

2. Die BF1 bis BF7 stellten nach illegaler Einreise am 15.01.2015 Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen der BF1 und die BF2 am folgenden Tag niederschriftlich erstbefragt wurden.

Der BF1 gab zusammengefasst und sinngemäß an, dass seine Asylanträge in Polen und Deutschland abgelehnt worden seien.

Zu seinem Fluchtgrund gab der BF1 an, dass ein Polizeikommandant ihm befohlen habe, drei Personen zu töten. Das sei 2009 gewesen. Er habe das aber nicht gemacht. Er sei daraufhin wieder in sein Heimatdorf gefahren und habe weiterarbeiten können. Das sei sein einziger Flucht- und Asylgrund. Bei einer Rückkehr würde er verhaftet werden.

Die BF2 gab ebenso an, dass sie in Polen und Deutschland Asylanträge gestellt habe, die negativ entschieden worden seien.

Zum Fluchtgrund gab die BF2 an, dass ihr Mann mit dem Militär zusammengearbeitet habe. Man habe sie nicht in Ruhe gelassen. Sie habe keine eigenen Flucht- und Asylgründe. Sie habe nur wegen der Probleme des Mannes ihren Herkunftsstaat verlassen. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Sie stelle hiermit auch für ihre Kinder Asylanträge.

3. Am 04.02.2015 wurde dem BF1 und der BF2 – wobei die BF2 als gesetzliche Vertreterin der Kinder auftrat - mittels Parteiengehör die beabsichtigte Ausweisung nach Polen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Erstaufnahmestelle XXXX zur Kenntnis gebracht.

4. Mit Bescheiden vom 09.04.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 15.01.2015 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO Polen zuständig ist (Spruchpunkt I). In Spruchpunkt II wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der BF1 bis BF7 angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Polen zulässig ist.

5. Dagegen wurde von den BF1 bis BF7 fristgerecht Beschwerde erhoben.

6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.04.2015, W144 2106440-1, W144 2106448-1, W144 2106447-1, W144 2106446-1, W144 2106444-1, W144 2106443-1 und W144 2106442-1, wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

7. Am 16.06.2015 fand ein Parteiengehör bei der belangten Behörde statt.

8. Mittels neuen Bescheiden vom 16.06.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF7 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO Polen zuständig ist (Spruchpunkt I). In Spruchpunkt II wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der BF1 bis BF7 angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Polen zulässig ist.

9. Die BF1 – BF7 wurden am 26.07.2015 um 06:40 Uhr gemäß § 40 BFA-VG festgenommen.

10. Mit Schreiben vom 30.07.2015 stellte die rechtliche Vertretung einen Antrag auf Abänderung der Bescheide und auf Zulassung des Verfahrens.

11. Am 05.09.2015 wurde der BF8 geboren und wurde mit Schreiben vom 17.09.2015 durch die BF2 als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 für den BF8 gestellt.

12. Mit Schreiben vom 07.09.2015 erstatte die rechtliche Vertretung Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG.

13. Die beschwerdeführenden Parteien stellten am 19.10.2015 bzw. 20.10.2015 (erneut) Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen der BF1 und die BF2 am 19.10.2015 bzw. 20.10.2015 niederschriftlich erstbefragt wurden.

Der BF1 gab zusammengefasst und sinngemäß an, dass er seit der Entscheidung über seinen (ersten) Asylantrag Österreich nicht verlassen habe und auch nicht in seine Heimat zurückgekehrt sei. Weiters führte er aus, dass er nicht in seine Heimat zurückkehren könne; er habe Angst. Die Fluchtgründe, die er bei seiner ersten Asylantragstellung angegeben habe, würden aufrecht bleiben. Er habe keine neuen Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, dass er sicher umgebracht werde. Die XXXX hätten ihm seine Fingernägel abgezogen und ihn wie einen Hund geschlagen. Zudem würden für seine Kinder die gleichen Fluchtgründe wie für ihn gelten. Seine Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Die BF2 gab ebenso an, dass sie seit der Entscheidung über ihren (ersten) Asylantrag Österreich nicht verlassen habe; sie seien immer in Österreich gewesen. Weiters führte sie aus, dass die Gründe, die sie im ersten Verfahren angegeben habe, aufrecht bleiben würden. Sie habe jetzt Kontakt mit ihren Schwiegereltern in Tschetschenien und die hätten ihnen gesagt, dass die russische und tschetschenische Behörde sie suchen würden und es besser wäre, wenn sie in Österreich bleiben würden. Bei einer Rückkehr befürchte sie, dass ihr Mann verhaftet werde. Sie hätte dann auch mit ihren Kindern „Probleme“. Ihr Mann würde verhaftet werden und sicherlich auch getötet werden. Gefragt, seit wann ihr die Änderung der Situation/ihrer Fluchtgründe bekannt sei, gab sie an, seit zwei Tagen, nach dem sie mit ihren Schwiegereltern telefonisch Kontakt gehabt habe.

14. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgericht, W140 2113762-1, W140 2113770-1, W140 2113767-1, W140 2113764-1, W140 2113766-1, W140 2113768-1 und W140 2113769-1 vom 04.03.2016 wurde den Beschwerden gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und Z 2 BFA-VG iVm Art 1 Abs. 3 2. Satz Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit iVm § 40 BFA-VG stattgegeben und die Festnahmen der BF1 – BF7 vom 26.07.2015 (06:40 Uhr) sowie die Anhaltungen des BF1 sowie BF3 bis BF7 vom 26.07.2015 (06:40 Uhr) bis 27.07.2015 (18:45 Uhr) und der BF2 vom 26.07.2015 (06:40 Uhr bis 23:15 Uhr) für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I).

Weiters wurde ausgesprochen, dass der Bund gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV den Beschwerdeführern den Verfahrensaufwand in der Höhe von je EUR 737,60 (je Beschwerdeführer) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen hat (Spruchpunkt II).

15. Am 20.05.2016 wurde der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen. Unter einem wurden Dokumente vorgelegt. Der BF1 brachte anlässlich jener Einvernahme zusammenfassend und sinngemäß vor, dass er Anfang 2013 mit seiner Familie mit einem Zug legal nach Weißrussland ausgereist sei. Gefragt, wie es seiner Familie im Herkunftsstaat gehe, führte der BF1 aus, dass sein Bruder jede Woche vom Regimentskommandanten vorgeladen werde und nach dem Aufenthaltsort des BF1 gefragt werde und, ob er Kontakte zum BF1 habe. Der Bruder sei auch mit dem Tod bedroht worden, falls ihm nachgewiesen werde, dass er lüge. Der Bruder werde auch öfter angehalten und dabei werde auch sein Telefon überprüft. Die Familie hülle sich zum Aufenthaltsortes des BF1 in Schweigen.

Auf die Frage, wie man zu einem Reisepass komme, wenn man im Herkunftsstaat gesucht werde, antwortete der BF1, dass ihm sein Onkel den Reisepass durch Schmiergeld besorgt habe. Ein Reisepass habe ca. EUR 125,- gekostet.

Gefragt, wie man legal aus dem Herkunftsstaat ausreisen könne, wenn man gesucht werde, führte der BF1 aus, er sei damals nicht auf der Fahndungsliste gewesen. Er habe es über Freunde gehört. Wenn man gesucht werde, würden Fotos in der Gemeinde aufgehängt werden.

Zu den Fluchtgründen führte der BF1 im Wesentlichen aus, dass sein Regimentskommandant im September 2012 ihm und sieben anderen Kollegen Fotos von drei angeblichen Terroristen gezeigt habe, die Probleme mit den Russen gehabt hätten. Sie hätten diese Personen in die Basis bringe sollen. Er habe gewusst, dass diese Leute im Keller umgebracht werden würden. Er habe das nicht tun wollen. Als er sich geweigert habe, sei er mit dem Tod bedroht worden. Dann habe der Regimentskommandant gesagt, seine Kollegen würden die Leute holen, der BF1 müsste sie aber danach im Keller umbringen. Der BF1 weigerte sich auch das zu tun. Der Regimentskommandant habe den anderen Mitarbeitern befohlen, den BF1 zu schlagen und zu misshandeln. Sie hätten ihm die Rippen gebrochen und mit einer Pistole auf seine Fingernägel geschlagen. Sie hätten ihn mit dem Maschinengewehr auf den Rücken und auf das rechte Bein geschlagen.

Der BF1 zeigte in der Einvernahme seinen Rücken, auf dem erkennbar eine ca. 40 cm lange Narbe auf der rechten Seite unter dem Schulterblatt war.

Der BF1 sei bewusstlos gewesen, er sei mit Wasser begossen worden, er habe auch am Kopf Narben, könne sich aber nur sehr vage daran erinnern. Er sei dann in einem Krankenhaus ca. zwei bis drei Tage später zu sich gekommen. Sein rechtes Bein sei eingegipst gewesen und seine Rippen seien einbandagiert gewesen. Auch sein Kopf sei verbunden gewesen. Er sei dort insgesamt ca. eine Woche gelegen. Er habe sich dann für drei Monate bei seinem Onkel in den Bergen versteckt. Im März 2013 sei sein ältester Sohn am Schulweg mitgenommen worden und in die Militärbasis gebracht worden. Er sei dort einen ganzen Tag festgehalten worden und man habe ihm gesagt, dass er den BF1 anrufen solle und er dem BF1 sagen solle, dass der Sohn getötete werden würde, wenn sich der BF1 nicht stellen würde. Sein Sohn habe aber gesagt, dass er die Telefonnummer des BF1 nicht kennen würde. Seine Familie habe seinen Sohn am Abend wieder nach Hause geholt.

Gefragt, warum man den Sohn des BF1 einfach so wieder freigelassen habe, wenn man so doch Druck ausüben hätte können, gab der BF1 an, die Leute der Basis hätten gesagt, dass das eine Warnung gewesen sei, dann beim nächsten Mal würde man die ganze Familie mitnehmen.

Auf Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung Folgendes angegeben habe: „Ein Polizeikommandant hat mir befohlen drei Personen zu töten. Das war 2009. Ich habe das aber nicht gemacht. Ich bin daraufhin wieder in mein Heimatdorf gefahren und konnte weiterarbeiten.“ und wie der BF1 den zeitlichen Widerspruch erklären könne, führte dieser aus, er habe einen alten Dolmetscher gehabt, das sei falsch übersetzt worden, er habe auch Angst gehabt. Gefragt, ob dem BF1 das Protokoll der Erstbefragung rückübersetzt worden sei, führte er aus, er habe nicht die Wahrheit sagen wollen, weil er Angst gehabt habe, dass er wieder nach Polen abgeschoben werde.

Auf weiteren Vorhalt, dass er heute angegeben habe, dass er immer der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe und jetzt sagen würde, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe, gab er an, dass er vom Polizisten angebrüllt worden sei. Er habe Angst gehabt. Jetzt würde er die Wahrheit sagen.

Am selben Tag wurde die BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen.

In dieser Einvernahme gab sie im Wesentlichen und sinngemäß an, dass sie wegen „der Probleme“ ihres Mannes hier sei. Sie seien ständig vom Militär gefragt worden, wo ihr Mann sei. Sie habe zwei bis drei Tage nicht gewusst, wo ihr Mann sei. Dann sei sein Freund zu ihnen nach Hause gekommen und habe gesagt, dass ihr Mann im Spital sei. Das Gesicht, die Rippen und die Finger des BF1 seien verletzt gewesen. Im Übrigen sei ihr Sohn einmal mitgenommen worden. Zudem würde sie als Fluchthelferin verfolgt werden.

16. Mit Schreiben vom 08.06.2016 wurde durch den Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Parteien eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt abgegeben.

17. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 02.09.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz der beschwerdeführenden Parteien sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkte I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkte II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkte III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.).

Der Begründung ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass dem Fluchtgrund des BF1 aufgrund der widersprüchlichen Angaben kein Glauben geschenkt werden habe können.

18. Dagegen wurden fristgerecht Beschwerden durch die bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation eingebracht, in welchen nach kurzer Darstellung des Fluchtvorbringens zusammengefasst ausgeführt wurde, dass das Ermittlungsverfahren fehlerhaft gewesen sei. Auch seien die Länderfeststellungen mangelhaft. Zudem wurden unrichtige Feststellungen aufgrund mangelhafter Beweiswürdigung moniert. Dazu wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde primär auf vermeintliche Abweichungen im Fluchtvorbringen zwischen Erstbefragung und Einvernahme stützen würde. Sie habe aber nicht berücksichtigt, dass den Angaben in der polizeilichen Befragung jedenfalls nicht der gleiche Stellenwert eingeräumt werden könne wie jenen in den Einvernahmen im Asylverfahren. Im Übrigen seien die beschwerdeführenden Parteien in der Erstbefragung unter großem Druck gestanden. Soweit sich die belangte Behörde in der Beweiswürdigung auf Aussagen der beschwerdeführenden Parteien aus ihrer Einvernahme in Polen beziehe, sei fraglich, ob dieses Vorgehen zulässig sei, da es dem Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens widerspreche. Weiters seien die massiven Verletzungen des BF1 in der Beweiswürdigung unberücksichtigt geblieben, die ihre Ursache in den Misshandlungen durch die Mitarbeiter der Militärbasis hätten und eines der wichtigsten Beweismitteln darstellen würden. Dem BF1 seien die Fingernägel herausgezogen und Rippen gebrochen worden, zudem sei er am Rücken und an der Stirn verletzt worden. Diese Verletzungen seien weiterhin anhand von Narben ersichtlich. Diese Folterspuren des BF1 seien in der Beweiswürdigung schlichtweg ignoriert worden. Zum Beweis für die erlittenen Folterungen stellten die beschwerdeführenden Parteien den Antrag, das Bundesverwaltungsgericht möge ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage einholen, ob beim BF1 physische und psychische Folterfolgen erkennbar sind. Zusammengefasst sei zu sagen, dass die beschwerdeführenden Parteien in ihrem Heimatland aufgrund der Weigerung des BF1, die Anweisungen der Handlanger XXXX zu befolgen, als Oppositionelle gelten würden und als solche der Gefahr von gewaltsamen Übergriffen, Misshandlungen, Folter und Mord durch die von XXXX beherrschten Sicherheitskräften ausgeliefert seien. Die beschwerdeführenden Parteien müssten daher aktuell Verfolgung aufgrund einer ihnen von staatlicher Seite unterstellten oppositionellen Gesinnung in der Russischen Föderation fürchten. Auch stehe ihnen keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Bei einem ordentlichen Ermittlungsverfahren und einer ordentlichen Beweiswürdigung, hätte die Behörde den beschwerdeführenden Parteien daher den Status einer Asylberechtigten zuerkennen müssen. Alternativ wäre den beschwerdeführenden Parteien subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Jedenfalls wäre eine Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation für unzulässig zu erklären gewesen und wäre den beschwerdeführenden Parteien daher eine Aufenthaltsberechtigung (plus) zuzuerkennen gewesen.

19. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 27.09.2016 mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

20. Am 21.11.2016 langte eine Beschwerdeergänzung ein. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Grundsatz des Parteiengehörs verletzt worden sei. Dem BF1 seien seine Aussagen vor den polnischen Behörden nicht vorgehalten worden, weshalb er auch keine Gelegenheit gehabt habe, etwaige vermeintliche Widersprüche in Bezug auf das Vorbringen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufzuklären. Auch sei die Einvernahme in Polen im Bescheid nicht abgedruckt worden. Dadurch habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Begründungspflicht verletzt, da es weder den beschwerdeführenden Parteien noch der Beschwerdeinstanz möglich sei, die Beweiswürdigung nachzuvollziehen. Auch bleibe im Dunkeln, worum es in der Einvernahme in Polen gegangen sei und welche Verfahrensgarantien dabei beachtet worden seien. Auch sei die Beweiswürdigung – aus in der Stellungnahme näher ausgeführten Gründen – nicht nachvollziehbar. Unter einem wurden Unterlagen vorgelegt.

21. Am 25.11.2016 langten weitere Unterlagen der beschwerdeführenden Parteien – beglaubigte Übersetzung einer Ladung, Arbeitszeugnis und Fotokopien von Reisepässen - beim Bundesverwaltungsgericht ein.

22. Mit Schreiben vom 14.12.2016 übermittelten die beschwerdeführenden Parteien eine Ergänzung zur Unterlagenvorlage und brachten dazu vor, dass sie im Anhang das Original der Ladung für den 10.10.2013, das sie mittlerweile aus ihrem Heimatland erhalten hätten, übermitteln würden.

23. Am 21.02.2019 erfolgte eine Nachreichung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, mit der eine Anzeige wegen § 120 Abs. 3 Z 2 FPG vorgelegt wurde.

24. Am 12.03.2020 langten weitere Unterlagen der beschwerdeführenden Parteien beim Bundesverwaltungsgericht ein.

25. Am 13.03.2020 langte ein Bericht der LPD zum BF1 ein.

26. Am 15.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Parteien eine mündliche Verhandlung durch. Das Bundesamt war ordnungsgemäß geladen worden, hatte jedoch mit Schreiben vom 10.06.2020 mitgeteilt, dass es nicht an der Verhandlung teilnehmen wird. In der Verhandlung wurden weitere Unterlagen vorgelegt.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:

„[…]

R: Schildern Sie mir in kurzen Worten Ihren Lebenslauf.

BF1: Ich bin in der Stadt XXXX , in Russland geboren. Ich bin in die Schule in Tschetschenien gegangen bis zur 9. Klasse. Dann ist ein Krieg ausgebrochen und ich habe die Schule nicht mehr beendet. Seitdem habe ich als LKW-Fahrer gearbeitet. Ich habe auch in meinem Dorf gearbeitet.

R: Haben Sie Ihren bisherigen Angaben etwas hinzuzufügen bzw. zu korrigieren?

BF1: Nein, das einzige ist, dass mein Bruder gesagt hat, wir sind aus Russland komplett abgemeldet worden. Die ganze Familie ist abgemeldet worden. Nachgefragt gebe ich an, dass meine bisherigen Angaben vollständig und richtig waren.

R: Wurden Sie korrekt behandelt?

BF1: Ja.

R: Bitte schildern Sie mir ausführlich und chronologisch richtig, aus welchen Gründen Sie und Ihre Familie die russische Föderation verlassen haben.

BF1: Ich hatte einen Klassenkameraden, er war ein Kommandant einer Militäreinheit, wie ich schon sagte, ich war LKW-Fahrer. Mir wurde immer wieder Arbeit angeboten und ich habe gearbeitet. Zwei Tage war ich im Dienst und zwei Tage war ich zuhause. Ich habe glaube ich im Jahr 2008 begonnen dort zu arbeiten.

R: Wo haben Sie gearbeitet?

BF1: Ich habe auch bei der Militärbasis als privater Sicherheitsangestellter gearbeitet. Ich weiß nicht wann genau ich begonnen habe, aber ich glaube es war 2008/2009. Ich habe bis 2012 illegal gearbeitet und ab dann war ich legal angestellt. Ich war ein Wachmann für die Militärbasis. Ich war aber nicht bei der Armee und hatte keinen Dienstgrad.

R: Wie hieß Ihr direkter Vorgesetzter bzw. der Kommandant?

BF1: Das war mein Schulfreund, mein Klassenkamerad, XXXX .

R: Waren in Ihrer Einheit auch andere Personen mit dem Namen XXXX ?

BF1: Es sind vier Brüder.

R: Wie hießen die Brüder?

BF1: XXXX , der Älteste, XXXX und XXXX .

R: Wer war Ihr Kommandant?

BF1: XXXX . Die anderen waren nicht meine Vorgesetzten, ich war unmittelbar unter XXXX eingeteilt.

R: In der Einvernahme vor den polnischen Behörden sprechen Sie davon, dass XXXX Ihr Vorgesetzter wäre (AS161). Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?

BF1: Nein, XXXX war nicht mein Vorgesetzter. Er war der Älteste, aber mein unmittelbarer Vorgesetzter war XXXX .

R: Bitte fahren Sie fort.

BF1: Es haben dort Konflikte begonnen, es gab Probleme. Man hat uns gesagt, dass wir in der Nacht wegfahren werden. Wir sind aber nirgendwo hingefahren, aber zu unserer Basis wurden junge Männer hingebracht. Dann hat man uns gesagt, auch mir, dass wir diese Leute erschießen müssen. Die anderen waren einverstanden und ein Freund von mir und ich haben gesagt, dass wir das nicht machen werden. Wir wurden als Wachmänner angestellt und nicht, um Leute umzubringen. Nachgefragt: Das war ca. 2012 oder 2013 glaube ich, aber im September, glaube ich.

R: Fahren Sie fort.

BF1: Ich habe gesagt, dass ich es nicht machen werde. Dann hat man mir gedroht, dass ich Probleme bekommen werde. In dieser Nacht haben die Probleme begonnen. Sie haben mir gesagt, dass sie zuerst meinen Bruder umbringen werden und danach müsse ich die anderen umbringen. Danach haben sie mich geschlagen. Dann haben sie mich ins kalte Wasser geworfen.

R: Wurden Sie ins kalte Wasser geworfen oder hat man kaltes Wasser über Sie gelehrt?

BF1: Man hat mich im Freien ins kalte Wasser geworfen, mich geschlagen und mir die Nägel weggerissen.

R: Welche Verletzungen hatten Sie?

BF1: Am zweiten oder dritten Tag, als ich die Augen geöffnet habe, war ich schon im Krankenhaus. Man hat mich zuhause gesucht, bei meiner Mutter.

R wiederholt die Frage.

BF1: Die Nägel waren abgebrochen und am Rücken hat man mich geschlagen.

R: Wie hat man Sie an den Nägeln misshandelt?

BF1: Sie haben mit der Zange meine Nägel ausgerissen.

R: Im erstinstanzlichen Verfahren sprechen Sie davon nicht, vielmehr geben Sie an, dass Ihnen mit der Pistole auf die Finger geschlagen worden wäre.

BF1: Nein, die Nase wurde mir mit einer Pistole gebrochen.

R: Das heißt Sie haben für diesen Widerspruch keine Erklärung?

BF1: Nein, ich weiß es nicht. Ich will nicht lügen, es war so, wie ich es gerade gesagt habe. Meine Frau kann besser russisch, ich kann nicht so gut russisch.

R: Haben Sie Verständigungsschwierigkeiten mit der D?

BF1: Natürlich verstehe ich sie.

R: Welche Verletzungen haben Sie, abgesehen von Ihren Nägeln, sonst noch davongetragen?

BF1: Sie haben mich so geschlagen, dass ich jetzt noch Narben auf dem Rücken habe.

R: Welche Verletzungen hatten Sie? Wurde Ihnen etwas gebrochen, hatten Sie Stichverletzungen?

BF1: Ich weiß es nicht, mein Bein war sehr stark verletzt, vielleicht haben sie mich mit einem Schlagstock geschlagen. Ich war nicht bei Bewusstsein. Das weiß ich nicht. Am Rücken habe ich eine Narbe und am Bein war ich verletzt.

R: War Ihr Bein gebrochen oder mussten Sie es nähen lassen?

BF1: Mein rechtes Bein war im Gips, ich weiß nicht was mit mir passiert ist. Ich habe Narben auf dem rechten Bein und ich hatte einen Gips als ich zu mir kam.

R: Sie haben vorher angegeben, dass Sie ins kalte Wasser geworfen wurden. Im erstinstanzlichen Verfahren haben Sie angegeben, dass Sie mit Wasser begossen wurden. Was sagen Sie zu dem Widerspruch?

BF1: Mit mir waren noch andere Leute und wir wurden ins kalte Wasser hineingeworfen.

R: Hatten Sie Verletzungen im Bereich des Brustkorbes?

BF1: Ja, die Rippen waren auch gebrochen. Ich konnte im Krankenhaus nicht Mals aufstehen, ich bin gelegen.

R: Hatten Sie Verletzungen auf dem Kopf?

BF1: Ja.

R: Welche Verletzungen hatten Sie auf dem Kopf?

BF1: Ich weiß es nicht, sie haben mich mit etwas geschlagen und da habe ich auch eine Narbe. Ich habe mein Bewusstsein verloren.

R: Wo und wann gelangten Sie wieder zu Bewusstsein?

BF1: Ich glaube am zweiten oder dritten Tag, so genau weiß ich es nicht. Ich bin im Krankenhaus aufgewacht und war eine Woche im Krankenhaus.

R: Wer hat Sie ins Spital gebracht?

BF1: Daran kann ich mich nicht erinnern, dass weiß ich nicht. Mein Freund hat gesagt, dass ich auf der Straße liegengelassen worden bin, aber ich kann mich nicht erinnern.

R: Woher wusste das Ihr Freund?

BF1: Er hat auch dort mit mir gearbeitet.

R: Wann haben Sie nach diesem Vorfall erstmals Ihre Frau wiedergesehen?

BF1: Ich glaube im März, das war nach zwei bis drei Monaten. Ich war in den Bergen, nach dem Krankenhaus. Ich bin mit dem Taxi gefahren. Ich bin geflüchtet und bin zu meinem Onkel in die Berge gefahren. Er wohnt dort.

R: Sie haben angegeben, dass der Vorfall im September war und Sie Ihre Frau erst wieder im März gesehen haben.

BF1: Ich war drei Monate bei meinem Onkel.

R: Wann haben Sie nach diesem Vorfall erstmals Ihre Frau wiedergesehen?

BF1: Genau kann ich es nicht sagen. Ungefähr nach drei Monaten.

R: Das heißt zum Jahreswechsel?

BF1: Nein, ja September. Im März haben wir schon XXXX aus der Schule genommen. Die, die mich geschlagen haben, haben meinen Sohn aus der Schule genommen.

R: Die Frage war, wann Sie Ihre Frau wiedergesehen haben.

BF1: 2013 war das.

R: Sie werden wohl wissen, ob Sie Ihre Frau ein, zwei, drei oder sechs Monate nicht gesehen haben.

BF1: Minimum drei Monate habe ich sie nicht gesehen.

R: Und Maximum?

BF1: Ich weiß nicht mehr den Monat und das Datum.

Die Verhandlung wird um 14:01 Uhr unterbrochen, da die BFV Rücksprache mit Ihrer Mandantschaft halten möchte.

Die Verhandlung wird um 14:15 Uhr fortgesetzt.

BF1 bis BF5 betreten den Verhandlungssaal.

BFV: Im Namen der BF1 bis BF8 gebe ich bekannt, dass die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der verfahrensgegenständlichen Bescheide zurückgezogen werden.

Der R erteilt eine ausführliche rechtliche Erläuterung.

BF1 und BF2 die Belehrung verstanden zu haben und die Zurückziehung im eigenen Namen und im Namen der Kinder einverstanden zu sein.

Festgehalten wird daher, dass die Spruchpunkte I. der verfahrensgegenständlichen Bescheide der BF1 bis BF8 in Rechtskraft wachsen. Die Beschwerden gegen die übrigen Spruchpunkte bleiben aufrecht.

R: Leiden Sie oder Ihre Kinder an schweren oder chronischen Krankheiten?

BF2: Mein Sohn XXXX hat manchmal Asthma. Er hat Sprays, wenn er Asthmaanfälle hat. Er ist in der Entwicklung ein wenig zurück, da er die erste Klasse drei Mal wiederholen musste. Er ging nicht zum Kindergarten hier. Als wir hierherkamen war er sechs Jahre und drei Monate. Ich habe ihn in die Schule gegeben. Er kann sogar in Russisch oder tschetschenisch nur sehr wenig sprechen. Es hat sich jetzt etwas verbessert. Deutsch fällt ihm immer noch schwer, aber in Mathematik ist er sehr gut. Ansonsten ist die Familie gesund.

BF1 und BF2 geben an, dass sie und die übrigen Familienmitglieder keine gesundheitlichen Probleme haben.

R: Haben Sie Verwandte in Tschetschenien?

BF2: Ja, natürlich.

R: Wen?

BF2: Mutter und Geschwister des BF1. Von mir leben meine Onkel und Tanten in Tschetschenien. Meine Eltern leben in XXXX .

R: Sie und Ihr Ehemann haben einen größeren Verwandtenkreis?

BF2: Ja.

R an BF2: Gibt es außerordentliche Umstände, die Sie bei einer Rückkehr in die russische Föderation dort erwarten würden?

BF2: Ich weiß nicht, wie ich so eine Frage beantworten soll. Wir haben dort kein Haus und gar nichts. Ich verstehe die Frage gut, aber ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll. Ich habe an etwas Anderes gedacht, meine Tante liegt mit Coronavirus im Krankenhaus.

R an BF1: Gibt es außerordentliche Umstände, die Sie bei einer Rückkehr in die russische Föderation dort erwarten würden?

BF1: An den Coronavirus sind viele Leute gestorben.

R an BF1: Bitte schildern Sie mir Ihr Privat- und Familienleben in Österreich.

BF1: Wir sind seit fünf Jahren in Österreich. Wir haben früher in XXXX gelebt, jetzt leben wir in XXXX . Ich habe einen Deutschkurs absolviert und verweise diesbezüglich auf eine Teilnahmebestätigung, welche am 12.03.2020 dem Gericht übermittelt wurde. Ich bin für den A2 Kurs angemeldet, aber durch den Coronavirus hat sich der Kurs verzögert. Ich werde aber demnächst eine Prüfung über die deutsche Sprache ablegen.

R an BF1: Haben Sie im Falle, dass Ihnen eine Arbeitsbewilligung erteilt wird, bereits eine Arbeitsstelle in Aussicht?

BF1: Ja, nach einer Woche hätte ich schon eine Arbeit, wenn ich eine Arbeitsbewilligung hätte. In XXXX gibt es eine Baufirma und der Chef dieser Firma würde mich gerne einstellen. Wir sind befreundet. Ansonsten habe ich im Service, in der Autowerkstätte eine Jobmöglichkeit. Auch bei der Müllabfuhr könnte ich arbeiten.

R an BF1: Haben Sie sonst noch ein Vorbringen, aus dem hervorgeht, dass Sie mit Österreich besonders verbunden wären?

BF1: Ich kann nur sagen, wenn ich eine Erlaubnis hätte, bräuchte ich kein Geld vom Staat, denn ich würde selbst Geld verdienen. Ich habe auch bereits ehrenamtlich gearbeitet, z.B. Plastikmüllabfuhr.

BFV verweist auf einen Zeitungsartikel im Rahmen der Vorlage vom 12.03.2020 und legt vor: eine Bestätigung über eine freiwillige Mitarbeit im XXXX -Caffé in XXXX . Diesbezüglich wird auf den Zeitungsartikel verwiesen, der ebenfalls am 12.03.2020 übermittelt wurde. Nachgefragt gebe ich an, dass betreffend BF1 keine Deutschprüfungszeugnisse vorliegen.

BFV verweist ebenso auf eine Beschäftigung beim Aufräumdienst im Jahr 2019. (ebenso Aktenvorlage vom 12.03.2020) 2017/2018 hat er auch da gearbeitet.

R an BF2: Bitte schildern Sie mir Ihr Privat- und Familienleben in Österreich.

BF2: In der Früh schicke ich die Kinder in den Kindergarten und in die Schule, ich helfe ihnen natürlich bei der Vorbereitung. Solange sie im Kindergarten und in der Schule sind, bereite ich das Essen zu. Dann hole ich die Kinder aus dem Kindergarten ab. Darüber hinaus habe ich einen Alphabetisierungskurs belegt, den ich im Jahr 2017 abgeschlossen habe. Nachgefragt gebe ich an, ein Deutschzeugnis kann ich nicht vorweisen.

R an BF2: Hätten Sie eine Beschäftigung für den Fall, dass Sie eine Beschäftigungsbewilligung hätten?

BF2: Ja, natürlich. Ich könnte überall putzen, manchmal verdiene ich mit dieser Beschäftigung dazu.

R an BF2: Möchten Sie noch etwas vorbringen?

BF2: Nein.

R an BF3 (in Anwesenheit der Eltern): Schildern Sie mir, was Sie an Österreich bindet.

BF3 (auf Deutsch): Ich bin seit fünf Jahren in Österreich, ich habe viele Freunde. Ich habe die Mittelschule fertiggemacht und jetzt besuche ich die Polytechnische Schule.

Vorgelegt werden Jahreszeugnisse und Schulbesuchsbestätigungen, sowie ein Schreiben der Direktion der polytechnischen Schule XXXX . Eine positive Benotung im Fach „Deutsch“ findet sich in diesen Zeugnissen nicht.

BF3 (auf Deutsch): Ich spiele Fußball und habe in Österreich viele Freunde. Ich habe in XXXX in einem Team gespielt. Ich möchte eine Zukunft eine Lehrstelle suchen und dann mal studieren. Ich möchte gerne eine Lehre als KFZ-Techniker machen.

R an BF4: Schildern Sie mir Ihr Privat- und Familienleben in Österreich.

BF4 (auf Deutsch): Ich besuche die Fachschule für wirtschaftliche Berufe und habe eine positive Note im Fach Deutsch im Halbjahreszeugnis. Darüber hinaus habe ich die NMS abgeschlossen und das Polytechnikum gemacht (die BF legt darüber ein Abschlusszeugnis der NMS aus dem Schuljahr 2018/19 vor). Darüber hinaus habe ich einen Erste-Hilfe-Kurs im April 2019 besucht. Ich schließe meine Fachschule mit positiven Noten ab und möchte dann die dreijährige Schule belegen. In Zukunft will ich Krankenschwester werden. Ich helfe gerne Menschen. Ich habe viele Freunde und meine beste Freundin ist Österreicherin. Ich bin hier sehr gut integriert, treffe mich mit vielen Freunden und gehe auch spazieren.

Hinsichtlich des BF5 werden Zeugnisse und Schulbesuchsbestätigungen vorgelegt.

Ebenso werden Zeugnisse zu dem BF6 vorgelegt.

BFV beantragt eine Frist bis zum 17.08.2020 zur Vorlage weiterer Unterlagen (insbesondere zur Integration, Deutschprüfungszeugnisse, Arbeitsplatzzusagen etc.) und Stellungnahmen.

Der BFV wird ein Exemplar des LIB der Staatendokumentation übergeben (Stand: Gesamtaktualisierung vom 27.03.2020), Frist zur Stellungnahme 17.08.2020.

R: Möchten Sie noch etwas vorbringen?

Alle BF: Nein.

[…]“

27. Am 19.08.2020 wurden weitere Unterlagen vorgelegt, und zwar Schulzeugnisse, Unterstützungsschreiben und Zertifikate des BFI. Zudem wurde ausgeführt, dass weitere Unterlagen, insbesondere eine Einstellungszusage, ca. bis Ende August 2020 nachgereicht werden würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem moslemischen Glauben zugehörig. Der BF1 ist der Ehegatte der BF2, beide sind die Eltern der minderjährigen BF3 – BF8. Die beschwerdeführenden Parteien – mit Ausnahme der in Polen bzw. Österreich geborenen BF7 und BF8 - lebten in der Russischen Föderation.

Die BF1 bis BF7 stellten nach illegaler Einreise am 15.01.2015 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheiden vom 09.04.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 15.01.2015 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO Polen zuständig ist (Spruchpunkt I). In Spruchpunkt II wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der BF1 bis BF7 angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Polen zulässig ist.

Dagegen wurde von den BF1 bis BF7 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.04.2015, W144 2106440-1, W144 2106448-1, W144 2106447-1, W144 2106446-1, W144 2106444-1, W144 2106443-1 und W144 2106442-1, wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

Mittels neuen Bescheiden vom 16.06.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF7 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO Polen zuständig ist (Spruchpunkt I). In Spruchpunkt II wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der BF1 bis BF7 angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Polen zulässig ist.

Am 05.09.2015 wurde der BF8 geboren und in weiterer Folge ein erstmaliger Antrag auf internationaler Schutz hinsichtlich des BF8 gestellt.

Die beschwerdeführenden Parteien stellten am 19.10.2015 bzw. 20.10.2015 (erneut) Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Infolge der Zurückziehung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2016, 1) Zl. 1050187201 – 151590305/BMI-BFA_STM_AST_01, 2) 1050187310 – 151578011/BMI-BFA_STM_AST_01, 3) 1050187506 – 151578542/BMI-BFA_STM_AST_01, 4) 1050187702 – 151578577/BMI-BFA_STM_AST_01, 5) 1050187800 – 151578666/BMI-BFA_STM_AST_01, 6) 1050187909 – 151578682/BMI-BFA_STM_AST_01, 7) 1050188002 – 151578704/BMI-BFA_STM_AST_01, und 8) 1089111710 – 151452535/BMI-BFA_STM_AST_01, ist gegenständlich lediglich über die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. bis IV. abzusprechen, das Verfahren bezüglich Spruchpunkt I. war jeweils einzustellen.

Die beschwerdeführenden Parteien wären im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation weder in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen noch von der Todesstrafe bedroht. Die beschwerdeführenden Parteien liefen dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die beschwerdeführenden Parteien sprechen die Landessprache. Sie verfügen über zahlreiche verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation (Mutter und Geschwister des BF1 in Tschetschenien, Eltern der BF2 in XXXX und weitere Verwandte). Dem BF1 und der BF2 ist eine Teilnahme am Erwerbsleben und eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhalts möglich und zumutbar. Der BF1 besuchte im Herkunftsstaat die Schule und verfügt über Berufserfahrung, so war er als LKW-Fahrer tätig. Auch die BF2 besuchte im Herkunftsstaat die Schule und war fallweise als Marktverkäuferin tätig. Zudem steht ihnen als russische Staatsbürger ein Rückgriff auf Leistungen des dortigen Sozialhilfesystems offen.

Der BF5 leidet an Asthma. Er verwendet Sprays, wenn er Asthmaanfälle hat. Auch ist er in der Entwicklung ein wenig zurück; er musste die erste Klasse dreimal wiederholen. Er kann sogar in Russisch oder Tschetschenisch nur sehr wenig sprechen. Es hat sich jetzt aber etwas verbessert. Ansonsten ist die Familie gesund. Die beschwerdeführenden Parteien leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Zudem besteht in der Russischen Föderation eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen die beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnten.

1.3. Mit 15.10.2019, GZ: XXXX , erging hinsichtlich des BF1 ein Straferkenntnis der LPD XXXX wegen Übertretung des § 120 Abs. 3 Z 2 FPG.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde abgewiesen.

BF1 bis BF4 sind strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Eine ausgeprägte und verfestigte Integration der beschwerdeführenden Parteien in Österreich liegt nicht vor. Außerhalb ihrer Kernfamilie verfügen die beschwerdeführenden Parteien über keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bezugspunkte im Bundesgebiet. Eine Cousine der BF2 lebt in Österreich, zu der aber keine finanzielle Abhängigkeit besteht. Weiters lebt ein Cousin des BF1 in Österreich, zu dem jedoch auch keine Abhängigkeiten hervorgekommen sind.

Die beschwerdeführenden Parteien haben während ihrer Aufenthalte durchwegs Grundversorgung bezogen und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF1 war ehrenamtlich tätig bzw. verrichte freiwillige Tätigkeiten, so arbeitete er seit März 2019 im XXXX -Cafe XXXX mit. Dieses fand 2019 am 06.04., 18.05., 28.09., 16.11. jeweils von 9.00 bis 12.00 Uhr statt. Weiters nahm er am 23.04.2016 am großen XXXX Frühjahrsputz teil. Vom 17.07.2016 bis 22.07.2016 hat er täglich von 06.00 Uhr bis 09.30 Uhr in der Straßenreinigung im Rahmen eines gemeinnützigen Beschäftigungsprojekts in Kooperation mit der Holding XXXX gearbeitet. Zudem verrichtete er Aufräumdienste. Er hat vom 19.04.2017 bis 05.07.2017 an einem Deutschkurs, Niveau A1, teilgenommen; eine Prüfung dazu hat er jedoch nicht abgelegt. Er hat einen Basisbildungskurs „Sicher im Alltag, fit für Ausbildung und Beruf – Basisbildungsangebot in XXXX “ am BFI, der unter anderem Kompetenzen in der deutschen Sprache umfasst, erfolgreich absolviert. Deutschprüfungszeugnisse, die Deutschkenntnisse auf einem bestimmten Niveau nachweisen würden, liegen hinsichtlich des BF1 jedoch nicht vor.

Die BF2 hat einen Alphabetisierungskurs im Zeitraum vom 21.02. bis 28.06.2017 besucht. Die BF2 hat Aufräumdienste verrichtet. Auch die BF2 hat einen Basisbildungskurs „Sicher im Alltag, fit für Ausbildung und Beruf – Basisbildungsangebot in XXXX “ am BFI, der unter anderem Kompetenzen in der deutschen Sprache umfasst, erfolgreich absolviert. Deutschprüfungszeugnisse, die Deutschkenntnisse auf einem bestimmten Niveau nachweisen würden, liegen hinsichtlich der BF2 nicht vor.

Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien haben sich im Zuge ihrer langjährigen Aufenthalte im Bundesgebiet bzw ihres Schul- oder Kindergartenbesuchs Deutschkenntnisse angeeignet. Die minderjährigen BF3 bis BF6 besuchen die Schule im Bundesgebiet und sind altersgemäß gut in das Schulleben integriert. Der BF3 besuchte zuletzt die Polytechnische Schule, die er jedoch nicht erfolgreich abgeschlossen hat. Die BF4 besuchte zuletzt die einjährige Fachschule für wirtschaftliche Berufe, welche sie mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss. Die BF4 verfügt über eine Mitteilung, demnach sie in die 3-jährige Fachschule für wirtschaftliche Berufe aufgenommen werden kann. Weiters hat sie an einer Unterweisung in „lebensrettenden Sofortmaßnahmen am Ort des Verkehrsunfalls“ teilgenommen. Der BF5 hat zuletzt die dritte Schulstufe der Volksschule abgeschlossen. Die BF6 hat zuletzt die zweite Schulstufe der Volksschule abgeschlossen. Die BF7 verfügt über ein Schreiben, demnach sie im Schuljahr 2020/21 die Volksschule XXXX besuchen kann.

Die beschwerdeführenden Parteien haben Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet geknüpft.

1.5. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird prinzipiell auf das der Beschwerdeführervertreterin anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung überreichte Berichtsmaterial verwiesen, zu dem keine Stellungnahme abgegeben wurde. Auszugsweise werden die folgenden Feststellungen getroffen:

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits, weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        Caucasian Knot (30.8.2019):

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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