TE Bvwg Beschluss 2020/9/1 W153 1426029-3

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Veröffentlicht am 01.09.2020
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Entscheidungsdatum

01.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W153 1426029-3/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020, Zahl 811346606-190039251, beschlossen:

A)

Der Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 08.11.2011 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 27.03.2012 wies das Bundesasylamt den Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Dem BF wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.03.2013 erteilt (Spruchpunkte II. und III.).

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass sich die Angaben des BF, wonach er sich vor der unsicheren Lage fürchte und bei einer Rückkehr in einer aussichtslosen Lage sei, als plausibel und nachvollziehbar erweisen würden.

Gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der BF eine Beschwerde, die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.04.2013 als unbegründet abgewiesen wurde.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde jeweils verlängert, zuletzt wurde dem BF mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.02.2018 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.03.2020 erteilt.

Mit Urteilt des LG für Strafsachen vom 23.10.2015 wurde der BF wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter der Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteilt des BG vom 23.11.2016 wurde der BF wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des BG vom 10.12.2018 wurde der BF wegen §§ 15, 149 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Die Probezeit hinsichtlich seiner Verurteilungen vom 28.10.2015 und 29.11.2016 wurde auf fünf Jahre verlängert.

Am 18.02.2020 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

Mit der Aufforderung zur Stellungnahme des BFA vom 25.05.2020 wurde der BF über die Einleitung des gegenständlichen Aberkennungsverfahrens informiert. Der BF sei in Österreich straffällig geworden. Das BFA beabsichtige eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren zu erlassen. Ihm wurde die Gelegenheit gegeben innerhalb von zwei Wochen den angeführten Fragenkatalog schriftlich zu beantworten.

Mit Schreiben vom 28.05.2020 gab der BF eine Stellungnahme in Form der schriftlichen Beantwortung der Fragen des BFA zur beabsichtigten Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Er habe die Deutschprüfung auf Niveau A2 bestanden und einen Deutschkurs auf Niveau B1 besucht. Er arbeite seit Juni 2017 Vollzeit. Der BF legte diverse Integrationsunterlagen vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.06.2020 wurde der dem BF mit Bescheid vom 27.03.2012 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In den Spruchpunkten II. – VI. wurde dem BF die mit Bescheid vom 27.03.2012 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass sich der BF aktuell nicht mehr in der gleichen Lage wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes und der Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung befinde. Er sei inzwischen älter, erfahrener und habe ergänzend Basiskenntnisse und Fertigkeiten als Arbeiter erworben. Die geänderte Lage im Herkunftsland, u.a. insbesondere in den Städten Mazar-e Sharif und Herat führe zur Annahme, dass die Umstände, von denen der den subsidiären Schutz zuerkennende Bescheid ausgegangen sei, nicht mehr in gleicher Weise zutreffen würden. Die für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes damals ausschlaggebende Tatsache, dass der BF im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten könnte, könne vor diesem Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 14.07.2020 Beschwerde und fasste begründend zusammen, dass sich die Gründe der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung im Wesentlichen nicht geändert hätten. Das BFA habe zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes nur völlig ungeeignete Ermittlungen gesetzt, in dem es den BF nicht persönlich einvernommen habe. Der Bescheid leide daher unter erheblichen Ermittlungsmängeln. Eine Verbesserung der Sicherheitslage in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif sei aus einem Vergleich der Länderfeststellungen nicht ersichtlich. Auf die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 wurde verwiesen. Der BF könne bei einer Rückkehr auf kein soziales oder familiäres Auffangnetz zurückgreifen. Die nächsten Angehörigen des BF seien im Iran aufhältig und könnten diesen nicht finanziell unterstützen. Bei einer Rückkehr sei dem BF in ganz Afghanistan eine notwendige Existenzsicherung unmöglich. Somit bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative. Betreffend das verhängte Einreiseverbot führte der BF aus, dass von ihm keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Er sei seit 2011 in Österreich aufhältig, habe sich um eine berufliche und sprachliche Integration bemüht und habe sich ein soziales Netzwerk in Österreich aufgebaut.

Am 11.08.2020 legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände, besondere Bedeutung zu (VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0318). Auch aus diesem Grund scheint eine persönliche Befragung des BF im Verfahren zur Verlängerung des subsidiären Schutzes bzw. zu dessen Aberkennung bereits durch das BFA unumgänglich.

Auch soweit das BFA die Verhängung eines Einreiseverbots für geboten erachtete, hätte es (zumindest) für die Bemessung der Höhe die selben Umstände zu berücksichtigen gehabt, die sich nur aus einer persönlichen Befragung und gewonnenen persönlichen Eindrucks des BF selbst ergeben hätten. So ist bei der Entscheidung über die Dauer eines Einreiseverbots stets auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/ Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12). Außerdem ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).

Darüber hinaus wurde dem BF, für den (auch trotz seines bereits langjährigen Aufenthaltes in Österreich) nicht ohne Ermittlungen klar ist, inwieweit er der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, lediglich eine - zur Beantwortung sämtlicher Fragen notwendigerweise umfangreiche - schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von 14 Tagen aufgetragen. Dem Auftrag waren keine Hinweise in seiner Muttersprache angeschlossen.

Im gegenständlichen Fall scheint eine persönliche Einvernahme auch deswegen geboten, zumal dem BF im schriftlichen Parteiengehör durch das BFA keine genauen Gründe für die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens mitgeteilt wurden, sondern nach Wiedergabe der strafgerichtlichen Verurteilung des BF lediglich allgemein festgehalten wurde, dass wegen des Wegfallens der Umstände die zur Statuszuerkennung geführt hätten, ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei. Um dem BF jedoch die Möglichkeit zu geben, ein substantiiertes Vorbringen zu erstatten, warum die Voraussetzungen noch immer vorliegen, wären dem BF vom BFA genauere Informationen zu geben gewesen, die es zu diesem Schritt veranlassten, wie beispielsweise, dass sich die Versorgungslage wesentlich verbessert oder die persönliche Situation des BF maßgeblich geändert habe. Aus dem Schreiben des BFA geht überdies die konkrete Rechtsgrundlage für die beabsichtigte Aberkennung des Schutzstatus nicht hervor. Ob die Behörde eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG beabsichtigte, war für den BF folglich nicht nachvollziehbar bzw. erkennbar und war es ihm sohin auch nicht möglich ein zielgerichtetes und vollständiges Vorbringen zu erstatten.

Das dem BF übermittelte Schreiben über das eingeleitete Aberkennungsverfahren war somit nicht geeignet, die Behörde von ihrer Pflicht, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, zu entbinden.

Es wird auch darauf hingewiesen, dass die letzte persönliche Einvernahme des BF am 19.03.2012 erfolgte. Insofern musste eine Einvernahme des BF - gerade mit Blick auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet - als unabdingbar erscheinen, insbesondere um seine Integration zu erheben und die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots sowie dessen Dauer beurteilen zu können.

In seiner ständigen Rechtsprechung betont der Verwaltungsgerichtshof, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (zuletzt Ra 2017/22/0007 vom 27.07.2017 mit Hinweis auf Ra 2014/22/0181 vom 23.06.2015). Hinsichtlich der Beurteilung der Rückkehrentscheidung ist daher eine Einvernahme zum Privat- und Familienleben des BF im österreichischen Bundesgebiet unerlässlich, zumal sonst die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung in den Heimatstaat nicht erfolgen kann.

Im vorliegenden Fall ist nicht nachvollziehbar, auf welche Ermittlungen die Behörde ihre Feststellungen stützt, wonach der seinerzeit für die Gewährung des subsidiären Schutzes maßgebliche Grund zwischenzeitlich nicht mehr gegeben und dem BF eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuzumuten sei. Die bloße Heranziehung aktueller Länderberichte als Entscheidungsgrundlage, ohne sich mit den Länderfeststellungen zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinanderzusetzen, ist jedenfalls nicht geeignet, eine Änderung der Lage in Afghanistan zu begründen. Ein – entsprechende Feststellungen zur Entwicklung der Situation im Herkunftsstaat tragender – Vergleich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungs- und Sicherheitslage einerseits im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und andererseits zum Zeitpunkt der Aberkennung des Schutzstatus findet sich im angefochtenen Bescheid jedoch nicht, sondern wird die Änderung der Situation vielmehr mit der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs begründet. Auch der Verweis der belangten Behörde auf die vom BF gewonnenen Lebenserfahrung, Fähigkeiten und Kenntnisse sowie auf die gesammelte Berufserfahrung reicht für die Annahme einer wesentlichen Änderung seiner Situation nicht aus, da der BF bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus Berufserfahrung in Afghanistan gesammelt und dies auch in der mündlichen Einvernahme vor dem BFA am 19.03.2012 angegeben hat. Inwiefern die in den letzten beinahe neun Jahren gesammelten Fähigkeiten, Kenntnisse und Lebenserfahrung in Österreich die Situation des BF im Fall seiner Rückkehr entscheidungswesentlich verbessern würde, wurde von der Behörde nicht substantiiert dargelegt.

Es wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die allgemeine Lage in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass eine Rückführung per se ausgeschlossen sei. Es erfordert eine derartige Entscheidung aber ein sorgfältiges Ermittlungsverfahren zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat sowie eine Prüfung der Situation des jeweiligen Antragstellers. Durch eine zielgerichtete Befragung wäre zu ermitteln gewesen, ob für den BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK besteht bzw. ob für ihn dort überhaupt eine ausreichende Lebensgrundlage vorhanden ist. Ebenso hätte die belangte Behörde sich einen persönlichen Eindruck des BF zu verschaffen gehabt, um das Privat- und Familienleben des BF in Österreich und den persönlichen Umständen des BF im Herkunftsstaat beurteilen zu können.

Das BFA hat sohin im Rahmen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gerade einmal ansatzweise Ermittlungen getätigt. Zentrale Ermittlungsschritte wurden nicht vorgenommen. Damit erweist sich der vorliegende Sachverhalt für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten – also die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention durch Rückführung in den Herkunftsstaat – für den BF nicht mehr vorliegen, als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich sind.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen wird das BFA eine mündliche Einvernahme des BF durchzuführen haben. Sollte es zur Ansicht gelangen, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegen, wird es im Zuge dieser Einvernahme die Gründe hierfür offenzulegen und dem BF die Möglichkeit zur Äußerung einzuräumen haben. Ferner wird das BFA ebenso Fragen zu seinem Familien- und Privatleben in Österreich zu stellen haben.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten administrativ-manipulativen Aufwandes - nicht ersichtlich.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben (und zurückzuverweisen) ist. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W153.1426029.3.00

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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